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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AufG 1992 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der 1964 geborenen S S in Wien, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. Februar 1996, Zl. 305.119/2-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin verfügte über einen Wiedereinreisesichtvermerk gültig vom 18. März 1993 bis zum 17. Jänner 1994. Ein am 10. Jänner 1994 gestellter Antrag auf Verlängerung wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien abgewiesen. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
Am 19. Juni 1995 stellte die Beschwerdeführerin im Wege der österreichischen Botschaft in Budapest neuerlich einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, der am 28. Juni 1995 beim Magistrat der Stadt Wien einlangte. Als Aufenthaltszweck gab sie einerseits die Ausübung einer unselbständigen Tätigkeit (als Küchenkraft) auf Grund eines Befreiungsscheines, andererseits "Familienzusammenführung bzw. Familiengemeinschaft", und zwar mit ihrem Ehegatten, einem österreichischen Staatsbürger, an. Im Verwaltungsakt erliegt ua. die Kopie eines für die Beschwerdeführerin ausgestellten Befreiungsscheines, gültig vom 22. August 1992 bis zum 21. August 1997 (OZ. 43 des Verwaltungsaktes).
Der Antrag wurde vom Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 21. Dezember 1995 gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin arbeite laut einer dem Antrag beigelegten Lohnbestätigung seit 14. März 1994 im Bundesgebiet. Sie sei somit ohne Berechtigung und damit illegal im Bundesgebiet.
In der dagegen erhobenen Berufung räumte die Beschwerdeführerin ein, sich unrechtmäßig in Österreich aufzuhalten und wies darauf hin, weiterhin beim selben Unternehmen beschäftigt zu sein.
Die Berufung wurde vom Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 9. Februar 1996 gemäß § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG abgewiesen. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, es stehe fest, daß sich die Beschwerdeführerin seit Ablauf ihrer Aufenthaltsberechtigung am 17. Jänner 1994 unerlaubt im Bundesgebiet aufhalte und auch einer Erwerbstätigkeit nachgehe, ohne über eine Aufenthaltsbewilligung zu verfügen. Diese Tatsache stelle eine Gefährdung für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit dar, weil ihr Verhalten auf andere Fremde durchaus Beispielwirkung haben könne. Sie gebe zwar an, mit einem österreichischen Staatsangehörigen verheiratet zu sein, jedoch lebe sie nicht im gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten, "sodaß von einer aufrechten Ehe wohl nicht gesprochen werden" könne.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof. Nachdem dieser die Behandlung der Beschwerde mit Beschluß vom 13. März 1996, B 866/96-3, abgelehnt und diese antragsgemäß mit Beschluß vom 3. April 1996, B 866/93-5, dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hatte, wurde sie von der Beschwerdeführerin ergänzt. Sie erachtet sich in ihrem Recht auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung verletzt und bringt vor, es bestehe entgegen den Ausführungen der belangten Behörde eine aufrechte Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (die Zustellung erfolgte am 27. Februar 1996) ist für die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof die Rechtslage nach der Novelle zum Aufenthaltsgesetz BGBl. Nr. 351/1995 maßgeblich.
Die §§ 5 Abs. 1 und 6 Abs. 2 AufG lauteten (auszugsweise):
"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, ...
...
§ 6. ...
(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen ... Eine Antragstellung im Inland ist ausnahmsweise zulässig: ...; schließlich für jene im Bundesgebiet aufhältigen Personen, für die dies in einer Verordnung gemäß § 2 Abs. 3 Z 4 festgelegt ist. ..."
§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG lautete:
"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn
...
4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"
§ 4 Z. 2 der am 22. Dezember 1995 ausgegebenen Verordnung der Bundesregierung über die Anzahl der Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz für 1996, BGBl. Nr. 854/1995, lautete:
"§ 4. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung kann ausnahmsweise im Inland gestellt werden von
...
2. Angehörigen von österreichischen Staatsbürgern (§ 3 Abs. 1 Z 1 Aufenthaltsgesetz), die gemäß § 14 Abs. 3 FrG einreisen oder denen vor der Einreise ein gewöhnlicher Sichtvermerk erteilt wurde,"
Im Hinblick auf die rechtskräftige Abweisung des im Jänner 1994 gestellten Antrages der Beschwerdeführerin auf Verlängerung ihres bis dahin gültigen gewöhnlichen Sichtvermerkes ist der verfahrensgegenständliche Antrag von der belangten Behörde zu Recht nicht als Verlängerungsantrag gewertet worden. Der angefochtene Bescheid ist daher auch nicht gemäß § 113 Abs. 6 und 7 des Fremdengesetzes 1997 mit Ablauf des 31. Dezember 1997 außer Kraft getreten.
Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht die Feststellungen der belangten Behörde, sich im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Bundesgebiet aufzuhalten und einer unselbständigen Beschäftigung nachzugehen.
Gemäß § 6 Abs. 2 erster Satz AufG ist der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vor der Einreise vom Ausland aus zu stellen. Die Beschwerdeführerin, die im Verwaltungsverfahren vorbrachte, Ehegattin eines österreichischen Staatsbürgers zu sein, könnte bei Zutreffen dieses Umstandes die Möglichkeit der ausnahmsweisen Inlandsantragstellung gemäß § 4 Z. 2 der Verordnung BGBl. Nr. 854/1995 dann für sich in Anspruch nehmen, wenn ihr vor der (letzten) Einreise ein gewöhnlicher Sichtvermerk erteilt worden wäre. Die belangte Behörde unterließ es in diesem Zusammenhang festzustellen, ob der Beschwerdeführerin vor ihrer (letzten) Einreise in das Bundesgebiet ein gewöhnlicher Sichtvermerk erteilt worden war. Hätte die belangte Behörde Feststellungen hinsichtlich des Zeitpunktes der letzten Einreise der Beschwerdeführerin getroffen, hätte sie zum Ergebnis kommen können, daß diese als Ehegattin eines österreichischen Staatsbürgers gemäß § 4 Z. 2 der Verordnung BGBl. Nr. 854/1995 zur Antragstellung vom Inland aus berechtigt war.
Die belangte Behörde hätte in einem solchen Fall die Abweisung des Antrages nicht auf § 6 Abs. 2 erster Satz AufG stützen dürfen. Damit aber wäre auch der von der belangten Behörde im vorliegenden Fall herangezogene Sichtvermerksversagungsgrund nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG im gegenständlichen Fall nicht verwirklicht. Wie der Verwaltungsgerichtshof nämlich mehrfach ausgeführt hat, hat der Gesetzgeber durch die im § 6 Abs. 2 dritter Satz in Verbindung mit § 2 Abs. 3 Z. 4 AufG enthaltene Verordnungsermächtigung an die Bundesregierung, von der diese auch Gebrauch gemacht hat), näher umschriebene Gruppen von Fremden, die sich nach dem Ende ihrer Aufenthaltsbewilligung weiterhin unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, die Möglichkeit zur Antragstellung im Inland einzuräumen, zu erkennen gegeben, daß er die vom unrechtmäßigen Aufenthalt solcher zur Antragstellung im Inland berechtigter Fremder ausgehende Störung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens nicht für so gravierend erachtet, daß daraus die gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG maßgebliche Prognose abzuleiten wäre, auch ihr weiterer Aufenthalt auf Grund einer zu erteilenden Bewilligung werde die öffentliche Ordnung (auf diesem Gebiet) gefährden. Aus diesem Grund wäre der von der Behörde gebrauchte Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG nicht verwirklicht gewesen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1997, Zl. 96/19/2066).
Soweit die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausführt, die Beschwerdeführerin lebe nicht im gemeinsamen Haushalt mit ihrem Gatten, sodaß von einer aufrechten Ehe wohl nicht gesprochen werden könne, verkennt sie, daß der Bestand eines Ehebandes vom Bestehen eines gemeinsamen Haushaltes nicht abhängt. Daß aber eine sogenannte "Scheinehe" vorliege, hat die belangte Behörde nicht behauptet.
Soweit der angefochtene Bescheid auch den Vorwurf enthält, die Beschwerdeführerin gehe einer selbständigen Erwerbstätigkeit nach, obwohl sie nicht über eine Aufenthaltsberechtigung verfüge, ist auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, derzufolge die Verletzung aufenthaltsrechtlicher, nicht jedoch ausländerbeschäftigungsrechtlicher Bestimmungen durch die Fortsetzung einer ausländerbeschäftigungsrechtlich erlaubten Arbeitstätigkeit nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes für sich allein noch nicht die gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG zu stellende Gefährdungsprognose rechtfertigt. Diese für die Fortsetzung einer solchen Erwerbstätigkeit entwickelten Grundsätze sind auch auf den Fall zu übertragen, daß es ein Fremder verabsäumt, die zur Aufnahme einer - ausländerbeschäftigungsrechtlich zulässigen - Erwerbstätigkeit erforderliche (weitere) Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz einzuholen. Auch dieses Versäumnis allein rechtfertigte noch nicht die Annahme, der weitere Aufenthalt eines Fremden auf Grund der zu erteilenden Bewilligung werde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG gefährden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 7. März 1997, Zl. 95/19/0682, und vom 19. September 1997, Zl. 96/19/1837). Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen dazu getroffen, obwohl die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren einen bis zum 21. August 1997 gültigen, für sie ausgestellten Befreiungsschein vorgelegt hatte.
Im Hinblick auf die dargelegten Feststellungsmängel der belangten Behörde war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz war abzuweisen, weil im Falle einer Abtretung einer Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof Stempelgebühren nur für die Einbringung der Beschwerdeergänzung in zweifacher Ausfertigung zuzusprechen sind.
Wien, am 13. November 1998
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996191085.X00Im RIS seit
02.05.2001