TE Vwgh Erkenntnis 1962/10/12 0034/61

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.10.1962
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
67 Versorgungsrecht

Norm

AVG §51
AVG §8
KOVG RichtsatzV 1965 Anl Abschn1 litd
KOVG RichtsatzV 1965 §3
KOVG 1957 §7

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Donner und die Hofräte Dr. Strau, Dr. Lehne, Dr. Dolp und Dr. Hinterauer als Richter, im Beisein des prov. Magistratskommissärs Dr. Jezek als Schriftführer, über die Beschwerde des JP in M gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Kärnten vom 18. November 1960, Sch.Zl.308/60/5, betreffend Beschädigtenrente, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Beschwerdeführer bezieht wegen der Dienstbeschädigung:

Verlust des linken Unterschenkels bei sehr ungünstigen Stumpfverhältnissen mit Senkfuß am Standbein eine Beschädigtenrente entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 v.H. (Bescheid der Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Kärnten vom 7. Dezember 1950). Einen Antrag des Beschwerdeführers vom 7. Juli 1960 auf Neubemessung der Beschädigtenrente wegen Verschlimmerung der Dienstbeschädigungsleiden wies das Landesinvalidenamt für Kärnten mit Bescheid vom 16. August 1960 mit der Begründung ab, daß gegenüber dem Vergleichsbefund keine Änderung eingetreten sei. Bei der Begutachtung sei zwar eine schwere radiculäre Ischialgie rechts befundet worden, doch seien die bestehenden Beschwerden auf einen Bandscheibenschaden (degenerativer Prozeß) zurückzuführen. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wendete der Beschwerdeführer durch seinen bevollmächtigten Vertreter ein, daß ihm "das Vorliegen eines degenerativen Prozesses nicht wahrscheinlich" erscheine, er vielmehr den bei ihm bestehenden Zustand auf die Dienstbeschädigung zurückführe. Auch habe der Sachverständige die Ischialgie zum Teil kausal auf die Dienstbeschädigung zurückgeführt, während die Behörde jedwede Kausalität verneine. Schließlich habe das Landesinvalidenamt die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit mit 60 v.H. zu niedrig eingeschätzt. Die belangte Behörde gab der Berufung mit dem angefochtenen Bescheide keine Folge. In der Begründung führte sie aus, wesentlich sei, daß die Ischialgie nach dem Sachverständigengutachten vom 22. Juli 1960 in erster Linie auf einen Bandscheibenschaden, also einen degenerativen Prozeß zurückzuführen sei und somit seinem wesentlichen Anteile nach keine Dienstbeschädigungsfolge darstelle. Wohl bestehe nach den sachverständigen Ausführungen auch eine statische Komponente der Lumbalgie, doch sei sie nach Ansicht des Sachverständigen durch entsprechende therapeutische und orthopädische Maßnahmen zu beeinflussen. Es liege demnach ein besserungsfähiger Zustand vor, der nicht zu einer Neubemessung der Beschädigtenrente führen könne, weil für Rentenbemessungen jeglicher Art nur Dauertatbestände rechtserheblich sein könnten. Dies finde auch sinnfällig seinen Ausdruck in dem durch die bloßen Berufungseinwendungen nicht widerlegten Sachverständigengutachten vom 22. Juli 1960, wonach die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit wegen der Dienstbeschädigungsfolgen richtsatzmäßig weiterhin mit 60 v.H. zu veranschlagen sei. Schließlich sei darauf zu verweisen, daß nach einem Schlußbericht der Bundesstaatlichen Kuranstalt für Kriegsbeschädigte in Hofgastein vom 6. November 1960 durch eine Bäderbehandlung bereits eine Besserung der vorgebrachten Beschwerden erreicht werden konnte.

Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

In der Beschwerde wird vorerst gerügt, daß die belangte Behörde nicht den Beschwerdeführer als Beteiligten vernommen habe. So hätte er die Möglichkeit gehabt, Beweisanträge (Einvernahme behandelnder Ärzte) zu stellen. Dies hole er daher in der Beschwerde nach. Diese Rüge ist nicht begründet. Denn für die Behörde besteht keine gesetzliche Verpflichtung, auf jeden Fall auch die Beteiligten zu vernehmen (§ 51 AVG 1950). Vielmehr kommt als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist (§ 46 AVG 1950). Der Gerichtshof kann nicht erkennen, aus welchen Gründen die Behörde sonst verpflichtet gewesen wäre, den Beschwerdeführer als Beteiligten zu vernehmen. Im übrigen hätte er einen Antrag auf Vernehmung der behandelnden Ärzte bereits im Verwaltungsverfahren stellen können. Das hat er aber weder in seiner Stellungnahme zu dem Ergebnis des Beweisverfahrens noch in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid getan. Der Verwaltungsgerichtshof konnte daher seinen nunmehrigen Beweisantrag im Grunde des § 41 Abs. 1 VwGG 1952 nicht berücksichtigen.

In der Beschwerde werden auch die Sachverständigengutachten des Orthopäden Dr. W und des Röntgenologen Dr. S, die die Grundlage des angefochtenen Bescheides bildeten, bekämpft. Nun hatte aber der Beschwerdeführer schon vor dem Landesinvalidenamt für Kärnten diese Beweismittel am 16. August 1960 widerspruchslos zur Kenntnis genommen. Die in der Beschwerde enthaltenen Einwendungen gegen die angeführten Gutachten (das orthopädische Gutachten sei "unbestimmt" und "unklar", beide Gutachten widersprechen sich) waren weder in der Berufungsschrift, noch sonst im Verwaltungsverfahren vorgebracht worden. Daher kann in der Übernahme der darin enthaltenen Feststellungen und Schlüsse, soweit sie sich auf zur Ermittlung des Sachverhaltes in Betracht kommende Tatsachen beziehen, in den angefochtenen Bescheid ein Verfahrensmangel nicht erblickt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 1959, Slg. Nr. 5007/A).

Die Beschwerde bekämpft jedoch mit Recht die von der belangten Behörde vorgenommene Gesamteinschätzung. Denn sie ist bei der Einschätzung nach § 4 der Richtsatzverordnung von dem Einschätzungsvorschlag im orthopädischen Sachverständigengutachten vom 22. Juli 1960 ausgegangen, das aber die festgestellten ungünstigen Stumpfverhältnisse insofern berücksichtigte, als es die Nachbemerkung zu Richtsatzgruppe I/4 als gesonderte Position wertete, statt richtigerweise die nach dem angewandten Richtsatz 14e1 (Teilverlust des Unterschenkels) sich ergebende Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. um 10 zu erhöhen und demnach bei der Gesamteinschätzung von einem Satz von 60 v.H. auszugehen. Damit ist der angefochtene Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet, weil die belangte Behörde die Richtsatzverordnung unrichtig angewendet hat. Abgesehen von dieser inhaltlichen Rechtswidrigkeit ist auch die vom Sachverständigen gegebene Begründung für die Gesamteinschätzung nicht ausreichend, weil es darauf ankommt, ob der Gesamtleidenszustand infolge des Zusammenwirkens der Dienstbeschädigungen eine höhere Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit rechtfertigt, nicht aber - wie der Sachverständige vermeinte -, ob die Gesamtminderung den für die Absetzung des Oberschenkels vorgesehenen Richtsatz erreicht.

Darüber hinaus sei bemerkt, daß die von der belangten Behörde vertretene Ansicht, die Ischialgie stelle keine wesentliche Änderung im Leidenszustande dar, weil der Sachverständige diese Gesundheitsschädigung in erster Linie auf einen degenerativen Prozeß zurückführe, sich insofern nicht mit dem Sachverständigengutachten deckt, als der Sachverständige die Ischialgie zwar in erster Linie auf einen Bandscheibenschaden, jedoch auch gleichzeitig auf die Dienstbeschädigung zurückführt und aus diesem Grunde vorschlägt, die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 25 v.H. und den kausalen Anteil mit 50 v.H. zu bemessen.

Aber auch die von der belangten Behörde getroffene Feststellung, bei der Ischialgie handle es sich um keinen Dauerschaden, der für die Rentenbemessung von Bedeutung sei, weil hiebei nur Dauertatbestände rechtserheblich sein könnten, findet im Sachverständigengutachten keine Deckung. Der Sachverständige hatte lediglich erklärt, die Ischialgie sei therapeutisch zu beeinflussen, wobei er auch konkrete Behandlungsvorschläge machte. Daß es sich nur um eine vorübergehende akute Erkrankung handle, hat er jedoch nicht behauptet. Wenn sich schließlich die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auf einen Schlußbericht der Bundesstaatlichen Kuranstalt für Kriegsbeschädigte in Hofgastein vom 6. November 1960 beruft, wobei sie ausführt, bei den Beschwerden sei durch eine Bäderbehandlung bereits eine Besserung erreicht worden, so kann sie damit für ihre Ansicht, es liege kein Dauerschaden vor, nichts gewinnen, weil doch aus der Besserung eines Leidens geschlossen werden muß, daß es noch weiterhin vorhanden ist, nicht aber, daß es nicht dauernd bestehe.

Schließlich wird die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren nach Ergänzung des Sachverständigenbeweises der Partei Gelegenheit zu geben haben, von diesem Kenntnis und hiezu Stellung zu nehmen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VWGG 1952 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 12. Oktober 1962

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1962:1961000034.X02

Im RIS seit

02.09.2019

Zuletzt aktualisiert am

02.09.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten