RS Vfgh 2019/6/18 G299/2018

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Veröffentlicht am 18.06.2019
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Index

L6800 Ausländergrunderwerb, Grundverkehr

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z6
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
Tir GVG 1996 §2, §3, §12, §13, §25, §32
AEUV Art64 Abs1
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Keine Unsachlichkeit von Bestimmungen des Tiroler GrundverkehrsG betreffend die Einbeziehung der Staatsangehörigkeit der Vereinsmitglieder beim Grundstückserwerb durch einen nach österreichischen Recht gegründeten Verein mit Sitz in Österreich; keine unsachliche "Inländerdiskriminierung" österreichischer Vereine durch den Entfall der grundverkehrsbehördlichen Genehmigungspflicht für "EU/EWR-Vereine" mit mehrheitlich ausländischen Mitgliedern bei als Ausländergrundverkehr geltenden Transaktionen

Rechtssatz

Abweisung eines - zulässigen - Gerichtsantrags auf Aufhebung von §2 Abs7 lite, §12, §25 und §32 Abs1 Tir Grundverkehrsgesetz 1996 (Tir GVG 1996 - TGVG) idF LGBl 26/2017 (Landesgericht Innsbruck - LG; vgl zur Unzulässigkeit der ausschließlichen Anfechtung der Begriffsbestimmung des §2 Abs7 lite TGVG VfGH 14.06.2018, G298/2017).

Um bei juristischen Personen oder sonstigen rechtsfähigen Personengemeinschaften die "Inländereigenschaft" bzw das Vorliegen der Gleichstellung gemäß §3 TGVG beurteilen zu können, sieht §32 Abs1 litc Z2 litbb TGVG vor, dass die hiefür erforderlichen Nachweise vorzulegen sind, wie insbesondere, dass sie nach dem Recht eines EU-Mitgliedstaates, eines EWR-Vertragsstaates oder eines sonst staatsvertraglich begünstigten Staates gegründet wurden und dass sie ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in einem dieser Staaten haben.

Bei diesem Nachweis sind juristische Personen oder sonstige rechtsfähige Personengemeinschaften im Rahmen der Ausübung der im §3 Abs2 leg cit genannten Grundfreiheiten oder sonst staatsvertraglich verbürgter Freizügigkeitsrechte, unabhängig von der Staatsangehörigkeit allfälliger beteiligter natürlicher Personen, "begünstigt".

Diese "Begünstigung" bedeutet, dass es bei Vereinen aus dem "EU/EWR-Ausland" auf die Staatsangehörigkeit ihrer Mitglieder nicht ankommt. In einem Sachverhalt mit Bezug zu den Grundfreiheiten des AEUV besteht somit kein Anwendungsbereich für eine Kontrolltheorie (Verhinderung der Gründung von durch "Ausländer" kontrollierten Gesellschaften mit Sitz im Inland), wie sie etwa §2 Abs7 litb TGVG vorsieht.

Im Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit wäre es dem Gesetzgeber auf Grund des Art64 Abs1 AEUV möglich gewesen, "Immobilieninvestitionen" im Verhältnis zu Drittstaaten allgemein zu beschränken. Da die Regelungen des Tiroler Ausländergrundstücksverkehrs - insbesondere die "Kontrolltheorie" der Begriffsdefinitionen - materiell betrachtet bestanden haben, hätten die Genehmigungsvorschriften für ausländische juristische Personen grundsätzlich beibehalten werden können. Damit wäre es dem Gesetzgeber grundsätzlich - aus unionrechtlicher Sicht - möglich gewesen, Regelungen beizubehalten, die zum einen den Zielen des Ausländergrundstücksverkehrsrechts Rechnung tragen und zum anderen unterschiedslos auf Inländer und EU/EWR-Ausländer anwendbar sind.

Diese sogenannte "Stillstandsklausel" erfasst jedoch von vornherein Sachverhalte nicht, in denen ein Grundstück auf Grund einer letztwilligen Verfügung erworben wird, weil Rechtserwerbe von Todes wegen keine "Immobilieninvestition" iSd Art64 Abs1 AEUV sind, sondern persönlicher Kapitalverkehr. Der Ausländergrundstücksverkehr müsste folglich in diesem Fall auf Grund des Anwendungsvorrangs der Kapitalverkehrsfreiheit unangewendet bleiben.

Vergleicht man nun einen reinen Inlandssachverhalt - wie den Anlassfall -, in dem ein Verein, der seinen Sitz in Österreich hat und nach österreichischem Recht gegründet wurde, die Grundbuchseintragung eines (Mit-)Eigentumsrechtes an einem bebauten Grundstück beantragt, mit einem Sachverhalt, in dem der Antrag von einem Verein gestellt wird, der zB nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates der EU gegründet worden ist und dessen Sitz in einem dieser Staaten liegt, zeigt sich, dass §32 Abs1 TGVG zwischen beiden Sachverhalten differenziert:

Kann ein "EU/EWR-Verein" die von §3 Abs2 TGVG geforderten Nachweise erbringen und ist etwa der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art63 ff AEUV eröffnet, kann sein (Mit-)Eigentumsrecht an einem bebauten Baugrundstück in das Grundbuch eingetragen werden, unabhängig davon, ob seine Mitglieder aus einem Drittstaat stammen oder nicht.

Demgegenüber wird ein Verein, der nach österreichischem Recht gegründet wurde und seinen Sitz im Inland hat (Sitz- und Inkorporationstheorie), benachteiligt, weil er im Grundbuchsverfahren zusätzlich nachzuweisen hat, dass seine Mitglieder mindestens zur Hälfte die österreichische bzw eine dieser gleichgestellten Staatsbürgerschaft besitzen (Kontrolltheorie). Nur auf diese Weise kann das Grundbuchsgericht beurteilen, ob dem Grundbuchsgesuch eine rechtskräftige Entscheidung der Grundverkehrsbehörde nach §25 Abs1 TGVG beigeschlossen sein muss.

Mit dieser Systematik ist zwar eine Schlechterstellung von Vereinen mit Sitz in Österreich, deren Mitglieder mindestens zur Hälfte nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, gegenüber Vereinen mit vergleichbarer Drittstaatsbeteiligung, welche die Voraussetzungen des §3 Abs2 TGVG erfüllen, verbunden. Nach Auffassung des VfGH ist diese Unterscheidung allerdings sachlich gerechtfertigt:

Der VfGH zieht hiebei zunächst nicht in Zweifel, dass ein öffentliches Interesse daran besteht, Rechtserwerbe an bebauten Grundstücken durch Ausländer einem Genehmigungsverfahren zu unterwerfen, in dessen Rahmen die Behörden den Grundstückerwerb - bei Nichtvorliegen näher bezeichneter Voraussetzungen - untersagen können.

Hiebei ist auch auf Art10 Abs1 Z6 B-VG zu verweisen, der "Regelungen, die den Grundstücksverkehr für Ausländer und den Verkehr mit bebauten oder zur Bebauung bestimmten Grundstücken verwaltungsbehördlichen Beschränkungen unterwerfen", von der Kompetenz des Bundes ausnimmt. Aus dieser Bestimmung ist ersichtlich, dass die spezifische Behandlung des Ausländergrundverkehrs gegenüber dem Grundstücksverkehr zwischen Inländern bereits auf Verfassungsebene angelegt ist.

Da dieses Interesse an einer besonderen Regulierung des Ausländergrundverkehrs nun unabhängig davon besteht, ob der Grundstückserwerb durch eine natürliche oder durch eine juristische Person erfolgt, liegt es am Landesgesetzgeber, nähere Kriterien für die Bestimmung der Eigenschaft eines Vereins als In- oder Ausländer festzulegen. Die in §2 Abs7 lite TGVG (alternativ zur Sitztheorie) zum Ausdruck gebrachte Kontrolltheorie (nach welcher Ausländer Vereine mit Sitz im Inland sind und deren Mitglieder jedoch mindestens zur Hälfte nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen), welche die hinter dem Verein stehenden natürlichen Personen in die Betrachtung miteinbezieht, ist kein unsachliches Instrument zur Lösung dieser Aufgabe.

Im vorliegenden Fall handelt es sich zwar um eine besondere Konstellation, zumal die von §2 Abs7 lite TGVG als "Ausländer" qualifizierten Vereine am Maßstab des Gleichheitssatzes unter Umständen (nämlich dann, wenn ihr Sitz im Inland liegt) als "Inländer" anzusehen sind. Diese Unterscheidung hat aber weder Einfluss auf die Sachlichkeit der in §2 Abs7 lite TGVG niedergelegten Kriterien noch auf die Regelungsbedürftigkeit der demnach als "Ausländergrundverkehr" geltenden Transaktionen.

Ob eine Regelung zweckmäßig ist (Schwierigkeiten bei Nachweis, wenn Vereine eine hohe Mitgliederanzahl aufweisen, die allenfalls in ganz Österreich oder zum Teil auch im Ausland verstreut sind) und das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, ist nicht mit dem Maß des Gleichheitssatzes zu messen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Grundverkehrsrecht, Inländerdiskriminierung, EU-Recht, Ausländergrunderwerb, Person juristische

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:G299.2018

Zuletzt aktualisiert am

06.08.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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