Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Juli 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Dr. Bachner-Foregger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Setz-Hummel in der Strafsache gegen Frat H***** wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 83, 84 Abs 5 Z 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen in dem zu AZ 52 Hv 82/19z des Landesgerichts Salzburg und zu AZ 153 Hv 17/18v des Landesgerichts für Strafsachen Wien geführten Kompetenzkonflikt nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 60 Abs 1 OGH-Geo. 2005 den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Für die Durchführung des Strafverfahrens ist das Landesgericht Salzburg zuständig.
Text
Gründe:
Mit am 27. Oktober 2017 beim Landesgericht Salzburg eingebrachtem Strafantrag (ON 12 in ON 2) legte die Staatsanwaltschaft Salzburg unter anderem Frat H***** mehrere in Salzburg begangene Straftaten zur Last: Er habe am 3. Juni 2017 in Salzburg gemeinsam mit zwei Mittätern drei Opfer in verabredeter Verbindung am Körper verletzt (welches Verhalten den Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 2 StGB und §§ 15, 84 Abs 4 StGB subsumiert wurde). Einer der beiden Mittäter, Mohammad F*****, war Jugendlicher (§ 1 Z 2 JGG). Weiters habe H***** am 16. Juli 2017 (allein) ein als Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB qualifiziertes Verhalten zum Nachteil der Julia E***** gesetzt und am 31. Juli 2017 – dem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 2 StGB subsumiert – gemeinsam mit drei unbekannten Mittätern in verabredeter Verbindung versucht, Hammad N***** durch Faustschläge und Fußtritte am Körper zu verletzen.
Da der Jugendliche F***** zur Zeit des Beginns des Strafverfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Wien hatte (vgl ON 5 S 107 und ON 13, jeweils in ON 2), sprach das Landesgericht Salzburg seine örtliche Unzuständigkeit aus und überwies die Strafsache (gegen alle Angeklagten) dem Landesgericht für Strafsachen Wien (ON 14 in ON 2).
Die Staatsanwaltschaft Salzburg brachte weitere Strafanträge gegen H***** ein, wobei die Tatorte durchwegs im Sprengel des Landesgerichts Salzburg liegen, nämlich
- vom 5. September 2018 wegen als Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB subsumierten Verhaltens (ON 6 in ON 3),
- vom 1. August 2018 wegen einer als Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB qualifizierten Tat (ON 7 in ON 4), und schließlich
- vom 7. März 2019 wegen eines zum Nachteil der E***** gesetzten Verhaltens, das dem Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB subsumiert wurde (ON 9 in ON 6).
Die Verfahren wegen sämtlicher dieser gegen H***** erhobenen Vorwürfe wurden (letztlich) mit dem zum AZ 153 Hv 17/18v des Landesgerichts für Strafsachen Wien geführten Verfahren verbunden.
Am 3. Mai 2019 fasste der Einzelrichter in diesem Verfahren den „Beschluss“ (vgl hingegen RIS-Justiz RS0130527 [zu Verbindungen und Ausscheidungen im Hauptverfahren mittels prozessleitender Verfügung im Sinn des § 35 Abs 2 zweiter Fall StPO]) auf „Ausscheidung des Angeklagten Frat H*****, Vertagung der HV auf unbestimmte Zeit und Abtretung des Verfahrens gemäß § 36 Abs 4 StPO an das LG Salzburg“ (ON 14 S 5).
Das Landesgericht Salzburg erachtet sich für örtlich unzuständig, weil das Landesgericht für Strafsachen Wien „das Verfahren gegen Frat H***** entgegen den in § 34 Abs 2 JGG normierten Grundsätzen“ ausgeschieden habe und legte die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung des Kompetenzkonflikts vor.
Für das Hauptverfahren ist nach § 36 Abs 3 erster Satz StPO primär das Gericht zuständig, in dessen Sprengel die Straftat ausgeführt wurde oder ausgeführt werden sollte.
Für Jugendstrafsachen ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel der Beschuldigte zur Zeit des Beginns des Strafverfahrens (§ 1 Abs 2 StPO) seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§ 29 JGG).
Beziehen sich eine Jugendstrafsache und eine Strafsache gegen einen Erwachsenen auf die Beteiligung an derselben Straftat, sind die Hauptverfahren von dem für die Jugendstrafsache zuständigen Gericht gemeinsam zu führen (§ 34 Abs 1 JGG). Wenn aber beide Strafsachen nicht ausschließlich oder überwiegend die Beteiligung an derselben Straftat betreffen, kann die Strafsache gegen den Erwachsenen abgesondert geführt werden (§ 34 Abs 2 Z 1 JGG).
Ein Gericht bleibt auch dann für das Hauptverfahren örtlich zuständig, wenn es ein Verfahren gegen einen Angeklagten oder wegen einer Straftat ausscheidet, es sei denn, dass ein Gericht mit Sonderzuständigkeit ein Verfahren wegen einer allgemeinen strafbaren Handlung ausscheidet (§ 36 Abs 4 StPO). § 29 (iVm § 34) JGG normiert eine solche Sonderzuständigkeit (Oshidari, WK-StPO § 36 Rz 9 und 14).
Rechtliche Beurteilung
Nach gefestigter oberstgerichtlicher Rechtsprechung können die Vorschriften über die Zuständigkeit nicht durch gesetzwidriges Vorgehen unterlaufen werden (12 Ns 67/08m; 11 Os 63/13v, 64/13s, EvBl 2013/114, 786; 15 Ns 56/16b; 11 Ns 3/19h [jeweils zum Unterlassen gebotener Verbindung von Verfahren]).
Vorliegend hängt daher die örtliche Zuständigkeit davon ab, ob das Landesgericht für Strafsachen Wien das Verfahren gegen H***** gesetzeskonform im Sinn des § 34 Abs 2 Z 1 JGG ausgeschieden hat. Die dort – aus § 35 JGG 1961 übernommene (vgl EBRV 486 BlgNR 17. GP, 36) – Vorschrift sieht eine Ausnahme vom Grundsatz gemeinsamer Verfahrensführung vor, die (fakultativ) eine Verfahrensausscheidung ermöglicht. Bei einer solchen sind prozessökonomische Aspekte, wie die Anzahl der angeklagten Straftaten (das Verhältnis zwischen gemeinsam und nicht gemeinsam ausgeführten Taten), das Gewicht der einzelnen Anklagepunkte und der mit diesen jeweils verbundene Beweisführungsaufwand zu berücksichtigen (Schroll in WK2 JGG § 34 Rz 5; Jesionek/Edwards/Schmitzberger, Das österreichische JugendgerichtsG5 § 34 Rz 6 f; Maleczky, Jugenstrafrecht5 3.30). Der Gesetzeswortlaut ist – angesichts des ersichtlich verfolgten prozessökonomischen Zwecks (vgl Kucera, Probleme mit § 34 JGG 1988?, ÖJZ 1991, 198 [199 f]) – dahin zu verstehen, dass die Ausnahme dann greift, wenn beide Strafsachen insgesamt (also nicht jede für sich) nicht ausschließlich oder überwiegend die Beteiligung an derselben Straftat betreffen. Dies ist hier der Fall, weil der Jugendliche F*****, auf dessen Aufenthalt zu Beginn des Strafverfahrens allein sich die (Sonder-)Zuständigkeit des Landesgerichts für Strafsachen Wien gründete, bloß an einer Straftat beteiligt war. H***** hingegen lagen (im Zeitpunkt der Verfahrensausscheidung) hingegen fünf weitere, durchwegs im Sprengel des Landesgerichts Salzburg begangene Straftaten zur Last, deren Aufklärung im Übrigen die Notwendigkeit einer Vernehmung im Sprengel dieses Gerichts wohnhafter Zeugen erwarten lässt. Eine Verletzung von „in § 34 Abs 2 JGG normierten Grundsätzen“ durch die auf diese Bestimmung gestützte Verfahrensausscheidung ist
– entgegen der Ansicht des Landesgerichts Salzburg – nicht auszumachen.
Diese rite vorgenommene Verfügung bewirkte daher gemäß § 36 Abs 4 StPO einen Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zum Landesgericht Salzburg.
Textnummer
E125833European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0140NS00040.19X.0715.000Im RIS seit
16.08.2019Zuletzt aktualisiert am
24.01.2022