TE Vfgh Erkenntnis 2019/6/26 E967/2019

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Veröffentlicht am 26.06.2019
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz eines afghanischen Staatsangehörigen mangels eigenständiger Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zur sunnitischen Religion. Er ist in Pakistan geboren und lebte dort bis zu seiner Flucht. Er stellte nach illegaler Einreise in Österreich am 16. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er bei der am Folgetag stattgefundenen Erstbefragung vor der Sicherheitsbehörde Grundstücksstreitigkeiten zwischen ihm bzw seinem Vater und zwei seiner Onkel an. Der Sohn einer dieser Onkel habe den Bruder des Beschwerdeführers getötet. Der Vater des Beschwerdeführers sei daraufhin aus Trauer gestorben. Bei seiner Einvernahme am 10. November 2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte der Beschwerdeführer aus, sein Vater sei durch einen Schlaganfall gestorben. Die Mutter und die Ehefrau des Beschwerdeführers seien aus Angst, ebenfalls getötet zu werden, geflüchtet. Die Cousins des Beschwerdeführers seien Landwirte und so reich, dass sie den Beschwerdeführer auch in Afghanistan umbringen könnten.

2. Mit Bescheid vom 15. Dezember 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 im Hinblick auf die Gewährung von Asyl und gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Darüber hinaus erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG und stellte gemäß §52 Abs9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig setzte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

3. Die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 29. Jänner 2019 als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht stellte in Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers und auf Grund der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat fest, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan auf Grund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung nicht verfolgt würde. Es könne keine Bedrohung in ganz Afghanistan durch einen Onkel und dessen Söhne wegen eines Grundstücksstreites in Pakistan festgestellt werden. Zudem stehe dem Beschwerdeführer angesichts der schlechten Sicherheitslage in der Heimatprovinz seiner Eltern eine innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan zur Verfügung. Es drohe ihm sohin keine reale Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Herkunftsstaat.

4. Gegen diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Das Bundesverwaltungsgericht habe die behördlichen Ermittlungsergebnisse übernommen und – obwohl beantragt – ohne hinreichende Begründung von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung abgesehen. Das Bundesverwaltungsgericht habe keinerlei Erhebungen durchgeführt und die nicht mehr aktuellen Länderfeststellungen der Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl übernommen. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich auch nicht mit der konkreten Situation des Beschwerdeführers als alleinstehender junger Mann, der über keinerlei soziale Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfüge, auseinandergesetzt und auch keine Ermittlungstätigkeit zur Gefährdungslage in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers durchgeführt.

5. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der belangten Behörde im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten und eines subsidiär Schutzberechtigten, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hierfür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht im konkreten Fall unterlaufen:

In der – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen – angefochtenen Entscheidung stützt sich das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen auf die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl getroffenen Feststellungen sowie dessen Beweiswürdigung.

Die beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes beschränken sich lediglich auf folgende Ausführungen:

"Das Bundesverwaltungsgericht folgt bei den maßgeblichen Feststellungen der schlüssigen Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides. Die Angaben der beschwerdeführenden Partei, dass ihn seine Cousins, die Landwirte in Pakistan seien, in ganz Afghanistan finden könnten, wurden als unglaubwürdig beurteilt. Die – entgegen dem Neuerungsverbot – erst in der Beschwerde aufgestellte Behauptung, die Verfolger seien nicht nur Landwirte in Pakistan, sondern tatsächlich 'sehr einflussreich' und kooperierten mit 'verschiedenen Milizen' in ganz Afghanistan, wurde im Übrigen weder plausibel ausgeführt noch substanziiert."

Auch in der rechtlichen Beurteilung beschränken sich die auf die behauptete Verfolgung des Beschwerdeführers konkret bezogenen Ausführungen (zum Spruchpunkt Asyl) auf folgende Formulierungen:

"Im vorliegenden Fall ist auf Grund der Sachverhaltsfeststellungen davon auszugehen, dass die beschwerdeführende Partei eine drohende Verfolgung im Sinn der wiedergegebenen Gesetzesbestimmungen nicht glaubhaft machen konnte."

Da sich die Begründung der angefochtenen Entscheidung in der Wiedergabe und dem Verweis auf die verwaltungsbehördlichen Erhebungen erschöpft und eine eigenständige Auseinandersetzung zu den entscheidungsrelevanten Umständen fehlt, wird den nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes statuierten Anforderungen an eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung nicht entsprochen (vgl VfGH 26.11.2018, E2786/2018).

Das Bundesverwaltungsgericht geht hinsichtlich des Fluchtgrundes der Verfolgung durch die Cousins des Beschwerdeführers von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens aus, ohne sich mit dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers eigenständig auseinanderzusetzen. Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich vielmehr in diesem Punkt – ohne weitergehende Prüfung – durch Übernahme der im Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl getroffenen Ausführungen der Ansicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl an. Da die Entscheidung die eigene Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen vermissen lässt, ist sie mit Willkür belastet (vgl VfSlg 18.861/2009 mwN).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Überein-kommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E967.2019

Zuletzt aktualisiert am

07.06.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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