TE Vwgh Erkenntnis 1999/1/15 96/21/0730

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Veröffentlicht am 15.01.1999
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §54;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des VA, (geboren am 16. Dezember 1968), in Graz, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland vom 16. Juli 1996, Zl. Fr-276/96, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 16. Juli 1996 wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland (die belangte Behörde) den Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in den Sudan gemäß § 54 Abs. 1, § 37 Abs. 1 und 2 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ab und stellte fest, daß die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Sudan zum gegenwärtigen Zeitpunkt zulässig sei.

Nach Wiedergabe des Berufungsvorbringens des Beschwerdeführers und der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen führte die belangte Behörde aus, daß der Beschwerdeführer weder im fremdenrechtlichen Verfahren noch im Asylverfahren konkrete, gegen ihn gerichtete individuelle Verfolgungen durch den Sudan habe glaubhaft machen können. Hiebei seien seine niederschriftlichen Angaben vor dem Bundesasylamt am 30. April 1996 ausschlaggebend gewesen, wo er trotz mehrmaliger dezidierter Befragung zu seinen Fluchtgründen im wesentlichen vorgebracht habe, daß seine Eltern vermutlich im Jahr 1988 getötet worden wären, zumal er seit diesem Zeitpunkt keinen Kontakt mehr zu ihnen gehabt hätte und auch seine Nachbarn keine Erklärung dafür gehabt hätten, wo sich seine Eltern aufhielten. Verfolgungen seitens staatlicher Organe wäre er niemals ausgesetzt gewesen. Dennoch vermeine der Beschwerdeführer, daß sein Leben durch Moslems bzw. aufgrund des Bürgerkrieges in Gefahr wäre. Aufgrund des gegenständlichen Sachverhalts und des bisherigen Vorbringens des Beschwerdeführers über die Situation in seinem Heimatland anläßlich des dort stattfindenden Bürgerkriegs gelange die belangte Behörde zur Ansicht, daß der Beschwerdeführer gegenwärtig keiner Verfolgung im Südsudan aus den von ihm behaupteten Gründen ausgesetzt sei. Hinsichtlich der von ihm geäußerten Befürchtungen handle es sich um Übergriffe Privater, deren Verhalten dem Sudan nicht zugerechnet werden könne. Sohin seien die von ihm geltend gemachten bzw. befürchteten Übergriffe durch Moslems, die er als Behauptung in den Raum gestellt habe, ohne diese mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben auch glaubhaft zu machen, nicht geeignet, seine Flüchtlingseigenschaft oder das Vorliegen einer Gefährdung im Sinn des § 37 FrG zu begründen, zumal er sich, seinen eigenen Angaben zufolge, seit 1989 nicht mehr im Südsudan aufgehalten habe. Wesentlich für das Vorliegen einer Verfolgung im Sinn des § 37 FrG sei die Furcht des Beschwerdeführers vor einer gegen ihn selbst konkret gerichteten Verfolgungshandlung, nicht jedoch die Tatsache, daß es im Südsudan gelegentlich immer wieder zu Kämpfen zwischen Christen bzw. verschiedenen Fraktionen der Sudanese People's Liberation Army (SPLA) und Moslems bzw. Regierungstruppen des moslemischen Nordens komme, weshalb auch die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur christlichen Religion nicht geeignet sei, um das Vorliegen von Verfolgungsgründen im Sinn der genannten Bestimmung zu bejahen. Darüber hinaus sei eine derartige Gefährdungs- bzw. Bedrohungssituation nur dann anzunehmen, wenn sie sich auf das gesamte Gebiet des Heimatstaates eines Fremden erstrecke. Diesbezüglich sei anzumerken, daß der Anteil der Christen an der Bevölkerung im Südsudan weit höher liege (ca. 20 bis 30 %) als im Norden (ca. 2 bis 3 %) sowie jener der Muslimen etwa 10 % und der Rest (Animisten) rund 60 bis 70 % betrage. Als im Jahr 1983 die Scharia im Sudan eingeführt worden sei, sei der Bürgerkrieg erneut, vor allem wegen des Widerstandes gegen deren Einführung im Südsudan, ausgebrochen. Ein auf der Scharia basierendes, 1991 eingeführtes neues Strafrecht werde nur in den Provinzen mit mehrheitlich moslemischer Bevölkerung angewandt. Die Christen in den südlichen Provinzen seien von der Scharia nicht betroffen und könnten eigene Gesetze annehmen. Fazit sei somit, daß die Scharia gegenüber den Christen im Süden überhaupt nicht und im Norden nicht ausnahmslos strikt angewandt werde. Angesichts dieser Ausführungen könne sich die belangte Behörde nicht der Meinung anschließen, wonach allein der Umstand, daß der Beschwerdeführer christlicher Südsudanese wäre, ausreichen würde, daß er bei seiner Abschiebung in seinen Heimatstaat Gefahr laufen würde, dort einem der im § 37 Abs. 1 und/oder 2 FrG genannten Verfolgungsgründe ausgesetzt zu sein. Diesbezüglich werde auch auf einen Bericht von Amnesty International, Bern, vom 8. Mai 1995 verwiesen, worin erklärt werde, daß "eine gewisse Zahl von Rückkehrern durch den Sicherheitsdienst zwar befragt wurde, bisher jedoch keine Anzeichen dafür bestehen, daß diese Befragungen zu einer langen Inhaftierung oder zur Folter geführt hätten". Abklärungen vor Ort hätten die Einschätzung, daß nicht alle Rückkehrer vom sudanesischen Sicherheitsdienst überprüft worden seien, bestätigt. Bisher seien auch keine Fälle bekannt geworden, daß die Befragung durch den Sicherheitsdienst zur Inhaftierung geführt hätte.

Auch der Verweis des Beschwerdeführers auf diverse Berichte von Amnesty International und laufende Medienberichterstattungen über die "allgemeine Lage zur Menschenrechtssituation im Sudan" sei nicht geeignet, die Glaubhaftmachung einer Gefahr für ihn im Sinn des § 37 FrG zu bewirken und konkret gegen ihn persönlich gerichtete staatliche Maßnahmen darzutun, da Ausführungen und Berichte über die allgemeine (politische) Situation bzw. Menschenrechtslage im Sudan in keinem konkreten Zusammenhang mit dem "individuellen Vorbringen" des Beschwerdeführers stünden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und stellte in ihrer Gegenschrift den Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfaßten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren nach § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. September 1998, Zl. 95/21/0977, mwN).

2. Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren (Berufung vom 3. Juni 1996) vorgebracht, daß die Folgen des Bürgerkriegs (im Sudan), der in erster Linie aus der Verfolgung des christlichen Bevölkerungsteils, dem der Beschwerdeführer angehöre, durch die moslemische Zentralregierung und von ihr unterstützte paramilitärische Einheiten entstanden sei, noch immer in erster Linie Angehörige des christlichen Bevölkerungsteils träfen, und die Ermordungen, Folterungen und Versklavung von Christen im Sudan wohl dokumentiert und allgemein bekannt seien (vgl. etwa den Jahresbericht 1995 von Amnesty International (Seiten 508 bis 514), den Sudan-Bericht von Amnesty International "The Tears of Orphans" (1995) oder die laufende Berichterstattung der Medien). Durch die bekannte Praxis der Verfolgung von Christen im Sudan bestünden stichhaltige Gründe für die Annahme, daß bei einer den Behörden bekannten Rückkehr des Beschwerdeführers in sein Heimatland seine Freiheit oder sogar sein Leben aus Gründen der Religion bedroht wäre, und liefen Christen, die den sudanesischen Behörden übergeben würden, Gefahr, dort einer unmenschlichen Behandlung unterworfen zu werden (Feststellungsantrag vom 4. Mai 1996).

Mit seinem Beschwerdevorbringen, daß sich die belangte Behörde mit der Kriegssituation im Sudan hätte auseinandersetzen müssen, der Krieg nicht allein auf den Süden beschränkt sei und schwerste Menschenrechtsverletzungen auch in den verwaltungsmäßig zum Norden zählenden Nubabergen stattgefunden hätten, macht der Beschwerdeführer erneut geltend, daß es im gesamten Staatsgebiet, somit auch im Südsudan, zu den von ihm beschriebenen Menschenrechtsverletzungen gegenüber Christen komme, womit er die Ansicht der belangten Behörde bekämpft, daß er gegenwärtig im Südsudan keiner Verfolgung aus den Gründen des § 37 FrG ausgesetzt wäre. Weiters rügt die Beschwerde, daß die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer beantragten Berichte von Amnesty International nicht beigeschafft habe.

3. Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde zum Erfolg.

Ausgehend davon, daß die belangte Behörde es als erwiesen angenommen hat, daß es im Südsudan immer wieder zu Kämpfen zwischen Christen bzw. verschiedenen Fraktionen der Sudanese People's Liberation Army (SPLA) und Moslems bzw. Regierungstruppen des moslemischen Nordens komme, hätte die belangte Behörde im Hinblick auf das oben genannte Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren auch Feststellungen darüber treffen müssen, ob es im Zug dieser Auseinandersetzungen im Südsudan zu von der moslemischen Zentralregierung bzw. moslemischen, von der Zentralregierung unterstützten paramilitärischen Einheiten veranlaßten Ermordungen, Folterungen und Versklavungen von Christen und somit zur Verfolgung des christlichen Bevölkerungsteils komme. Denn für die Beurteilung gemäß § 37 Abs. 1 FrG ist es nicht unmaßgeblich, ob bislang gehäufte Verstöße der vom Beschwerdeführer umschriebenen Art durch den genannten Staat (oder mit dessen Billigung) bekannt geworden sind (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 17. Dezember 1997, Zl. 95/21/0381, und vom 27. März 1998, Zl. 95/21/0914). Die - unbestrittene - Feststellung der belangten Behörde, daß die Christen in den südlichen Provinzen des Sudan von der Scharia, auf der ein neues Strafrecht basiere, nicht betroffen seien, läßt jedenfalls noch nicht den Schluß zu, daß es nicht zu den vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgungshandlungen gegenüber dem christlichen Bevölkerungsteil im Südsudan gekommen sei oder komme.

Im übrigen stellen die Bescheidausführungen der belangten Behörde, aufgrund des "gegenständlichen Sachverhalts" und des bisherigen Vorbringens des Beschwerdeführers über die Situation in seinem Heimatland anläßlich des dort stattfindenden Bürgerkriegs zur Ansicht gelangt zu sein, daß der Beschwerdeführer gegenwärtig keiner Verfolgung im Südsudan aus den von ihm behaupteten Gründen ausgesetzt sei, keine schlüssige Begründung dar. Eine in dieser Hinsicht nachvollziehbare Begründung wäre umso mehr geboten gewesen, als sich der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren zur Dartuung der von ihm ins Treffen geführten Menschenrechtsverletzungen im Sudan auf Berichte von Amnesty International bezogen hat. Wenn auch diese Bezugnahme sehr allgemein gehalten ist, so war sie doch hinreichend, um die Verpflichtung der belangten Behörde auszulösen, sich mit diesen Berichten auseinanderzusetzen, zumal sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zur Frage, in welcher Form Rückkehrer vom sudanesischen Sicherheitsdienst überprüft und behandelt werden, selbst auf einen Bericht von Amnesty International gestützt hat.

Desgleichen vermag die weitere Argumentation der belangten Behörde, daß sich der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge seit 1989 nicht mehr im Sudan aufgehalten habe, die Beurteilung im angefochtenen Bescheid nicht zu tragen. Denn ebenso, wie ein Asylwerber nicht gehalten ist, Verfolgungsmaßnahmen durch die Behörden seines Heimatstaates abzuwarten, ist es zur Dartuung der im § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG genannten Gefahren nicht erforderlich, daß der Fremde bereits Mißhandlungen im Sinn dieser Bestimmung ausgesetzt war (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1998, Zl. 95/21/0399).

Schließlich erscheinen die Bescheidausführungen insoweit widersprüchlich, als die belangte Behörde zwar einerseits den Standpunkt vertritt, daß die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Übergriffe durch Moslems nicht glaubhaft gemacht worden seien, sie jedoch andererseits die Feststellung trifft, daß es sich bei den vom Beschwerdeführer befürchteten Verfolgungshandlungen um Übergriffe Privater handle, deren Verhalten dem Sudan nicht zugerechnet werden könne, zumal der angefochtene Bescheid eine Begründung für diese Feststellung vermissen läßt. Im übrigen würde auch eine Bedrohung durch Handlungen von Privatpersonen zur Annahme einer Gefahr iS des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG ausreichen, wenn der Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, den Betroffenen vor deren Übergriffen zu schützen.

4. Nach dem Gesagten ist somit der angefochtene Bescheid mit wesentlichen Feststellungs- und Begründungsmängeln behaftet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

5. Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG konnte von der beantragten Verhandlung abgesehen werden.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 15. Jänner 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1996210730.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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