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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §58 Abs2Betreff
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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des Landeshauptmanns von Wien (als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht), gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 15. Jänner 2018, VGW- 151/018/16108/2017-2, betreffend Aufenthaltsbewilligung (mitbeteiligte Partei: G O in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Begründung
1.1. Mit Bescheid vom 24. Oktober 2017 wies der Revisionswerber den Antrag des Mitbeteiligten, eines russischen Staatsangehörigen, vom 28. September 2017 auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung "Studierender" gemäß § 64 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) in Verbindung mit § 8 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - Durchführungsverordnung (NAG-DV) ab.
Der Mitbeteiligte habe - so die wesentliche Begründung - für das maßgebliche vorangegangene Studienjahr 2016/2017 den erforderlichen Studienerfolg nicht nachgewiesen. Das Studienjahr 2017/2018 sei noch nicht abgelaufen, sodass die in diesem Studienjahr bereits bestandenen Prüfungen außerhalb des maßgeblichen Beurteilungszeitraums lägen. Es seien auch keine beachtlichen Hinderungsgründe im Sinn des § 64 Abs. 3 NAG gegeben. Das behauptete Unterbleiben des Studienerfolgs auf Grund eines Wechsels von der Wirtschaftsuniversität an eine Fachhochschule sowie die angebliche durch eine Mitarbeiterin der belangten Behörde erteilte Auskunft, das einmalige Fehlen des Studienerfolgs hätte keine Auswirkungen, stellten keine berücksichtigungswürdigen Umstände dar.
1.2. Der Mitbeteiligte erhob gegen den Bescheid Beschwerde und wiederholte darin im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen. Ergänzend führte er aus, er habe sich von Jänner bis März 2017 - laut einem vorgelegten "Arztbrief" vom 7. November 2017 wegen Lumboischialgie und Beckenschiefstand - in Behandlung befunden und sei deshalb nicht der Lage gewesen, die Universität regelmäßig zu besuchen. Ferner legte er Nachweise für sein nunmehriges Studium an der Fachhochschule und den dort erzielten Studienerfolg vor.
2.1. Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde statt, behob den bekämpften Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Revisionswerber zurück.
Das Verwaltungsgericht führte begründend im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte habe in der Beschwerde einen geänderten Sachverhalt vorgebracht, wonach er einerseits die Universität laut der vorgelegten ärztlichen Bestätigung von Jänner bis März 2017 nicht regelmäßig besuchen habe können und andererseits im Rahmen des nunmehr an einer Fachhochschule betriebenen Studiums bereits mehrere Prüfungen absolviert habe. Dieser geänderte Sachverhalt sei durch den Revisionswerber "einer neuerlichen Beurteilung und Prüfung zu unterziehen", weshalb der bekämpfte Bescheid zu beheben und die Sache zur Fällung einer neuen Entscheidung zurückzuverweisen sei.
2.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
3.1. Gegen diesen Beschluss wendet sich die außerordentliche Revision mit einem Aufhebungsantrag.
Der Revisionswerber macht geltend, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Hinweis u. a. auf VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063) abgewichen. Demnach sei die Aufhebung eines Bescheids und die Zurückverweisung der Sache gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nur zulässig, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen habe. Dies sei hier nicht der Fall, habe der Revisionswerber doch ausreichend ermittelt und festgestellt, dass der Versagungsgrund des § 64 Abs. 3 NAG erfüllt sei. Das Verwaltungsgericht habe auch nicht (nachvollziehbar) begründet, warum es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit als nicht gegeben erachte. Das Vorliegen eines geänderten Sachverhalts allein könne eine Aufhebung und Zurückverweisung nicht rechtfertigen. Das Verwaltungsgericht hätte daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG in der Sache selbst entscheiden müssen.
3.2. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
4. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
Die Revision ist zulässig, weil das Verwaltungsgericht - wie in der Zulassungsbegründung zutreffend aufgezeigt wird - von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen ist. Die Revision ist aus dem Grund auch berechtigt.
5.1. Zu den für kassatorische Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG geltenden Voraussetzungen ist auf das schon erwähnte hg. Erkenntnis Ro 2014/03/0063 zu verweisen (§ 43 Abs. 2 VwGG). Demnach ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt. Die nach § 28 VwGVG verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidungspflicht sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt hat oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 16.10.2015, Ra 2015/08/0042; 9.8.2018, Ro 2018/22/0006). Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, rechtfertigen keine Zurückverweisung, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allfälligen mündlichen Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind (vgl. VwGH 12.12.2017, Ra 2017/22/0066).
5.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner bereits hervorgehoben, dass das Verwaltungsgericht nachvollziehbar zu begründen hat, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit
(ausnahmsweise) als nicht gegeben annimmt (VwGH 18.4.2018, Ra 2017/22/0205). Das Verwaltungsgericht hat darzulegen, dass und aus welchen Gründen die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung nach § 28 Abs. 2 VwGVG nicht erfüllt sind, insbesondere in welcher Weise der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht feststeht und inwiefern allenfalls erforderliche Ergänzungen nicht vom Verwaltungsgericht selbst vorzunehmen wären (vgl. VwGH 16.1.2018, Ra 2017/22/0162). Diesen Anforderungen wird der bloße Hinweis auf einen im Beschwerdeverfahren geänderten Sachverhalt, der von der Behörde neuerlich zu beurteilen bzw. zu prüfen sei, im Allgemeinen nicht gerecht (vgl. in dem Sinn VwGH 13.12.2018, Ra 2018/22/0044; Ra 2018/22/0049).
6. Vorliegend ist zunächst festzuhalten, dass dem angefochtenen Beschluss eine im Sinn der obigen Ausführungen nachvollziehbare Begründung, warum das Verwaltungsgericht eine meritorische Entscheidungszuständigkeit als nicht gegeben erachtete, nicht zu entnehmen ist. Der bloße Hinweis auf das Vorliegen eines geänderten Sachverhalts, der einer neuerlichen Beurteilung und Prüfung durch den Revisionswerber zu unterziehen sei, stellt keine den aufgezeigten Anforderungen entsprechende nachvollziehbare Begründung dar.
7.1. Für den Verwaltungsgerichtshof ist auch nicht ersichtlich, dass Ermittlungsmängel vorlägen, die im Sinn der obigen Erörterungen das Fehlen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG für eine meritorische Entscheidung durch das Verwaltungsgericht nach sich ziehen und damit zu einer Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG führen könnten.
7.2. Das Verwaltungsgericht erblickte einen (einer neuerlichen Beurteilung und Prüfung durch den Revisionswerber zu unterziehenden) geänderten Sachverhalt einerseits darin, dass in der Beschwerde (erstmals) behauptet wurde, der Mitbeteiligte sei von Jänner bis März 2017 in ärztlicher Behandlung gestanden und deshalb nicht der Lage gewesen, die Universität regelmäßig zu besuchen.
Zu diesem Vorbringen wurde jedoch - wie auch das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss hervorhob - bereits mit der Beschwerde ein "Arztbrief" vom 7. November 2017 vorgelegt (vgl. näher Punkt 1.2.). Diese ärztliche Bestätigung stellte ein Beweismittel dar, das zu prüfen gewesen wäre. Im Hinblick darauf konnte aber das Verwaltungsgericht - allenfalls nach Vervollständigung der Beweisaufnahme im Rahmen einer mündlichen Verhandlung (§ 24 VwGVG) - die wesentlichen Tatsachenfeststellungen selbst treffen, um das Vorliegen des geltend gemachten Hinderungsgrunds beurteilen zu können. Das Verwaltungsgericht hätte daher über den erhobenen Einwand in der Sache selbst entscheiden müssen.
7.3. Das Verwaltungsgericht erblickte einen (einer neuerlichen Beurteilung und Prüfung durch den Revisionswerber zu unterziehenden) geänderten Sachverhalt andererseits darin, dass mit der Beschwerde Nachweise für das nunmehrige Studium an einer Fachhochschule und den dort erzielten Studienerfolg vorgelegt wurden.
Ein diesbezügliches Vorbringen wurde - unter Vorlage diverser Unterlagen - bereits im behördlichen Verfahren erstattet und im Bescheid dahingehend rechtlich gewürdigt, dass für das Vorliegen eines Studienerfolgs das vorangegangene Studienjahr 2016/2017 maßge blich sei, für das jedoch der erforderliche Studienerfolg nicht nachgewiesen worden sei. Was das Studienjahr 2017/2018 betreffe, so sei dieses noch nicht abgelaufen, sodass die bereits bestandenen Prüfungen außerhalb des maßgeblichen Beurteilungszeitraums lägen und nicht zu berücksichtigen seien.
An dieser - rechtlich zutreffenden - Beurteilung hat sich bis zur hier gegenständlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts nichts geändert, ist doch in der Zwischenzeit (gemessen am Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts) ein weiteres Studienjahr (2017/2018) nicht abgelaufen. Im Hinblick darauf wurde jedoch in der Beschwerde ein rechtlich bedeutsamer geänderter Sachverhalt, der einer neuerlichen Beurteilung und Prüfung hätte unterzogen werden können, nicht geltend gemacht. Die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Aufhebung und Zurückverweisung war schon deshalb nicht begründet.
Dem steht auch nicht entgegen, dass mittlerweile (gemessen am Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichtshofs) ein weiteres Studienjahr (2017/2018) abgelaufen ist. Im gegebenen Zusammenhang kommt es nämlich ausschließlich auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Beschlusses an, in dem das genannte Studienjahr noch nicht verstrichen war. Im Übrigen könnte selbst eine unterbliebene bzw. unzureichende Berücksichtigung eines Studienerfolgs für sich allein eine Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht rechtfertigen (vgl. neuerlich VwGH Ra 2017/22/0162).
8. Insgesamt hat daher das Verwaltungsgericht zu Unrecht eine kassatorische Entscheidung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG getroffen, weshalb der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben war.
Wien, am 17. Juni 2019
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018220058.L00Im RIS seit
01.08.2019Zuletzt aktualisiert am
02.08.2019