TE Vwgh Erkenntnis 2019/5/28 Ra 2018/15/0036

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Veröffentlicht am 28.05.2019
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §115
BAO §269 Abs1
BAO §85
VwRallg

Betreff

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Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kratschmayr, über die Revision des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung in 8010 Graz, Burggasse 11-13, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom 22. Jänner 2018, Zl. RV/2100136/2013, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde (weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung, Hofgasse 15, 8010 Graz), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Haftungsbescheiden vom 21. Dezember 2012 wurde im Gefolge einer Außenprüfung das Amt der Steiermärkischen Landesregierung als Arbeitgeber für die Einbehaltung und Abfuhr der vom Arbeitslohn einzubehaltenden Lohnsteuer der Jahre 2005 bis 2011 in Anspruch genommen.

2 Gegen diese Haftungsbescheide richtete sich die "im Auftrag der Steiermärkischen Landesregierung" eingebrachte sowie "Für die Steiermärkische Landesregierung" unterfertigte Berufung, die mit Vorlagebericht vom 5. März 2013 dem seinerzeitigen unabhängigen Finanzsenat zur Entscheidung vorgelegt wurde.

3 Mit dem nunmehr angefochtenen, an die Steiermärkische Landesregierung als Beschwerdeführerin ergangenen, Beschluss wies das mit Ablauf des 31. Dezember 2013 zuständig gewordene Bundesfinanzgericht die gemäß § 323 Abs. 38 BAO als Beschwerde zu behandelnden Berufung gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO als nicht zulässig zurück.

4 Begründend wird ausgeführt, gemäß § 85 Abs. 1 EStG 1988 hätten Körperschaften öffentlichen Rechts die Lohnsteuer wie alle sonstigen Arbeitgeber einzubehalten. Obwohl § 85 EStG 1988 nur mit "Körperschaften öffentlichen Rechts" überschrieben sei, richte sich die Bestimmung nicht nur an diese, sondern auch an die "öffentlichen Kassen", denen in dieser Vorschrift ausdrücklich Rechte und Pflichten zugeschrieben würden und die damit den Körperschaften öffentlichen Rechts und allen anderen Arbeitgebern gleichgestellt würden. Durch die Bestimmung des § 85 EStG 1988 werde die Gebietskörperschaft als Arbeitgeber steuerrechtlich durch die öffentlichen Kassen verdrängt (Hinweis auf VwGH 13.9.2006, 2002/13/0228).

5 Dem vom Finanzamt in Anspruch genommenen Amt der Landesregierung komme steuerliche Rechtssubjektivität als Arbeitgeber insoweit zu, als es als öffentliche Kasse anzusehen sei. Aufgrund der dem Bundesfinanzgericht vorgelegten Unterlagen sei davon auszugehen, dass das Amt der Steiermärkischen Landesregierung die verfahrensgegenständlichen Bezüge angewiesen, verrechnet und die gesetzlichen Abzüge vorgenommen habe. 6 Das als Geschäftsapparat der Landesregierung und des Landeshauptmannes eingerichtete "Amt der Landesregierung" komme zufolge der durch die Sondervorschrift des § 85 Abs. 1 Satz 2 EStG 1988 verliehenen Rechtsfähigkeit an Stelle der Gebietskörperschaft als rechtlich tauglicher Bescheidadressat im Sinne ihrer Eigenschaft als öffentliche Kasse in Betracht (Hinweis auf VwGH 13.9.2006, 2002/13/0228).

7 Gemäß § 246 Abs. 1 BAO sei zur Einbringung einer Beschwerde (früher Berufung) jeder befugt, an den der den Gegenstand der Anfechtung bildende Bescheid ergangen sei. Im vorliegenden Fall sei zur Einbringung einer Beschwerde daher nur das Amt der Landesregierung legitimiert.

8 Im Briefkopf der Berufung vom 28. Jänner 2013 scheine zwar das "Amt der Landesregierung" auf, jedoch lasse sich aus den Ausführungen in der Berufung nicht ableiten, dass die Berufung im Namen des Bescheidadressaten eingebracht worden sei. Ganz im Gegenteil gehe aus den Ausführungen klar und eindeutig hervor, dass die nunmehr als Beschwerde zu erledigende Berufung im Auftrag und für die Landesregierung eingebracht worden sei. Die Berufung sei somit nicht von dem Organ, dem gegenüber die Bescheide wirksam geworden seien und dessen Vorstand gemäß § 1 Abs. 1 des Bundesverfassungsgesetzes betreffend Grundsätze für die Einrichtung und Geschäftsführung der Ämter der Landesregierungen außer Wien der Landeshauptmann (und nicht die Landesregierung) sei, sondern von einem anderen (Kollegial)Organ eingebracht, dem gegenüber die Bescheide nicht ergangen seien. Das zuletzt genannte Organ sei zur Einbringung der Beschwerde nicht berechtigt. 9 Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Bundesfinanzgericht für nicht zulässig.

10 Gegen diesen Beschluss wendet sich die außerordentliche Revision des Amtes der Landesregierung, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens erwogen hat:

11 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit u.a. vor, der angefochtene Beschluss widerspreche der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach sich das Verwaltungsgericht im Zweifelsfall Klarheit darüber zu verschaffen habe, wem eine Eingabe zuzurechnen sei (Hinweis auf VwGH 2005/10/0140 bis 0142; sowie 2007/05/0188). Im vorliegenden Fall hätten sich für das Verwaltungsgericht auf Grund des äußeren Erscheinungsbildes der Berufung Zweifel ergeben müssen, wem die Berufung zuzurechnen sei. Das Verwaltungsgericht wäre daher verpflichtet gewesen, sich durch Herbeiführung einer entsprechenden Parteienerklärung Klarheit darüber zu verschaffen, wem die Berufung zuzurechnen sei. Dabei hätte sich ergeben, dass die Berufung dem Amt der Landesregierung zuzurechnen sei, womit das Verwaltungsgericht zu einer meritorischen Entscheidung verpflichtet gewesen wäre. 12 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision aufgezeigt, zumal auch die Revisionslegitimation des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung, dem gegenüber der angefochtene Beschluss des Bundesfinanzgerichtes nicht ergangen ist, gegeben ist.

13 Dem angefochtenen Beschluss ist nämlich der Wille des Bundesfinanzgerichts zu entnehmen, die vorliegende Prozesshandlung nicht dem Revisionswerber (dem Amt der Steiermärkischen Landesregierung), sondern der Steiermärkischen Landesregierung zuzurechnen und die Beschwerde aus diesem Grund zurückzuweisen. Der Spruch des angefochtenen Beschlusses enthält demnach auch die Entscheidung darüber, dass die Berufung (Beschwerde) vom 28. Jänner 2013 nicht dem Revisionswerber zuzurechnen ist. Da durch die Zurechnung der Beschwerde an die Steiermärkische Landesregierung die Haftungsinanspruchnahme des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung rechtskräftig wurde, konnte der Revisionswerber durch den angefochtenen Beschluss, obzwar nicht an ihn ergangen, in Rechten verletzt werden (vgl. seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19.12.1984, 81/11/0119, VwSlg. 11.625/A, in ständiger Rechtsprechung u.a. VwGH 22.4.2009, 2008/15/0252).

14 Die Revision ist aber auch in der Sache berechtigt.

15 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind

Parteierklärungen nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, d. h. es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Bei undeutlichem Inhalt eines Anbringens ist die Absicht der Partei zu erforschen. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt (vgl. VwGH 20.3.2014, 2010/15/0195, mwN).

16 Ebenso wie die Behörde verpflichtet ist, den Sinn eines mehrdeutigen Parteienantrages durch Herbeiführung einer entsprechenden Parteienerklärung festzustellen, ist sie auch verpflichtet, sich in Zweifelsfällen Klarheit darüber zu verschaffen, wer Rechtsmittelwerber ist (vgl. die bei Ritz, BAO6, § 85 Tz 2 angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs). 17 Im Beschwerdeverfahren haben die Verwaltungsgerichte die Obliegenheiten, die den Abgabenbehörden auferlegt sind (§ 269 Abs. 1 BAO).

18 Die Prüfung, wem eine Eingabe - im Revisionsfall eine Beschwerde - zuzurechnen ist, hat sich am äußeren Tatbestand zu orientieren (zum insoweit vergleichbaren AVG VwGH 6.7.1999, 99/10/0129; 23.4.2007, 2005/10/0140; 31.7.2012, 2010/05/0001). Maßgeblich ist, wer nach dem objektiven Erklärungswert der Eingabe unter Berücksichtigung aller Umstände als derjenige anzusehen ist, der mit dieser Eingabe die Tätigkeit der Behörde (des Verwaltungsgerichts) für sich in Anspruch nimmt. Besteht danach kein Anlass zu Zweifeln, wem die Eingabe zuzurechnen ist, bedarf es keiner weiteren Ermittlungen iSd § 115 BAO. Kann diese Frage aber nicht zweifelsfrei beurteilt werden, ist die Behörde (das Verwaltungsgericht) verpflichtet, sich über die Zurechnung der Prozesshandlung Klarheit zu verschaffen.

19 Zu Recht zeigt der Revisionswerber auf, dass das Verwaltungsgericht angesichts der Gestaltung der Berufung jedenfalls Zweifel an der Zurechnung der Berufung zur Steiermärkischen Landesregierung hätte haben müssen. Abgesehen davon, dass im Briefkopf das Amt der Steiermärkischen Landesregierung aufscheint, wird in der Berufung selbst wiederholt auf die besondere Stellung des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung als in Haftung genommener Arbeitgeber Bezug genommen. Bei dieser Sachlage durfte das Bundesfinanzgericht jedenfalls nicht von einer zweifelsfreien Zurechnung der Berufung (nunmehr Beschwerde) vom 28. Jänner 2013 an die "Steiermärkische Landesregierung" ausgehen.

20 Bei der vorliegenden Konstellation tritt noch hinzu, dass es angesichts des Verlaufs des Verwaltungsverfahrens naheliegt, das Rechtsmittel jener rechtsfähigen Einrichtung zuzurechnen, die Bescheidadressat der bekämpften Haftungsbescheide war. Dies umso mehr als das Finanzamt in seinem Vorlagebericht an den unabhängigen Finanzsenat vom 5. März 2013 das Amt der Steiermärkischen Landesregierung als jene Person identifiziert hatte, der die Berufung zuzurechnen ist.

21 Es entsprach nach dem Gesagten nicht dem Gesetz, die Berufung der Steiermärkischen Landesregierung zuzurechnen und sie zurückzuweisen.

22 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 28. Mai 2019

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018150036.L00

Im RIS seit

03.09.2019

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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