Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Priv.-Doz. Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der Mag. M***** Z*****, geboren am ***** 1957, *****, vertreten durch Dr. Hans Pucher, Rechtsanwalt in St. Pölten als Verfahrenshelfer, über die außerordentlichen Revisionsrekurse der betroffenen (schutzberechtigten) Person gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 27. Februar 2019, GZ 23 R 47/19p-280, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 11. Dezember 2018, GZ 17 P 42/15m-262, aufgrund des vom Verfahrenshelfer eingebrachten Rekurses teilweise abgeändert und der von der betroffenen (schutzberechtigten) Person selbst erhobene Rekurs zurückgewiesen wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.
Text
Begründung:
Für die Betroffene wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 25. Februar 2010 Rechtsanwalt Dr. A***** S***** zum Sachwalter für die Vertretung vor Ämtern und Behörden bestellt. Mit Beschluss vom 2. Juni 2010 gewährte das Erstgericht der Betroffenen die Verfahrenshilfe, unter anderem auch durch die Beigabe eines Rechtsanwalts. Das Verfahren ist durch zahlreiche Eingaben, Verfahrenshilfeanträge und Rechtsmittel der Betroffenen geprägt.
Mit Beschluss vom 11. Dezember 2018 sprach das Erstgericht aus, dass der Sachwalter nunmehr gerichtlicher Erwachsenenvertreter (§ 1503 Abs 9 Z 10 ABGB) zur Vertretung vor Ämtern und Behörden ist. Das Erstgericht ordnete dafür einen weit formulierten Genehmigungsvorbehalt an, der auch die gerichtliche Genehmigungspflicht in den Fällen des § 258 Abs 4 ABGB enthielt.
Dem dagegen von der betroffenen (schutzberechtigten) Person durch ihren Verfahrenshelfer erhobenen Rekurs gab das Rekursgericht dahin teilweise Folge, dass es den Genehmigungsvorbehalt um die gerichtliche Genehmigungspflicht einschränkte (Punkt II der Entscheidung). Den weiteren, durch die Betroffene (Schutzberechtigte) selbst eingebrachten Rekurs wies das Zweitgericht als verspätet bzw gegen die Einmaligkeitswirkung des Rechtsmittels verstoßend zurück (Punkt I der Entscheidung).
Der Beschluss des Rekursgerichts wurde dem Verfahrenshelfer am 20. März 2019 und der betroffenen (schutzberechtigten) Person am 22. März 2019 zugestellt.
Gegen die Rekursentscheidungen richten sich zwei außerordentliche Revisionsrekurse der betroffenen (schutzberechtigten) Person. Zum einen erhob diese am 2. April 2019 durch ihren Verfahrenshelfer ein Rechtsmittel, mit dem nur Punkt II des rekursgerichtlichen Beschlusses angefochten wurde. Zum anderen brachte sie am 5. April 2019 selbst ein (handschriftlich verfasstes) Rechtsmittel ein. Dieses (zweite) Rechtsmittel, das beide Punkte der Rekursentscheidung bekämpft, ist nicht durch einen Rechtsanwalt oder Notar unterfertigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Nach § 6 Abs 2 AußStrG müssen sich die Parteien in Verfahren über die Erwachsenenvertretung im Revisionsrekursverfahren durch einen Rechtsanwalt oder Notar vertreten lassen. Der Revisionsrekurs ist durch Überreichung eines mit der Unterschrift eines Rechtsanwalts oder Notars versehenen Schriftsatzes beim Gericht erster Instanz zu erheben (§ 65 Abs 2 iVm Abs 3 Z 5 AußStrG).
2. Ein Verbesserungsauftrag erübrigt sich hier nicht, weil der zweite Revisionsrekurs weder verspätet ist noch gegen das Verbot der Einmaligkeit des Rechtsmittels verstößt.
3.1 Nach der (mit dem 2. Erwachsenen-SchutzG eingeführten) Bestimmung des § 116a AußStrG kann die betroffene Person im Erwachsenenschutzverfahren unabhängig von ihrer Verfahrensfähigkeit Verfahrenshandlungen vornehmen. Sie kann daher im gesamten Verfahren selbständig Anträge stellen und Rechtsmittel erheben. Ein Vertreter bzw Rechtsbeistand (vgl § 119 AußStrG) schränkt die Möglichkeit der betroffenen Person nicht ein, im Verfahren selbständig zu handeln (Fritz in Schneider/Verweijen, AußStrG § 116a Rz 4). Damit schließt der in § 119 AußStrG geschaffene Vertretungszwang die Fähigkeit der betroffenen Person, eigene Verfahrenshandlungen neben dem Vertreter vorzunehmen, nicht aus (Schauer in Gitschthaler/Höllwerth2 § 119 AußStrG Rz 1 und 28 [in Druck]).
3.2 Ungeachtet des Umstands, dass der Rechtsbeistand nicht Adressat von eigenen Verfahrensrechten ist, weil er seine Rechte von den Rechten der betroffenen Person ableitet (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 66; vgl bereits zur alten Rechtslage: RIS-Justiz RS0125240), kann die betroffene Person auch bei einem durch ihren Rechtsbeistand bzw Vertreter in ihrem Namen erhobenen Rechtsmittel ein weiteres, gesondertes Rechtsmittel selbst erheben (Fritz in Schneider/Verweijen, AußStrG § 116a Rz 4). Steht der betroffenen Person ganz allgemein ein eigenständiges Rekursrecht (also unabhängig von einer in ihrem Namen erfolgten Rekurserhebung Dritter) zu, müssen ihr sämtliche Beschlüsse zugestellt werden (idS bereits 3 Ob 55/13d), was konsequenterweise mit dem 2. Erwachsenen-SchutzG ausdrücklich in § 116a Abs 2 Satz 1 AußStrG angeordnet wurde.
3.3 Erheben daher die Betroffene persönlich und der Vertreter oder Rechtsbeistand im Namen der Betroffenen jeweils gesondert ein Rechtsmittel, so sind beide Rechtsmittel einer inhaltlichen Behandlung zu unterziehen (Fritz in Schneider/Verweijen, AußStrG § 116a Rz 4, vgl 3 Ob 213/10k). Für den Anlassfall kommt hinzu, dass die Rechtsmittelanträge sich auch umfänglich unterscheiden, sodass bereits wegen der Bestimmung des § 116a Abs 1 Satz 2 AußStrG beide Verfahrenshandlungen inhaltlich zu berücksichtigen sind.
4. Daraus folgt, dass der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels in solchen Konstellationen nicht gilt (vgl bereits zur alten Rechtslage: RS0126515) und deshalb auch nicht zur Zurückweisung des zweiten Rechtsmittels führen kann.
5. Das Gesagte gilt für einen gesetzlichen bzw selbstgewählten Vertreter, einen vom Gericht bestellten Rechtsbeistand, aber auch für einen Verfahrenshelfer. Die in der Entscheidung 6 Ob 125/15y vertretene Rechtsansicht, dass bei der Bestellung eines Verfahrenshelfers die Zustellung an die Partei im Hinblick auf § 6 Abs 4 AußStrG iVm § 93 ZPO bedeutungslos sei, ist schon aufgrund der mit dem 2. Erwachsenen-SchutzG vorgenommenen Änderungen überholt. Insbesondere das Gebot der Zustellung sämtlicher Beschlüsse an die betroffene Person (§ 116a Abs 2 Satz 1 AußStrG) spricht gegen die Bedeutungslosigkeit der gesetzlich gebotenen Zustellung an die Betroffene, wenn die Entscheidung bereits ihrem Vertreter bzw ihrem Verfahrenshelfer zugestellt wurde. Weder aus § 116a AußStrG noch aus § 119 AußStrG lässt sich eine Einschränkung der geschilderten Verfahrensfähigkeit der Betroffenen ableiten, wenn ein Verfahrenshelfer für sie bestellt wurde.
6. Hier ist somit auch der zweite Revisionsrekurs rechtzeitig, weil beim von der betroffenen Person selbst eingebrachten Rechtsmittel für die Berechnung der Rechtsmittelfrist nicht auf die Zustellung der angefochtenen Entscheidung an den Verfahrenshelfer, sondern darauf abzustellen ist, wann diese der Betroffenen zugestellt wurde. Erst die Zustellung an die betroffene Partei löste ihr gegenüber die Frist zur selbständigen Erhebung eines Rechtsmittels aus (vgl Schauer in Gitschthaler/Höllwerth2 § 116a AußStrG Rz 6 und 13 [in Druck]).
7. Wollte man hingegen davon ausgehen, dass der betroffenen Person kein eigenständiges Rechtsmittelrecht zustünde, wäre der mit der Einführung des 2. Erwachsenen-SchutzG verbundende Paradigmenwechsel zur Förderung der Selbstbestimmung beeinträchtigter Personen und zur Erweiterung ihrer Autonomie (dazu Zierl/Schweighofer/Wimberger, Erwachsenenschutzrecht2 Rz 9 ff) empfindlich eingeschränkt.
8. Der Akt ist daher dem Erstgericht zur Durchführung des unterlassenen Verbesserungsverfahrens (§ 10 Abs 4 AußStrG) zurückzustellen (jüngst: 8 Ob 24/19s mwN).
Textnummer
E125333European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0030OB00087.19V.0523.000Im RIS seit
25.06.2019Zuletzt aktualisiert am
09.08.2021