TE Vfgh Erkenntnis 2019/2/25 E400/2018

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Veröffentlicht am 25.02.2019
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander hinsichtlich der Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung betreffend einen Staatsangehörigen Afghanistans; Willkür auf Grund mangelnder Auseinandersetzung und eigenständiger Ermittlungen hinsichtlich dem Vorbringen betreffend die Verfolgung durch die Taliban wegen Kooperation mit den US-Streitkräften

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 25. März 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er bringt vor, für die US-amerikanischen Streitkräfte als Fahrer bzw Security gearbeitet zu haben. Er habe auch für die afghanische Polizei gearbeitet. Die Taliban hätten ihn verfolgt, seinen Neffen getötet und den Beschwerdeführer angeschossen.

2.       Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 16. August 2017 wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß §27 Abs1 Z1 (2. Fall), Abs2a Suchtmittelgesetz rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten (für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen) verurteilt.

3.       Mit Bescheid des Bundamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 4. Dezember 2017 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen, ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (§57 AsylG) nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Abschiebung nach Afghanistan für zulässig erklärt, keine Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt, einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt, ein auf fünf Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen und festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Aufenthaltsrecht gemäß §13 Abs2 Z1 AsylG ab dem 22. August 2017 verloren hat.

4.       Das Bundesverwaltungsgericht gab der dagegen erhobenen Beschwerde teilweise statt und hob das verhängte Einreiseverbot ersatzlos auf. Im Übrigen wies es die Beschwerde – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung –ab. Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass es "in Übereinstimmung" mit dem BFA davon ausgehe, dass der Beschwerdeführer für die US-amerikanischen Streitkräfte bzw für den afghanischen Sicherheitsapparat gearbeitet habe und im Dienst als "Sicherheitsorgan" am Kopf verletzt worden sei. Das Bundesverwaltungsgericht führt aus, dass der Beschwerdeführer "im gesamten Verfahren" keine asylrechtlich relevante Verfolgung geltend gemacht habe. Soweit der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung vorgebracht habe, von den Taliban gefoltert und zum Tode verurteilt worden zu sein, habe der Beschwerdeführer dieses Vorbringen anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA nicht wiederholt. "Auch durch die bloße Verletzung im Dienst als Polizist kann seitens des erkennenden Gerichts nicht auf eine persönliche Verfolgung geschlossen werden". Der Beschwerdeführer bringe lediglich in der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht vor, dass er alkoholkrank sei. Im Widerspruch dazu habe der Beschwerdeführer aber anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA glaubhaft dargelegt, mit dem Trinken aufgehört zu haben. Im Übrigen bestehe – auch bei Wahrunterstellung – keine Gefahr für den Fall der Rückkehr nach Afghanistan, zumal der Beschwerdeführer seinen eigenen Angaben zufolge auch schon in Afghanistan Drogen und Alkohol konsumiert habe und er keiner persönlichen Verfolgung ausgesetzt gewesen sei.

5.       Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führt das Bundesverwaltungsgericht aus:

"Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt, kommt dem Beschwerdeführer hinsichtlich seines Vorbringens zum behaupteten Fluchtgrund betreffend die Gefahr, auf Grund seiner in seiner Heimat ausgeübten beruflichen Tätigkeit als Fahrer bzw Security für die US Armee wie auch als Angehöriger des Sicherheitsapparates in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt durch die Taliban ausgesetzt zu sein, keine Glaubwürdigkeit zu. Dem Beschwerdeführer ist es entgegen dem Beschwerdevorbringen daher nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Vielmehr hat er mit keiner Aussage im Asylverfahren den Versuch unternommen, eine persönliche Verfolgung vorzubringen. Sohin kann nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer aus dem von ihm ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.

Es wird in diesem Zusammenhang im Hinblick auf die oben getroffenen Länderfeststellungen zur Situation von Personen, die für ausländische Organisationen arbeiten, seitens des erkennenden Gerichtes nicht verkannt, dass solche Personen u.U. einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, in Afghanistan verfolgt zu werden. Das Vorliegen eines diesbezüglich asylrelevanten Vorbringens ist jedoch laut den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles zu beurteilen und nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes aus den oben dargelegten Gründen im Fall des Beschwerdeführers zu verneinen. In diesem Zusammenhang war auch zu beurteilen, dass der Beschwerdeführer nicht direkt mit den US-Streitkräften zusammengearbeitet hat und seine Stellung eine eher untergeordnete war."

6.       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

7.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses aber abgesehen.

II.      Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

1.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.       Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1.    Anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA bringt der Beschwerdeführer vor, dass er Probleme wegen seiner Religion gehabt habe. Ihm sei vorgeworfen worden, mit den "Amerikanern" zusammengearbeitet zu haben, obwohl er Moslem sei. Außerdem bringt der Beschwerdeführer vor, von den Taliban verfolgt worden zu sein. Er schildert einen Vorfall, bei dem "Personen" zu seinem Haus gekommen seien und seinen Neffen getötet hätten. Daraufhin sei der Beschwerdeführer zu seinem Schutz nach Kunduz gezogen. Er habe dort als Polizist gearbeitet und sei von den Taliban angeschossen worden.

2.2.    Das Bundesverwaltungsgericht erachtet – im Rahmen der Beweiswürdigung – das Vorbringen des Beschwerdeführers, für die US-amerikanischen Streitkräfte sowie als Polizist gearbeitet und eine Kopfverletzung erlitten zu haben, für glaubhaft. Das Bundesverwaltungsgericht geht aber davon aus, dass der Beschwerdeführer keine individuell konkrete Verfolgung glaubhaft gemacht hat. Zu dieser Schlussfolgerung gelangt das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung oder sonstiger Ermittlungen zum Hergang der Kopfverletzung. Aus der Entscheidung geht insbesondere nicht hervor, ob das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer, wie von ihm behauptet, von den Taliban angeschossen wurde. Es führt bloß allgemein aus, dass es das Vorbringen des Beschwerdeführers, der Gewalt der Taliban ausgesetzt gewesen zu sein, für unglaubwürdig hält, ohne diese Aussage zu begründen. Aus der Entscheidung ist auch nicht ersichtlich, ob das Bundesverwaltungsgericht den vom Beschwerdeführer beschriebenen Vorfall an seiner Haustür, bei dem angeblich sein Neffe getötet wurde, im Zusammenhang mit den Taliban sieht bzw ob es dieses Vorbringen, und gegebenenfalls aus welchen Gründen, für unglaubwürdig hält. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich mit diesem Vorbringen nicht auseinander.

3.       Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes erweist sich daher als unzureichend. Das Bundesverwaltungsgericht hat eigenständige Ermittlungen zu entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen unterlassen, wodurch das angefochtene Erkenntnis mit Willkür belastet wird (vgl VfGH 27.2.2018, E2016/2017).

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E400.2018

Zuletzt aktualisiert am

06.05.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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