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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
AsylG 2005 §3, §8, §10, §34Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch ein – ohne Durchführung eines Familienverfahrens nach dem AsylG 2005 ergangenes – Erkenntnis des BVwG; keine Pflicht zur Führung eines gemeinsamen Verfahrens bei sich in unterschiedlichen Stadien befindlichen Verfahren von Familienangehörigen, wenn zeitliche Nähe der verschiedenen Verfahren gewährleistet istSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
II. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und gehört der kurdischen Volksgruppe an. Am 23. Juni 2015 reiste er in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Mit Bescheid vom 6. November 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, mit dem beim Verfassungsgerichtshof angefochtenen – am 10. Dezember 2018 mündlich verkündeten – Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde gegen diesen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl keine Folge.
Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis aus, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung iSd §3 AsylG 2005 glaubhaft gemacht, weil das darauf abzielende Vorbringen in wesentlichen Punkten widersprüchlich und nicht plausibel sei. Auf Grund der Berichtslage könne auch keine asylrelevante Verfolgung der Kurden als Volksgruppe festgestellt werden und seien keine in der Person des Beschwerdeführers liegenden Umstände erkennbar, die auf eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung seiner Person hindeuteten.
Auf Grund des Ermittlungsverfahrens erkenne das Bundesverwaltungsgericht zudem keine reale Gefahr einer Verletzung des Beschwerdeführers in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art2 und 3 EMRK sowie gemäß dem 6. und 13. ZPEMRK im Fall seiner Rückkehr. Hiebei sei darauf zu verweisen, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen gesunden, arbeitsfähigen Mann handle, der im Herkunftsstaat über Familienangehörige und Verwandte verfüge.
Schließlich seien auch keine Aufenthaltstitel gemäß §55 und §57 AsylG 2005 zu erteilen. Der Beschwerdeführer habe keinen gemeinsamen Wohnsitz mit seiner Ehegattin und dem gemeinsamen Sohn; seit deren Ankunft in Österreich habe er erst zwei Mal persönlichen Kontakt mit ihnen gehabt. Da der Ehegattin und dem Sohn des Beschwerdeführers ein legaler Aufenthalt in der Türkei und ein Zusammenleben mit dem Beschwerdeführer dort möglich und zumutbar seien, überwögen die öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts.
Da hinsichtlich der Ehegattin und des Kindes des Beschwerdeführers seit April 2018 – noch nicht abgeschlossene – Verfahren beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängig seien, setzte sich das Bundesverwaltungsgericht auch mit der Notwendigkeit eines gemeinsamen Verfahrens iSd §34 Abs4 AsylG 2005 auseinander, verneinte diese aber letztlich mit einem Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. November 2018, Ro 2018/19/0004. Nach diesem Erkenntnis seien die Verfahren unter den gegebenen Umständen weder zu verbinden noch sei die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes bis zur Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auszusetzen.
2. Gegen dieses Erkenntnis – mit Ausnahme des damit neu gefassten Abspruches über die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §57 AsylG 2005 – richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde. In dieser macht der Beschwerdeführer die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK und Art7 GRC sowie auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses. Unter einem stellt der Beschwerdeführer einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita bis d ZPO.
Begründend führt der Beschwerdeführer hiezu – zusammengefasst – aus, das Bundesverwaltungsgericht habe sich bloß auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. November 2018, Ro 2018/19/0004, gestützt, um die Unterlassung eines Familienverfahrens iSd §34 Abs4 AsylG 2005 zu begründen, und dabei das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 18. September 2015, E1174/2014, außer Acht gelassen, in dem eine gegenteilige – nach Auffassung des Beschwerdeführers zutreffende – Auffassung vertreten werde. Darüber hinaus habe das Bundesverwaltungsgericht auch den Aufenthalt der Ehegattin und des Kindes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nicht ausreichend berücksichtigt, wie es sein mündlich verkündetes Erkenntnis generell nicht ausreichend begründet habe.
3. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- bzw Gerichtsakten vor und sah von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Rechtslage
§34 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 145/2017 lautet:
"4. Abschnitt
Sonderbestimmungen für das Familienverfahren
Familienverfahren im Inland
§34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von
1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§8) zuerkannt worden ist oder
3. einem Asylwerber
einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist und
(Anm: Z2 aufgehoben durch Art3 Z13, BGBl I Nr 84/2017)
3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§7).
(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist;
(Anm: Z2 aufgehoben durch Art3 Z13, BGBl I Nr 84/2017)
3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§9) und
4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß §12a Abs4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.
(5) Die Bestimmungen der Abs1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:
1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;
2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;
3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§30 NAG)."
III. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist nicht begründet.
1. Gemäß §82 Abs3b VfGG setzt die Zulässigkeit von Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof im Fall einer mündlichen Verkündung des Erkenntnisses gemäß §29 Abs2 VwGVG einen Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß §29 Abs4 VwGVG durch mindestens einen der hiezu Berechtigten voraus. Dasselbe gilt gemäß §82 Abs3a VfGG auch für Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe, wofür dem Antrag gemäß dieser Bestimmung ein Nachweis über einen solchen Antrag anzuschließen ist.
Wie aus den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Akten ersichtlich ist, beantragte der Beschwerdeführer am 18. Dezember 2018 fristgerecht (vgl §29 Abs2a VwGVG) die Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses, was er auch glaubhaft machte. Damit erweisen sich sowohl die Beschwerde als auch der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe als zulässig.
2. Gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen, wobei die Verfahren unter einem zu führen sind, alle Familienangehörigen unter den Voraussetzungen des §34 Abs2 und 3 leg.cit. den gleichen Schutzumfang erhalten und jeder Asylwerber einen gesonderten Bescheid erhält; ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß §12a Abs4 AsylG 2005 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen. Gemäß §34 Abs5 AsylG 2005 gilt dies sinngemäß auch für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
3. Der Verfassungsgerichtshof setzte sich mit dieser Bestimmung in seinem Erkenntnis vom 18. September 2015, E1174/2014 auseinander, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag: Der minderjährige Beschwerdeführer war in diesem Fall mit seinen Großeltern in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hatte zusammen mit diesen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Als das Verfahren nach einer negativen Entscheidung des Bundesasylamtes bereits beim Asylgerichtshof bzw sodann beim Bundesverwaltungsgericht anhängig war, reiste auch der Vater des Beschwerdeführers in das Bundesgebiet ein und stellte ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesverwaltungsgericht vernahm den Vater zwar als Zeugen, sprach sodann aber (gesondert) über den Antrag auf internationalen Schutz seines Sohnes – des damaligen Beschwerdeführers vor dem Verfassungsgerichtshof – ab, ohne gleichzeitig über den entsprechenden Antrag des Vaters des Beschwerdeführers zu entscheiden.
Der Verfassungsgerichtshof erkannte hiezu, dass das Bundesverwaltungsgericht das bei ihm anhängige Verfahren gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 vielmehr mit der Behebung des angefochtenen Bescheides des Bundesasylamtes beenden hätte müssen, damit ein gemeinsames Asylverfahren hinsichtlich des Vaters und des Sohnes durchgeführt hätte werden können. Wörtlich hielt der Verfassungsgerichtshof dabei Folgendes fest:
"Vor allem aber hat das Bundesverwaltungsgericht nicht erkannt, dass das Verfahren des Beschwerdeführers ab dem Zeitpunkt des Asylantrages des Vaters des Beschwerdeführers, dessen Verfahren im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht abgeschlossen gewesen ist, gemäß §34 AsylG 2005 zwingend gemeinsam mit dem des Vaters (und dessen weiteren Kindern und seiner nunmehrigen Ehefrau) als Familienverfahren durchzuführen war (vgl etwa auch VwGH 9.4.2008, 2008/19/0205). Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher den bei ihm angefochtenen Bescheid des BAA im Spruchpunkt der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten aufzuheben und die Durchführung eines Familienverfahrens mit der Familie des Vaters anzuordnen gehabt."
4. In seinem Erkenntnis vom 15. November 2018, Ro 2018/19/0004, auf welches das Bundesverwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis zur Begründung für die Unterlassung eines gemeinsamen Verfahrens iSd §34 Abs4 AsylG 2005 verweist, konnte sich der Verwaltungsgerichtshof dieser Auffassung des Verfassungsgerichtshofes im soeben zitierten Erkenntnis nicht anschließen. Der Verwaltungsgerichtshof begründete dies mit einem Hinweis auf die in den Materialien zum Ausdruck kommende Beschleunigungsfunktion des gemeinsamen Verfahrens iSd §34 Abs4 AsylG 2005 wie folgt:
"13 Dem Ziel der Beschleunigung von Asylverfahren im Familienverband dient es demgegenüber nicht, wenn die jeweiligen Verfahren auch in jenen Fällen zwingend gemeinsam bei derselben Behörde geführt werden müssten, in denen Asylanträge von einzelnen Familienangehörigen erst gestellt werden, wenn das Verfahren eines oder mehrerer Familienmitglieder bereits vom BFA abgeschlossen wurde und in der Folge – aufgrund einer Beschwerde – beim Bundesverwaltungsgericht anhängig ist. Wie die Amtsrevision zu Recht anmerkt, würde dies den Zweck des §34 Abs4 AsylG 2005 ins Gegenteil verkehren und bspw. bei der späteren Antragstellung nachgeborener Kinder zu Asylverfahren führen, die über einen längeren Zeitraum hinweg nicht rechtskräftig abgeschlossen werden könnten.
14 Auch der Gerichtshof der Europäischen Union hat sich jüngst in einem Urteil ua mit der Vereinbarkeit der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) und der Verfahrensrichtlinie (Richtlinie 2013/32/EU) mit verschiedenen Fragen in Bezug auf Familienverfahren beschäftigt und dabei festgehalten, dass nach dem in Art31 Abs2 der Verfahrensrichtlinie aufgestellten Grundsatz die Verfahren zur Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz so rasch wie möglich bearbeitet werden müssen und zum Abschluss zu bringen sind, wobei es nicht zulässig sei, die Prüfung eines Antrages eines Familienmitgliedes bis zum Abschluss des Verfahrens zur Prüfung eines Antrages eines anderen Familienmitgliedes auszusetzen (EuGH 4.10.2018, C-652/16, Ahmedbekova, Rn 60). Auch der unionsrechtliche Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung spricht gegen die Aufhebung einer Entscheidung des BFA nur aus dem Grund, dass vor dem BFA das Verfahren eines Familienangehörigen anhängig ist.
15 Vor diesem Hintergrund schließt sich der Verwaltungsgerichtshof der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes in dem vom BVwG zitierten Erkenntnis (VfGH 18.9.2015, E1174/2014) nicht an. §34 Abs4 AsylG 2005 ist vielmehr dahingehend auszulegen, dass eine gemeinsame Führung der Verfahren nur dann zu erfolgen hat, wenn diese gleichzeitig beim BFA oder gleichzeitig im Beschwerdeverfahren beim Bundesverwaltungsgericht anhängig sind. Ist wie im vorliegenden Fall über den Antrag der mitbeteiligten Partei seitens des BFA bereits entschieden worden, ist §34 Abs4 AsylG 2005 im Verfahren der Ehefrau vor dem BFA bzw im Verfahren der mitbeteiligten Partei vor dem BVwG insoweit nicht anwendbar, als diese Verfahren nicht unter einem zu führen sind.
16 Erkennt das BFA der Ehefrau einen Schutzstatus zu, kann die mitbeteiligte Partei aufgrund dieser neu entstandenen Tatsache gestützt auf §34 Abs1 AsylG 2005 einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz stellen, weil in diesem Fall hinsichtlich §34 Abs2 und 3 AsylG 2005 keine entschiedene Sache vorliegt. Damit wird dem Ziel des §34 Abs4 AsylG 2005, allen Familienangehörigen denselben Schutzstatus zu gewähren, entsprochen.
17 Bestätigt das BVwG den Bescheid des BFA hinsichtlich der Nichtgewährung von Asyl und subsidiären Schutz mit Erkenntnis, bevor das Verfahren der Ehefrau abgeschlossen ist, hat das BVwG allerdings unter dem Blickwinkel des durch Art8 EMRK geschützten Familienlebens zu prüfen, ob die gegen die mitbeteiligte Partei erlassene Rückkehrentscheidung sowie die darauf aufbauenden Aussprüche aus überwiegenden öffentlichen Interessen geboten sind und die Familie eine vorübergehende, ihnen zuzumutende Trennung in Kauf nehmen müsste (vgl VwGH 28.4.2015, Ra 2014/18/0146). Der Ehefrau kommt nämlich auf Grund des anhängigen Asylverfahrens ein faktischer Abschiebeschutz nach §12 Abs1 AsylG 2005 zu, wodurch eine Abschiebung der mitbeteiligten Partei einen unzulässigen Eingriff in ihr Familienleben gemäß Art8 EMRK darstellen könnte."
5. In Anbetracht der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes im zitierten Erkenntnis hält der Verfassungsgerichtshof seine im Erkenntnis vom 18. September 2015, E1174/2014, geäußerte Auffassung nicht mehr aufrecht: Hiebei ist insbesondere auf das – auch vom Verwaltungsgerichtshof zitierte – Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 4. Oktober 2018, Rs. C-652/16, Ahmedbekova, zu verweisen, in welcher der Gerichtshof vor dem Hintergrund der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 L 337, 9, und der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. 2013 L 180, 60, neben der Wahrung des Familienverbandes auch die Beschleunigung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz als unionsrechtlich vorgegebenes Ziel betonte (vgl insbesondere Rz 60 des genannten Urteils).
Vor diesem Hintergrund geht der Verfassungsgerichtshof entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung nicht mehr davon aus, dass Verfahren betreffend mehrere Familienangehörige gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 in jedem Fall, dh auch dann, wenn sich die Verfahren in unterschiedlichen Verfahrensebenen (zB Verwaltungsbehörde einerseits und Bundesverwaltungsgericht andererseits) befinden, gemeinsam geführt werden müssen. Wie der Gerichtshof der Europäischen Union im genannten Urteil hervorhebt, muss in einem Fall getrennter Verfahrensführung aber zumindest eine "zeitliche Nähe" zwischen den verschiedenen Verfahren gewährleistet werden, damit die Behörde – falls einem Familienmitglied ein Schutzstatus zuerkannt wird – in der Lage ist, "innerhalb kurzer Zeit zu beurteilen, ob die Familienangehörigen dieser Person aufgrund der familiären Bindung untereinander ebenfalls bedroht sind" (vgl Rz 61 des genannten Urteils).
6. Auch sonst kann der Verfassungsgerichtshof keine in die Verfassungssphäre reichende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses erkennen:
So kann dem Bundesverwaltungsgericht aus verfassungsrechtlicher Perspektive nicht entgegengetreten werden, wenn es die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen wegen deren Widersprüchlichkeit als nicht glaubwürdig beurteilt und im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in den Heimatstaat keine Verletzung seiner verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art2 und 3 EMRK sowie gemäß dem 6. und 13. ZPEMRK annimmt. Die vom Bundesverwaltungsgericht hiebei herangezogene Berichtslage lässt sich zwar – in Ermangelung einer genauen Angabe der verwendeten Quellen – nicht näher überprüfen; dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass die mündliche Verkündung bloß die "wesentlichen Entscheidungsgründe" zu enthalten hat (vgl §29 Abs2 VwGVG; vgl auch VwGH 30.6.2016, Ra 2016/21/0178).
Desgleichen begegnen auch die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur Wahrung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Bundesverwaltungsgericht führt hiezu nachvollziehbar aus, dass der Beschwerdeführer kaum Kontakt zu seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn seit deren Ankunft in Österreich hatte. Aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung geht außerdem hervor, dass dessen Ehefrau eine Scheidung beabsichtigt.
Ob die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in jeder Hinsicht rechtmäßig ist, stellt eine einfachgesetzliche Frage dar, zu deren Beantwortung der Verwaltungsgerichtshof berufen ist.
7. Da somit die vom Beschwerdeführer beabsichtigte Rechtsverfolgung vor dem Verfassungsgerichtshof als offenbar aussichtslos erscheint, muss ihr unter einem mit der Beschwerde gestellter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita bis d ZPO abgewiesen werden (§63 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG).
IV. Ergebnis
1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Vorschrift verletzt wurde.
2. Die Beschwerde und der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe sind daher abzuweisen.
3. Diese Entscheidungen konnten gemäß §72 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG bzw §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Asylrecht, EU-Recht, Vorabentscheidung, EntscheidungsbegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2019:E5157.2018Zuletzt aktualisiert am
30.04.2019