Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner und Angela Taschek in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei DI (FH) ***** L*****, vertreten durch Dr. Alfred Hawel, Dr. Ernst Eypeltauer ua, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei O***** AG, *****, vertreten durch Dr. Ludwig Beurle, Dr. Rudolf Mitterlehner ua, Rechtsanwälte in Linz, wegen zuletzt 34.060,05 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Juni 2018, GZ 11 Ra 33/18d-16, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 1. März 2018, GZ 7 Cga 110/17g-13, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision der klagenden Partei wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Ersturteil zu lauten hat:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 15.463,40 EUR brutto samt 7,88 % Zinsen aus 3.865,84 EUR von 1. 3. bis 31. 3. 2016, aus 7.731,68 EUR von 1. 4. bis 30. 4. 2016, aus 11.597,52 EUR von 1. 5. bis 31. 5. 2016 und aus 15.463,40 EUR seit 1. 6. 2016 zu bezahlen.
Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 18.596,65 EUR brutto samt 8,38 % Zinsen aus 18.596,65 EUR seit 1. 2. 2010 zu bezahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.112,60 EUR (darin 185,43 EUR USt) bestimmten Prozesskosten zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 518,92 EUR bestimmten Barauslagen des Berufungsverfahrens und die mit 649,67 EUR bestimmten Barauslagen des Revisionsverfahrens zu ersetzen. Im Übrigen werden die Kosten der Rechtsmittelverfahren gegeneinander aufgehoben.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war von 1. 1. 2001 bis 31. 10. 2017 bei der Beklagten beschäftigt. Sein Dienstvertrag wurde als Sondervertrag bezeichnet. Strittig ist die Anwendbarkeit des Kollektivvertrags für die Angestellten der OÖ Landes-Hypothekenbanken (idF: KV) und die daran anknüpfende Betriebsvereinbarung 2 der O***** Aktiengesellschaft vom 1. 11. 1990 (idF: BV) auf sein Dienstverhältnis.
Der Kläger begehrte von der Beklagten zuletzt die Zahlung von 34.060,05 EUR brutto sA, davon 15.463,40 EUR an Entgeltfortzahlung für den Zeitraum 1. 2. bis 31. 5. 2016 und 18.596,65 EUR an Jubiläumsgeld. Auf ihn sei der KV zur Gänze anzuwenden, weil die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs 3 KV für ihn – im Detail dargelegt – nicht gegolten habe. Für den Zeitraum 1. 2. bis 31. 5. 2016 habe er im Zuge eines seit Juli 2015 andauernden, bloß durch eine Urlaubsvereinbarung für den Zeitraum 12. bis 18. 10. 2015 unterbrochenen Krankenstands nach § 9 Abs 1 KV „alt“ bzw § 20 Abs 1 lit a KV „neu“ Anspruch auf 49 % seines Gehalts gehabt, aber keine Zahlungen erhalten. Weiters habe er aufgrund einer Vordienstzeitenanrechnung von 27 Jahren im Jahr 2010 Anspruch auf das Jubiläumsgeld nach der BV in Höhe von 2,75 Monatsgehältern gehabt. Die Erhebung der Verjährungseinrede durch die Beklagte erfolge rechtsmissbräuchlich, weil der Kläger bei Abschluss des Dienstvertrags in die Irre geführt worden sei und erst im Rahmen einer arbeitsrechtlichen Beratung durch seinen Rechtsvertreter von der Anwendbarkeit (auch) der BV erfahren habe. Die Fehlinformation führe sogar zu einem Schadenersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte.
Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Nur die im Dienstvertrag angeführten Bestimmungen des KV und der BV seien auf den Kläger anzuwenden. Er sei – zusammengefasst – sowohl leitender Angestellter als auch Angestellter mit einer Spezialverwendung gewesen, die von der üblichen banktechnischen Arbeit abgewichen sei, weshalb der Abschluss des Dienstvertrags als Sondervertrag zulässig gewesen sei. Die Streitteile seien übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte aufgrund seiner Erkrankung am 13. 10. 2015 enden würden. Infolge Ablehnung einer Gesundschreibung des Klägers durch die OÖGKK habe die Beklagte mit dem Kläger freiwillig für die Woche von 12. bis 18. 10. 2015 eine Urlaubsvereinbarung abgeschlossen, damit er von 19. 10. 2015 bis 31. 1. 2016 das volle Entgelt erhalten könne. Vor diesem Hintergrund erfolge die Geltendmachung des Zuschusses für den nachfolgenden Zeitraum rechtsmissbräuchlich und berücksichtige darüber hinaus nicht die zwischenzeitig eingetretene Kollektivvertragsänderung im Zusammenhang mit der Bezugshöhe. Der Anspruch des Klägers auf Auszahlung des Jubiläumsgeldes aus dem Jahr 2010 sei verjährt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren nach Maßgabe des Sondervertrags und wegen Verjährung des Anspruchs auf Jubiläumsgeld ab. Dabei ging es von folgendem Sachverhalt aus:
Der Kläger war vor seiner Tätigkeit bei der Beklagten bei einer anderen Bank als Leiter des Sektor Kundenbetreuung tätig gewesen. In seiner zusätzlichen Funktion als Unternehmensberater kam er während seiner Tätigkeit für die andere Bank in Kontakt mit der Beklagten und begleitete ca zwei Jahre gewisse Abteilungen bei ihrer Umstrukturierung im Finanzierungsbereich. Bei der Beklagten entstand der Wunsch, den Kläger ins Unternehmen zu holen. Der Kläger wechselte mit 1. 1. 2001 zur Beklagten in die Funktion des Abteilungsleiter-Stellvertreters in der Abteilung Finanzierung. Der Kläger hatte bei seinem Wechsel zur Beklagten klare Gehaltsvorstellungen. Er wollte jenen Betrag verdienen, den er auch zuvor erhalten hatte. Die Beklagte schloss mit ihm einen Dienstvertrag „als Sondervertrag im Sinne des § 1 (3) b des Kollektivvertrages für die Angestellten der OÖ Landes-Hypothekenbanken vom 18. November 1983 in der ab 1. April 2000 geltenden Fassung“ ab. Nach diesem Vertrag kam ihm als Aufgabenbereich die Funktion eines Abteilungsleiter-Stellvertreters in der Abteilung Finanzierungen zu. Sein monatliches Gehalt sollte für die Dauer der Tätigkeit in der Bank (nicht dynamisiert) 88.571 ATS brutto, 14 mal jährlich, zuzüglich Familien- und Kinderzulage betragen. Soweit generelle Sonderzahlungen für die Bankbediensteten beschlossen werden, sollten sie auch dem Kläger zustehen. Die Rechtswirksamkeit dieses Vertrags begann am 1. 1. 2001 und war mit 31. 12. 2005 befristet. Der Sondervertrag sollte sich mangels anderslautender Mitteilung bis 31. 12. 2004 automatisch weiter verlängern. Die Führungsposition des Abteilungsleiter-Stellvertreters wurde ab Zuerkennung auf fünf Jahre befristet, längstens jedoch bis zu einer eventuellen Beendigung des Sondervertrages.
Weiter wurde vereinbart, dass auf das Dienstverhältnis folgende Bestimmungen des KV vom 1. 1. 1989 samt allen Ergänzungskollektivverträgen inklusive dem vom 1. 4. 2000 und der Betriebsvereinbarung 2 der O***** AG vom 1. 11. 1990 Anwendung finden:
„Kollektivvertrag:
§§ 3, 4, 8a (5), 9 (1) 1, 11 (1) (2) (3) (6) (7), 20a
Betriebsvereinbarung 2:
§§ 3 (5) (7) (12), 10, 11 (2a c), (3) (4) (5) (6), 12 (3) (4 vom Selbstbehalttarif) ...“
Der Kollektivvertrag enthielt im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses („KV alt“) folgende hier wesentliche Bestimmungen:
„§ 1 Räumlicher, fachlicher und persönlicher Geltungsbereich
Der Kollektivvertrag gilt:
…
(3) persönlich:
für alle Dienstnehmer mit Ausnahme von
a) …
b) Dienstnehmern mit Sonderverträgen, soweit in den Sonderverträgen nichts anderes vereinbart ist; solche Sonderverträge können nur mit Direktoren, leitenden Angestellten und Angestellten mit Spezialverwendung, soweit diese von der üblichen banktechnischen Arbeit abweicht, abgeschlossen werden.
§ 9 Bezüge im Krankheitsfall
(1) …
1. Im Allgemeinen gelten hinsichtlich der Fortzahlung des Entgeltes im Falle der Erkrankung eines Dienstnehmers die Bestimmungen der §§ 8 und 9 AngG mit der Maßgabe, dass das volle Entgelt auch dann bezahlt wird, wenn nach § 8 (1) und (2) AngG nur eine teilweise Entgeltzahlung gebührt.
2. Über die in § 8 AngG vorgesehenen Zeiträume hinaus erhalten im ungekündigten Dienstverhältnis stehende Dienstnehmer nach Vollendung einer fünfjährigen in der Bank verbrachten Dienstzeit als Angestellte bis zu einer Krankheitsdauer von sechs Monaten, nach Vollendung einer zehnjährigen in der Bank als Angestellter verbrachten Dienstzeit bis zu einer Krankheitsdauer von zwölf Monaten […] einen monatlichen Zuschuss zu den gesetzlichen Leistungen (Krankengeld, Familiengeld usw).
3. Dieser Zuschuss beträgt 49 % der vollen Geld- und Sachbezüge. ...
§ 10a Jubiläumsgeldanspruch
(1) Angestellte mit einer 25- bzw. 40-jährigen Dienstzeit in der Bank erhalten anläßlich des 25-jährigen Dienstjubiläums einen Monatsbezug und anläßlich des 40-jährigen Dienstjubiläums zwei Monatsbezüge als Jubiläumsgeld.
…“
Die maßgebliche Kollektivvertragslage (idF: KV „neu“) betreffend die Bezüge im Krankheitsfall lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 20 Bezüge im Krankheitsfall
(1) Für die im kündbaren Dienstverhältnis stehenden Dienstnehmer gelten für die Bezüge im Krankheitsfall folgende Bestimmungen:
a) Im Allgemeinen gelten hinsichtlich der Fortzahlung des Entgeltes im Falle der Erkrankung eines Dienstnehmers die Bestimmungen der §§ 8 und 9 AngG mit der Maßgabe, dass das volle Entgelt auch dann bezahlt wird, wenn nach § 8 (1) und (2) AngG nur eine teilweise Entgeltzahlung gebührt.
b) Über die im § 8 AngG vorgesehenen Zeiträume hinaus erhalten im ungekündigten Dienstverhältnis stehende Dienstnehmer nach Vollendung einer fünfjährigen in der Bank verbrachten Dienstzeit als Dienstnehmer bis zu einer Krankheitsdauer von sechs Monaten, nach Vollendung einer zehnjährigen in der Bank als Dienstnehmer verbrachten Dienstzeit bis zu einer Krankheitsdauer von zwölf Monaten […] einen monatlichen Zuschuss zu den gesetzlichen Leistungen (Krankengeld, Familiengeld usw).
c) Dieser Zuschuss beträgt 49 % der vollen Geld- und Sachbezüge, wobei jedoch der Zuschuss zusammen mit dem Krankengeld nicht mehr als die Entgeltleistung vor der Erkrankung abzüglich der Sozialversicherungsbeiträge des Dienstnehmers ausmachen darf. …“
§ 12 Abs 1 der am 1. 11. 1990 in Kraft getretenen Betriebsvereinbarung 2 (BV) sieht einen näher aufgeschlüsselten Anspruch auf Jubiläumsgeld nach einer Dienstzeit von 25 bzw 35 Jahren mit und ohne Vordienstzeitenanrechnung für näher definierte Dienstnehmer der Beklagten vor, die unter den persönlichen Geltungsbereich des jeweils gültigen KV fallen.
Zur Tätigkeit des Klägers stellte das Erstgericht fest: Als Abteilungsleiter-Stellvertreter hatte der Kläger keine Personalkompetenz was Ausbildung oder Einstellung bzw Beendigung der Dienstverhältnisse von Mitarbeitern betraf. Diese Aufgabe kam dem Abteilungsleiter selbst zu. Dessen Aufgaben übernahm er lediglich im Vertretungsfall. Bei seiner Tätigkeit für die Beklagte stellte der Kläger fest, dass jene Vorgaben, die er als Unternehmensberater für die Beklagte zuvor erarbeitet hatte, nicht umgesetzt wurden. Alle Kreditanträge, die hereinkamen, wurden daher an ihn weitergeleitet und kommentierte er diese im Sinne einer gutachterlichen Stellungnahme. Der Kläger wurde in weiterer Folge vom Vorstand aufgefordert, ein Konzept über das Finanzierungscontrolling zu erstellen. In dem Konzept war auch vorgesehen, dass der Kläger dann in dem operativen Bereich von diesem Finanzierungscontrolling tätig sein sollte. Dieses wurde neu ins Leben gerufen und hieß die Funktion des Klägers Gruppenleitung Finanzierungscontrolling. In dieser Funktion waren dem Kläger vier Mitarbeiter zugeordnet. Diese Funktion hatte er bis ins Jahr 2005 über. Anschließend übernahm er die Gruppenleitung Kredit-Portfoliosteuerung bis ins Jahr 2017. In dieser Funktion hatte der Kläger wiederum keine Mitarbeiter unter sich. Die Abteilungsleiter-Stellvertreterposition hatte der Kläger bis ins Jahr 2010 über.
Hätte die Beklagte mit dem Kläger keinen Sondervertrag abgeschlossen, so wäre das kollektivvertragliche Gehalt samt überkollektivvertraglicher Entlohnung geringer angesetzt gewesen als der Grundbezug nach dem Sondervertrag, weil der Kollektivvertrag gewisse zusätzliche Leistungen, wie gewisse zusätzliche Zulagen, Jubiläumsgeld sowie jährliche Kollektivvertragserhöhungen vorsieht. Die Überzahlung wäre aufzehrend gemacht worden, damit der überkollektivvertragliche Betrag nicht valorisiert wird und noch weiter ansteigt.
Der Kläger ging nach Eigenberechnung davon aus, dass er im Jahr 2010 die Voraussetzungen für das Jubiläumsgeld erfüllt hätte. Er sprach auch seinen unmittelbaren Vorgesetzten auf das Thema Jubiläumsgeld an. Unter Hinweis auf den Sondervertrag erhielt der Kläger das Jubiläumsgeld nicht gewährt.
Ab Juli 2015 befand sich der Kläger wegen einer schweren Erkrankung im Krankenstand. Der Entgeltfortzahlungsanspruch war mit 13. 10. 2015 erschöpft. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger allerdings noch nicht arbeitsfähig. Da der Kläger ab diesem Zeitpunkt nur mehr das Krankengeld bekommen hätte, versuchte man von Seiten der Beklagten dem Kläger eine Hilfestellung zu bieten und für die Woche von 12. 10. bis 18. 10. 2015 Urlaub zu vereinbaren, um den Entgeltfortzahlungsanspruch nochmals entstehen zu lassen. Von Seiten der OÖGKK bestanden diesbezüglich Bedenken, zumal der Kläger nicht arbeitsfähig war. Über Intervention konnte dies allerdings dann so durchgesetzt werden. Dies hatte zur Folge, dass beim Kläger nochmals ein voller Entgeltfortzahlungsanspruch für 98 Tage bis 31. 1. 2016 entstand. Er befand sich bis 31. 5. 2016 weiter im Krankenstand. In den Monaten Februar, März und April bezog der Kläger nur mehr (näher festgestelltes) Krankengeld.
Mit 31. 10. 2017 wurde das Dienstverhältnis des Klägers zur Beklagten infolge Pensionierung des Klägers beendet. Mit Schreiben vom 8. 11. 2017 machte er erstmals durch seinen Vertreter die klagsgegenständlichen Ansprüche geltend.
Das Berufungsgericht gab der gegen die Klagsabweisung erhobenen Berufung des Klägers keine Folge. Es ging davon aus, dass der Kläger als Spezialist ins Unternehmen der Beklagten geholt worden sei, um ein Finanzierungscontrolling aufzubauen. Die Betrauung mit dieser Aufgabe könne bei der Größe des Unternehmens der Beklagten nicht als übliche banktechnische Arbeit angesehen werden; eine solche läge nur bei Wahrnehmung von Aufgaben im Rahmen eines bereits vorhandenen (und funktionierenden) Finanzierungskontrollsystems vor. Da der Kläger als Angestellter mit Spezialverwendung iSd § 1 Abs 3 lit b KV alt anzusehen sei und sein Sondervertrag zur eingeschränkten Anwendung von KV und BV führe, erübrige sich die Frage, ob er auch leitender Angestellter iSd KV-Bestimmung sei. Selbst bei Anwendung der Normen der kollektiven Rechtsgestaltung auf den Kläger führte dies zu keiner klagsstattgebenden Entscheidung. Da er seit Juli 2015 ununterbrochen aufgrund derselben Erkrankung an der Erbringung seiner Dienste verhindert gewesen sei, habe er keinen Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 8 Abs 2 AngG erworben. Daher sei auch nicht der vom Kläger geltend gemachte kollektivvertragliche Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 9 Abs 1 Z 2 und 3 KV alt bzw § 20 Abs 1 lit b und c KV neu entstanden. Der Jubiläumsgeldanspruch solle nach den Klagsbehauptungen im Jahr 2010 entstanden sein, womit er infolge der am 30. 11. 2017 über einen Teilbetrag von 955,17 EUR brutto eingebrachten und in der Verhandlung vom 29. 1. 2018 auf 18.596,65 EUR brutto ausgedehnten Klage verjährt sei. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte den Kläger wider Treu und Glauben an einer fristgerechten Anspruchsverfolgung gehindert hätte, lägen nicht vor.
In seiner dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsstattgabe.
Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist zulässig und teilweise berechtigt, weil zur Anwendbarkeit des Kollektivvertrags auf den Kläger Korrekturbedarf besteht.
1. Zum Entgeltfortzahlungsanspruch
1.1. Der auf § 9 Abs 1 Z 2 und 3 KV alt (§ 20 Abs 1 lit c KV neu) gestützte Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers hängt von der Anwendbarkeit des Kollektivvertrags ab. Dieser gilt gemäß dessen § 1 Abs 3 lit b für alle Dienstnehmer mit Ausnahme von Dienstnehmern mit Sonderverträgen, soweit in den Sonderverträgen nichts anderes vereinbart ist; solche Sonderverträge können nur mit Direktoren, leitenden Angestellten und Angestellten mit Spezialverwendung, soweit diese von der üblichen banktechnischen Arbeit abweicht, abgeschlossen werden. Da die Bestimmungen in Kollektivverträgen, soweit sie die Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern regeln, durch Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag weder aufgehoben noch beschränkt werden können (§ 3 Abs 1 S 1 ArbVG), kann auch die Bezeichnung eines Dienstvertrags als Sondervertrag der Anwendung des Kollektivvertrags nicht entgegenstehen, wenn kein Ausnahmetatbestand iSd § 1 Abs 3 lit b 2. HS KV erfüllt ist. Davon kommen hier nur die beiden Letztgenannten (leitender Angestellter; Angestellter mit Spezialverwendung, soweit diese von der üblichen banktechnischen Arbeit abweicht) in Frage.
1.2. Zur Zulässigkeit von Sonderverträgen nach § 36 VBG entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass es aufgrund des Ausnahmecharakters dieser Bestimmung und der Notwendigkeit einer strengen Auslegung nicht auf die vereinbarten, sondern auf die tatsächlich geleisteten Dienste ankommt (s RIS-Justiz RS0008975; RS0081680 [T14, T15]). Den Kollektivvertragsparteien kann hier kein anderer Regelungswille unterstellt werden, weil die Bestimmungen des Kollektivvertrags sonst leicht zu umgehen wären.
1.3. Nach dem Gesamtbild der Feststellungen wurde der Kläger als Spezialist in das Unternehmen der Beklagten „geholt“, um aufgrund seiner Vorkenntnisse und der Vertrautheit mit ihrem Finanzierungsbereich deren Finanzierungscontrolling aufzubauen. Ob seine Tätigkeit tatsächlich von Beginn an darauf gerichtet war, lässt sich den Feststellungen nicht mit Sicherheit entnehmen („Der Kläger wurde in weiterer Folge vom Vorstand aufgefordert, ein Konzept über das Finanzierungscontrolling zu erstellen.“). Dennoch ist der Sachverhalt nicht ergänzungsbedürftig.
1.4. Zu einer Qualifikation des Klägers als Angestellter mit Spezialverwendung, soweit diese von der üblichen banktechnischen Arbeit abweicht:
Der Begriff der „üblichen“ banktechnischen Arbeit ist schon nach seinem Wortsinn auf im Bankgeschäft in dieser Art immer wieder vorkommende Tätigkeiten zu beziehen. Auch wenn man mit den Vorinstanzen davon ausgeht, dass der Aufbau eines Finanzierungskontrollsystems eine einmalige Arbeit darstellt, die – wie hier – der Kenntnisse und Fähigkeiten eines externen Spezialisten bedurfte und damit noch nicht zur „üblichen“ banktechnischen Arbeit gezählt werden kann, ist zu beachten, dass der Kläger diese Aufbauarbeit abschloss und sodann bis ins Jahr 2005 im operativen Bereich des Finanzierungscontrolling in der Funktion der Gruppenleitung Finanzierungscontrolling und anschließend, dh von 2005 bis 2017, in der Funktion der Gruppenleitung Kredit-Portfoliosteuerung tätig war. Warum diese vom Kläger über viele Jahre ausgeübten Funktionen nicht zu den üblichen banktechnischen Arbeiten gehören sollten, ist nicht ersichtlich, zählen doch beide Funktionen zu den fortwährenden Aufgabenbereichen eines der Kerngeschäfte von Banken. Auch wenn danach die Voraussetzungen des § 1 Abs 3 lit c KV im Zeitpunkt des Abschlusses des (befristeten) Sondervertrags vorgelegen sein mögen, war dies jedenfalls nach Fristablauf, als es ohne weitere Prüfung zur Verlängerung des Vertrags kam, nicht mehr der Fall. Dass die Beklagte die Voraussetzungen dafür zum Zeitpunkt der Vertragsverlängerung nicht weiter prüfte (oder auch irrig als weiter gegeben erachtete), darf iSd § 3 Abs 1 ArbVG aber nicht dazu führen, dass dem Kläger bei der Verlängerung seines Dienstvertrags einzelvertraglich der Schutz des Kollektivvertrags entzogen wird.
1.5. Dies käme alternativ nur dann in Frage, wenn der Kläger als leitender Angestellter iSd § 1 Abs 3 lit b KV anzusehen wäre. Aber auch das ist nicht der Fall:
Grundsätzlich ist bei Übernahme gesetzlicher Begriffe durch einen Kollektivvertrag im Zweifel davon auszugehen, dass der Kollektivvertrag diese Begriffe im gleichen Sinne verwendet wie das Gesetz; eine davon abweichende Absicht der Kollektivvertragsparteien muss daher klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden (RIS-Justiz RS0008761). Der Begriff des leitenden Angestellten wird zwar in mehreren Gesetzen mit teilweise abweichendem Begriffsverständnis verwendet. Für den leitenden Angestellten nach § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG ist entscheidend, ob der Dienstnehmer Personalbefugnisse (Einstellung, Kündigung, Gehaltsfragen, Anordnung von Überstunden) hat, weil er vor allem durch Ausübung von Arbeitgeberfunktionen in einen Interessengegensatz zu anderen Arbeitnehmern geraten kann (RIS-Justiz RS0051002; RS0051011; RS0050979), während die Ausnahmen der § 1 Abs 2 Z 8 AZG und § 1 Abs 2 Z 5 ARG darin begründet sind, dass der Aufgabenbereich leitender Angestellter eine Bindung an fixe Arbeitszeitgrenzen und an die Arbeitszeitverteilung des AZG kaum zulässt, sich diese Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit weitgehend selbst einteilen können und gewöhnlich ein überdurchschnittliches Entgelt beziehen (RIS-Justiz RS0052228; s auch RS0051261). Bereits in der Entscheidung 8 ObA 187/97a wurde mit Blick auf eine vergleichbare Ausnahmebestimmung eines Bank-Kollektivvertrags nach dem Vorbild der „Gegnerunabhängigkeit“ auf leitende Angestellte mit Arbeitgeberfunktion Bezug genommen. Das kann hier nicht anders gelten. Die Bezugnahme auf eine arbeitgeberähnliche Funktion liegt schon durch die Gleichstellung mit den vom KV ausgenommenen Direktoren nahe. Vergleichbar sachgerechte Gründe dafür, dass die Kollektivvertragsparteien leitende Angestellte mangels Bindung an Arbeitszeiten und -grenzen vom allgemeinen Schutz des Kollektivvertrags ausnehmen wollten, sind dagegen nicht erkennbar (s auch 9 ObA 109/98i: Geschäftsstellenleiter einer Bank: kein leitender Angestellter). Dementsprechend kam dem Kläger aber nicht die Qualifikation eines leitenden Angestellten zu, weil er über keine maßgeblichen Personalbefugnisse verfügte. Er unterlag damit keiner Ausnahme iSd § 1 Abs 3 lit b KV.
1.6. Darauf, dass der Kläger durch die überkollektivvertragliche Entlohnung iSd § 3 Abs 1 S 2 ArbVG günstiger gestellt würde, hat sich die Beklagte zu Recht nicht berufen: Für die Beurteilung der Günstigkeit sind nur jene Gruppen von Bestimmungen vergleichbar, die in einem rechtlichen und sachlichen Zusammenhang stehen (§ 3 Abs 2 ArbVG), was auf das Verhältnis zwischen überkollektivvertraglicher Entlohnung und kollektivvertraglicher Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aufgrund ihres unterschiedlichen Zwecks nicht ohne Weiteres zutrifft. Von einer Günstigkeit wäre hier aber auch nicht im Verhältnis zwischen der im Oktober 2015 vereinbarten Zusage einer vollen Entgeltfortzahlung bis 31. 1. 2016 und der kollektivvertraglichen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auszugehen, weil der Kläger nach seinem Vorbringen sonst Krankengeld beanspruchen hätte können und sein Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 9 Abs 1 Z 2 und 3 KV alt (§ 20 Abs 1 lit c KV neu) überdies über den 31. 1. 2016 hinausgeht. Die Bezeichnung des (verlängerten) Dienstvertrags des Klägers als „Sondervertrag“ ist danach insgesamt nicht geeignet, dem Kläger die Anwendbarkeit jener kollektivvertraglichen Bestimmungen zu entziehen. Anhaltspunkte für einen Rechtsmissbrauch durch den Kläger liegen nicht vor.
1.7. Die Auslegung des § 9 Z 2 KV alt (§ 20 Abs 1 KV neu) durch das Berufungsgericht, nach der der kollektivvertragliche Entgeltfortzahlungsanspruch den Erwerb eines – vom Berufungsgericht verneinten – Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 8 Abs 2 AngG voraussetzen soll, findet in dieser Bestimmung keine Entsprechung. Sie liefe ihrem offenkundigen Zweck (vgl RIS-Justiz RS0008828; RS0008897), einem Dienstnehmer auch bei einem einzigen längerfristigen Krankheitsfall eine über das gesetzliche Ausmaß hinausgehende Fortzahlung seines Entgelts zu sichern, zuwider. Der Klagsanspruch besteht daher insoweit zu Recht.
1.8. Die Beklagte wendet gegen diesen Anspruch auch dessen Unschlüssigkeit ein, weil der Kläger zur Höhe der in Abzug zu bringenden Sozialversicherungsbeiträge nichts vorgebracht habe. Richtig ist, dass der Anspruch gemäß § 20 Abs 1 lit c KV (neu) dahin gedeckelt ist, dass der Zuschuss zusammen mit dem Krankengeld nicht höher als die Entgeltleistung vor der Erkrankung abzüglich der Sozialversicherungsbeiträge des Dienstnehmers sein darf. Für eine solche allenfalls anspruchsbegrenzende Tatsache trägt aber die Beklagte die Behauptungs- und Beweislast (vgl RIS-Justiz RS0106638 ua).
2. Zum Anspruch auf Jubiläumsgeld
2.1. Im Hinblick auf das Jubiläumsgeld bestreitet der Kläger nicht, dass der Anspruch nach § 1486 Z 5 ABGB der dreijährigen Verjährungsfrist unterliegt. Ausgehend von seinem erstinstanzlichen Vorbringen, dass er aufgrund einer Vordienstzeitenanrechnung von 27 Jahren 2010 Anspruch auf das Jubiläumsgeld in Höhe von 2,75 Monatsgehälter gehabt hätte, erachtete das Berufungsgericht den Anspruch zutreffend als verjährt. Auf dessen Beurteilung kann verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). Die dagegen gerichteten Revisionsausführungen gehen dahin, dass fünf Jahre (Aufbau eines funktionierenden Finanzierungskontrollsystems,
2001–2005) für die für das Jubiläumsgeld erforderliche Zeit weggefallen sein könnten, womit der Anspruch jedenfalls 2015 entstanden wäre, verstoßen damit aber gegen das Neuerungsverbot.
2.2. Das Vorbringen des Klägers, dass ihn die Beklagte bewusst über die (Nicht-)Anwendbarkeit der entsprechenden kollektivvertraglichen und betriebsvereinbarungsrechtlichen Bestimmungen getäuscht habe, trifft nach dem festgestellten Sachverhalt nicht zu. Die bloße Einnahme einer bestimmten Rechtsansicht führt noch nicht dazu, dass dem Dienstnehmer im Sinn der Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0034487 [T8] ua) treuwidrig die Geltendmachung seiner Ansprüche erschwert oder praktisch unmöglich gemacht würde.
3. Da die Revision des Klägers danach teilweise berechtigt ist, ist ihr im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 43, 50 ZPO. Dabei war im ersten Verfahrensabschnitt (ursprünglicher Streitwert: 140.000 EUR) von einem Obsiegen des Klägers mit 11,05 % und im zweiten Verfahrensabschnitt (Klagseinschränkung 29. 1. 2018) von einem Obsiegen des Klägers mit 45,40 % auszugehen. Für den ersten Verfahrensabschnitt ergibt sich daraus eine Ersatzquote von 77,9 % zugunsten der Beklagten (Barauslagen Klägerin: 11,05 %; Barauslagen Beklagte: 88,95 %), für den zweiten Verfahrensabschnitt und die Rechtsmittelverfahren eine Kostenaufhebung (Barauslagen Klägerin: 45,40 %; Barauslagen Beklagte: 54,60 %).
Textnummer
E124343European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00089.18F.0124.000Im RIS seit
21.03.2019Zuletzt aktualisiert am
15.05.2020