TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/22 G313 2123761-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.10.2018
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Entscheidungsdatum

22.10.2018

Norm

B-VG Art.133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
NAG §55 Abs3

Spruch

G313 2123761-1/32E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Polen, vertreten durch RA Mag. Eva-Maria SCHMELZ, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.03.2016, Zahl: XXXX, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid

aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit im Spruch angeführten Bescheid, dem BF persönlich zugestellt am 09.03.2016, wurde der BF gemäß §§ 66 Abs. 1 FPG iVm. 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und dem BF gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt. (Spruchpunkt II.).

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, wobei beantragt wurde, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und der Beschwerde stattzugeben.

3. Mit Erkenntnis des BVwG vom 29.01.2018 wurde diese Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

4. Dagegen wurde fristgerecht Revision erhoben. Im Zuge des Revisionsverfahrens wurde mit Schreiben von Mai 2017 vorgebracht, dass seit Ende 2008 eine aufrechte Lebensgemeinschaft zwischen dem BF und seiner Lebensgefährtin bestehe, und dieses Vorbringen mit gleichlautenden eidesstattlichen Erklärungen des BF und seiner Lebensgefährtin belegt.

5. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30.08.2018, Zl. Ra 2018/21/0049-13, wurde das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist am XXXX in Polen geboren und ist polnischer Staatsangehöriger.

1.2. Er weist im Bundesgebiet erstmals eine Hauptwohnsitzmeldung ab Mai 2006 auf und führt mit seiner Lebensgefährtin seit Ende des Jahres 2008 eine Lebensgemeinschaft. Von Ende Juni 2011 bis Ende Mai 2016 wohnten sie an einer Wohnsitzadresse zusammen. Nach seiner Abschiebung nach Polen am 21.03.2018 ist der BF wieder nach Österreich zurückgekehrt.

1.3. Der BF war im Bundesgebiet von Mai bis Oktober 2006 gewerblich selbstständig erwerbstätig und übte dabei das Gewerbe des Verspachtelns von bereits montierten Gipskartonplatten unter Ausschluss jeder einem reglementierten Gewerbe vorbehaltenen Tätigkeit aus, in den Zeiträumen von November bis Dezember 2011 und von Jänner bis Februar 2012 bei einer Firma in Österreich geringfügig, und von Jänner bis August 2014 Arbeiter bei einer Baufirma beschäftigt. Seine Tätigkeit bei der Baufirma hat schwerwiegende gesundheitliche Probleme des BF mit seiner Wirbelsäule ausgelöst, die Röntgenaufnahmen und Arztbesuche nach sich gezogen haben.

BF bezog im Zeitraum von Februar 2015 bis April 2015 - abgesehen von kurzfristiger krankheitsbedingter Unterbrechung - Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, woraufhin bis Juni 2015 ein Krankengeldbezug folgte. Nach letztem Arbeitsverhältnis folgte nur eine eintägige Beschäftigung bei einem weiteren Dienstgeber.

1.4. Der BF wurde im Bundesgebiet rechtskräftig strafrechtlich verurteilt, und zwar

* mit Urteil von November 2014 wegen Verleumdung und falscher Beweisaussage zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, und

* mit Urteil von April 2018 wegen versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren.

1.5. Der BF wurde am 21.03.2018 in das Herkunftsland des BF "Polen" abgeschoben.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Zur Person und zu seinen individuellen Verhältnissen:

2.2.1. Die Identitätsfeststellungen beruhen auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

2.2.2. Die Feststellungen zum bisherigen Aufenthalt und zum Wohnsitz in Österreich ergeben sich aus den Eintragungen im Zentralen Melderegister (ZMR). Dass der BF am 21.03.2018 aus dem Bundesgebiet ausgereist ist, beruht auf einem Fremdenregisterauszug.

2.2.3. Die Feststellungen betreffend die privaten Verhältnisse des BF in Österreich ergeben sich aus dem Vorbringen des BF und seiner Lebensgefährtin sowie dem diesbezüglich unstrittigen Akteninhalt. Der BF gab in einer schriftlichen Stellungnahme von September 2015 an, seit mehr als acht Jahren mit seiner Lebensgefährtin in einer aufrechten Lebensgemeinschaft zu leben (AS 35f), in seiner schriftlichen Stellungnahme von November 2017 gab er an, seine Lebensgemeinschaft bestehe seit acht Jahren (AS 48f), diesen beiden Angaben zufolge somit seit "2007".

Mit schriftlicher Stellungnahme von Mai 2017 wurde dem BVwG bekannt gegeben, dass der BF bereits seit Ende des Jahres 2008 eine aufrechte Lebensgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin führt und im Bundesgebiet zunächst von Ende 2008 bis Ende Juni 2011 und dann von Ende Juni 2011 bis Ende Mai 2016 an anderer Adresse zusammengewohnt habe. Mit dieser Stellungahme wurden eidesstattliche Erklärungen des BF und seiner Lebensgefährtin darüber vorgelegt.

Mit einer eidesstattlichen Erklärung wird die Richtigkeit einer Aussage bzw. eines Sachverhaltes versichert. Die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Erklärung vor einem Gericht ist jedenfalls strafbar.

Ein von Ende 2008 bis Ende Juni 2011 im Bundesgebiet gemeinsamer Wohnsitz scheint im Zentralen Melderegister nicht auf. Trotz im Zentralen Melderegister aufscheinender Meldelücke wird diesbezüglich jedoch von der Glaubwürdigkeit dieser Angabe ausgegangen, ebenso wie das in eidesstattlichen Erklärungen des BF und seiner Lebensgefährtin angeführte Zusammenwohnen von Ende Juni 2011 bis Ende Mai 2016 trotz nicht durchgehender gemeinsamer Wohnsitzmeldung in diesem Zeitraum für glaubwürdig erachtet wird. Aufgrund des Erkenntnisses des VwGH vom 30.08.2018 ist ein Auszug aus einem Melderegister lediglich als Indiz zu werten.

Obwohl der BF mit der seiner strafrechtlicher Verurteilung von 2014 neben Verleumdung auch zugrunde liegenden falschen Beweisaussage gezeigt hat, nicht Scheu davor zu haben, gegebenenfalls auch vor einem Strafgericht falsche Angaben über kriminelle Machenschaften zu machen, musste den mit schriftlicher Stellungnahme von Mai 2017 beigelegten gleichlautenden eidesstattlichen Erklärungen des BF und seiner Lebensgefährtin über eine zwischen ihnen bereits seit Ende 2008 bestehende Lebensgemeinschaft gegenüber davon abweichenden Angaben im Verfahren Vorrang eingeräumt und von einer bereits seit Ende des Jahres 2008 bestehenden Lebensgemeinschaft ausgegangen werden.

2.2.4. Die Feststellungen zu dem Umstand, dass der BF aktuell mit seiner Lebensgefährtin krankenversichert ist, beruht ebenso auf einem AJ-WEB - Auskunftsverfahrensauszug vom 02.10.2018 wie seine bisherige Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet.

Dass der BF seinen Lebensunterhalt in Österreich nunmehr bestreiten kann, geht aus folgenden Umständen hervor:

Eine in Österreich für den BF bestehende existenzbedrohende Situation wurde durch das E-Mail der zuständigen Magistratsabteilung vom 02.11.2015, wonach der BF keine Mindestsicherung/Sozialhilfe beziehe, ausgeschlossen.

Der BF wies seine Berechtigung zur Ausübung des Gewerbes "Verspachteln von bereits montierten Gipskartonplatten" mit einer nachgereichten Gewerbeanmeldung vom 02.05.2006 und seine Befähigung zu seiner in Österreich auch ausgeübten Schweißertätigkeit mit einer in Polen ausgestellten Schweißer-Prüfungsbescheinigung nach (AS 43).

Dass der BF mit dem AMS laufend in Kontakt stehe, ergibt sich aus den diesbezüglich übermittelten Unterlagen.

Dass auch die Lebensgefährtin des BF als Hausbesorgerin in einem aufrechten Dienstverhältnis steht und aus dieser Tätigkeit ein regelmäßiges Einkommen bezieht, ergibt sich aus den mit Stellungnahme vom 10.11.2015 nachgereichten Unterlagen - einem Hausbesorger-Dienstvertrag über ein auf unbestimmte Zeit abgeschlossenes Dienstverhältnis mit Beginn September 2014 und einer monatlichen Bruttoentlohnung in Höhe von € 400,-, und übermittelten Lohn-/Gehaltsabrechnungen von Jänner, Juni und Juli 2015.

2.2.5. Die Feststellungen zu den strafrechtlichen Verurteilungen des BF im Bundesgebiet beruhen auf einem Strafregisterauszug und dem diesbezüglichen Akteninhalt.

2.2.6. Die Feststellung zu seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ergibt sich aus den zu seinem Gesundheitszustand übermittelten ärztlichen /medizinischen Bescheinigungen.

2.2.7. Die Ausreise des BF nach Polen am 21.03.2018 ergibt sich aus einem Fremdenregisterauszug die Wiedereinreise in das Bundesgebiet aus einem Melderegisterauszug.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Aufhebung des Bescheides:

3.1.1. Der mit "Ausweisung" betitelte § 66 FPG idgF lautet:

"§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist."

Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate

"§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen."

Anmeldebescheinigung

"§ 53. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie folgende Nachweise vorzulegen:

1. nach § 51 Abs. 1 Z 1: eine Bestätigung des Arbeitgebers oder ein Nachweis der Selbständigkeit;

2. nach § 51 Abs. 1 Z 2: Nachweise über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz;

3. nach § 51 Abs. 1 Z 3: Nachweise über die Zulassung zu einer Schule oder Bildungseinrichtung und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz sowie eine Erklärung oder sonstige Nachweise über ausreichende Existenzmittel;

4. nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;

5. nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern ab Vollendung des 21. Lebensjahres und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung;

6. nach § 52 Abs. 1 Z 4: ein Nachweis des Bestehens einer dauerhaften Beziehung mit dem EWR-Bürger;

7. nach § 52 Abs. 1 Z 5: ein urkundlicher Nachweis einer zuständigen Behörde des Herkunftsstaates der Unterhaltsleistung des EWR-Bürgers oder des Lebens in häuslicher Gemeinschaft oder der Nachweis der schwerwiegenden gesundheitlichen Gründe, die die persönliche Pflege durch den EWR-Bürger zwingend erforderlich machen."

Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate

"§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG idgF lautet wie folgt:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

3.1.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die gegenständliche Beschwerde als begründet. Dies ausfolgenden Erwägungen:

Nach Art. 7 Abs. 1 lit. a und b der Freizügigkeitsrichtlinie hat jeder Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist, oder für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, sodass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen.

Nach Art. 8 Abs. 4 der Freizügigkeitsrichtlinie dürfen die Mitgliedstaaten keinen festen Betrag für die Existenzmittel festlegen, die sie als ausreichend betrachten, sondern müssen die persönliche Situation des Betroffenen berücksichtigen. Dieser Betrag darf in keinem Fall über dem Schwellenbetrag liegen, unter dem der Aufnahmemitgliedstaat seinen Staatsangehörigen Sozialhilfe gewährt, oder, wenn dieses Kriterium nicht anwendbar ist, über der Mindestrente der Sozialversicherung des Aufnahmemitgliedstaats.

Gemäß § 66 Abs. 1 FPG können u.a. EWR-Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Soll ein EWR-Bürger oder ein begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat die Behörde insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen (§ 66 Abs. 2 FPG). Nach Abs. 3 dieser Bestimmung ist die Erlassung einer Ausweisung gegen u.a. EWR-Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Wenn das Aufenthaltsrecht nach §§ 51, 52 und 54 NAG nicht besteht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 NAG nicht erbracht werden, oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen gemäß § 55 Abs. 3 NAG davon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass die Fremdenpolizeibehörde hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Die Fremdenpolizeibehörde ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller zu befassen.

Gemäß § 53a Abs. 1 NAG erwerben EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

Gemäß § 51 Abs. 1 NAG sind EWR-Bürger auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder (...).

Gemäß § 51 Abs. 2 Z. 1 NAG bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist.

Gemäß § 53a Abs. 2 Z. 1 NAG wird die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet nicht unterbrochen von Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr.

Im gegenständlichen Fall weist der BF von 28.06.2011 bis 25.04.2013 und dann nach viermonatiger Meldeunterbrechung von 26.08.2013 bis 18.07.2018 eine durchgehende Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet auf und hat sich demzufolge jedenfalls insgesamt bereits fünf Jahre ununterbrochen iSv § 53a Abs. 1 NAG im Bundesgebiet aufgehalten.

Bereits kurze Zeit nach seiner Einreise in Österreich war der BF von Mai bis Oktober 2006 gewerblich selbstständig. Sein Tätigkeitsbereich war "Verspachteln von bereits montierten Gipskartonplatten unter Ausschluss jeder einem reglementierten Gewerbe vorbehaltenen Tätigkeit".

Der BF ging in den Zeiträumen von November 2011 bis Dezember 2011 und von Jänner 2012 bis Februar 2012 geringfügigen Beschäftigungen nach. Dann stand er von 13.10.2014 bis 29.08.2014 in einem Arbeitsverhältnis bei einer Baufirma. In der Zeit seines Arbeitsverhältnisses bei dieser Baufirma übt der BF jedenfalls eine "tatsächliche und echte Tätigkeit" aus, die keinen so geringen Umfang hat, dass es sich um eine "völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit" handelt. Die Höhe der Vergütung, die der Arbeitnehmer erhält, ist ebenso wenig von alleiniger Bedeutung wie das Ausmaß der Arbeitszeit und die Dauer des Arbeitsverhältnisses (VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0130, Rn. 13).

Aus dieser Tätigkeit resultierten gesundheitliche Wirbelsäulenprobleme und demzufolge eine gesundheitlich bedingte Arbeitsunfähigkeit und ein Arbeitslosengeldbezug von Februar 2015 bis April 2015.

Nach Krankengeldbezug von 16.05.2015 bis 05.06.2015 hat der BF mit dem AMS am 19.08.2015 eine bis 19.02.2016 gültige Betreuungsvereinbarung abgeschlossen. Dem BF wurde in einem arbeitsmedizinischen Leistungsprofil der Beratungs- und Betreuungseinrichtung vom 08.09.2015 - nach zuletzt von 16.04.2015 bis 05.06.2015 bezogenen Krankengeld - eine stark eingeschränkte Arbeitsfähigkeit bescheinigt. Diese stellte offensichtlich ein Hindernis bei seiner Suche nach einer neuerlichen Vollzeitbeschäftigung dar. Die Arbeitssuche des BF nach einer Vollzeitbeschäftigung als Schlosser bzw. Kanalbauarbeiter blieb vergeblich, dem BF kommt nach Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes jedoch auch für die Zeit seiner Arbeitssuche wegen "nachhaltigen Bemühens um eine Arbeitsstelle, das objektiv nicht aussichtslos ist, ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu (VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0130). Ein nachhaltiges Bemühen des BF um eine Arbeitsstelle hatte zur Folge, dass der BF jedenfalls mit einer Firma ein Gespräch mit Aussicht auf ein Arbeitsverhältnis in nächster Zeit hatte, wurde der BF doch ersucht, sich Ende Februar, Anfang März 2017 bei besserer Auftragslage wieder dort zu melden. Nach Beendigung seines letzten Arbeitsverhältnisses im August 2015 ging der BF tatsächlich jedoch nur im Oktober 2017 einer eintägigen geringfügigen Beschäftigung nach. Der BF gab in einer schriftlichen Stellungnahme vom 31.10.2017 an, das Bemühen des BF um mehr Beschäftigungsstunden bei seinem Arbeitgeber und um Erlangung eines weiteren Beschäftigungsverhältnisses sei bisher vergeblich geblieben.

Dass der BF nach eintägiger Beschäftigung im Oktober 2017 nicht bei demselben Dienstgeber und auch bei keinem weiteren Dienstgeber weiter beschäftigt werden konnte, ist aufgrund seiner laut eigenen Angaben "gesundheitlichen Probleme".

Aufgrund seiner im Bundesgebiet nachgegangen Erwerbstätigkeit und seines nachhaltigen Bemühens um eine Arbeitsstelle kommt dem BF jedenfalls eine unionsrechtliche Aufenthaltsberechtigung iSv § 51 Abs. 1 Z. 1 NAG zu. Dass auch auf den letzten Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit dem Aufenthaltszweck "Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer)" vom 09.12.2013 wie auf seinen zuvor am 20.09.2012 gestellten Antrag kein dementsprechender Aufenthaltstitel folgte, steht einer unionsrechtlichen Aufenthaltsberechtigung des BF nicht entgegen.

Der BF hat einen - abgesehen von kurzfristigen Unterbrechungen iSv § 53a Abs. 2 Z. 1 NAG - ununterbrochenen Aufenthalt des BF seit Erstmeldung am 28.06.2011 zugrunde legend jedenfalls ein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht iSv § 53a Abs. 1 NAG im Bundesgebiet erworben, war der BF doch nach seinem Arbeitsverhältnis bei einer Baufirma Ende August 2014 vorübergehend arbeitsunfähig iSv § 51 Abs. 2 Z. 1 NAG und - nachweislich gesundheitlich stark eingeschränkt - "nachhaltig" weiter auf der Suche nach einer Vollzeitbeschäftigung und hat er ohne sein Verschulden keine Verlängerung seines im Oktober 2017 eintägigen Beschäftigungsverhältnisses erwirken können.

Bei einem bereits erworbenen Daueraufenthaltsrecht ist nach § 66 Abs. 1 FPG, letzter Teilsatz, eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Nach analog heranzuziehendem Einreiseverbotstatbestand nach § 53 Abs. 3 Z. 1 FPG kann eine schwerwiegende Gefahr bei einer strafrechtlichen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder bei einer rechtskräftigen Verurteilung wegen mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen.

Im gegenständlichen Fall wurde der BF im Jahr 2014 wegen Verleumdung und falscher Beweisaussage zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig strafrechtlich verurteilt, wobei die Freiheitsstrafe im Mai 2018 nachgesehen wurde. Im April 2018 wurde der BF wegen versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

In dieser Entscheidung vorangegangener Entscheidung von Jänner 2018 wurde im Hinblick auf eine im Bundesgebiet vorliegende Gefahr der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auf die strafrechtliche Verurteilung des BF von 2014 Bezug genommen.

Der Verwaltungsgerichtshof führte in seiner Entscheidung vom 30.08.2018, Zl. Ra 2018/21/0049-13, mit dem das angefochtene Erkenntnis des BVwG vom 29.01.2018 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behoben wurde, in Rz 15 begründend aus:

"15 (...) wurde jedoch zunächst verkannt, dass die (fallbezogen gerade noch vorliegende) Erfüllung des genannten Tatbestandes des § 53 Abs. 3 FPG (idF des FrÄG 2017), der im gegebenen Zusammenhang auf die gerichtliche Verurteilung zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe "von mindestens sechs Monaten" abstellt, für sich genommen nicht zur Annahme einer schwerwiegenden Gefahr im Sinne des letzten Halbsatzes des § 66 Abs. 1 FPG ausreicht. Im Übrigen räumt das BVwG selbst ein, dass die Straftaten des (bis dahin unbescholtenen) Revisionswerbers "bereits eine Zeit lang" zurückliegen, seit der Tatbegehung im Oktober 2011 und im Oktober 2012 bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses nämlich konkret mehr als sechs bzw. fünf Jahre, wobei sich der Revisionswerber seither wohlverhalten hat. Angesichts dessen war die Annahme des BVwG zum Vorliegen einer - erhöhten (siehe zu den abgestuften Gefährdungsmaßstäben etwa VwGH 26.1.2017, Ra 2016/21/0370, Rn 8, mit dem Hinweis auf VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181) - Gefährdung im Sinne des § 66 Abs. 1 letzter Halbsatz FPG fallbezogen keinesfalls gerechtfertigt."

Diesbezüglich ist zu anzuführen, dass nach rechtskräftiger strafrechtlicher Verurteilung des BF im November 2014 zwar bis zur Entscheidung des BVwG von Jänner 2018 keine weitere strafrechtliche Verurteilung mehr gefolgt ist, jedoch danach - im April 2018 wegen versuchter Nötigung, welche strafbare Handlung eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, nach sich gezogen hat. Im Mai 2018 wurde die Freiheitsstrafe des ersten Strafrechtsurteils von November 2014 endgültig nachgesehen.

Soweit vom BVwG in seiner Entscheidung von Jänner 2018 keine einer Ausweisung entgegenstehenden privaten Interessen erkannt wurden, wurde vom Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung von 30.08.2018 in Rz 20 Folgendes ausgeführt:

"20 Der Ausweisung entgegenstehende "private Interessen" konnte das BVwG nicht erkennen, weil nach dem "seitens des BVwG ergänzend aufgenommenen Sachverhalt" zwischen dem Revisionswerber und seiner Lebensgefährtin "aufgrund kurzzeitiger gemeinsamer Hauptwohnsitzmeldung" vom 1. Juli 2014 bis 8. Juni 2016 und seit 30. November 2016 "von keiner Art. 8 EMRK begründenden Beziehungsintensität" ausgegangen werden könne. Mit der Bezugnahme auf die Meldedaten hatte das BVwG schon im Rahmen der Beweiswürdigung, das Vorbringen des Revisionswerbers, er halte sich bereits seit 2006 "nahezu durchgehend" in Österreich auf und lebe mit seiner (polnischen) Lebensgefährtin seit Ende 2008 im gemeinsamen Haushalt, trotz Vorlage entsprechender schriftlicher Erklärungen für unglaubwürdig erachtet."

Da aufgrund der oa Ausführungen des VwGH zu seiner Lebensgefährtin bestehenden Beziehung die privaten die öffentlichen Interessen bei Weitem überwiegen, war spruchgemäß zu entscheiden, gegenständlicher Beschwerde stattzugeben und die von der belangten Behörde erlassene Ausweisung ersatzlos zu beheben.

4. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Da im gegenständlichen bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

EU-Bürger, Interessenabwägung, Privat- und Familienleben, private
Interessen, strafrechtliche Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G313.2123761.1.01

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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