TE Bvwg Beschluss 2018/11/7 W167 2205636-1

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Veröffentlicht am 07.11.2018
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Entscheidungsdatum

07.11.2018

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §12a Abs2 Z3
AsylG 2005 §22 Abs10
BFA-VG §22
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W167 2205642-1/12E

W167 2205638-1/12E

W167 2205639-1/12E

W167 2205640-1/12E

W167 2205636-1/12E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daria MACA-DAASE als Einzelrichterin im Verfahren zur amtswegigen Überprüfung der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, XXXX , die am XXXX im Verfahren über die Folgeanträge von XXXX , alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, XXXX , auf internationalen Schutz mündlich verkündet wurden, beschlossen:

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist nicht rechtmäßig. Die zitierten Bescheide werden daher aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 9 B-VG nicht zulässig.

Text

I. Verfahrensgang:

1. Die im Spruch genannten Fremden (im Folgenden: Asylwerber/innen), afghanische Staatsangehöriger, stellten erstmals am XXXX bzw. am nach der Geburt der in Österreich geborenen Tochter einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Mit den im Einleitungssatz genannten Bescheiden des BFA wurden diese Anträge in allen Spruchpunkten negativ entschieden. Diese Bescheide wurden mangels Beschwerdeerhebung rechtskräftig.

3. Am XXXX brachten die Asylwerber/innen nach Rückstellung im Rahmen der Dublin III-VO von Deutschland nach Österreich erneut Anträge auf internationalen Schutz ein.

4. Die volljährigen Asylwerber/innen (Eltern) bzw. die gesetzliche Vertreterin der unmündigen minderjährigen Asylwerberinnen (Kinder) wurden zu den Anträgen vom BFA einvernommen. Im Anschluss daran wurde mit mündlich verkündeten Bescheiden der nach § 12 AsylG 2005 bestehende faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben; diese Bescheide wurden in den Niederschriften der Einvernahme beurkundet.

5. Das BFA legte den Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

6. Der Verwaltungsgerichtshof stellte mit Beschluss vom 03.05.2018 beim Verfassungsgerichtshof den auf Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B-VG gestützten Antrag, § 22 Abs. 10 dritter und vierter Satz AsylG 2005, BGBl. I 100 idF BGBl. I 68/2013, in eventu § 22 Abs. 10 dritter und vierter Satz AsylG 2005 und § 22 Abs. 1 BFA-VG, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 68/2013, in eventu § 22 Abs. 10 AsylG 2005 und § 22 Abs. 1 BFA-VG, in eventu § 12a Abs. 2 AsylG 2005 idF BGBl. I 70/2015, § 22 Abs. 10 AsylG 2005 idF BGBl. I 68/2013 und § 22 Abs. 1 BFA-VG, in eventu § 12a AsylG 2005 idF BGBl. I 145/2017, § 22 Abs. 10 AsylG 2005 und § 22 BFA-VG als verfassungswidrig aufzuheben.

7. Aus Anlass des vorliegenden Verfahrens stellte das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss einen gleichlautenden Antrag beim Verfassungsgerichtshof und wartete mit der Erledigung der Rechtssache gemäß § 62 Abs. 3 VfGG bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zu. Das BFA und die Asylwerber/innen wurden vom Bundesverwaltungsgericht über die Antragstellung verständigt, in der Folge langte ein Antrag der Asylwerber/innen auf einstweilige Anordnung nach Unionsrecht ein.

Weitere Anträge des Bundesverwaltungsgerichtes wurden beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass ähnlicher Verfahren anhängig gemacht.

8. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10.10.2018, G 186/2018-25 ua. wurden die Anträge des Verwaltungsgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes abgewiesen, soweit sie sich gegen § 22 Abs. 10 dritter, vierter und fünfter Satz AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 68/2013, sowie gegen § 22 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 68/2013, richteten. Im Übrigen wurden die Anträge zurückgewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Asylwerber/innen

Bei den Asylwerber/innen handelt es sich um zwei volljährige Staatsangehörige Afghanistans mit ihren drei leiblichen unmündigen minderjährigen Kindern (angenommene Geburtsjahre 2015, 2016 und Geburt in Österreich 2017). Sie gehören der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Ihre Muttersprache ist Paschtu.

1.2. Zum Verfahrensgang

Die von den Asylwerber/innen im Jahr 2016 initiierten Asylverfahren wurden mit Bescheiden des BFA vom XXXX rechtskräftig negativ abgeschlossen: Die Anträge auf internationalen Schutz wurden

hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten sowie

hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Es wurde kein Aufenthaltstitel erteilt. Gegen die Asylwerber/innen wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen. Festgestellt wurde, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist. Schließlich wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

Im Erstverfahren brachten die Asylwerber/innen als Fluchtgründe auf das Wesentliche zusammengefasst vor, dass die Taliban die Bewirtschaftung jener familieneigenen Grundstücke, welche außerhalb des von der afghanischen Armee gesicherten Heimatdorfs lagen, in Besitz genommen und deren Bewirtschaftung durch die Familie des Asylwerbers verhindert hätten. Diesem Vorbringen wurde vom BFA mit rechtskräftigem Bescheid näher begründet kein Glauben geschenkt.

Die Asylwerber/innen stellten am XXXX einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Im Folgeverfahren führten sie - zusätzlich zu seinem bisherigen Fluchtvorbringen - aus, dass nach Erlassung des rechtskräftigen Bescheides der Vater des Asylwerbers in Afghanistan getötet worden sei und dass dies im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Fluchtvorbringen stehe sowie dass Frauen und damit auch die Asylwerberinnen in Afghanistan keine Rechte hätten.

Im Folgeverfahren beziehen sich die Asylwerber/innen somit zum einen auf Gründe, die sie bereits im Erstverfahren vorgebracht haben (Bedrohung durch die Taliban) und zum anderen auf Gründe, die bereits vor Eintritt der Rechtskraft des Bescheides vom XXXX bestanden haben (Situation von Frauen in Afghanistan).

1.3. Zur Rückkehrmöglichkeit der Asylwerber/innen

Die volljährigen Asylwerber/innen (Eltern) sind gesund und im erwerbsfähigen Alter, wobei nur der Vater bereits Berufserfahrung in der Landwirtschaft hat. Die unmündigen minderjährigen Kinder sind ebenfalls gesund.

1.4. Zum Leben der Asylwerber/innen in Österreich

Die Asylwerber/innen sind strafgerichtlich unbescholten. Die Asylwerber/innen verfügen in Österreich über keine Verwandten. Nach Erlassung des Bescheides des BFA vom XXXX reisten die Asylwerber/innen nach Deutschland aus und stellten dort einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie wurden am XXXX nach Österreich rücküberstellt. Besondere Integrationsleistungen wurden von den Asylwerber/innen seit Erlassung der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung nicht vorgebracht oder erbracht.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus der Aktenlage. Der von den Asylwerber/innen im Folgeverfahren erneut vorgebrachte Sachverhalt betreffend eine Bedrohung durch die Taliban erwies sich bereits im Erstverfahren als nicht glaubhaft. Das Vorbringen der Asylwerber/innen betreffend die Situation von Frauen in Afghanistan widerspricht den rechtskräftigen Feststellungen im Bescheid vom XXXX

.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Unrechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes:

3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des § 12a AsylG 2005, des § 22 Abs. 10 AsylG 2005 und des § 22 BFA-VG lauten wie folgt:

"Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen

§ 12a.

...

(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn

1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,

2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

..."

"Entscheidungen

§ 22.

...

(10) Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden."

"Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes

§ 22. (1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.

(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.

(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden."

3.2. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

3.3. Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 nicht gegeben:

Die Asylwerber/innen stellten am XXXX einen Folgeantrag.

Gegen sie besteht nach rechtskräftigem Bescheid des BFA vom XXXX eine aufrechte Rückkehrentscheidung.

Aus dem Vorbringen der Asylwerber/innen zum Folgeantrag ergibt sich jedenfalls hinsichtlich der Frage von Asylgewährung kein entscheidungswesentlicher neuer Sachverhalt und wird daher voraussichtlich diesbezüglich zurückzuweisen sein. Wie sich aus den Feststellungen und aus der Beweiswürdigung ergibt, brachten die Asylwerber/innen einerseits einen bereits dem Erstverfahren zugrunde gelegten Sachverhalt (welcher bereits im Erstverfahren mit näherer Begründung für nicht glaubwürdig befunden wurde) und andererseits den Feststellungen des rechtskräftigen Bescheides zur Situation von Frauen in Afghanistan widersprechende Angaben zur Situation von Frauen in Afghanistan vor.

Im Rahmen der Grobprüfung der Gefährdungssituation gemäß § 12a Z 3 AsylG kann allerdings im Hinblick auf das sehr junge Alter der Kinder und in Zusammenschau mit der höchstgerichtlichen Judikatur betreffend Familien mit Kleinkindern als vulnerable Gruppe eine reale Gefahr ("real risk") aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund der Aktenlage nicht ausgeschlossen werden.

Da die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 für die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes somit nicht vorliegen, erweisen sich die mündlich verkündeten Bescheide des BFA als nicht rechtmäßig. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden. Mit Aufhebung der Bescheide kommt den Asylwerber/innen faktischer Abschiebeschutz zu. Daher war über die Frage der Zuständigkeit betreffend den auf Unionsrecht gestützten Antrag der Asylwerber/innen auf einstweilige Anordnung nicht mehr zu entscheiden.

3.4. Im vorliegenden Fall wurde die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes durch die gesetzliche Fiktion einer Beschwerdeerhebung gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 begründet.

3.5. Gemäß § 22 Abs. 1 zweiter Satz BFA-VG war ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die hier anzuwendenden Regelungen erweisen sich im Lichte des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 10.10.2018, G 186/2018-25 ua., als klar und eindeutig (vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053).

Schlagworte

einstweilige Anordnung, einstweilige Verfügung, faktischer
Abschiebeschutz - Aufhebung nicht rechtmäßig, Folgeantrag,
Gefährdungsprognose, Unionsrecht, Voraussetzungen, vulnerable
Personengruppe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W167.2205636.1.01

Zuletzt aktualisiert am

15.01.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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