Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Oktober 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ertl, LL.M., als Schriftführer in der Strafsache gegen Ilhan G***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 32 U 150/17b des Bezirksgerichts Floridsdorf, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 17. November 2017 (ON 11) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Jenichl, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 17. November 2017, GZ 32 U 150/17b-11, verletzt §§ 94, 233 Abs 3 dritter Satz und 235 zweiter Satz iVm § 447 StPO.
Der Beschluss wird ersatzlos aufgehoben.
Text
Gründe:
Im Strafverfahren gegen Ilhan G*****, AZ 32 U 150/17b des Bezirksgerichts F*****, verhielt sich Manuel B***** nach dem Bericht des Stadtpolizeikommandos F***** anlässlich der gerichtlich beauftragten (ON 1 S 2; ON 6 S 5) Zustellung der Zeugenladung zur Hauptverhandlung an ihn durch Polizeibeamte am 28. August 2017 aggressiv, beschimpfte die anwesenden Personen und verweigerte die Übernahme des Schriftstücks (ON 6 S 1).
Gestützt auf § 94 StPO verhängte das Bezirksgericht F***** über B***** aufgrund dieses Verhaltens mit – entsprechend dem Gesetz – als Beschluss bezeichneter prozessleitender Verfügung (vgl Danek/Mann, WK-StPO § 237 Rz 7) vom 17. November 2017 eine Ordnungsstrafe in Höhe von 100 Euro (ON 9 S 2, ON 11).
Die dagegen erhobene (unzulässige und daher schon aus diesem Grund zurückzuweisende; vgl Danek/Mann, WK-StPO § 237 Rz 7) Beschwerde des B***** vom 25. Jänner 2018 (ON 15) wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Beschwerdegericht vom 21. März 2018, AZ 130 Bl 6/18y, als verspätet zurückgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht der genannte Beschluss des Bezirksgerichts auf Verhängung einer Ordnungsstrafe mit dem Gesetz nicht im Einklang:
§ 94 StPO (dessen analoge Anwendung für das Hauptverfahren infolge des Analogieverbots [§ 5 Abs 1 erster Satz StPO] nicht in Betracht kommt [Danek/Mann, WK-StPO § 233 Rz 1 mwN]) regelt die Verhängung von Ordnungsstrafen im Ermittlungsverfahren. Im Hauptverfahren sind dagegen die – auch im bezirksgerichtlichen Verfahren geltenden (§ 447 StPO) – §§ 233 und 235 StPO heranzuziehen.
Gemäß § 233 Abs 3 dritter Satz StPO kann der Vorsitzende, dem die Erhaltung der Ruhe und Ordnung und des der Würde des Gerichts entsprechenden Anstands im Gerichtssaal obliegt (§ 233 Abs 1 StPO), unter bestimmten Voraussetzungen Ordnungs- und Freiheitsstrafen verhängen. Derartige Maßnahmen der sogenannten Sitzungspolizei sind räumlich und zeitlich auf die Hauptverhandlung beschränkt (Danek/Mann, WK-StPO § 233 Rz 1).
§ 235 zweiter Satz StPO verweist auf diese in § 233 Abs 3 StPO normierte Möglichkeit der Verhängung einer Ordnungsstrafe im Fall von (unter anderem) durch Zeugen vorgebrachten Beschimpfungen oder offenbar unbegründeten oder zur Sache nicht gehörigen Beschuldigungen. Die Sanktionsmöglichkeit nach § 235 StPO ist ebenfalls auf während der Hauptverhandlung erfolgte Äußerungen beschränkt (Danek/Mann, WK-StPO § 235 Rz 1).
Da B***** die ungebührlichen Äußerungen nicht im Ermittlungsverfahren und auch nicht während der Hauptverhandlung tätigte, findet die mit Beschluss des Bezirksgerichts F***** vom 17. November 2017 verhängte Ordnungsstrafe weder in § 94 StPO noch in § 233 Abs 3 StPO oder in § 235 StPO Deckung.
Auf das unentschuldigte Ausbleiben des Zeugen von der Hauptverhandlung wurde der in Rede stehende Beschluss ausdrücklich nicht gestützt (vgl auch ON 9 S 2), sodass eine Heranziehung des § 242 Abs 3 erster Satz iVm § 447 StPO nicht in Betracht kommt.
Die aufgezeigte Gesetzesverletzung wirkt sich zum Nachteil des Zeugen aus, sodass der Beschluss ersatzlos aufzuheben war (vgl RIS-Justiz RS0098923).
Textnummer
E123130European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0110OS00103.18H.1016.000Im RIS seit
29.11.2018Zuletzt aktualisiert am
29.11.2018