TE OGH 2018/10/9 18OCg2/18w

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Veröffentlicht am 09.10.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende und den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Hon.-Prof. Dr. Dehn und den Hofrat Mag. Painsi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Gheneff-Rami-Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei D***** M*****, vertreten durch Diwok Hermann Petsche Rechtsanwälte LLP & Co KG in Wien, wegen Aufhebung eines Schiedsspruchs (Streitwert 1.500.000 EUR), nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

Das Begehren, den am 29. März 2018 zu SCH-5441 der Internationalen Schiedsinstitution der Wirtschaftskammer Österreich (VIAC) ergangenen Schiedsspruch aufzuheben, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 10.597,62 EUR bestimmten Verfahrenskosten (darin 1.766,27 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist eine österreichische Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der Beklagte ein kroatischer Geschäftsmann. Die Parteien hatten ab 2008 bei der Entwicklung und dem Betrieb einer Marina in Kroatien zusammengearbeitet. Betreiberin der Marina war (zuletzt) die kroatische S-GmbH, deren alleinige Gesellschafterin die österreichische H-GmbH war. Als Gesellschafter der H-GmbH schien im Firmenbuch allein die Klägerin auf, tatsächlich war aber auch der Beklagte zur Hälfte daran beteiligt. Anfang 2015 entschlossen sich die Parteien zur Beendigung der Zusammenarbeit. In einer Punktation vereinbarten sie, dass zunächst der Beklagte auch nach außen als 50 %-Gesellschafter der H-GmbH im Firmenbuch eingetragen und Vorsitzender der Geschäftsführung der S-GmbH werden sollte. In weiterer Folge sollte er seinen Geschäftsanteil an der H-GmbH der Klägerin zum Preis von 3 Mio EUR übertragen, wobei der Kaufpreis bis 31. 12. 2017 gezahlt werden sollte. Bei Nichtzahlung sollte der Beklagte den Geschäftsanteil der Klägerin im Weg einer Kaufoption (Call Option) um 1 EUR erwerben können.

Die Klägerin hielt sich zunächst nicht an diese Punktation, sondern versuchte, ihren Geschäftsführer auch als Geschäftsführer der S-GmbH einzusetzen. Daraufhin kam es zu Verhandlungen, die am 30. 7. 2015 zum Abschluss eines Share Purchase Agreements (SPA) führten. Darin war – wie in der Punktation – eine Übertragung des Geschäftsanteils des Beklagten an der H-GmbH an die Klägerin vorgesehen, wobei der Kaufpreis von 3 Mio EUR am 31. 12. 2017 fällig und die Übertragung mit der Zahlung wirksam werden sollte. Weiters verpflichtete sich die Klägerin, sicherzustellen, dass „alle zumutbaren Handlungen vorgenommen werden“, um bestimmte „Maßnahmen“ bis 1. 9. 2015 zu „implementieren“. Eine dieser Maßnahmen war die Bestellung des Beklagten zum Vorsitzenden der Geschäftsführung der S-GmbH. Für den Fall (unter anderem) einer Verletzung dieser Verpflichtung wurde dem Beklagten eine Kaufoption in Bezug auf den Geschäftsanteil der Klägerin eingeräumt (Kaufpreis 1 EUR). In Bezug auf diese Option wurden sowohl das Geltendmachen geänderter Umstände als auch eine Irrtumsanfechtung (ausgenommen den Fall der List) ausgeschlossen. Die Parteien wählten österreichisches Recht und vereinbarten die Entscheidung von Streitigkeiten durch einen nach der Verfahrensordnung des VIAC (Wiener Regeln) bestellten Einzelschiedsrichter.

Die Klägerin setzte keine Handlungen, um eine Bestellung des Beklagten zum Vorstandsvorsitzenden der S-GmbH zu bewirken. Daraufhin übte der Beklagte mit Notariatsakt vom 3. 9. 2015 die Kaufoption aus.

Mit Schiedsklage vom 2. 10. 2015 begehrte die Klägerin die Feststellung der Ungültigkeit des SPA, hilfsweise der Ungültigkeit der Ausübung der Kaufoption, und damit jedenfalls der Unwirksamkeit der Anteilsübertragung an den Beklagten. Damit verband sie weitere, teilweise hilfsweise gestellte Begehren, die einerseits ebenfalls auf die Unwirksamkeit der Anteilsübertragung und andererseits auf die Verminderung des Kaufpreises für den Geschäftsanteil des Beklagten gerichtet sind. Zur Begründung stützte sich die Klägerin, soweit im Aufhebungsverfahren noch relevant, auf

-   die Ungültigkeit des SPA wegen unterbliebener Verlesung des Notariatsakts, und

-   ihre Berechtigung, nicht für die Bestellung des Beklagten zum Vorstandsvorsitzenden der S-GmbH zu sorgen, wobei sich diese Berechtigung aus nach Abschluss des SPA gewonnenen Erkenntnissen – den in der Aufhebungsklage nicht näher dargestellten „August 2015 Findings“ – ergeben habe.

Die Beklagte trat den Begehren entgegen. Der Notariatsakt sei verlesen worden, die angeblich neuen Erkenntnisse seien für die Kaufoption irrelevant.

Der Schiedsrichter wies die auf Unwirksamkeit der Anteilsübertragung und auf Minderung des Kaufpreises gerichteten Begehren ab und verpflichtete die Klägerin zum Ersatz der Kosten der Beklagten von 563.452,72 EUR. Die von der Klägerin bestrittene Gültigkeit des SPA bejahte er in den Gründen seiner Entscheidung. Er stellte fest, dass der Notariatsakt verlesen worden sei, und vertrat rechtlich die Auffassung, dass die (angeblich) neuen Erkenntnisse der Klägerin für die Kaufoption irrelevant seien. Insofern seien daher keine Feststellungen zu treffen.

Mit der rechtzeitig erhobenen Aufhebungsklage macht die Klägerin die Aufhebungsgründe nach § 611 Abs 1 Z 1, 5 und 8 ZPO geltend. Der Notariatsakt mit dem SPA sei mangels Verlesung ungültig. Das führe zur Unzuständigkeit des Schiedsgerichts wegen Fehlens einer gültigen Schiedsvereinbarung (§ 611 Abs 1 Z 1 ZPO). Nicht näher genannte Zeugen seien zu dieser Frage „mangelhaft bzw nicht“ befragt worden, was gegen den formellen ordre public verstoße (§ 611 Abs 1 Z 5 ZPO). Weiters liege zur behaupteten Formungültigkeit ein Begründungsmangel vor (§ 611 Abs 1 Z 8 [richtig Z 5] ZPO). Die unterbliebene Befassung mit den „August 2015 Findings“ verstoße gegen den formellen ordre public, insbesondere sei der Klägerin nicht rechtliches Gehör gewährt worden (§ 611 Abs 1 Z 2 und Z 5 ZPO); ein staatliches Gericht hätte zu diesen „Findings“ in „fünf bis sechs Verhandlungen“ Beweise aufgenommen, was der Schiedsrichter unterlassen habe. Zudem liege auch insofern ein Begründungsmangel vor (§ 611 Abs 1 Z 8 [richtig Z 5] ZPO). Der volle Kostenzuspruch verletze angesichts der „knappen Entscheidung und der widersprüchlichen Begründung“ und wegen der unangemessenen Höhe
– insbesondere sei der Beklagte in einem Fünf-Sterne-Hotel abgestiegen – den materiellen ordre public (§ 611 Abs 1 Z 8 ZPO, in Bezug auf den behaupteten Begründungsmangel auch [richtig] Z 5).

Der Beklagte wendet ein, dass kein Aufhebungsgrund verwirklicht sei. Der Schiedsrichter habe die Verlesung des Notariatsakts festgestellt und dies mit dem Verweis auf Zeugenaussagen begründet. Die Nichtberücksichtigung der „August 2015 Findings“ beruhe auf deren vom Schiedsrichter ausführlich begründeter Irrelevanz für die Ausübung der Kaufoption. Der Kostenzuspruch sei angemessen; auch die Klägerin habe Kosten in ähnlicher Höhe verzeichnet.

Während des Aufhebungsverfahrens wies der Einzelschiedsrichter einen Antrag der Klägerin auf Ergänzung und Erläuterung des Schiedsspruchs ab. Über das Begehren auf Feststellung der Unwirksamkeit des SPA habe er ohnehin vorfrageweise in den Gründen des Schiedsspruchs entschieden, es sei nicht erforderlich gewesen, dies auch in den Spruch aufzunehmen. Das Verlesen des Notariatsakts habe er festgestellt und mit dem Hinweis auf Zeugenaussagen begründet. Der Schiedsspruch enthalte eine ausführliche Begründung, weshalb die „August 2015 Findings“ für die Entscheidung irrelevant gewesen seien.

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die Urkunden ./A und ./1 bis ./10. Auf dieser Grundlage wird folgender weiterer Sachverhalt festgestellt:

Das SPA wurde als Privaturkunde errichtet, die nach § 54 NO notariell bekräftigt wurde (Beilage ./4). Im darüber errichteten Notariatsakt ist festgehalten, dass dieser und die Privaturkunde vor der Unterfertigung verlesen wurden. Das SPA lautete auszugsweise wie folgt:

4.6. Rechtsfolgen des Nichteintritts der Bedingung

4.6.1. Sollte (i) die Käuferin ihre Verpflichtungen gemäß Punkt 8 verletzt haben oder (ii) das Closing nicht bis zum 7. Jänner 2018 erfolgt sein, gewährt die Käuferin dem Verkäufer (oder einer von diesem namhaft gemachten Person) hiermit unwiderruflich das Recht, nach dessen alleinigem Ermessen, den von der Käuferin gehaltenen Geschäftsanteil an der Gesellschaft […] zu kaufen und zu übernehmen (die „Call-Option“).

4.6.8. Die Call Option ist auch bei Änderung wesentlicher Umstände (clausula rebus sic stantibus) wirksam. Hiermit verzichten der Käufer und die Verkäuferin auf die Geltendmachung aller Ansprüche aus der clausula rebus sic stantibus und dem Wegfall bzw der Änderung der Geschäftsgrundlage, die im Bezug auf die Call-Option etwaig zustehen. Rechte oder Ansprüche der Parteien im Hinblick auf die Call Option auf bzw aufgrund von Rücktritt, insbesondere gemäß §§ 918 f ABGB, Wandlung gemäß §§ 932 und 933 ABGB, Schadenersatz (einschließlich aus culpa in contrahendo und positive Vertragsverletzung), Anfechtung oder Anpassung gemäß §§ 871 und 872 ABGB, Anfechtung wegen Änderung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage oder Anfechtung wegen laesio enormis mit Ausnahme von Fällen vorsätzliche Schädigung oder List sind ausgeschlossen. Festgehalten wird, dass die Käuferin dem Verkäufer die Call Option in Kenntnis des wahren Werts des Optionsrechts einräumt.

8. Verpflichtungen

Die Käuferin verpflichtet sich hiermit sicherzustellen, dass alle zumutbaren Handlungen vorgenommen werden, um die folgenden Maßnahmen bis spätestens 11. September 2015 zu implementieren: [...]

8.3. Bestellung des Verkäufers zum Vorsitzenden der Geschäftsführung der [S-GmbH].

Der Schiedsrichter stellte im Schiedsspruch (Beilage ./A) fest, dass der Notariatsakt verlesen wurde (Rz 83). Zur Begründung verwies er auf Urkunden und das Protokoll der Verhandlung. Weiters führte er aus, dass die „August 2015 Findings“ irrelevant seien. Zwar sehe Punkt 8 SPA (nur) eine Verpflichtung zu „zumutbaren Handlungen“ vor. Daraus lasse sich aber aufgrund (näher dargelegter) objektiver Auslegung nicht ableiten, dass die Klägerin die Erfüllung der Verpflichtungen aufgrund neuer Erkenntnisse verweigern könne (Rz 161 ff). Dies folge auch daraus, dass die Parteien ausdrücklich auf eine Anfechtung des SPA verzichtet hätten (Rz 179). Die „Findings“ könnten unabhängig davon, ob sie wahr seien oder nicht, keine Anfechtung des SPA oder der Ausübung der Option ermöglichen (Rz 179).

Am Schluss der Verhandlung wurde vereinbart, dass die Parteien Kostennoten mit Rechnungen ihrer Anwälte legen würden; daraufhin sollten sie binnen einer Woche zur Kostennote der Gegenseite Stellung nehmen können (Protokoll ./7). Die Klägerin begehrte Kosten von 508.781,72 EUR (Schiedsspruch ./A, Rz 190), der Beklagte begehrte 575.616,04 EUR (Schiedsspruch ./A, Rz 192). Der Schiedsrichter sprach dem zur Gänze obsiegenden Beklagten unter Hinweis auf die Kostennote und die Rücküberweisung eines Kostenvorschusses 563.452,73 EUR zu.

Diese Feststellungen gründen sich auf die vorgelegten Urkunden. Widersprechende Beweisergebnisse gab es nicht.

Rechtliche Beurteilung

Auf dieser Grundlage ist die Aufhebungsklage abzuweisen:

1. Zum behaupteten Fehlen einer gültigen Schiedsvereinbarung (§ 611 Abs 1 Z 1 ZPO):

Die Klägerin macht geltend, dass die Schiedsvereinbarung wegen unterbliebener Verlesung des Notariatsakts ungültig sei. Dem liegt offenbar die Auffassung zugrunde, dass eine Schiedsvereinbarung, die Ansprüche aus einem notariatsaktpflichtigen Vertrag erfassen soll, auch selbst in dieser Form geschlossen werden muss. Ob das
– entgegen dem Wortlaut von § 583 Abs 1 ZPO, der nur bestimmte Formen der Schriftlichkeit verlangt (18 OCg 1/15v SZ 2015/61) – zutrifft, kann hier offen bleiben. Denn jedenfalls hat sich die Klägerin durch Einbringen der Schiedsklage in einem Verfahren auf das Vorhandensein der Schiedsvereinbarung berufen. Daher kann sie nach § 584 Abs 5 ZPO „später“ – und daher auch im Aufhebungsverfahren – nicht mehr geltend machen, dass diese Vereinbarung nicht vorliege. Sie ist daher mit diesem Aufhebungsgrund präkludiert. Eine relevante Änderung der Umstände, die nach § 584 Abs 5 ZPO ein nachträgliches Geltendmachen ermöglichte, hat sie nicht behauptet.

2. Zur Ungültigkeit des SPA (§ 611 Abs 1 Z 2 und Z 5 ZPO):

2.1. Die Klägerin macht geltend, dass der Schiedsrichter ihr Vorbringen zur mangelnden Verlesung des SPA „nicht beachtet“ habe, der Schiedsspruch insofern keine Beweiswürdigung enthalte und Zeugen „mangelhaft bzw nicht“ befragt worden seien. Damit stützt sie sich in der Sache auf die Aufhebungsgründe nach § 611 Abs 1 Z 2 ZPO (Gehörverstoß) und § 611 Abs 1 Z 5 ZPO (Verstoß gegen den formellen ordre public). Diese Aufhebungsgründe sind aber nur erfüllt, wenn gegen tragende Grundsätze eines geordneten Verfahrens verstoßen wurde. Einen Anhaltspunkt bilden dabei die Nichtigkeitsgründe des Zivilprozessrechts. Nur ein Mangel des Schiedsverfahrens, der diesen Gründen gleichkommt, kann zur Aufhebung führen (18 OCg 3/16i mwN; zuletzt etwa 18 OCg 1/17x).

2.2. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor:

(a) Der Schiedsrichter hat zum Vorbringen der Klägerin, wonach der Notariatsakt nicht verlesen worden sei, Beweise aufgenommen und auch eine – wenngleich nicht dem Standpunkt der Klägerin entsprechende – Feststellung getroffen. Damit kann keine Rede davon sein, dass er dieses Vorbringen nicht beachtet und damit das rechtliche Gehör der Klägerin verletzt hätte.

(b) Die Nichtaufnahme von Beweisen zu einem auch vom Schiedsgericht als relevant angesehenen Beweisthema könnte allenfalls dann als Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public gewertet werden, wenn es im Einzelfall – etwa bei völligem Unterbleiben eines Beweisverfahrens oder Ignorieren aller wesentlichen Beweisanträge einer Partei – auf ein geradezu willkürliches Vorgehen des Schiedsgerichts schließen ließe (18 OCg 2/16t). Ein solches Vorbringen hat die Klägerin mit der unsubstantiierten Behauptung, nicht näher genannte Zeugen seien zur strittigen Verlesung „mangelhaft bzw nicht“ befragt worden, nicht einmal ansatzweise erstattet.

(c) Zwar verstößt es gegen den verfahrensrechtlichen ordre public, wenn ein Schiedsspruch zu einem wesentlichen Streitpunkt nicht oder nur mit inhaltsleeren Floskeln begründet ist (18 OCg 3/16i SZ 2016/102). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor, da der Schiedsrichter seine Feststellung zur Verlesung des Notariatsakts durch einen Hinweis auf Urkunden und auf das Protokoll des Schiedsverfahrens begründet hat. Die Richtigkeit dieser Beweiswürdigung ist im Aufhebungsverfahren nicht zu prüfen.

3. Zur Nichtberücksichtigung der „August 2015 Findings“ (§ 611 Abs 1 Z 5 und Z 8 ZPO):

3.1. Die Klägerin macht geltend, dass sich der Schiedsrichter nicht mit ihrem Vorbringen zu den „August 2015 Findings“ befasst und dazu auch kein Beweisverfahren geführt habe. Das verletze ihr rechtliches Gehör und den verfahrensrechtlichen ordre public. Durch den „Begründungsmangel“ und die „Fehl- bzw Nichtbeurteilung“ der geltend gemachten Argumente verstoße der Schiedsspruch auch gegen den materiellen ordre public.

3.2. Auch insofern ist kein Aufhebungsgrund verwirklicht:

(a) Ein nach § 611 Abs 1 Z 5 ZPO aufzugreifender Begründungsmangel läge auch hier nur vor, wenn der Schiedsspruch zu diesem Punkt nicht oder nur mit inhaltsleeren Floskeln begründet wäre (18 OCg 3/16i SZ 2016/102). Der Schiedsrichter hat allerdings ausführlich dargelegt, dass und weshalb die im August 2015 gewonnenen Erkenntnisse der Klägerin aufgrund der Auslegung des SPA rechtlich unerheblich seien. Diese Begründung ist formal nachvollziehbar, einer inhaltlichen Prüfung ist sie – mit der Grenze eines Verstoßes gegen den materiellen ordre public (dazu unten [c]) – entzogen. Damit kann von einem für das Aufhebungsverfahren relevanten Begründungsmangel keine Rede sein. Das galt bereits für den ursprünglichen Schiedsspruch; eine nachträgliche Erläuterung durch den Schiedsrichter (§ 610 Abs 1 Z 2 ZPO) war daher nicht erforderlich.

(b) Begründet das Schiedsgericht die Nichtaufnahme von Beweisen oder das Unterbleiben einer Feststellung formal nachvollziehbar mit der rechtlichen Unerheblichkeit des Beweisthemas oder der Feststellung, so kann darin von vornherein kein Mangel seines Verfahrens liegen, der nach § 611 Abs 1 Z 2 oder Z 5 ZPO wahrgenommen werden könnte. Denn in diesem Fall hat sich das Schiedsgericht mit dem Vorbringen auseinandergesetzt und das Verfahren aufgrund seiner Beurteilung der materiellen Rechtslage gestaltet. Diese rechtliche Beurteilung könnte zwar allenfalls dazu führen, dass der Schiedsspruch im Ergebnis gegen den materiellen ordre public iSv § 611 Abs 1 Z 8 ZPO verstößt (18 OCg 6/16f). Das rechtliche Gehör ist allerdings durch die Auseinandersetzung mit dem Vorbringen gewahrt, und Grundwertungen des Verfahrensrechts sind bei einer wegen Unerheblichkeit erfolgten Nichtaufnahme von Beweisen nicht berührt. Die Rechtslage entspricht hier im Kern jener im staatlichen Zivilprozess: Auch dort ist das mit rechtlichen Erwägungen begründete Unterbleiben von Feststellungen („sekundärer Feststellungsmangel“) nicht mit Verfahrens-, sondern mit Rechtsrüge geltend zu machen (RIS-Justiz RS0043304). Auch ein staatliches Gericht wäre
– anders als von der Klägerin angenommen – nicht aus Gründen des Verfahrensrechts verpflichtet, zu einem Vorbringen, das es aus rechtlichen Gründen für unerheblich hält, in „fünf oder sechs Verhandlungen“ Beweise aufzunehmen.

(c) Ein Verstoß gegen den materiellen ordre public (§ 611 Abs 1 Z 8 ZPO) liegt nur vor, wenn das Ergebnis des Schiedsspruchs Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung verletzt (18 OCg 3/15p mwN; RIS-Justiz RS0110743). Hingegen ist nicht zu prüfen, ob das Schiedsgericht die im Schiedsverfahren aufgeworfenen Tat- und Rechtsfragen richtig gelöst hat; eine révision au fond ist unzulässig (18 OCg 3/15p mwN; RIS-Justiz RS0045124). Im vorliegenden Fall beruht die Annahme des Schiedsrichters, dass die von der Klägerin behaupteten „August 2015 Findings“ unerheblich seien, auf seiner Auslegung des SPA. Gründe, weshalb dies im Ergebnis gegen Grundwertungen des österreichischen Rechts verstoßen sollte, zeigt die Klägerin nicht auf.

4. Zum angeblich überhöhten Kostenzuspruch (§ 611 Abs 1 Z 5 und Z 8 ZPO):

Ein Begründungsmangel (§ 611 Abs 1 Z 5 ZPO) liegt wegen des Verweises auf das Kostenverzeichnis des obsiegenden Beklagten nicht vor. Inhaltlich ist zwar nicht ausgeschlossen, dass ein exorbitant überhöhter Kostenzuspruch gegen den materiellen ordre public verstoßen könnte (§ 611 Abs 1 Z 8 ZPO). Im vorliegenden Fall gibt es dafür aber schon deswegen keine Anhaltspunkte, weil die Klägerin Kosten in ähnlicher Höhe verzeichnet und zudem im Schiedsverfahren Gelegenheit gehabt hatte, Einwendungen gegen das Kostenverzeichnis der Gegenseite zu erheben. Dass sie das getan hätte, hat sie im Aufhebungsverfahren nicht behauptet. Ein allgemeiner Grundsatz, dass die Kosten eines Schiedsverfahrens nicht höher sein dürften als die Kosten eines vergleichbaren staatlichen Verfahrens, ist der Rechtsordnung nicht zu entnehmen. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob die Übernachtung des Beklagten in einem Fünf-Sterne-Hotel zweckentsprechend, angemessen und/oder erforderlich war, berührt keine Grundwertungen des österreichischen Rechts. Das vom Schiedsrichter angewendete kostenrechtliche Erfolgsprinzip entspricht der Rechtslage im staatlichen Recht (§ 41 ZPO) und kann schon deswegen nicht gegen den materiellen ordre public verstoßen.

5. Aus diesen Gründen ist die Aufhebungsklage abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 ZPO.

Textnummer

E123189

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:018OCG00002.18W.1009.000

Im RIS seit

19.11.2018

Zuletzt aktualisiert am

21.02.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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