Entscheidungsdatum
10.08.2018Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W122 2196551-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor ERNSTBRUNNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Michael GENNER, Asyl in Not, XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.04.2018, Zl. 1176215601-171369280, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.08.2018, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger von der Volksgruppe der Tadschiken, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 10.12.2017 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen der am 11.12.2017 durchgeführten Erstbefragung durch die belangte Behörde gab der Beschwerdeführer an: "Ich hatte verwandtschaftliche Probleme. Ich wurde durch meine Verwandten bedroht. Weiters wurde ich von den Taliban, dem IS und einer anderen Terrorgruppe bedroht, da ich die Leute die durch die Taliban zwangsrekrutiert wurden, überzeugt habe das nicht zu tun. Deswegen wurde ich ständig von den Taliban bedroht. Das sind meine einzigen Fluchtgründe."
3. Am 12.04.2018 erfolgte die Einvernahme vor der belangten Behörde. Dabei gab er an, gesund und arbeitsfähig zu sein sowie neben seiner Muttersprache Dari, Englisch, Russisch, Urdu und Paschtu zu sprechen.
Befragt nach seinem Lebenslauf führte der Beschwerdeführer an: "Ich bin am XXXX (= XXXX ) in der Stadt Kabul, Stadtteil XXXX geboren und aufgewachsen. Ich habe die gesamte Zeit meines Lebens eben an dieser Adresse gelebt. Die letzten 20 Tage habe ich mich mit meiner Familie im Stadtteil XXXX bei einem Freund meines Vaters aufgehalten. Ich bin direkt vom Stadtteil XXXX mit meiner Familie aus Afghanistan ausgereist. Ich wurde mit fünf Jahren eingeschult und habe zwölf Jahre die Schule besucht. Anschließend war ich drei Jahre auf der Universität in der Provinz Kapisa. Während dieser Zeit bin ich immer wieder zwischen Kabul und XXXX gependelt. Ich hatte zwar ein Zimmer im Studentenheim in XXXX , habe aber nur in der Woche ein bis zwei Nächte dort verbracht. Im Jahr XXXX (=2012/2013) habe ich begonnen, auf der Universität zu studieren und habe gleichzeitig auch begonnen, zu arbeiten. Ich habe für die Tageszeitung gearbeitet und war im Bereich der Meldungverfassung tätig. Die Arbeitsstätte befand sich in Kabul, im Stadtteil XXXX , welches ungefähr 50 bis 55 Minuten zu Fuß von meinem Elternhaus entfernt ist. Daneben hatten ich und mein Freund auch ein Unternehmen, und zwar ein Reisebüro, welches sich in der Provinz XXXX , in der Stadt XXXX befand."
Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer an: "Die Taliban haben einen neuen Prozess gelaufen gehabt, und zwar den Leuten, die sich deren Gruppe angeschlossen haben, wurde nach einiger Zeit gesagt, dass sie zu den Behörden gehen und sich den ergeben sollen und an dem Friedensprozess teilnehmen sollen. Die Behörden glauben dann, dass die Leute nicht mehr mit den Taliban zusammenarbeiten, aber hinter deren Rücken sollen die Leute weiterhin für die Taliban arbeiten. Ich habe davon gehört gehabt und wollte darüber berichten. Ich habe mit meinem Manager gesprochen, er hat mir jedoch nicht die Erlaubnis gegeben, darüber zu schreiben, da es die Schwächen der Regierung auch aufzeigt. Deshalb habe ich dies nicht schreiben
dürfen. ... Ich habe mir dann Gedanken gemacht, wie ich meine
Mitteilung an die Leute bringen kann, die fernab einer Bildung sind. Ich habe zwei Jahre lang alle Informationen über die Taliban zusammengetragen gehabt und habe zwölf Berichte mit diesen Informationen verfasst gehabt. Ich habe mit zwei Freunden von mir gesprochen, welchen ich vertraut habe und welche mit mir an der Uni waren. Das waren Mitstudierende, die innerhalb und außerhalb der Uni sehr aktiv waren und sich eingesetzt haben. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass auf dem Universitätsareal, welches sehr groß war, 600 Baumpflanzen eingesetzt werden. Das haben wir für die Uni
gemacht. ... Ich war aber bei der Journalistenvereinigung tätig, wo
ich kein Geld erhalten habe. Bei der Versammlung wurden arbeiten aufgeteilt und wir wurden beispielswiese damit beauftragt, einen Bericht zu schreiben, wie man seine Wohngegend sauberer und wohnhafter Gestalten kann. Diesen Bericht haben wir dann den Leitern gegeben. Es wurden anschließend freiwillige gesucht, die dies
daraufhin umgesetzt haben. ... Ich bin in den Provinzen gegangen und
habe zwischen den Leuten Seminare gehalten und habe die Leute über die Taliban informiert, also über deren Vorgehensweise, nicht dass sie von den Taliban ausgetrickst werden und sie sich denen anschließen. Das war der Grund, wieso die Leute intelligenter wurden. Nachdem sie unsere Seminare besucht haben. Es gab sogar Leute, die in ihren Familienkreisen hatten, die sich den Taliban anschlossen haben, und nach unseren Seminaren die Augen der Leute geöffnet haben und deren Familienangehörigen dazu gebracht haben, aus der Taliban-Gruppierung wieder auszutreten. Die Macht, die sie hatten, um deren Leute in deren Gruppe zu rekrutieren, ist weniger geworden. Ich war ein sehr großer Verlust für sie, denn je öfter und länger ich dies gemacht hätte, desto weniger Macht hätten sie, um Leute in ihre Gruppe aufzunehmen. Ich habe vorhin auch gesagt, dass ich zwei Jahre lang Informationen über die Taliban zusammengetragen habe und zwölf Berichte geschrieben habe. Wenn ich zu diesen Seminaren gegangen bin, habe ich 100 bis 150 Mal diese Berichte ausgedruckt und an die Anwesenden in diesem Seminar verteilt. Ich habe zu denen gesagt, dass sie dies an die Leute weitergeben sollen, die nicht am Seminar teilnehmen und dies verbreiten sollen. Das war der Grund, warum die Taliban hinter mir her waren und ich war ein Schwachpunkt von denen. Da haben die Taliban mit Bedrohungen angefangen. Es hat bei mir angefangen, über meinen Vater, über meine Mutter, meine beiden Brüder, also meine Familie ist bedroht worden. Das Wichtigste ist, dass sie nicht nur wollten, dass ich meine Arbeit aufgebe, sondern auch wollten, dass ich für deren Vorteil mit denen zusammenarbeite. Das Aufhören meiner Arbeit hätte nur einen Vorteil für sie gehabt, und zwar, dass sie wieder weiter die Leute austricksen hätten können. Das Arbeiten von mir mit denen gemeinsam hätte mehrere Vorteile für sie gehabt; also, dann gebe es niemanden mehr, der gegen sie arbeitet und die Augen der Leute für sie öffnet. Der weitere Vorteil, welchen sie durch mir hätten, wäre die, dass, wenn ich mit denen zusammengearbeitet hätte, ich für sie unter den Leuten propagieren könnte, damit sich mehrere Leute diesen anschließen. Das war der eine Grund, warum ich ausgereist bin. Der andere Grund ist wegen meiner Tante väterlicherseits, die auch hier ist. Meine Tante väterlicherseits hat gemeinsam mit uns in Afghanistan gelebt. Sie war mit jemanden aus der Provinz XXXX , namens XXXX , verlobt. Dieser ist bei einem Selbstmordanschlag auf der Pilgerstätte in Kabul mit seiner Mutter und seiner Schwester ums Leben gekommen. Der Onkel väterlicherseits von XXXX ist ein General in der jetzigen Regierung namens General XXXX . Dieser Onkel väterlicherseits von XXXX kam einige Tage nach dem Begräbnis seines Neffen, um an die Hand meiner Tante väterlicherseits anzuhalten. Er ist doppelt so alt wie meine Tante, hat zwei Frauen und zwölf Kinder. Weder mein Vater, noch meine Tante oder sonst jemand unsere Familienangehörigen war damit einverstanden. Der General XXXX sagte, dass meine Tante zu deren Familie gehört und ob wir einverstanden sind oder nicht, unter Zwang wird er sie mitnehmen. Er ist einige Male gekommen, einige Male in der Woche. Es gab sogar einige Male, wo er öfters am selben Tag gekommen ist. Er hat immer die Familie bedroht und hat gesagt, dass er seine Familie mitnehmen wird, ob Miteinverständnis oder ohne, auch mit Zwang. Eines Tages hat meine Tante bei meinem Vater geweint. Sie sagte, dass er sehr alt ist und nicht einverstanden ist, ihn als Mann zu nehmen. Sie sagte, dass sie sich entweder selbst umbringen oder das Land verlassen werde. Das war der Grund, dass mein Vater mit meinem Onkel väterlicherseits in England gesprochen hat und meine Tante väterlicherseits über den Luftweg in den Iran geschickt hatte. Als der General davon erfahren hatte, ist er zu uns nach Hause gekommen und hat meinen Vater und meine gesamte Familie mit dem Tod bedroht und hat gesagt, dass mein Vater einen Familienangehörigen von ihm zur Flucht geholfen hatte und entweder er dafür sorgt, dass sie wieder zurückkommt oder wir getötet werden. Der General ist dann wieder weggegangen. Nach einiger Zeit ist er wieder gekommen und hat meinem Vater zwei Wochen Zeit gegeben und hat ihm gesagt, dass entweder sie in zwei Wochen zurückkehren muss oder er das, was er gesagt hat, wahrmachen wird. Das war der andere Grund, wieso wir nicht in Afghanistan leben haben können und das Land verlassen haben müssen."
Weiters führte der Beschwerdeführer an, mehrmals von den Taliban direkt, telefonisch und brieflich bedroht worden zu sein. Die Taliban hätten dem Beschwerdeführer gesagt, dass sie sehr viele Beweise nach deren Gesetzen gegen ihn hätten, um ihn umzubringen, aber, da sie ihn benötigten, sein Leben von das seiner Familie in Sicherheit wäre. In der Folge hätten die Taliban und der General zum selben Zeitpunkt dem Beschwerdeführer zwei Wochen Zeit gegeben, um sich den Taliban anzuschließen und die geflohene Tante zurückzubringen.
Der Beschwerdeführer legte eine Anzeigebestätigung und eine Zeugenaussage der Bewohner seiner Gegend vor.
Die Länderfeststellungen würden nach der Meinung des Beschwerdeführers nicht der Realität entsprechen.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Weiters wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.) und gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen betrage (Spruchpunkt VI).
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass dem Beschwerdeführer keine aktuelle und konkrete Verfolgung aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählten Gründe drohe sowie, dass im gegenständlichen Fall keine Anhaltspunkte hervorgekommen seien, aufgrund derer darauf zu schließen sei, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan einem erhöhten Gefährdungsrisiko in Hinblick auf die Verletzung einer Art. 2 bzw. Art. 3 EMRK bzw. der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein werde. Die Ausweisungsentscheidung wurde mit einer zu Lasten des Beschwerdeführers ausgehenden Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK begründet.
Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 24.04.2018 zugestellt. Mit Schreiben vom 18.05.2018, eingebracht am selben Tag, erhob der Beschwerdeführer im Wege seines Vertreters gegen diesen Bescheid Beschwerde und beantragte
eine mündliche Verhandlung durchzuführen, den Status des Asylberechtigten zu zuerkennen, in eventu den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu zuerkennen und eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu gewähren, in eventu die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und die Abschiebung für unzulässig zu erklären, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und an die Behörde zurückzuverweisen.
Begründend führte der Beschwerdeführer an, es wäre unwahr, dass seine Fluchtgeschichte sämtliche Details vermissen lassen würde. Der Beschwerdeführer hätte erzählen wollen, wie er schon in der Schule gelernt hätte, die Taliban zu verabscheuen und wäre dabei vom vernehmenden Beamten unterbrochen worden. Schon dies stelle einen Verfahrensmangel dar, da die persönliche Entwicklung für das Verständnis seiner späteren politischen Aktivitäten von Bedeutung wäre. Der Beschwerdeführer hätte ausführlich dargelegt, wie er Seminare abgehalten hätte, um über die Taliban und deren Tricks aufzuklären, und wie er Informationen über die Taliban gesammelt hätte, darüber Berichte geschrieben hätte und diese ausgedruckt und verteilt hätte. Der Beschwerdeführer hätte dargelegt, wie er durch diese Tätigkeit den Taliban geschadet hätte, dass seine Seminare und Berichte fielen Menschen die Augen geöffnet hätten. Dadurch wären die Taliban auf ihn aufmerksam geworden. Sie hätten begonnen, ihn über seine Familie unter Druck zu setzen. Die Taliban hätten die Fähigkeit des Beschwerdeführers in Hinsicht der Agitation erkannt und hätten ihn für sich einsetzen wollen.
Die belangte Behörde verstünde nicht, dass jemand für seine politische Überzeugung einstehen würde. Der Beschwerdeführer hätte dargelegt, wie er schon von seinem ersten Schultag angelernt hätte, die Taliban zu verabscheuen. Es wäre eine reine Mutmaßung wenn die belangte Behörde den Taliban eine gewisse effiziente bzw. effektive Vorgehensweise zutrauen würde, ohne der verfolgten Person Spielraum zu geben. Die Taliban hätten gehofft, der Beschwerdeführer würde bereit sein, für sie zu arbeiten.
Es wäre eine reine Spekulation der Behörde, wenn sie bezweifelt dass die Verlobung drei Jahre gedauert hätte. Die Verlobung hätte solange gedauert, weil der Verlobte Geld für die Hochzeit sparen hätte müssen. Das Zusammentreffen der beiden Bedrohungsszenarien wäre ohne triftigen Grund angezweifelt. Der Tante des Beschwerdeführers wäre Asyl gewährt worden. Der Beschwerdeführer hätte eine politisch-publizistische Tätigkeit ausgeübt und wäre von dem erwähnten General bedroht worden.
Weiters führte der Beschwerdeführer an, dass Afghanistan nicht in der Lage wäre, seine Bevölkerung vor Angehörigen der Taliban zu schützen und verwies auf verschiedene internationale Dokumente sowie auf ein Schriftstück der Friederike S. vom März 2018.
5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.08.2018 in Anwesenheit des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der er ausführlich zu seinen Fluchtgründen und zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat befragt wurde. Auffällig war dabei, dass der Beschwerdeführer auch nach mehreren Hinweisen mit Verallgemeinerungen antwortete.
Der Beschwerdeführer reagierte bei der Befragung regelmäßig mit Gegenfragen, tat bei konkreten Fragen über das Erlebte, als ob er diese nicht verstanden hätte und nannte Details entweder sehr zögerlich und nach Gegenfragen oder fließend, wenn er sie bereits vor der Behörde nannte - dies durchaus widerspruchsfrei. Widersprüchliche Angaben machte der Beschwerdeführer zu seiner Tätigkeit im Reisebüro. Sowohl hinsichtlich der Einnahmen, der Investition, der Kreditrückzahlung, der konkreten Buchungsvorgänge, der Partnerschaft mit anderen Reiseanbietern, der vertraglichen Kooperationen, der Geldflüsse bei Flugreisen konnte der Beschwerdeführer kein Bild einer absolvierten Tätigkeit in einem Reisebüro zeichnen. So war der Beschwerdeführer erst nach Vorhalt von einzelnen Beispielen in der Lage auszudrücken, welche Einnahmen oder Ausgaben ein Unternehmen hat. Seine Wichtigkeit für die Taliban stütze der Beschwerdeführer im Zuge der Verhandlung hauptsächlich auf seine gehobene Funktion im Reisebüro. Das in der Beschwerde dargelegte rhetorische Talent, für die Agitationen der Taliban von besonderem Wert zu sein, zeigte sich in der Verhandlung nur insoweit, als der Beschwerdeführer lange reden konnte, ohne dabei die gestellten Fragen zu beantworten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Person
Der männliche, ledige, gesunde, und arbeitsfähige Beschwerdeführer (ohne Obsorgepflichten) wurde spätestens im Jahr XXXX geboren (volljährig bei Einreise in das Bundesgebiet), ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschicken an und bekennt sich zum islamischen Glauben sunnitischer Richtung. Er hat zwölf Jahre lang die Schule besucht. Er spricht Dari, Paschtu, Urdu, Englisch, Russisch, und nahezu kein Deutsch. Er ist in der afghanischen Gesellschaft aufgewachsen und mit der Kultur und der Sprache vertraut. Zwei Schwestern, zwei Tanten und zwei Onkel des Beschwerdeführers leben in Kabul. Der Beschwerdeführer hat nicht als Journalist gearbeitet und kein Reisebüro besessen. Der Beschwerdeführer hat ein unbezahltes Praktikum bei einer Zeitung absolviert.
1.2. Fluchtgründe
Das vom Beschwerdeführer dargelegte Fluchtvorbringen, wonach die Taliban und ein General nach seinem Leben trachten würden, kann nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer war nicht imstande, sein Fluchtvorbringen in einem Detailierungsgrad zu schildern welches den Eindruck vermittelt, dass er diese Geschichte selbst erlebt hätte. Der Beschwerdeführer vermittelte keine optischen, akustischen oder gefühlsbezogenen Schilderungen seiner Erlebnisse, die seine Flucht begründet haben sollten. Befragt nach seinem Fluchtvorbringen antwortete der Beschwerdeführer mit Pauschalierungen, Verallgemeinerungen, Verkürzungen und Gegenfragen. Details die für eine tatsächlich erlebte Erinnerung typisch sind brachte der Beschwerdeführer von sich aus nicht vor. Das Vorbringen der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers wirkte einstudiert und affizierte nicht.
Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht verfolgt wird.
Seine vermeintlichen Rechercheergebnisse waren nicht mehr als Allgemeinwissen. Eine exponierte Position durch den Besitz eines Reisebüros hatte der Beschwerdeführer nicht, der genannte General bedrohte den Beschwerdeführer nicht. Die Taliban bedrohten den Beschwerdeführer nicht.
1.3. Leben des Beschwerdeführers in Österreich
Die Eltern und vier Geschwister des Beschwerdeführers befinden sich in Österreich ohne dauerndes Aufenthaltsrecht. Sie haben ebenfalls eine Beschwerde gegen den negativen Asylbescheid (zum Teil volljährig und daher anhängig in zwei weiteren Gerichtsabteilungen) eingebracht.
Der aufenthaltsrechtliche Status des Beschwerdeführers in Österreich beruhte ausschließlich auf seiner vorläufigen Stellung als Asylwerber. Dieser dauerte bislang weniger als ein Jahr.
1.4. mögliche Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat
In der Heimatstadt des Beschwerdeführers, Kabul, ist die Sicherheitslage derzeit durch vermehrte Angriffe gegen "high profile" Ziele wie Behörden und Sicherheitseinrichtungen zwar beeinträchtigt, aber die Stadt Kabul, ist über den Luftweg sicher erreichbar, dem Beschwerdeführer droht kein unmittelbarer Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Er liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Des Weiteren ist die Stadt Kabul unter Kontrolle der afghanischen Regierung. Dennoch finden immer wieder terroristische Anschläge gegen einzelne Ziele, vor allem solche, die mit der Staatsmacht, den internationalen Akteuren oder religiösen Feierlichkeiten oder Zeremonien der Minderheitsreligionen (zB der Schiiten) in Zusammenhang gebracht werden, statt. Die wirtschaftliche Lage ist schwierig; die Gründung einer Existenz ist für alleinstehende, arbeitsfähige, erwachsene männliche Afghanen aber möglich. Der Beschwerdeführer wäre in der Lage, Zugang zu Wohnraum, Lebensmitteln und Gesundheitsversorgung zu erhalten.
Dem Beschwerdeführer stehen mehrere verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in Kabul zur Verfügung.
1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
1.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018:
Politische Lage
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).
Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).
Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016)
Friedens- und Versöhnungsprozess
Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").
Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).
Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).
Sicherheitslage
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).
Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).
Kabul
Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).
Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).
In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).
Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).
Allgemeine Information zur Sicherheitslage
Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).
Informationen und Beispiele zu öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage (allgemeiner Teil)" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.
Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).
Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.
Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).
Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul
Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul
Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).
Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).
Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).
Rechtsschutz / Justizwesen
Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. (Casolino 2011). Die wichtigste religiöse Institution des Landes ist der Ulema-Rat (Afghan Ulama Council - AUC, Shura-e ulama-e afghanistan, Anm.), eine nationale Versammlung von Religionsgelehrten, die u.a. den Präsidenten in islamrechtlichen Angelegenheiten berät und Einfluss auf die Rechtsformulierung und die Auslegung des existierenden Rechts hat (USDOS 15.8.2017; vgl. AB 7.6.2017, AP o.D.).
as afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.:
Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen (NYT 26.12.2015; vgl. AP o.D.).
Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen, einschließlich Menschenrechtsverträge, vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist (AP o.D.; vgl. vertrauliche Quelle 10.4.2018). Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle als auch das islamische Recht anzuwenden (AP o.D.).
Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten umgesetzt. Die Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen ist innerhalb des Landes uneinheitlich. Dem Gesetz nach gilt für alle Bürger/innen die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Bürger/innen sind bzgl. ihrer Verfassungsrechte oft im Unklaren und es ist selten, dass Staatsanwälte die Beschuldigten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informieren. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt (USDOS 20.4.2018). In Afghanistan existieren keine Strafverteidiger nach dem westlichen Modell; traditionell dienten diese nur als Mittelsmänner zwischen der anklagenden Behörde, dem Angeklagten und dem Gericht. Seit 2008 ändert sich diese Tendenz und es existieren Strafverteidiger, die innerhalb des Justizministeriums und auch außerhalb tätig sind (NYT 26.12.2015). Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt (USDOS 3.3.2017) und ihre Stellungnahmen werden während der Verfahren kaum beachtet (NYT 26.12.2015). Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft jedoch langsam respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern (USDOS 20.4.2018).
Gemäß einem Bericht der New York Times über die Entwicklung des afghanischen Justizwesens wurden im Land zahlreiche Fortbildungskurse für Rechtsgelehrte durch verschiedene westliche Institutionen durchgeführt. Die Fortbildenden wurden in einigen Fällen mit bedeutenden Aspekten der afghanischen Kultur (z. B. Respekt vor älteren Menschen), welche manchmal mit der westlichen Orientierung der Fortbildenden kollidierten, konfrontiert. Auch haben Strafverteidiger und Richter verschiedene Ausbildungshintergründe: Während Strafverteidiger rechts- und politikwissenschaftliche Fakultäten besuchen, studiert der Großteil der Richter Theologie und islamisches Recht (NYT 26.12.2015).
Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll (USIP 3.2015; vgl. USIP o.D.). Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem das Frauenrecht, Strafrecht und -verfahren, die Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.).
Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia, Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9.2016; vgl. USIP o.D., NYT 26.12.2015, WP 31.5.2015, AA 5.2018). Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz im Fall eines Konflikts zwischen dem traditionellen islamischen Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 5.2018).
Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten. Bei Angelegenheiten, wo keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht (welches auch nicht einheitlich ist, Anm.) durch (USDOS 20.4.2018).
Gemäß dem "Survey of the Afghan People" der Asia Foundation (AF) nutzten in den Jahren 2016 und 2017 ca. 20.4% der befragten Afghan/innen nationale und lokale Rechtsinstitutionen als Schlichtungsmechanismen. 43.2% benutzten Schuras und Jirgas, währed 21.4% sich an die Huquq-Abteilung [Anm.: "Rechte"-Abteilung] des Justizministeriums wandten. Im Vergleich zur städtischen Bevölkerung bevorzugten Bewohner ruraler Zentren lokale Rechtsschlichtungsmechanismen wie Schuras und Jirgas (AF 11.2017; vgl. USIP o.D., USDOS 20.4.2018). Die mangelnde Präsenz eines formellen Rechtssystems in ruralen Gebieten führt zur Nutzung lokaler Schlichtungsmechanismen. Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 3.3.2017; vgl. USDOS 20.4.2018). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles auf der Scharia basierendes Rechtssystem um (USDOS 20.4.2018).
Die Unabhängigkeit des Justizwesens ist gesetzlich festgelegt; jedoch wird die afghanische Judikative durch Unterfinanzierung, Unterbesetzung, inadäquate Ausbildung, Unwirksamkeit und Korruption unterminiert (USDOS 20.4.2018). Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent angewandt (AA 9.2016). Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Fähigkeit die hohe Anzahl an neuen und novellierten Gesetzen einzugliedern und durchzuführen. Der Zugang zu Gesetzestexten wird zwar besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt aber für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben, erhöht sich weiterhin (USDOS 3.3.2017). Im Jahr 2017 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit auf 1.000 geschätzt (CRS 13.12.2017), davon waren rund 260 Richterinnen (CRS 13.12.2017; vgl. AT 29.3.2017). Hauptsächlich in unsicheren Gebieten herrscht ein verbreiteter Mangel an Richtern und Richterinnen. Nachdem das Justizministerium neue Richterinnen ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen in unsichere Provinzen versetzen wollte und diese protestierten, beschloss die Behörde, die Richterinnen in sicherere Provinzen zu schicken (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin, Anisa Rasooli, als erste Frau zur Richterin des Obersten Gerichtshofs ernannt, jedoch wurde ihr Amtsantritt durch das Unterhaus [Anm.: "wolesi jirga"] verhindert (AB 12.11.2017; vgl. AT 29.3.2017). Auch existiert in Afghanistan die "Afghan Women Judges Association", ein von Richterinnen geführter Verband, wodurch die Rechte der Bevölkerung, hauptsächlich der Frauen, vertreten werden sollen (TSC o.D.).
Korruption stellt weiterhin ein Problem innerhalb des Gerichtswesens dar (USDOS 20.4.2017; vgl. FH 11.4.2018); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffnete Gruppen (FH 11.4.2018), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 20.4.2017). Wegen der Langsamkeit, der Korruption, der Ineffizienz und der politischen Prägung des afghanischen Justizwesens hat die Bevölkerung wenig Vertrauen in die Judikative (BTI 2018). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das "Anti-Corruption Justice Center" (ACJC), um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (AB 17.11.2017; vgl. Reuters 12.11.2016). Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen (BTI 2018). Seit 1.1.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.2.2018).
Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)
Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber auf der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist es weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug das ANP-Personal etwa 129.156 Mann. Im Vergleich zu Jänner 2017 hat sich die Anzahl der ANP-Streitkräfte um 24.841 Mann verringert (SIGAR 30.4.2018b).
Quellen zufolge dauert die Grundausbildung für Streifenpolizisten bzw. Wächter acht Wochen. Für höhere Dienste dauern die Ausbildungslehrgänge bis zu drei Jahren (DB 23.3.2010). Lehrgänge für den höheren Polizeidienst finden in der Polizeiakademie in Kabul statt, achtwöchige Lehrgänge für Streifenpolizisten finden in Polizeiausbildungszentren statt, die im gesamten Land verteilt sind (GRIPS 1.2010). Die standardisierte Polizeiausbildung wird nach militärischen Gesichtspunkten durchgeführt, jedoch gibt es Uneinheitlichkeit bei den Ausbildungsstandards. Es gibt Streifenpolizisten, die Dienst verrichten, ohne eine Ausbildung erhalten zu haben (USIP 5.2014). Die Rekrutierungs- und Schulungsprozesse der Polizei konzentrierten sich eher auf die Quantität als auf den Qualitätsausbau und erfolgten hauptsächlich auf Ebene der Streifenpolizisten statt der Führungskräfte. Dies führte zu einem Mangel an Professionalität. Die afghanische Regierung erkannte die Notwendigkeit, die beruflichen Fähigkeiten, die Führungskompetenzen und den Grad an Alphabetisierung innerhalb der Polizei zu verbessern (MoI o.D.).
Die Mitglieder der ALP, auch bekannt als "Beschützer", sind meistens Bürger, die von den Dorftältesten oder den lokalen Anführern zum Schutz ihrer Gemeinschaften vor Angriffen Aufständischer designiert werden (SIGAR 30.4.2018a). Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur lokalen Gemeinschaft wurde angenommen, dass die ALP besser als andere Streitkräfte in der Lage sei, die Sachverhalte innerhalb der Gemeinde zu verstehen und somit gegen den Aufstand vorzugehen (AAN 5.7.2017; vgl. AAN 22.5.2018). Die Einbindung in die örtliche Gemeinschaft ist ein integraler Bestandteil bei der Einrichtung der ALP-Einheiten, jedoch wurde die lokale Gemeinschaft in einigen afghanischen Provinzen diesbezüglich nicht konsultiert, so lokale Quellen (AAN 22.5.2018; vgl. AAN 5.7.2017). Finanziert wird die ALP ausschließlich durch das US-amerikanische Verteidigungsministerium und die afghanische Regierung verwaltet die Geldmittel (SIGAR 30.4.2018a; vgl. AAN 31.1.2017).
Die Personalstärke der ALP betrug am 8. Februar 2017 etwa 29.006 Mann, wovon 24.915 ausgebildet waren, 4.091 noch keine Ausbildung genossen hatten und 58 sich gerade in Ausbildung befanden (SIGAR 30.4.2018a). Die Ausbildung besteht in einem vierwöchigen Kurs zur Benutzung von Waffen, Verteidigung an Polizeistützpunkten, Thematik Menschenrechte, Vermeidung von zivilen Opfern usw. (AAN 5.7.2017).
Die monatlichen Ausfälle der ANP im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 ca. 2%. Über die letzten zwölf Monate blieben sie relativ stabil unter 3% (SIGAR 30.4.2018a).
Korruption
Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex für 2017 von Transparency International, belegt Afghanistan von 180 Ländern den 177. Platz (TI 21.2.2018). Einer Umfrage zufolge betrachten 83,7% der Afghanen die Korruption als ein Hauptproblem des Landes. Die Provinzen mit der höchsten Korruptionswahrnehmung sind Kabul mit 89,6%, Uruzgan mit 87,9%, Nangarhar mit 87,8% und Helmand mit 86,9% (AF 2017).
Das Gesetz sieht zwar strafrechtliche Sanktionen für amtliche Korruption vor, jedoch setzt die Regierung diese Vorschriften nicht effektiv um. Berichten zufolge gehen Beamte oft ungestraft korrupten Praktiken nach. Korruption ist in der afghanischen Gesellschaft verbreitet und die Geldflüsse des Militärs, der internationalen Geldgeber und des Drogenhandels verschärfen das Problem zusätzlich. Verschiedene Bereiche sind von Korruption betroffen. Zahlreiche staatliche Infrastrukturprojekte der letzten 15 Jahre wurden auf Basis von Günstlingswirtschaft vergeben. Auch im Justizsystem ist Korruption weit verbreitet, insbesondere im Strafrecht und bei der Anordnung von Haftentlassungen. Es wird auch von illegaler Aneignung von Land durch staatliche und private Akteure berichtet (USDOS 20.4.2018).
Bestechung bleibt im öffentlichen Sektor weiterhin verbreitet und Schmiergeldzahlungen können direkt oder indirekt von Beamten gefordert oder auch von den Bürgern und Bürgerinnen selbst angeboten werden. Afghanen zahlen in den folgenden Bereichen Bestechungsgelder: Rechtswesen, Arbeitsmarkt, an administrativen Behörden auf Provinz- und Distriktebene, Sicherheitsbehörden (ANA und ANP) sowie im Bildungs- und Gesundheitswesen (AF 2017). Trotz der Bemühungen der Geldgeber und der afghanischen Regierung Mechanismen zur Förderung von Verantwortlichkeit und Transparenz zu entwickeln, wurde ein erheblicher Teil der Hilfsgelder für Afghanistan durch Korruption und Fehlleitung veruntreut (AAN 17.5.2018).
Die afghanische Regierung bekennt sich zur Korruptionsbekämpfung mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft und die Zivilgesellschaft. Am 25. August 2008 ratifizierten die damaligen afghanischen Führungskräfte die United Nations Convention against Corruption (UNCAC). Die 2014 gewählte Einheitsregierung (NUG) ist Teil des Self-Reliance through Mutual Accountability Framework (SMAF), einem Abkommen zwischen der afghanischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft u. a. zur Bekämpfung von Korruption (UNAMA 4.2017; vgl. UNAMA 5.2018, USDOS 3.1.2017). Im Jahr 2017 und Anfang 2018 war die Korruptionsbekämpfung weiterhin ein prioritäres Anliegen der afghanischen Machtträger. Wichtige Entwicklungen sind unter anderem die Annahme der Government's Anti-Corruption Strategy am 28. September 2017, die Verabschiedung und das Inkrafttreten des Strafgesetzbuchs jeweils am 4. März 2017 und am 14. Februar 2018, die Erweiterung der Tätigkeiten des High Council on Rule of Law and Anti-Corruption, die Genehmigung des reformierten Haushaltsplans usw. (UNAMA 5.2018). Mit Stand April 2017 gab es in Afghanistan insgesamt 18 Korruptionsbekämpfungsbehörden wie das High Office of Oversight and Anti-Corruption (HOOAC), das High Council on Rule of Law and Anti-Corruption usw. (UNAMA 4.2017).
Im Juni 2016 unterzeichnete Präsident Ashraf Ghani ein Dekret zur Einrichtung des Anti-Corruption Justice Center (ACJC), einer unabhängigen Korruptionsbekämpfungsbehörde, die für die strafrechtliche Verfolgung von Korruptionsfällen auf hoher Ebene zuständig ist (USDOS 20.4.2018). Seit der Eröffnung des ACJC im August 2016 verhandelte dieses 21 Fälle gegen 83 Angeklagte und verhängte annähernd 47 Mrd. USD in Form von Geldstrafen, Geldeinziehungen und Beschlagnahmungen sowie lange Gefängnisstrafen für die Verurteilten. Elf Angeklagte wurden freigesprochen. Beobachtern zufolge waren die Verfahren ordnungsgemäß, fair, systematisch und professionell (USDOS 20.4.2018).
Allgemeine Menschenrechtslage
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen (AA 5.2018).
Zu den bedeutendsten Menschenrechtsfragen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, willkürliche Verhaftungen, Festnahmen (u. a. von Frauen wegen "moralischer Straftaten") und sexueller Missbrauch von Kindern durch Mitglieder der Sicherheitskräfte. Weitere Probleme sind Gewalt gegenüber Journalisten, Verleumdungsklagen, durchdringende Korruption und fehlende Verantwortlichkeit und Untersuchung bei Fällen von Gewalt gegen Frauen. Diskriminierung von Behinderten, ethnischen Minderheiten sowie aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht und sexueller Orientierung, besteht weiterhin mit geringem Zuschreiben von Verantwortlichkeit. Die weit verbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und die Straffreiheit derjenigen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, sind ernsthafte Probleme. Missbrauchsfälle durch Beamte, einschließlich der Sicherheitskräfte, werden von der Regierung nicht konsequent bzw. wirksam verfolgt. Bewaffnete aufständische Gruppierungen greifen mitunter Zivilisten, Ausländer und Angestellte von medizinischen und nicht-staatlichen Organisationen an und begehen gezielte Tötungen regierungsnaher Personen (USDOS 20.4.2018). Regierungsfreundlichen Kräfte verursachen eine geringere - dennoch erhebliche - Zahl an zivilen Opfern (AI 22.2.2018).
Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage (AA 5.2018). Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Afghanistan hat die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 5.2018). Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen operieren in der Regel ohne staatliche Einschränkungen und veröffentlichen ihre Ergebnisse zu Menschenrechtsfällen. Regierungsbedienstete sind in dieser Hinsicht einigermaßen kooperativ und ansprechbar (USDOS 20.4.2018). Die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Afghanistan Independent Human Rights Commission AIHRC bekämpft weiterhin Menschenrechtsverletzungen. Sie erhält nur minimale staatliche Mittel und stützt sich fast ausschließlich auf internationale Geldgeber. Innerhalb der Wolesi Jirga beschäftigen sich drei Arbeitsgruppen mit Menschenrechtsverletzungen: der Ausschuss für Geschlechterfragen, Zivilgesellschaft und Menschenrechte, das Komitee für Drogenbekämpfung, berauschende Drogen und ethischen Missbrauch sowie der Jusitz-, Verwaltungsreform- und Antikorruptionsausschuss (USDOS 20.4.2018).
Im Februar 2016 hat Präsident Ghani den ehemaligen Leiter der afghanischen Menschenrechtskommission, Mohammad Farid Hamidi, zum Generalstaatsanwalt ernannt (USDOD 6.2016; vgl. auch NYT 3.9.2016).
Seit 1.1.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.2.2018).
Meinungs- und Pressefreiheit
Die Presse- und Meinungsfreiheit ist in Artikel 34 der afghanischen Verfassung verankert (MPI 27.1.2004; vgl. USDOS 20.4.2018). Afghanistan steht auf dem World Press Freedom Index auf Platz 118 von 180. Im Vergleich zum Jahr 2017 stieg das Land um zwei Plätze (RSF o.D.).
Afghanistan hat einen lebhaften Mediensektor mit zahlreichen Druckmedien sowie Radio- und Fernsehkanälen, die insgesamt ein großes Spektrum an Meinungen, in der Regel unzensuriert, darstellen.
In Afghanistan sind verschiedene Medienanbieter aktiv: Es existieren unabhängige, privatwirtschaftliche Unternehmen sowie ein staatlicher Rundfunk und Medien-Sender, die spezifische politische Interessen vertreten (FH 11.4.2018). Wegen der hohen Analphabetismusrate bevorzugen zahlreiche Bürger das Radio und das Fernsehen gegenüber Druckmedien. Ein bedeutender Anteil der Bevölkerung, auch in abgelegenen Provinzen, hat Zugang zum Radio (USDOS 20.4.2018). In den vergangenen Jahren galt die afghanische Medienlandschaft als
Vorzeigesektor: differenziert, unabhängig, im Wachstums- und Professionalisierungsprozess begriffen und durch ein vergleichsweise liberales rechtliches Rahmenwerk gestützt. Während der Boomjahre 2007-2012 sind mehr Medien entstanden als der afghanische Markt erhalten kann, es gibt allein 75 TV- und über 200 Radio-Sender. Nur die größten Sender und die Kanäle lokaler Mäzene können dem wirtschaftlichen Druck standhalten. Sicherheitserwägungen, religiöse Forderungen usw. schränken die Medienfreiheit ein. Zugleich übernehmen afghanische Medienvertreter zunehmend politische Verantwortung und gehen bewusst Risiken ein, um Missstände anzuprangern (AA 5.2018). Einer Quelle zufolge gilt der Journalismus- und Mediensektor Afghanistans trotz der zahlreichen Risiken und Herausforderungen der afghanischen Medien in den letzten 17 Jahren als Erfolgsgeschichte (Khaama Press 26.5.2018). Dennoch gibt es Befürchtungen, dass Gewalt und Unsicherheit die Unabhängigkeit und Sicherheit der Medien gefährden könnten (USDOS 20.4.2018).
Berichten zufolge versuchen staatliche Behörden durch Druck, Verordnungen und Drohungen Kritiker zum Schweigen zu bringen. Die regelmäßige Kritik an der Zentralregierung verläuft allgemein frei von Einschränkungen, während Beanstandungen an der Provinzregierung in Gebieten, wo lokale Beamte und Machtträger erheblichen Einfluss und Autorität haben, stärker eingeschränkt werden. Diese Einschüchterungen betreffen sowohl Privatpersonen als auch Journalisten. Bestimmte politische und ethnische Gruppierungen, inklusive derjenigen, die von ehemaligen Mujahedin-Anführern geleitet werden, besitzen zahlreiche Mediensender und kontrollieren die Inhalte auf Provinzebene. Auch sind Berichten zufolge lokale staatliche Behörden beim Zugang zu Information weniger kooperativ. In einigen Provinzen ist die Medienpräsenz eingeschränkt. Das Massenmediengesetz und das Strafgesetzbuch sehen Gefängnis- und Geldstrafen für Verleumdung vor. Manchmal benutzen staatliche Behörden das Diffamierungsverbot als Vorwand, um Kritik an Regierungsbeamten zu unterdrücken. Während einer Rede am 30.4.2017, nach seiner Rückkehr ins Land, bezeichnete Gulbuddin Hekmatyar (der Gründer der Hezb-e-Islami-Partei, Anm.) die öffentlichen Medien als "böse" und forderte deren Zensur durch seine Anhänger. Proteste waren die Folge (USDOS 20.4.2018).
Journalisten haben ein erhöhtes Sicherheitsrisiko, auch in den Fällen, wo sie kein konkretes Ziel sind. In abgelegenen Gebieten tätige Mediengesellschaften und Journalisten sind wegen der zunehmenden Unsicherheit und der Bedrohung durch Aufständische, Warlords und Mitglieder krimineller Organisationen noch gefährdeter. Einige Reporter vermeiden es, den Aufstand und bestimmte Nachbarländer in ihrer Berichterstattung zu kritisieren, aus Angst vor einer Vergeltung durch die Taliban. In unsicheren Gegenden nötigen aufständische Gruppierungen Mediengesellschaften zu Beschränkungen bei der Ausstrahlung von Ankündigun