TE Vwgh Erkenntnis 2018/9/6 Ra 2018/18/0152

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.09.2018
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §29;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober, und den Hofrat Dr. Sutter als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des H R, vertreten durch Mag. Theresia Steiner, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Hohenstaufengasse 7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Februar 2018, Zl. W224 2016548-2/4E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Syriens und wurde als Sohn zweier syrischer Staatsangehöriger, welchen bereits rechtskräftig der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, im Bundesgebiet geboren. Am 16. Juli 2014 stellte der Revisionswerber, vertreten durch seine Mutter als dessen gesetzliche Vertreterin, einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Revisionswerber und seine Familienangehörigen sind Zugehörige zur Volksgruppe der Kurden.

2 Mit Bescheid vom 12. Dezember 2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm jedoch im Familienverfahren - abgeleitet vom Vater des Revisionswerbers - gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).

3 Aufgrund der gegen Spruchpunkt I. erhobenen Beschwerde hob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Beschluss vom 20. April 2015 den Spruchpunkt I. des Bescheides auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Begründend führte das BVwG aus, das BFA habe es verabsäumt, für den Revisionswerber eigene Fluchtgründe zu ermitteln. Die Spruchpunkte II. und III. erwuchsen in Rechtskraft.

4 In der in Folge am 7. Jänner 2016 beim BFA stattgefundenen niederschriftlichen Einvernahme des Vaters des Revisionswerbers gab dieser zu den Fluchtgründen des Revisionswerbers befragt an, der Revisionswerber habe zwar keine politischen Probleme in Syrien aufgrund einer politischen Gesinnung. Als Kurde hätte er allerdings Nachteile in Syrien und würde aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt. Die Befreiungsarmee habe - auch im Heimatdorf der Familie nach deren Flucht - viele Kurden ermordet.

5 Mit Bescheid vom 22. Jänner 2016 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab.

6 In der dagegen erhobenen Beschwerde monierte der Revisionswerber unter anderem, das BFA habe nicht ausreichend geprüft, ob dem Revisionswerber eine Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden und der dadurch unterstellten politischen Gesinnung drohe. Nach der Einschätzung des UNHCR würden Kurden als Risikogruppe zählen.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

8 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, es seien für den minderjährigen Revisionswerber keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht worden. Allein der Umstand, dass der Revisionswerber Kurde sei, reiche für eine asylrelevante Verfolgung noch nicht aus. Eine mündliche Verhandlung habe unterbleiben können, weil der Sachverhalt geklärt sei.

9 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, welche zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst einen Verstoß gegen die Verhandlungspflicht moniert. Der Sachverhalt weise nicht die erforderliche Aktualität und Vollständigkeit auf. Die Feststellungen hätten aufgrund der veränderten Situation im Herkunftsstaat aktualisiert werden müssen. Der Revisionswerber sei als Angehöriger der Volksgruppe der Kurden einer Verfolgung ausgesetzt. Das BVwG sei auf aktuelle Meldungen zur Lage der Kurden in Syrien nicht eingegangen.

10 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12 Die Revision ist zulässig, sie ist auch begründet. 13 Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung

unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn dieser Bestimmung "geklärt erscheint", folgende Kriterien beachtlich: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG muss die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhalts ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018).

14 Diesen in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen hat das BVwG im vorliegenden Fall nicht entsprochen: Bereits in der Einvernahme vor dem BFA brachte der Vater des Revisionswerbers vor, dass Kurden in Syrien verfolgt würden. Das BFA zog in weiterer Folge keine Länderberichte zur Lage der Kurden in Syrien heran und aus den Feststellungen des BFA ist auch nicht erkennbar, aus welcher Region Syriens die Familienangehörigen des Revisionswerbers stammen. Die mangelnde Auseinandersetzung mit einer Verfolgung des Revisionswerbers aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden wurde sodann in der Beschwerde substantiiert gerügt und unter Anführung entsprechender UNHCR-Richtlinien ausgeführt, dass Kurden als Risikogruppe eingestuft würden. Das BVwG verabsäumte in weiterer Folge ebenso sich mit der Situation der Volksgruppe der Kurden in Syrien auseinanderzusetzen, insbesondere Länderberichte hierzu heranzuziehen und Feststellungen zur Herkunftsregion der Familienangehörigen des Revisionswerbers zu treffen. Schon deshalb konnte das BVwG nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinne der oben angeführten hg. Rechtsprechung ausgehen. Des Weiteren rügt die Revision zu Recht eine mangelnde Aktualität des entscheidungswesentlichen Sachverhalts, zumal die vom BFA herangezogenen Länderberichte allesamt aus dem Jahr 2015 und davor stammen und somit im Entscheidungszeitpunkt des BVwG nicht mehr die gebotene Aktualität aufgewiesen haben und der Revisionswerber in der Beschwerde den veralteten Länderberichten unter Hinweis auf aktuelle Einschätzungen des UNHCR entgegengetreten ist. Das BVwG konnte somit im Ergebnis nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand nehmen.

15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist von den mit Asylverfahren befassten Behörden und Gerichten überdies zu erwarten, dass sie insoweit, als es um Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern geht, von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch machen und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einbeziehen. Folglich hatte auch das BVwG seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben (vgl. VwGH 3.5.2018, Ra 2017/19/0476, mwN).

16 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt erkannt, dass schon infolge des gänzlichen Fehlens von für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Feststellungen zur Lage in Syrien der Anforderung, dass jedenfalls die wesentlichen Punkte der diesbezüglichen Feststellungen in der Begründung der Entscheidung eines Verwaltungsgerichts selbst enthalten sein müssen, nicht entsprochen und maßgeblich gegen die Verwaltungsgerichte treffende Begründungspflicht verstoßen wird. Damit wird es dem Verwaltungsgerichtshof verunmöglicht, die angefochtene Entscheidung in der vom Gesetz geforderten Weise einer nachprüfenden Kontrolle zu unterziehen (vgl. etwa VwGH 19.9.2017, Ra 2017/20/0059, mwN).

17 Angesichts der gänzlich fehlenden Länderberichte im Erkenntnis ist die Erwägung des BVwG, wonach der Umstand, dass der Revisionswerber Kurde sei, für sich allein noch nicht ausreiche, um eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK zu begründen, einer nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes nicht zugänglich und ist dem BVwG damit auch ein Verstoß gegen die Begründungspflicht anzulasten.

18 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

19 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 6. September 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018180152.L00

Im RIS seit

02.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2019
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten