Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, sowie die Hofräte und Hofrätinnen Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann, Mag. Ziegelbauer und Dr. Stefula als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen F*****, geboren am ***** 2009, vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger (Amt für Jugend und Familie – Rechtsvertretung Bezirke 1, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 1060 Wien, Amerlingstraße 11), wegen Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse, über den Revisionsrekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27. Dezember 2017, GZ 43 R 568/17y-42, womit infolge Rekurses des Kindes der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 24. Oktober 2017, GZ 90 Pu 69/11k-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der ***** 2009 geborene F***** lebt seit der Ermordung seiner Mutter ***** 2010 im Haushalt seiner Großmutter mütterlicherseits, der auch am 10. 5. 2010 die Obsorge übertragen wurde. Der unterhaltspflichtige Vater verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Mit Beschluss vom 27. 7. 2010 wurden dem Kind für die Zeit von 1. 6. 2010 bis 31. 5. 2015 Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG gewährt; diese wurden mit Beschluss vom 18. 5. 2015 für die Zeit von 1. 6. 2015 bis 31. 5. 2020 weiter gewährt.
Mit Schreiben vom 17. 10. 2017 teilte der Kinder- und Jugendhilfeträger dem Erstgericht gemäß § 21 UVG mit, dass das Kind eine Halbwaisenpension beziehe, deren Höhe monatlich 344 EUR betrage (ON 25).
Das Erstgericht stellte daraufhin gemäß § 20 Abs 1 Z 4 UVG die Unterhaltsvorschüsse für den Zeitraum von 1. 6. 2010 bis 31. 8. 2015 ein und setzte die Unterhaltsvorschüsse gemäß § 19 Abs 1 UVG für den Zeitraum von 1. 9. 2015 bis 31. 12. 2015 auf monatlich 86 EUR, für den Zeitraum von 1. 1. 2016 bis 31. 12. 2016 auf monatlich 89 EUR und für den Zeitraum ab 1. 1. 2017 auf monatlich 91 EUR herab. Als Begründung gab das Erstgericht an, dass nach ständiger Rechtsprechung bei Richtsatzvorschüssen vom Richtsatzbetrag die Hälfte des Eigeneinkommens in Abzug zu bringen sei. Im Zeitraum von 1. 6. 2010 bis 31. 8. 2015 verbleibe daher kein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse; ab 1. 9. 2015 bestehe der Anspruch nur mehr in der genannten Höhe.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kindes nicht Folge. Den Revisionsrekurs ließ es mit der Begründung zu, dass sich die jedenfalls hälftige Anrechnung einer Halbwaisenpension nicht zwingend aus § 7 Abs 2 Z 2 UVG ableiten lasse, weshalb dem Kind die Möglichkeit zu eröffnen sei, seine Argumentation im Rahmen des Revisionsrekursverfahrens prüfen zu lassen.
Rechtlich führte das Rekursgericht aus, die Berücksichtigung von Einkünften des Vorschussberechtigten im Fall eines Richtsatzvorschusses habe nach § 7 Abs 1 Z 2 UVG zu erfolgen, der eine Kürzung der Richtsatzvorschüsse im Ausmaß eigener Einkünfte anordne. Das dem Kind anrechenbare Eigeneinkommen sei bei einem Richtsatzvorschuss etwa je zur Hälfte auf die Betreuungs- und Geldleistungen anzurechnen, sodass die Hälfte des Einkommens des Kindes vom altersentsprechenden Richtsatz in Abzug zu bringen sei. Die Anwendung der „Richtwertformel“ komme nur bei einer Beurteilung eines Titelvorschusses in Betracht, nicht aber bei Richtsatzvorschüssen. Die unterschiedlichen Bemessungssysteme des UVG dürften nicht miteinander vermengt werden. Bereits in der einen gleichgelagerten Sachverhalt betreffenden Entscheidung 10 Ob 72/09z sei vom Obersten Gerichtshof ausgeführt worden, dass ein Kind, das nach dem Tod der betreuenden Mutter in Drittpflege eines Großelternteils stehe, gegenüber seinem Vater einen Unterhaltsanspruch habe, der in der Differenz zwischen der „Richtsatzpension“ (Ausgleichszulagenrichtsatz nach dem ASVG) und dem Eigeneinkommen (der Waisenpension) bestehe. Betreuungsleistungen der Großeltern hätten unberücksichtigt zu bleiben und könnten den Unterhaltsanspruch des Kindes gegenüber dem Vater nicht mindern. Demnach habe der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung betont, dass die Richtsatzvorschüsse um das Eigeneinkommen des Kindes, und zwar um die Hälfte, zu reduzieren seien. Die vom Gesetz bei Richtsatzvorschüssen bezweckte Sicherstellung einer Mindestversorgung sei auch bei Abzug der Hälfte des Eigeneinkommens des Kindes von der Richtsatzhöhe gegeben.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Kindes mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen ersatzlos aufzuheben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof
nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 71 Abs 1 AußStrG) nicht zulässig.
Der Revisionsrekurswerber macht im Wesentlichen geltend, eine Unterscheidung zwischen Titel- und Richtsatzvorschüssen bei Anrechnung von eigenen Einkünften des Kindes sei weder sachlich notwendig noch aus dem Gesetz zwingend ableitbar. Vielmehr seien die in der Entscheidung 10 Ob 17/13t für die Herabsetzung von Titelunterhaltsvorschüssen infolge Eigeneinkommens entwickelten Überlegungen auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Ausgehend von einer Selbsterhaltungsfähigkeitsgrenze für einfache Verhältnisse im Ausmaß von monatlich rund 1.000 EUR ergebe sich daher nach Abzug des Eigeneinkommens des Kindes inklusive anteiliger Sonderzahlungen in Höhe von monatlich rund 400 EUR ein monatlicher Fehlbetrag von ca 600 EUR. Diesen Betrag erreiche der Richtsatzhaftvorschuss nicht einmal annähernd, weshalb weder eine Einstellung noch eine Herabsetzung der Richtsatzvorschüsse zulässig sei.
Dazu ist auszuführen:
1.1 Der Tod der Mutter, in deren Obsorge sich der damals noch nicht ein Jahr alte F***** befand, bewirkte eine Veränderung von dessen Lebensverhältnissen insofern, als er nunmehr auf die Betreuung in anderer Weise angewiesen war. Dadurch erhöhte sich der in Geld zu deckende Bedarf und die primäre Unterhaltspflicht der Eltern konzentrierte sich allein auf den Vater. Andererseits sind die Einkünfte des Kindes aus der Waisenpension nach der Mutter als unterhaltsminderndes Eigeneinkommen zu berücksichtigen (6 Ob 569/91; 10 Ob 72/09z).
1.2 Der Höhe nach besteht der Unterhaltsanspruch des Kindes gegenüber dem Vater in der Differenz zwischen dem Ausgleichszulagenrichtsatz nach dem ASVG und dem Eigeneinkommen (Waisenpension). Die von der mütterlichen Großmutter erbrachten Betreuungsleistungen haben unberücksichtigt zu bleiben und mindern den Unterhaltsanspruch gegenüber dem Vater nicht (10 Ob 72/09z; RIS-Justiz RS0107607, RS0047345, RS0017949).
1.3 Da sich der Vater seit 2010 in Österreich in (lebenslanger) Strafhaft befindet und nicht fähig ist, seinen Unterhaltspflichten nachzukommen, wurden dem Kind Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 3 UVG („Haftvorschüsse“) in Richtsatzhöhe gewährt.
2.1 Nach § 7 Abs 1 Z 2 UVG hat das Gericht die Richtsatzvorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist.
2.2 Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht, nachdem es Kenntnis davon erhalten hatte, dass das Kind nach dem Tod seiner Mutter eine Waisenpension bezog, die Haftvorschüsse (rückwirkend) eingestellt bzw herabgesetzt. Dabei hat das Erstgericht den verbleibenden Vorschussanspruch durch Abzug des anzurechenden Eigeneinkommens (nämlich der Hälfte des Eigeneinkommens) vom Richtsatz nach § 6 Abs 2 UVG errechnet. Diese Methode entspricht der ständigen Rechtsprechung (10 Ob 72/09z; RIS-Justiz RS0076408). Auch die Intention des Gesetzgebers deutet in diese Richtung.
2.3 Dass sich Richtsatzvorschüsse um das anzurechnende Eigeneinkommen des Kindes mindern sollen, ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien zur Novelle BGBl 1980/278, mit der die Bestimmung des § 7 Abs 1 Z 2 UVG eingeführt wurde. Dort heißt es unter anderem zu § 7 Abs 1 UVG (Erläut RV 276 BlgNR 15. GP 11 f):
„… Die Bestimmung ist nach ihrem Wortlaut nur auf die Fälle anwendbar, in denen Grundlage der Bevorschussung ein Exekutionstitel ist, nicht also bei Gewährung von Vorschüssen nach § 4 Z 2 oder 4. Das ist zu Recht als Mangel angesehen worden. Das Gericht kann die Vorschüsse nur entweder in der vollen Höhe der Pauschalbeträge des § 6 Abs. 2 gewähren oder sie versagen; die Möglichkeit einer Verminderung der Pauschalbeträge wegen teilweiser Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes besteht nach herrschender Auffassung nicht. Dieses 'Alles-oder-Nichts-Prinzip' ist unbefriedigend. Oft hat ein Minderjähriger ein Einkommen, das ihm die Befriedigung zumindest eines Teiles seiner Bedürfnisse ermöglicht; dann vermindert sich auch sein Unterhaltsanspruch. Es ist nicht sachgerecht, in diesen Fällen die vollen Pauschalbeträge des § 6 Abs. 2 als Vorschuss zu gewähren.
Der § 7 Abs. 1 soll daher erweitert werden: Werden Vorschüsse nach § 4 Z 2 oder 3 gewährt, so soll das Gericht die Pauschalbeträge des § 6 insoweit herabsetzen können, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist. Es verringern sich also die Vorschüsse um die dem Kind anzurechnenden eigenen Einkünfte (Z 2).“
2.4 Richtig ist, dass der Gesetzgeber damit nicht eindeutig geklärt hat, in welcher Weise die Anrechnung der eigenen Einkünfte des Kindes vorgenommen werden soll. Auf der einen Seite differenziert er offensichtlich zwischen der Anrechnung bei Titelvorschüssen (§ 7 Abs 1 Z 1 UVG) und Richtsatzvorschüssen (§ 7 Abs 1 Z 2 UVG). Auf der anderen Seite verwendet er in § 7 Abs 1 Z 2 UVG genau diejenige Formulierung, die in § 140 Abs 3 ABGB aF (nun § 231 Abs 3 ABGB) enthalten ist („Der Anspruch auf Unterhalt mindert sich insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist.“).
3.1 Die Frage, welchen Einfluss eigene Einkünfte des Kindes bei Titelvorschussgewährung haben, wurde in der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 560/92 (SZ 65/114) dahin beantwortet, dass der Unterhaltsberechtigte auch dann, wenn ihm aus anderen Quellen, etwa aus Vermögen, aus eigenem Erwerb oder auch einer Waisenpension Mittel zur Deckung seines Unterhaltsbedarfs in Höhe des Richtsatzes nach § 6 Abs 1 UVG zur Verfügung stehen, einen aus dem verbliebenen Unterhaltsanspruch resultierenden Anspruch auf Vorschüsse hat. Im Fall des § 7 Abs 1 Z 1 UVG ist somit nicht das Eigeneinkommen von der Titelhöhe abzuziehen, sondern zu prüfen, ob – wenn ja in welcher Höhe – der im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltsanspruch unter Berücksichtigung des Eigeneinkommens noch fortbesteht, weil die Eigeneinkünfte zu einer Verringerung des konkreten Bedarfs führen (RIS-Justiz RS0076370; Neumayr in Schwimann/Kodek4, § 7 UVG Rz 13 mwN) und diese Bedarfsminderung beiden unterhaltspflichtigen Elternteilen zugutekommen soll. Es ist demnach zu ermitteln, mit welchem Betrag die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht unter Bedachtnahme auf die eigenen Einkünfte des Kindes noch besteht (§ 231 Abs 3 ABGB).
3.2 Während die Unterhaltsbemessung im Fall des § 7 Abs 1 Z 1 UVG konkret an den Lebensverhältnissen des geldunterhaltspflichtigen Elternteils anknüpft, ist dies bei Richtsatzvorschüssen nicht möglich. Im Gegensatz zum Fall eines mit einem Unterhaltstitel zusammentreffenden Eigeneinkommens kann daher nicht geklärt werden, inwieweit die Eigeneinkünfte den „Bedarf“ als Richtschnur für den Unterhaltsanspruch gegenüber einem Elternteil beeinflussen, denn die Richtsatzhöhe ist abstrakt festgelegt. Daraus schließt die Rechtsprechung, dass § 7 Abs 1 Z 2 UVG eine Kürzung des Richtsatzvorschusses um die eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten, bewirkt, wobei die Eigeneinkünfte beiden Elternteilen zugutekommen müssen, weshalb (im Zweifel) im Bezug auf jeden Elternteil nur die Hälfte des Eigeneinkommens anzurechnen ist. Seinen Grund hat diese Art der Anrechnung in dem im Vergleich zum Titelvorschusssystem grundsätzlich anders gelagerten Richtsatzvorschusssystem. Wie bereits das Rekursgericht ausgeführt hat, liegt dem UVG kein einheitliches Vorschusskonzept zugrunde. Vielmehr handelt es sich bei den Richtsatz- und den Titelvorschüssen um zwei verschiedene Bemessungssysteme, die nicht miteinander vermengt werden dürfen (4 Ob 549/91).
3.3 Der Zweck von Richtersatzvorschüssen nach § 4 Z 2 und 3 UVG liegt darin, den Unterhalt bis zur Richtsatzhöhe zu sichern. Wird die Richtsatzhöhe schon mit dem anzurechnenden Einkommen des Kindes erreicht, besteht kein Sicherungsbedürfnis und damit auch kein Anspruch auf Vorschüsse mehr. Dabei wird in Kauf genommen, dass das Kind von seinem Einkommen keinen zusätzlichen Vorteil erzielt (Neumayr in Schwimann/Kodek4, § 7 UVG Rz 39).
3.3 Die Ansicht der Vorinstanzen steht mit diesen Grundsätzen im Einklang. Mit seiner daran geäußerten Kritik gelingt es dem Revisionsrekurswerber nicht, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen.
4. Dass die Waisenpension nicht schon im Jahr 2010, sondern erst deutlich später zugeflossen sein sollte und sich der Unterhaltsanspruch – und damit auch der Unterhaltsvorschussanspruch – erst ab dem Zeitpunkt des tatsächlichen Zuflusses der Waisenpension mindern soll, wurde im Rekurs nicht geltend gemacht und kann als selbständiger Streitpunkt nicht im Revisionsrekurs nachgetragen werden.
Der Revisionrekurs war daher zurückzuweisen.
Textnummer
E121739European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0100OB00025.18A.0417.000Im RIS seit
23.06.2018Zuletzt aktualisiert am
31.10.2018