Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §13 Abs3;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2018/20/0060Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision 1. des F A D (prot. zur hg. Zl. Ra 2018/20/0059), und 2. des A A D (prot. zur hg. Zl. Ra 2018/20/0060), beide in W, beide vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. November 2017, Zl. L504 2122576-1/9E und Zl. L504 2122574- 1/9E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheiden vom 2. Februar 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der staatenlosen Revisionswerber auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab (Spruchpunkte I), erkannte ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkte II) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 3. Februar 2017 (Spruchpunkte III).
2 Gegen die Spruchpunkte I erhoben die Revisionswerber mit Schriftsatz vom 15. Februar 2016 Beschwerde. Die Revisionswerber beantragten die Beigebung eines Verfahrenshelfers, die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung und die Abänderung der angefochtenen Spruchpunkte I dahingehend, dass den Revisionswerbern jeweils der Status der Asylberechtigten zuerkannt werde; hilfsweise wurde ein Aufhebungsantrag gestellt. Weiters wurde wörtlich ausgeführt:
"Eine detaillierte Begründung wird in den nächsten Tagen in einer Beschwerdeergänzung nachgereicht."
3 Unterfertigt wurde die Beschwerde eigenhändig vom Erstrevisionswerber. Auf dem Briefkuvert befand sich ein Stempel der Diakonie Flüchtlingsdienst.
4 Erst mit dem von der ARGE Rechtsberatung am 10. Jänner 2017 eingebrachten und als "Beschwerdeergänzung" betitelten Schriftsatz wurde eine Begründung, warum das Ermittlungsverfahren als mangelhaft und die rechtliche Beurteilung als nicht richtig erachtet würden, nachgereicht. Überdies wurde der ursprünglich im Rahmen der Beschwerde gestellte Antrag auf Verfahrenshilfe zurückgezogen. Diesem Schriftsatz war eine auf die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung lautende Vollmacht, datiert mit 30. November 2016, angeschlossen.
5 Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 27. November 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde gemäß § 9 Abs. 1 Z 3 VwGVG als unzulässig zurück. Weiters sprach es aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Begründend stellte das BVwG fest, die Revisionswerber hätten innerhalb der Beschwerdefrist keine Begründung nachgereicht.
7 Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung führte das BVwG aus, den Revisionswerbern sei für das Beschwerdeverfahren amtswegig die ARGE-Rechtsberatung, bestehend aus Diakonie und Volkshilfe, zugeteilt worden und es habe die Beschwerde offenkundig die Diakonie - das Kuvert, mit dem die Beschwerde eingebracht worden sei, trage den Stempel dieser NGO - verfasst. Es könne dieser als Rechtsberater im Asyl- und Fremdenrecht tätigen Organisation nicht unterstellt werden, dass sie fachlich nicht hinlänglich versiert sei. Somit scheide auch aus, dass die Beschwerde infolge Unkenntnis der Rechtslage oder eines Versehens derart inhaltsleer hinsichtlich der Begründung verfasst worden sei. So führe die Beschwerde ausdrücklich aus, dass eine detaillierte Begründung in den nächsten Tagen in einer Beschwerdeergänzung nachgereicht werde. Es sei zwar eine detaillierte Begründung der Beschwerde nachgereicht worden, allerdings erst fast ein Jahr später und damit jedenfalls nicht mehr innerhalb der gesetzlichen Beschwerdefrist. Für das BVwG "liege es auf der Hand, dass die Unbegründetheit der Beschwerde vom 15.02.2016 bewusst (gewesen sei) und dadurch der rechtsmissbräuchliche Versuch unternommen (worden sei), die Rechtsmittelfrist nach eigenem Belieben (arg.: ,in den nächsten Tagen') unzulässig zu verlängern".
In vorliegendem Fall sei auch eine Verbesserung des Beschwerdeschriftsatzes gemäß § 13 Abs. 3 AVG nicht möglich gewesen. Werde eine Beschwerde bewusst mangelhaft gestaltet, um auf dem Umweg eines Verbesserungsauftrages eine Verlängerung der Beschwerdefrist zu erreichen, so sei die Beschwerde sofort zurückzuweisen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs diene § 13 Abs. 3 AVG dem Schutz der Parteien vor Rechtsnachteilen, die ihnen aus Anbringen entstehen würden, die aus Unkenntnis der Rechtslage oder infolge eines Versehens mangelhaft seien. Habe hingegen die Partei den Mangel bewusst herbeigeführt, um zum Beispiel auf dem Umweg eines Verbesserungsauftrages eine Verlängerung der Rechtsmittelfrist zu erlangen, sei für die Erteilung eines Verbesserungsauftrages kein Raum und das bewusst und rechtsmissbräuchlich mangelhaft gestaltete Anbringen sei sofort zurückzuweisen (Hinweis auf VwGH 25.2.2005, 2004/05/0115).
8 In der dagegen erhobenen Revision wird im Wesentlichen vorgebracht, das BVwG habe keine nachvollziehbare Darstellung unternommen, worin es eine rechtsmissbräuchliche Absicht des Erstrevisionswerbers erkenne; vielmehr gehe das BVwG davon aus, die rechtsmissbräuchliche Absicht des Erstrevisionswerbers liege "auf der Hand", ohne eine weitergehende Begründung für diese Schlussfolgerung vorzunehmen. Selbst unter der Annahme, die Beschwerdegründe seien nicht dem Gesetz entsprechend ausgeführt worden, wäre das BVwG angehalten gewesen, einen Verbesserungsauftrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG zu erteilen und habe die Beschwerde nicht ohne weiteres zurückweisen dürfen, weil keine Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen der Revisionswerber vorliegen.
9 Die Revision ist zulässig und begründet.
10 Mangelt es der Beschwerde an den in § 9 Abs. 1 VwGVG genannten Inhaltserfordernissen (hier: Beschwerdegründe), sind diese Mängel gemäß der - gemäß § 17 VwGVG auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anzuwendenden - Bestimmung des § 13 Abs. 3 AVG grundsätzlich einer Verbesserung zuzuführen.
11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs dient § 13 Abs. 3 AVG dem Schutz der Parteien vor Rechtsnachteilen, die ihnen aus Anbringen entstehen können, die aus Unkenntnis der Rechtslage oder infolge eines Versehens mangelhaft sind. Hat hingegen die Partei den Mangel erkennbar bewusst herbeigeführt, um zum Beispiel auf dem Umweg eines Verbesserungsverfahrens eine Verlängerung der Rechtsmittelfrist zu erlangen, ist für die Erteilung eines Verbesserungsauftrages kein Raum und das bewusst und rechtsmissbräuchlich mangelhaft gestaltete Anbringen sofort zurückzuweisen (vgl. VwGH 17.2.2015, Ro 2014/01/0036, mwN).
12 Um im Sinn der Rechtsprechung ein derartiges Anbringen sofort zurückweisen zu können, ist die rechtsmissbräuchliche Absicht in der Zurückweisungsentscheidung nachvollziehbar darzustellen (vgl. VwGH 10.6.2008, 2007/02/0340).
13 Im vorliegenden Fall hat der Erstrevisionswerber - auch in Vertretung seines minderjährigen Sohnes (Zweitrevisionswerber) - den Beschwerdeschriftsatz vom 15. Februar 2016 eigenhändig unterfertigt. Eine Vertretungsvollmacht lautend auf die ARGE Rechtsberatung wurde gemäß der Aktenlage erst am 30. November 2016 erteilt. Unerheblich ist die Feststellung des BVwG, wonach den Revisionswerbern die ARGE Rechtsberatung als Rechtsberater amtswegig beigegeben worden sei. An dieser Beurteilung ändert auch nichts, dass das Kuvert, mit dem die Beschwerde postalisch eingebracht wurde, mit einem Stempel der Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH versehen war.
14 Davon ausgehend sind die Ausführungen des BVwG, es "liege auf der Hand", dass die Revisionswerber die mangelhafte Beschwerde in rechtsmissbräuchlicher Absicht ausgeführt hätten, unschlüssig. Das Vorliegen eines Rechtsmissbrauches im Fall der Revisionswerber wird vom BVwG im angefochtenen Beschluss nicht nachvollziehbar dargestellt, weil allein der Hinweis der - bei Erhebung der Beschwerde - unvertretenen Revisionswerber in ihrem Beschwerdeschriftsatz, eine "detaillierte Begründung" nachzureichen, keinen Rechtsmissbrauch darstellt (vgl. nochmals VwGH 17.2.2015, Ro 2014/01/0036).
15 Auch aus dem Gang des Verwaltungsverfahrens ist kein (sonstiger) Anhaltspunkt für eine rechtsmissbräuchliche Absicht der Revisionswerber zwecks "Verlängerung der Beschwerdefrist" zu erkennen.
16 Vielmehr ließ das BVwG die Beschwerde vom 15. Februar 2016 fast ein Jahr - bis zur Beschwerdeergänzung im Jänner 2017 - unbearbeitet und wies diese erst nach einer weiteren zehnmonatigen Untätigkeit mit dem angefochtenen Beschluss zurück. Die Zurückweisung der gegenständlichen Beschwerde kam somit im vorliegenden Fall auch schon deswegen nicht in Betracht, weil das BVwG weder "unverzüglich" gemäß § 13 Abs. 3 AVG von Amts wegen die Behebung des Mangels der Beschwerde veranlasste noch "sofort" die Beschwerde zurückwies.
17 Der angefochtene Beschluss war daher in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 29. Mai 2018
Schlagworte
Verbesserungsauftrag BejahungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018200059.L00Im RIS seit
20.06.2018Zuletzt aktualisiert am
28.06.2018