TE Vfgh Beschluss 2018/6/11 G91/2018

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.06.2018
beobachten
merken

Index

20 Privatrecht allgemein
20/13 Sonstiges

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
BaurechtsG §8

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des BaurechtsG betreffend die Löschung eines Baurechts aus dem Grundbuch; zumutbarer Umweg zur Geltendmachung der Gleichheitsbedenken durch Anregung eines Gesetzesprüfungsantrags im Rahmen des vorangegangenen Grundbuchverfahrens; zudem Möglichkeit der Herantragung der Bedenken in Form eines Parteiantrags

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I.       Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litc B-VG gestützten Antrag begehren die Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge "§8 des Baurechtgesetzes (Gesetz vom 26.04.1912 RGBl Nr 86/1912) als verfassungswidrig aufheben".

II.      Rechtslage

Der angefochtene §8 des Gesetzes vom 26. April 1912, betreffend das Baurecht (Baurechtsgesetz – BauRG), RGBl. 86/1912, lautet:

"§8.

Die Löschung des Baurechtes kann vor Ablauf der Zeit, für die es bestellt ist, ohne Zustimmung der darauf eingetragenen Pfandgläubiger und anderer dinglich Berechtigten nur mit der Beschränkung bewilligt werden, daß die Rechtswirkung in Ansehung der Pfand- und anderen dinglichen Rechte erst mit deren Löschung einzutreten hat."

III.    Antragsvorbringen und Sachverhalt

1.       Die Antragsteller sind Eigentümer einer Liegenschaft in Lienz, für die mit Baurechtsvertrag vom 2. August 2007 einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung das Baurecht eingeräumt worden war. Wegen Nichtzahlung des Baurechtszinses wurde am 6. Juni 2014 der Baurechtsvertrag aufgekündigt und die Löschung der Eintragung des Baurechts aus dem Grundbuch beantragt. Mangels Zustimmung des darauf eingetragenen Pfandgläubigers wurde die Einverleibung der Löschung des Baurechts durch das Bezirksgericht Lienz jedoch nur "mit der Beschränkung des §8 BauRG" bewilligt und damit die Löschung nach Ansicht der Antragsteller "faktisch nicht durchgeführt".

2.       Sowohl das Landesgericht Innsbruck als Rekursgericht als auch der Oberste Gerichtshof bestätigten diese Entscheidung.

2.1.    Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes (OGH 25.8.2015, 5 Ob 156/15z) hätten die Antragsteller die vom Rekursgericht angeordneten Grundbucheintragungen (lediglich) insoweit bekämpft, als dieses die Einverleibung der Löschung nur "mit der Beschränkung des §8 BauRG" bewilligt habe. Diese Entscheidung des Rekursgerichtes entspreche allerdings der insoweit völlig eindeutigen, durch §8 BauRG vorgegebenen Rechtslage, wonach die Löschung des Baurechts vor Ablauf der Zeit, für die es bestellt sei, ohne die – hier fehlende – Zustimmung des darauf eingetragenen Pfandgläubigers nur mit der Beschränkung bewilligt werden könne, dass die Rechtswirkung in Ansehung der Pfand- und anderen dinglichen Rechte erst mit deren Löschung einzutreten habe (relatives Erlöschen des Baurechts). Da die Zustimmung des eingetragenen Pfandgläubigers gefehlt habe, sei trotz Einwilligung der Bauberechtigten die zwingende gesetzliche Einschränkung durch §8 BauRG zugunsten des eingetragenen Pfandgläubigers zu berücksichtigen gewesen.

2.2.    Zu den von den Antragstellern erhobenen Bedenken gegen §8 BauRG – denen zufolge die Bestimmung wegen Verstoßes gegen Art18 Abs1 B-VG und Art7 Abs1 B-VG verfassungswidrig sei, weil dessen materiell-rechtliche Folgen völlig unklar seien – hielt der Oberste Gerichtshof fest, dass er keinen Anlass zur Einleitung eines von den Antragstellern angeregten Gesetzesprüfungsverfahrens sehe. §8 BauRG sei der Regelung (der Vorgängerbestimmung) des §51 Abs1 GBG 1955 nachgebildet und diene, wie die Antragsteller selbst erkennen, dem Schutz eingetragener Pfandgläubiger sowie anderer dinglicher Berechtigter (vgl. Kodek, in: Kodek [Hrsg.], Grundbuchsrecht §51 GBG Rz 6). Er verwirkliche damit – einerseits völlig klar und andererseits sachlich gerechtfertigt – den Grundsatz, dass durch Verzicht oder Rechtsverlust einer Person (hier: des Bauberechtigten) die (hier: bücherlichen) Rechte Dritter nicht beeinträchtigt werden dürfen (Kodek, aaO, Rz 8). Welche materiell-rechtlichen Folgen die Regelung des §8 BauRG dagegen im Detail für den Liegenschaftseigentümer habe, sei im vorliegenden Grundbuchverfahren nicht Prüfungsgegenstand und damit nicht entscheidungsrelevant.

3.       In der Folge des Unterbleibens eines Gesetzesprüfungsantrags durch das Landesgericht oder den Obersten Gerichthof stellen die Antragsteller den vorliegenden Individualantrag auf Aufhebung von §8 BauRG auf Grund von Bedenken im Hinblick auf das Recht auf Gleichbehandlung aller Staatsbürger vor dem Gesetz und das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums.

3.1.    Zur Antragslegitimation bringen die Antragsteller das Folgende vor:

3.2.    Die Antragsteller seien Eigentümer der Liegenschaft und von der angefochtenen Bestimmung insofern direkt betroffen, als auf dieser Liegenschaft das Baurecht der Gesellschaft zwar gelöscht worden sei, aber auf Grund des §8 BauRG die Löschung nicht vollständig vollzogen werden habe können, sondern nur der Zusatz "Anmerkung der Löschung mit der Beschränkung des §8 Baurechtsgesetz" ergänzt worden sei.

3.3.    Durch den Umstand, dass das Baurecht "faktisch" nicht gelöscht worden sei, würden die Antragsteller nicht wissen, wie in Zukunft mit dem Baurecht zu verfahren sei. Zudem seien sie durch den Zusatz und der damit verbundenen, faktisch nicht durchgeführten Löschung des Baurechts in ihrem Eigentumsrecht massiv eingeschränkt, da nicht absehbar sei, welche Rechtsfolgen diese "beschränkte Löschung" nach sich ziehe, und damit Veräußerungen, Vermietungen etc. nicht möglich seien.

3.4.    Ein "Umweg" sei nach Ansicht der Antragsteller nicht zumutbar bzw. nicht möglich, da die Antragsteller keine Möglichkeit hätten, eine Löschung des für sie belastenden Zusatzes zu erwirken, ohne dass vorher das Pfandrecht ob der Baurechtseinlage gelöscht werde. Dies liege nicht in ihrer Einflusssphäre, sondern hänge vielmehr von den "Aktivitäten des Pfandgläubigers" ab, der aber von den Liegenschaftseigentümern nicht gezwungen werden könne, sein Pfandrecht einzulösen und dies auf Grund der massiven Rechtsunsicherheit im vorliegenden Fall auch nicht tun werde. Die Antragsteller hätten bereits seit längerer Zeit erfolglos versucht, das Pfandrecht zu löschen.

3.5.    Die einzig rechtlich mögliche Variante, die in Rede stehende Bestimmung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, hätten die Antragsteller ohnehin versucht, indem sie die gerichtlichen Entscheidungen bis zum Obersten Gerichtshof mit dem Argument der Verfassungswidrigkeit bekämpft hätten. Sowohl im Rahmen des Verfahrens vor dem Landesgericht als auch vor dem Obersten Gerichtshof sei die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des §8 BauRG angeregt worden. Sowohl das Landesgericht als auch der Oberste Gerichtshof seien dieser Anregung jedoch mit der Begründung nicht nachgekommen, dass die materiell-rechtlichen Folgen des §8 BauRG im Grundbuchverfahren nicht entscheidungsrelevant seien. Weitere Schritte gegen die genannten Entscheidungen seien nicht mehr möglich.

3.6.    §8 BauRG wirke sich somit unmittelbar in der Rechtssphäre der Antragsteller nachteilig aus. Diese Auswirkungen seien auch aktuell: Die Antragsteller würden die Liegenschaft komplett sanieren und einen hohen Betrag in die Liegenschaft investieren wollen, um diese dann vermieten zu können. Bei der derzeitigen Rechtsunsicherheit bezüglich der nicht einschätzbaren bzw. nicht geregelten Folgen des §8 BauRG könnten die Antragsteller derart hohe Investitionssummen jedoch nicht riskieren und seien gezwungen abzuwarten, bis der Pfandgläubiger allenfalls doch ein Versteigerungsverfahren einleite, wofür dieser aber noch rund 22 Jahre Zeit habe. Eine Umwegunzumutbarkeit liege dabei darin, dass die Löschung des Pfandrechts nicht in der Einflusssphäre der Normbetroffenen, also der Antragsteller, liege, sie aber die Auswirkungen dieser Bestimmungen als Liegenschaftseigentümer treffen würden, die über ihr Eigentum bei vollkommener Rechtsunsicherheit faktisch nicht ohne großes Risiko disponieren könnten.

IV.      Zulässigkeit

1.       Der Antrag ist unzulässig.

2.       Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B?VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

3.       Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.

4.       Nicht jedem Normadressaten kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

4.1.    Ein solcher zumutbarer Weg ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes u.a. dann eröffnet, wenn bereits ein gerichtliches Verfahren anhängig ist (oder anhängig war), das dem Betroffenen Gelegenheit bietet (bzw. bot), eine amtswegige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anzuregen (zB VfSlg 13.871/1994 mwN, 15.786/2000, 17.110/2004, 17.276/2004, 18.370/2008).

4.2.    Wie der Verfassungsgerichtshof in diesem Zusammenhang bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist der Partei in einem solchen Fall nur bei Vorliegen besonderer außergewöhnlicher Umstände das Recht zur Einbringung eines Gesetzesprüfungsantrages eingeräumt (vgl. VfGH 12.10.2016, G269/2016 ua.). Andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Grundprinzip des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht im Einklang stünde (zB VfSlg 8312/1978, 19.674/2012; vgl. auch VfGH 19.2.2016, V150/2015 ua.; 12.10.2016, G269/2016 ua.).

4.3.    Wie die Antragsteller selbst ausführen, hatten diese sowohl im Verfahren vor dem Landesgericht Innsbruck als auch im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof die Gelegenheit, verfassungsrechtliche Bedenken gegen den präjudiziellen §8 BauRG über die ordentlichen Gerichte an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen (vgl. VfSlg 9170/1981, 9285/1981, 10.592/1985, 11.889/1988). Der Umstand, dass das Landesgericht Innsbruck und der Oberste Gerichtshof trotz Anregung, aber mangels eigener Bedenken keinen derartigen Antrag an den Verfassungsgerichtshof gestellt haben, ändert nichts an der Zumutbarkeit dieses Weges (vgl. VfGH 12.10.2016, G269/2016 ua.). Ob und inwieweit das Gericht auf die Kritik der Partei des Gerichtsverfahrens an der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzesbestimmungen eingeht, ist für die Beurteilung der Zumutbarkeit eines anderen Weges nicht ausschlaggebend (vgl. VfSlg 11.890/1988). Sonstige besondere außergewöhnliche Umstände, die die Einbringung eines Individualantrages im Fall der Gerichtsanhängigkeit ausnahmsweise zulässig machen könnten, sind im vorliegenden Fall weder behauptet worden noch ersichtlich.

4.4.    Darüber hinaus hätten die Antragsteller auch die Möglichkeit gehabt, aus Anlass der Erhebung eines Rechtsmittels gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Lienz vom 13. April 2015 einen Parteiantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG zu stellen und auf diesem Weg ihre verfassungsrechtlichen Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

5.       Der Antrag ist daher schon aus diesem Grund unzulässig.

V.       Ergebnis

1.       Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Baurecht, Grundbuch, VfGH / Individualantrag, VfGH / Legitimation, VfGH / Weg zumutbarer

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:G91.2018

Zuletzt aktualisiert am

12.06.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten