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90/02 Führerscheingesetz;Norm
FSG 1997 §24 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard, Dr. Graf, Dr. Gall und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des F in W, vertreten durch Rechtsanwälte Böhmdorfer-Gheneff OEG in 1040 Wien, Favoritenstraße 16, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 10. Februar 1999, Zl. MA 65 - 8/623/98, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Wegen einer am 3. August 1998 begangenen Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO 1960 wurde dem Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Mandatsbescheid der Erstbehörde (der Bundespolizeidirektion Wien) vom 12. August 1998 gemäß § 26 Abs. 2 Führerscheingesetz - FSG die Lenkberechtigung für die Klasse B für die Dauer von vier Monaten, gerechnet ab der am 3. August 1998 erfolgten vorläufigen Abnahme des Führerscheines entzogen.
Mit weiteren rechtskräftigen Bescheiden der Erstbehörde vom 12. August 1998 wurde angeordnet, dass sich der Beschwerdeführer einer begleitenden Maßnahme und einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen und eine verkehrspsychologische Stellungnahme vorzulegen habe.
Der Beschwerdeführer unterzog sich am 1. Oktober 1998 einer Untersuchung durch die verkehrspsychologische Untersuchungsstelle des Kuratoriums für Verkehrssicherheit. In der von dieser Stelle verfassten verkehrspsychologischen Stellungnahme wird die Auffassung vertreten, der Beschwerdeführer sei vom Standpunkt verkehrspsychologischer Begutachtung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B "derzeit nicht geeignet", wobei Mängel im Bereich der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit und der Mangel der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung als Begründung genannt werden. Zusätzlich zur Absolvierung der begleitenden Maßnahme werde dem Untersuchten zu einer deutlichen Alkoholkonsumreduktion geraten und eine Kontrolluntersuchung "zwecks Prüfung etwaig geänderter Leistungsvoraussetzungen" empfohlen.
In der Zeit vom 8. Oktober 1998 bis 10. November 1998 unterzog sich der Beschwerdeführer einem "Driver Improvement Kurs" am Institut für Verkehrspsychologie des Kuratoriums für Verkehrssicherheit.
In dem vom ärztlichen Amtssachverständigen erstatteten Gutachten vom 26. November 1998 findet sich die Begründung "wegen körperl. Zeichen die auf Alkoholmissbrauch hinweisen nicht geeignet". Weiters enthält dieses Gutachten einen Stampiglienaufdruck mit dem Text: Erforderliche Sehschärfe dzt. nicht gegeben. Bis zu deren Nachweis "nicht geeignet".
Mit Bescheid der Erstbehörde vom 26. November 1998 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 und § 25 Abs. 2 FSG die Lenkberechtigung für die Klasse B ab 4. Dezember 1998 für die Dauer der gesundheitlichen Nichteignung entzogen.
In der Begründung dieses Bescheides führte die Erstbehörde aus, aufgrund der amtsärztlichen Untersuchung vom 26. November 1998 werde festgestellt, dass der Beschwerdeführer derzeit aus gesundheitlichen Gründen zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klasse B nicht geeignet sei (Alkoholmissbrauch, mangelnde Sehschärfe).
In der dagegen erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, die mangelnde Sehschärfe berechtige die Behörde nicht zur Entziehung der Lenkberechtigung, sondern nur zur Erteilung der Auflage, eine die mangelnde Sehschärfe korrigierende Brille zu tragen. Der angebliche Alkoholmissbrauch werde weder im amtsärztlichen Gutachten noch im Bescheid näher begründet. Von Alkoholmissbrauch könne bei ihm auch keine Rede sein.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.
In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer könne die schlüssigen Feststellungen des Kuratoriums für Verkehrssicherheit und des ärztlichen Amtssachverständigen nicht widerlegen, zumal er diesen Gutachten nicht mit einem auf gleicher wissenschaftlicher Ebene stehenden Gegengutachten entgegengetreten sei. Es sei daher von einem Mangel der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers im Sinne des § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Z. 4 Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung - FSG-GV auszugehen.
Zum Berufungsvorbringen, dass die Entziehung wegen mangelnder Sehschärfe nicht rechtens sei, sei festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer die Lenkberechtigung "hauptsächlich" wegen des Alkoholmissbrauches entzogen worden sei, sodass es deshalb vorerst zusätzlicher augenfachärztlicher Befunde nicht bedurft habe. Erst nach Feststellung, dass beim Beschwerdeführer der Hang zum Alkoholmissbrauch nachhaltig überwunden sei, könne den übrigen Kriterien der gesundheitlichen Eignung näher getreten werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 24 Abs. 1 FSG ist Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z. 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit
1.
die Lenkberechtigung zu entziehen oder
2.
die Gültigkeit der Lenkberechtigung durch Bedingungen, Befristungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen einzuschränken. Diese Einschränkungen sind gemäß § 13 Abs. 2 in den Führerschein einzutragen.
Gemäß § 3 Abs. 1 Z. 3 FSG gehört zu den allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung, dass der Antragsteller gesundheitlich geeignet ist, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9).
Gemäß § 3 Abs. 1 FSG-GV gilt als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Fahrzeugklasse im Sinne des § 8 FSG gesundheitlich geeignet, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften
1.
die nötige körperliche und psychische Gesundheit besitzt,
2.
die nötige Körpergröße besitzt,
3.
ausreichend frei von Behinderungen ist und
4.
aus ärztlicher Sicht über die nötige kraftfahrspezifische psychophysische Leistungsfähigkeit verfügt.
Kraftfahrzeuglenker müssen (nach § 3 Abs. 1 zweiter Satz FSG-GV) die für ihre Gruppe erforderlichen gesundheitlichen Voraussetzungen gemäß den nachfolgenden Bestimmungen erfüllen. Um die gesundheitliche Eignung nachzuweisen, ist der Behörde ein ärztliches Gutachten gemäß § 8 Abs. 1 oder 2 FSG vorzulegen.
Gemäß § 5 Abs. 1 FSG-GV gilt als zum Lenken von Kraftfahrzeugen hinreichend gesund eine Person, bei der keine der folgenden Krankheiten festgestellt wurde:
1. schwere allgemeine Erkrankungen oder schwere lokale Erkrankungen, die das sichere Beherrschen des Kraftfahrzeuges und das Einhalten der für das Lenken des Kraftfahrzeuges geltenden Vorschriften beeinträchtigen könnten, ...
4. schwere psychische Erkrankungen gemäß § 13 sowie:
a)
Alkoholabhängigkeit oder
b)
andere Abhängigkeiten, die das sichere Beherrschen des Kraftfahrzeuges und das Einhalten der für das Lenken des Kraftfahrzeuges geltenden Vorschriften beeinträchtigen könnten, ...
Gemäß § 5 Abs. 2 FSG-GV ist, wenn sich aus der Vorgeschichte oder bei der Untersuchung zur Feststellung der Gesundheit gemäß Abs. 1 Z. 1 ein krankhafter Zustand ergibt, der die Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges einschränken oder ausschließen würde, gegebenenfalls eine fachärztliche Stellungnahme einzuholen; bei Erkrankungen gemäß Abs. 1 Z. 2, 3 und 4 ist eine entsprechende fachärztliche Stellungnahme einzuholen, die die kraftfahrspezifischen psychophysischen Leistungsfunktionen mitzubeurteilen hat. Bei Erkrankungen gemäß Abs. 1 Z. 4 lit. a und b ist zusätzlich eine verkehrspsychologische Stellungnahme einzuholen.
Die tragende Begründung des angefochtenen Bescheides geht dahin, dass der Beschwerdeführer als nicht hinreichend gesund gemäß § 5 Abs. 1 Z. 4 FSG-GV anzusehen sei. Die Frage der Sehschärfe hat die belangte Behörde der Sache nach ausgeklammert und nicht zur Begründung für die Entziehung der Lenkberechtigung herangezogen.
Die belangte Behörde kann ihre Auffassung, dem Beschwerdeführer fehle infolge einer Erkrankung gemäß § 5 Abs. 1 Z. 4 FSG-GV die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen, schon deshalb nicht auf ein mängelfreies Ermittlungsverfahren stützen, weil die gemäß § 5 Abs. 2 FSG-GV bei solchen Erkrankungen zwingend vorgeschriebene Einholung einer fachärztlichen Stellungnahme unterblieben ist. Für die Annahme, der Beschwerdeführer sei alkoholabhängig, fehlt es auch im Übrigen an konkreten Beweisergebnissen. So wurden im vorliegenden Fall die für die Feststellung einer solchen Erkrankung üblicherweise benötigten Leberbefunde nicht eingeholt. Die vom amtsärztlichen Sachverständigen in seinem Befund betreffend die Untersuchung vom 26. November 1998 unter der Rubrik "klinischer Gesamteindruck" genannten Symptome "Tremor, Conjunctivitis" rechtfertigten den Verdacht der Alkoholabhängigkeit (siehe dazu § 14 Abs. 1 zweiter Satz FSG-GV), nicht aber bereits die Feststellung, der Beschwerdeführer sei alkoholabhängig.
Auf die oben erwähnte verkehrspsychologische Stellungnahme betreffend die Untersuchung vom 1. Oktober 1998 hat der ärztliche Amtssachverständige sein Gutachten vom 26. November 1998 nicht gestützt. Diese Stellungnahme wird in seinem Gutachten nicht einmal erwähnt, sodass das Gutachten nicht zur Stützung der - in der Gegenschrift der Sache nach vertretenen - Auffassung herangezogen werden kann, der Beschwerdeführer verfüge aus ärztlicher Sicht nicht über die nötige kraftfahrspezifische psychophysische Leistungsfähigkeit (§ 3 Abs. 1 Z. 4 FSG-GV). Es kann daher dahinstehen, welche Aussagekraft die verkehrspsychologische Stellungnahme, der die Untersuchung vom 1. Oktober 1998 zugrunde liegt und die sowohl Mängel der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit beschreibt als auch die nötige Bereitschaft zur Verkehrsanpassung verneint, im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch hatte, zumal der Beschwerdeführer in der Zeit vom 8. Oktober 1998 bis 10. November 1998 an einem "Driver Improvement Kurs" teilgenommen hat und solche Maßnahmen den Zweck verfolgen, persönlichkeitsrelevante Faktoren in Bezug auf das Lenken von Kraftfahrzeugen positiv zu beeinflussen.
Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 14. März 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999110120.X00Im RIS seit
20.11.2000