Index
67 Versorgungsrecht;Norm
HVG §2 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des W M in H, vertreten durch Dr. Bojan Vigele, Rechtsanwalt in Völkermarkt, Hans-Wiegele-Straße 3, gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales von 23. Juli 1997, Zl. Schk 710-443938-003, betreffend Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der im Jahr 1969 geborene Beschwerdeführer leistete vom 1. April 1989 bis 30. September 1989 seinen ordentlichen Präsenzdienst beim österreichischen Bundesheer.
Am 19. August 1989 kam der Beschwerdeführer im Verlauf eines privaten Fußballspieles zu Sturz und zog sich dabei eine Prellung der Lendenwirbelsäule zu.
Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Bescheid des Landesinvalidenamtes für Kärnten vom 24. September 1991 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 23. Mai 1991 auf Anerkennung der Gesundheitsschädigung "Neurose - geistige Psychose" als Dienstbeschädigung und Zuerkennung einer Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz (HVG) abgewiesen.
Mit Antrag von 4. August 1995 begehrte der Beschwerdeführer (neuerlich) die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem HVG. Er bezeichnete seine Gesundheitsschädigung mit "körperliche und seelische". Als schädigendes Ereignis machte der Beschwerdeführer geltend: "Musste trotz Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule wieder zum Dienst. Arzt verpasste oder verabreichte mir eine Spritze. Er hätte mir nicht so schnell entlassen dürfen". Zum Hergang des Unfallgeschehens führte der Beschwerdeführer in seinem Antrag aus: "Wie erwähnt habe ich die erweiterte Körperausbildung mitgemacht als ich plötzlich stechende Schmerzen bekam. Ich musste danach ein Gefühl des Erbrechens durchmachen und konnte nichts mehr aufheben ohne größere Schmerzen. Die Ursache liegt sicherlich bei einem Sturz".
Mit Bescheid vom 19. Dezember 1995 hat das Bundessozialamt Kärnten unter Spruchpunkt 1. das Begehren auf Anerkennung der Gesundheitsschädigung "Neurose - geistige Psychose" gemäß § 82 Abs. 1 HVG und § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen und unter den Spruchpunkten 2. und 3. die weiters geltend gemachte Gesundheitsschädigung "Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule" nicht als Dienstbeschädigung anerkannt sowie den neuerlichen Antrag auf Zuerkennung einer Beschädigtenrente nach dem HVG abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung hinsichtlich der "Nichtanerkennung der bei mir vorliegenden Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule als Dienstbeschädigung und in diesem Zusammenhang gegen die Ablehnung des Antrages auf Zuerkennung einer Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz".
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid von 23. Juli 1997 gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge und bestätigte damit den erstinstanzlichen Bescheid.
Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, das im Berufungsverfahren eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurochirurgie habe ergeben, dass zwischen dem Sturz des Beschwerdeführers im Jahr 1989 und der jetzt vorhandenen geringgradigen Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule kein Kausalzusammenhang bestehe. Ein im Jahr 1989 aufgetretener Bandscheibenvorfall hätte eine Woche nach dem Trauma eine ausgeprägte radikuläre Symptomatik in den Beinen erzeugen müssen; dieser Zustand liege aber nicht vor. Eine Dienstbeschädigung sei sohin nicht gegeben. Das ärztliche Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie habe ergeben, dass im Fall des Beschwerdeführers bei der beschriebenen geringfügigen Protrusion ohne Einengung des Spinalkanals neurologische Ausfälle nicht möglich seien und offenbar auch nicht feststellbar gewesen seien. Ausgehend von der beim Fußballspiel erlittenen Prellung der Lendenwirbelsäule sei es äußert unwahrscheinlich, dass dieser Sturz zu den in den Jahren 1992 und 1995 beschriebenen röntgenologischen Veränderungen geführt habe. Der Beschwerdeführer habe "vier Wochen später wieder über Kreuzschmerzen" geklagt und deshalb eine einmalige Xyloneuralinfiltration erhalten. Hätte zu diesem Zeitpunkt ein Bandscheibenvorfall bereits bestanden, oder wäre ein solcher durch "die erweiterte Körperausbildung hervorgerufen worden", wäre mit der einmaligen Therapie (Infiltration) eine (laut Gutachten: keine) Besserung seiner Beschwerden zu erzielen gewesen. Die Veränderungen und vorhandenen Beschwerden des Beschwerdeführers könnten "orthopädischerseits nicht in Zusammenhang mit der erweiterten Körperausbildung gebracht werden"; es bestehe somit kein ursächlicher Zusammenhang mit dem Wehrdienst. Die belangte Behörde beurteilte das Gutachten des Facharztes für Neurochirurgie im Zusammenhang mit dem orthopädischen Sachverständigengutachten in freier Beweiswürdigung als schlüssig. In rechtlicher Hinsicht sei entscheidungswesentlich, ob das Wirbelsäulenleiden durch die dem Militärdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden sei oder nicht. Diese Kausalitätsfrage sei nach den ärztlichen Sachverständigengutachten zu verneinen. Die im Rahmen des Parteiengehörs vorgebrachten Einwände des Beschwerdeführers seien nicht geeignet, die auf medizinisches Fachwissen gestützten Gutachten zu entkräften. Von einer Erweiterung des Beweisverfahrens habe daher abgesehen werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem HVG verletzt. Er beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Beschwerde wird im Wesentlichen geltend gemacht, der Beschwerdeführer habe nach seiner im Fußballspiel am 19. August 1989 erlittenen Verletzung an der "erweiterten Körperausbildung" teilgenommen. Auf diesen Umstand sei aber von dem Sachverständigen für Neurochirurgie zu wenig Rücksicht genommen worden. Diesem Sachverständigen seien weder Röntgenbilder noch die spinale Computertomografie zur Verfügung gestanden. Unmittelbar nach einer erlittenen Verletzung einwirkende Belastungseinflüsse würden sich äußerst negativ auf die gesundheitliche Situation auswirken. Es sei nicht konkret heraus gearbeitet worden, welche Belastungen auf die verletzte Lendenwirbelsäule des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit dem Wehrdienst entstanden seien. Feststellungen darüber, welche konkreten Übungen bzw. Körperausbildung nach seinem Sturz von 19. August 1989 vom Beschwerdeführer verlangt worden seien, habe die belangte Behörde nicht getroffen. In diesem Zusammenhang bzw. der danach aufgetreten gesundheitlichen Verschlechterung sei bedeutsam, dass er nach dem Wehrdienst wegen fortwährender Beschwerden keiner Arbeitstätigkeit nachgegangen sei.
Die Beschwerde ist aus folgenden Erwägungen berechtigt:
Gemäß § 1 Abs. 1 erster Satz HVG ist eine Gesundheitsschädigung, die ein Soldat infolge des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes, einschließlich einer beruflichen Bildung im freiwillig verlängerten Grundwehrdienst oder im Wehrdienst als Zeitsoldat, erlitten hat, nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes als Dienstbeschädigung zu entschädigen (§ 2).
Eine Gesundheitsschädigung ist nach § 2 Abs. 1 erster Satz HVG als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 anzuerkennen, wenn und soweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist.
Nach der dargelegten Rechtslage macht das HVG gemäß § 2 Abs.1 die Gewährung von Versorgungsleistungen für Gesundheitsschädigungen (im Sinn des § 1) davon abhängig, dass das schädigende Ereignis mit dem geschützten Bereich in ursächlichem Zusammenhang steht. Die Zurechnung in den Versicherungsschutz stellt demnach eine Kausalitätsbeurteilung dar; diese erfolgt auch im Bereich der Heeresversorgung nach der so genannten Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung. Wo die Grenzen dieser Zurechnung liegen, kann nur im Einzelfall unter verständiger Würdigung aller maßgebender Umstände gesagt werden (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 12. Juni1997, Zl. 94/09/0231, vom 26. Juni 1997, Zl. 94/09/0202, sowie von 1. Juli 1998, Zl. 96/09/0167, und die darin angegebene Judikatur bzw. Literatur).
Der Beschwerdeführer erlitt durch einen Unfall (Sturz) in einem privaten Fußballspiel am 19. August 1989 eine Wirbelsäulenverletzung. Dieses schädigende Ereignis ist dem Schutzbereich der Heeresversorgung unbestrittenermaßen nicht zuzurechnen. Nach diesem Unfall leistete der Beschwerdeführer mit dieser Wirbelsäulenverletzung von 20. August 1989
bis 30. September 1989 seinen weiteren Präsenzdienst.
Im Beschwerdefall ist demnach die sachverhaltsmäßige Grundlage für eine Kausalitätsbeurteilung herzustellen, ob an der Gesundheitsschädigung des Beschwerdeführers im Schutzbereich der Heeresversorgung nach dem Unfall am 19. August 1989 ein schädigendes Ereignis oder die der Dienstleistung des Beschwerdeführers eigentümlichen Verhältnisse beteiligt gewesen sind. Ein festgestelltes derartiges schädigendes Ereignis oder die beteiligten Verhältnisses der Dienstleistung wären danach auf ihre Zurechnung im Sinn der Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilen. Auch wenn der Unfall in einem privaten Fußballspiel eine vom Wehrdienst unabhängige Ursache war, ist eine nach dieser erlittenen Verletzung erfolgte Beurteilung der weiteren Dienstfähigkeit des Beschwerdeführers, seine konkrete Verwendung im Rahmen des weiteren Präsenzdienstes (vom 20. August bis 30. September 1989) oder seine allfällige ärztliche Versorgung im Heeresbereich den der militärischen Dienstleistung des Beschwerdeführers eigentümlichen Verhältnissen zuzuordnen (vgl. insoweit auch sinngemäß etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 1997, Zl. 94/09/0202, betreffend die ärztliche Versorgung in einem Heeresspital).
Im Beschwerdefall wurde allerdings nicht festgestellt, welche Dienstleistungen der Beschwerdeführer in der Zeit von 20. August 1989 bis 30. September 1989 konkret zu verrichten hatte, welche körperlichen Belastungen mit seiner Dienstleistung verbunden waren, und ob der an seiner Wirbelsäule verletzte Beschwerdeführer für die ihm abverlangte Dienstleistung körperlich dienstfähig war. Ob bzw. welche Ereignisse im Bereich der Heeresversorgung als schädigend in Betracht zu ziehen sind, kann nicht abschließend und verlässlich beurteilt werden.
Die der Entscheidung der belangten Behörde zu Grunde gelegten Sachverständigengutachten wurden somit im dargelegten Sinn auf unvollständiger Befundgrundlage erstellt. Dem Gutachten des Facharztes für Neurochirurgie Dr. Pöllauer ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer gegenüber diesem Sachverständigen offenbar vorbrachte, seine Gesundheitsschädigung sei auf den Sturz und auf "die erweiterte Körperausbildung beim Bundesheer zurückzuführen" (vgl. insoweit die Anamnese dieses Gutachtens). Der genannte Sachverständige verwies in einem Gutachten darauf, dass ihm keine radiologischen Unterlagen (Röntgenbilder, spinale Computertomografie) vorgelegt worden seien. Zu der vom Beschwerdeführer vorgebrachten "Körperausbildung beim Bundesheer" enthält das neurochirurgische Gutachten keine Ausführungen.
Mit Eingabe vom 15. Oktober 1996 legte der Beschwerdeführer unter anderem das ärztliche Attest seines behandelnden Arztes Dr. Werner Paesold vor. In diesem Attest wird unter anderem ausgeführt, die nach der Wirbelsäulenverletzung beim Beschwerdeführer aufgetretenen "Schmerzen wurden damals laut Angaben des Patienten im Rahmen des Grundwehrdienstes in der Heeressanitätsanstalt behandelt, jedoch sei keine weitere Abklärung erfolgt"; den Fortbestand der Beschwerden "habe keiner Ernst genommen". Eine Auseinandersetzung mit diesem dem Bereich der Heeresversorgung zurechenbaren Sachverhalt bzw. eine Klärung dieser Umstände durch die belangte Behörde ist nicht erfolgt.
Die Fachärztin für Orthopädie und orthopädische Chirurgie kommt - wie der Facharzt für Neurochirurgie - zu dem Ergebnis, zwischen dem Sturz des Beschwerdeführers im Jahr 1989 und seiner jetzt vorhandenen Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule bzw. den 1992 und 1995 beschriebenen Veränderungen bestünde kein Kausalzusammenhang. Dafür hätte es allerdings keines ärztlichen Sachverständigengutachtens bedurft, weil der Unfall im privaten Fußballspiel schon aus rechtlichen Erwägungen nicht dem Schutzbereich des HVG zuzurechnen ist. Auch nach dem Inhalt dieses - ohne ausreichende Klärung des nach dem Unfall geleisteten Präsenzdienstes erstatteten - Sachverständigengutachtens kann nicht ausgeschlossen werden, dass (auch) anderer Ereignisse als der Sturz, etwa aus der Zeit der Präsenzdienstleistung von 20. August 1989 bis 30. September 1989, an der beim Beschwerdeführer festgestellten Gesundheitsschädigung wesentlich beteiligt gewesen sein konnten.
Den Beschwerdeausführungen betreffend Spruchpunkt 1. des erstinstanzlichen Bescheides (teilweise Antragszurückweisung) ist zu erwidern, dass der Beschwerdeführer dagegen keine Berufung erhoben hat und der erstinstanzliche Bescheid in diesem Umfang in Rechtskraft erwuchs. Demnach waren aber ausschließlich die mit Berufung bekämpften Spruchpunkte 2. und 3. des erstinstanzlichen Bescheides "Sache" des Berufungsverfahrens im Sinn von § 66 Abs. 4 AVG bzw. bildete allein diese Abweisung der Beschädigtenversorgung den Abspruchgegenstand des angefochtenen Bescheides.
Da der Sachverhalt in wesentlichen Punkten im dargelegten Sinn der Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 15. März 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1997090368.X00Im RIS seit
20.11.2000