Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Folgeantrags mangels Klärung möglicher Sachverhaltsänderungen betreffend die Homosexualität eines nigerianischen StaatsangehörigenSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, stellte am 29. Jänner 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er an, sein Vater sei bei einem Bombenanschlag der Boko Haram ums Leben gekommen. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) vom 10. Februar 2014 wurde der Antrag des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§57 und 55 Asylgesetz 2005 (in der Folge: AsylG 2005) nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und ausgesprochen, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, sowie eine Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungs-gerichtes vom 4. Dezember 2015 als unbegründet abgewiesen.
2. Am 4. März 2016 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, wobei er in seiner Erstbefragung am 8. März 2016 ausführte, er sei seit Juli 2015 homosexuell. In seiner Heimat werde diese sexuelle Orientierung verfolgt. Er würde dort einige Jahre ins Gefängnis gesteckt und von seiner Gesellschaft gelyncht werden. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 12. Mai 2016 brachte er im Wesentlichen vor, dass es lange zurückliege, noch bevor er nach Europa gekommen sei, dass ihm bewusst geworden sei, dass er homosexuell sei.
3. Mit Bescheid des BFA vom 20. Mai 2016 wurde der erneute Asylantrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde ein Aufenthaltstitel gemäß §§57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge: FPG) erlassen und weiters festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß §46 FPG nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III). Ferner wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).
4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. November 2016 wurde die Beschwerde gegen diesen Bescheid mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Spruch des angefochtenen Bescheides wie folgt laute:
"Der Antrag des [Beschwerdeführers] auf internationalen Schutz vom 4. März 2016 wird wegen entschiedener Sache als unzulässig zurückgewiesen.
Eine 'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' gemäß §57 AsylG wird nicht erteilt. Gegen den [Beschwerdeführer] wird eine Rückkehrentscheidung erlassen; seine Abschiebung nach Nigeria ist zulässig."
Zur Zurückweisung wegen entschiedener Sache führte das Bundesverwaltungsgericht begründend lediglich aus:
"Zum Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinem zweiten Antrag auf internationalen Schutz ist festzuhalten, dass er den Eintritt einer maßgeblichen Sachverhaltsänderung seit dem rechtskräftigen Abschluss seines ersten Asylverfahrens nicht einmal behauptet. Auch in der Beschwerde wird dazu nichts vorgebracht."
5. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144a B-VG (wohl gemeint: Art144 B-VG) gestützte Beschwerde, in der insbesondere die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichtsakten vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3. Ein auf das Asylgesetz 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status auch auf die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß §8 AsylG 2005 gerichtet. Der Umstand, dass in einem Antrag auf internationalen Schutz auch ein Antrag in Bezug auf die Gewährung von subsidiärem Schutz enthalten ist, wirkt sich auch bei der Behandlung von Folgeanträgen aus: Hinsichtlich eines Folgeantrages in einem Asylverfahren nach dem Asylgesetz 2005 ist das Bundesverwaltungsgericht verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten, sondern auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten einer Prüfung zu unterziehen (vgl. VfSlg 19.466/2011 mwN).
4. Das Bundesverwaltungsgericht hält in seiner Begründung fest, "dass der Beschwerdeführer den Eintritt einer maßgeblichen Sachverhaltsänderung seit dem rechtskräftigen Abschluss seines ersten Asylverfahrens nicht einmal behauptet". In Anbetracht der divergierenden Vorbringen im ersten Asylverfahren (Vaters des Beschwerdeführers sei durch einen Bombenanschlag der Boko Haram ums Leben gekommen) und im zweiten Asylverfahren (Homosexualität) vermag die begründungslose Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes, eine maßgebliche Sachverhaltsänderung sei nicht einmal behauptet worden, den Anforderungen an eine willkürfreie Begründung nicht zu genügen. Darüber hinaus ist einer solchen Begründung auch nicht zu entnehmen, ob eine Rückführung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat im Lichte des Art3 EMRK zulässig ist bzw. ob auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten eine entschiedene Sache iSd §68 Abs1 AVG vorliegt. Aus diesen Gründen hat das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung mit Willkür belastet.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, res iudicata, HomosexualitätEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2017:E223.2017Zuletzt aktualisiert am
15.02.2018