RS Vfgh 2017/12/13 G408/2016 ua

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Veröffentlicht am 13.12.2017
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Index

37/02 Kreditwesen

Norm

B-VG Art91
BankwesenG §99d

Leitsatz

Abweisung von Anträgen des Bundesverwaltungsgerichtes auf Aufhebung der Bestimmungen über die - in die Zuständigkeit der Finanzmarktaufsichtsbehörde fallende - Verhängung von Geldstrafen über juristische Personen wegen Übertretungen des BankwesenG; Änderung der Rechtsprechung des VfGH zur Abgrenzung des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts; Höhe der Strafdrohung kein taugliches Abgrenzungskriterium; keine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Übertragung der Verfahren über die Verhängung der im BankwesenG angedrohten Geldstrafen angesichts ihrer spezifischen Funktion in die Zuständigkeit der ordentlichen Strafgerichte

Rechtssatz

Abweisung der - zulässigen - (Haupt-)Anträge auf Aufhebung des §99d BankwesenG (BWG) idF BGBl I 184/2013 zur Gänze.

Da die vor dem Bundesverwaltungsgericht belangte Behörde (Finanzmarktaufsichtsbehörde - FMA) ihre Straferkenntnisse jeweils auf §99d Abs1 und Abs2 (iVm §98 Abs2 Z11 bzw §98 Abs5a) BWG stützte und die Strafbemessung anhand der Vorgaben des Abs3 und Abs4 leg cit vornahm, hat das Bundesverwaltungsgericht diese Bestimmungen bei der Prüfung der Rechtsmäßigkeit der angefochtenen Straferkenntnisse jedenfalls anzuwenden. Ebenso ist nicht ersichtlich, dass §99d Abs5 BWG offenkundig keine Voraussetzung seiner Entscheidung im Anlassfall bildet.

Der VfGH geht weiterhin davon aus, dass die Ahndung bestimmter Straftaten gemäß Art91 Abs2 und Abs3 B-VG der Zuständigkeit der Schöffen- und Geschworenengerichte vorbehalten ist. Im Übrigen hält der VfGH aber seine auf Art91 B-VG gestützte Rechtsprechung zur Abgrenzung des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts (erstmals VfSlg 12151/1989; in der Folge mehrfach bestätigt; zur Maßgeblichkeit der Strafdrohung für die Bewertung der Sozialschädlichkeit des verbotenen Verhaltens vgl insbes VfSlg 19960/2015) nicht aufrecht.

Zum Ersten überzeugt nicht, dass die Zuständigkeitsabgrenzung ausschließlich nach dem Kriterium der Strafdrohung zu erfolgen hat; dies gilt sowohl innerhalb der Strafgerichtsbarkeit als auch für die Abgrenzung des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts. Zum Zweiten lässt das alleinige Abstellen auf die durch den Gesetzgeber für die jeweilige Straftat normierte Obergrenze der angedrohten Geldstrafe für die Zuordnung zu einem der beiden Vollzugsbereiche die unterschiedliche Funktion der Geldstrafe im gerichtlichen und im Verwaltungsstrafrecht sowie die mit ihrer Verhängung jeweils einhergehenden Folgen außer Acht. Zum Dritten kann die schematische Orientierung an der für die Straftat vorgesehenen Obergrenze der angedrohten Geldstrafe für die Abgrenzung des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts nicht die Unterschiede zwischen juristischen und natürlichen sowie zwischen vermögenden und weniger vermögenden Personen erfassen und damit letztlich nur ein unzureichendes Urteil über die "Schwere" einer Strafe bieten. Zum Vierten werden die vom Gesetzgeber mit der Zuordnung verbundenen rechtspolitischen Zielsetzungen - allen voran jene der Stigmatisierung und der Entkriminalisierung - nicht zureichend berücksichtigt. Dadurch erweist sich die Höhe der angedrohten Sanktion im Ergebnis als kein taugliches Mittel für die Abgrenzung des gerichtlichen Strafrechts und des Verwaltungsstrafrechts.

Im Übrigen hat das Rechtsschutzgefüge der Bundesverfassung durch die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz mit der Novelle BGBl I 51/2012 insgesamt eine tiefgreifende Veränderung erfahren.

Durch die Einräumung der richterlichen Garantien unterscheiden sich die neu geschaffenen Verwaltungsgerichte erster Instanz grundsätzlich von den zuvor bestehenden Rechtsschutzeinrichtungen in Gestalt der Unabhängigen Verwaltungssenate. Letztere waren zum einen nur mit bestimmten, nicht aber mit den vollen richterlichen Unabhängigkeitsgarantien ausgestattete Berufungsbehörden, zum anderen waren sie nicht der Staatsfunktion Gerichtsbarkeit, sondern jener der Verwaltung zuzuordnen.

Der Gesetzgeber ist auch künftig nicht gänzlich frei darin, welchem Organ er die Zuständigkeit zur Verhängung von Strafen überträgt. Verfassungsrechtliche Grenzen, welche in diesem Zusammenhang beachtet werden müssen, ergeben sich auch weiterhin insbesondere aus den spezifischen Zuständigkeiten der Schöffen- und Geschworenengerichte gemäß Art91 Abs2 und Abs3 B-VG, aus dem BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl 684/1988 (PersFrSchG 1988), sowie aus dem aus dem Gleichheitsgrundsatz erfließenden Sachlichkeitsgebot, welches exzessiven Strafdrohungen entgegensteht.

Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Gesetzgeber durch Art91 B-VG nicht verpflichtet ist, Verfahren über die Verhängung der in §99d BWG angedrohten Geldstrafen angesichts deren spezifischer Funktion im gerichtlichen Strafrecht und im Verwaltungsstrafrecht in die Zuständigkeit der ordentlichen (Straf-)Gerichte zu übertragen.

Entscheidungstexte

  • G408/2016 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 13.12.2017 G408/2016 ua

Schlagworte

Bankwesen, Strafrecht, Verwaltungsstrafrecht, Strafgerichtsbarkeit (Kernbereich), Gerichtsbarkeit Trennung von der Verwaltung, Gericht Zuständigkeit - Abgrenzung von Verwaltung, Rechtsschutz, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:G408.2016

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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