Entscheidungsdatum
15.01.2018Norm
ASVG §67 Abs10Spruch
L510 2117566-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX, vertreten durch RA Dr. Bernhard KETTL, gegen den Bescheid der Salzburger Gebietskrankenkasse vom 11.09.2015, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 und 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) idgF iVm § 67 Abs. 10 und § 68 Abs. 1 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
I.1. Mit Schreiben vom 19.06.2015, Zahl XXXX, teilte die SGKK der Beschwerdeführerin (nachfolgend auch: "BF") mit, dass auf dem Beitragskonto der XXXX, aus den Beiträgen Mai 2010 bis August 2011 und Dezember 2011 ein Rückstand in der Höhe von € 29.449,22 zuzüglich der gesetzlichen Verzugszinsen bestehe. Dem Schreiben war ein Rückstandsausweis gemäß § 64 ASVG vom selben Tag beigelegt.
Nach Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Zahlung des Insolvenzentgelts durch den Insolvenzentgelt-Fonds scheine auf dem Beitragskonto der XXXX ein Rückstand in Höhe von €
29.449,22 offen auf, welchen die SGKK gegen die BF persönlich im Zuge der Ausfallshaftung nach §§ 67 Abs. 10 iVm 58 Abs. 5 ASVG geltend mache. Aus dem beiliegenden Rückstandsausweis könne die genaue Zusammensetzung dieses Betrages herausgelesen werden.
Es sei Sache des zur Vertretung berufenen Organs, Gründe darzulegen, welche es ohne sein Verschulden daran gehindert habe, die ihr obliegenden Verpflichtungen, nämlich die Bezahlung der Sozialversicherungsbeiträge, zu erfüllen.
Die Sozialversicherungsbeiträge für die im Rückstandsausweis dargestellten Beitragszeiträume seien ausständig. Für die angeführten Zeiträume seien bestehende Abrechnungen, in denen Verbindlichkeiten und darauf erfolgte Zahlungen einander gegenübergestellt werden könnten, vorzulegen. Dabei seien sämtliche Zahlungen, also auch Zahlungen zur Aufrechterhaltung des Betriebes (Miete, Löhne, Gas, Strom, Benzin, etc.) sowie Bargeschäfte zu berücksichtigen. Weiters seien Zahlungseingänge auf den Bankkonten, die allfällige Bankverbindlichkeiten reduziert haben, auszuweisen. Die Richtigkeit und Vollständigkeit sei mit den entsprechenden Buchhaltungsunterlagen (Bankkontoauszüge, Kassabuch, Rechnungen) zu belegen. Durch diese Vorlage solle die Gleichbehandlung der Sozialversicherung mit allen anderen Verbindlichkeiten überprüft werden können.
Gemäß der neuen Rechtslage hätte die BF bei jeder getätigten Zahlung die Salzburger Gebietskrankenkasse anteilsmäßig berücksichtigen müssen.
I.2. Mit Antwortschreiben vom 06.07.2015 führte die BF aus, dass sie krankheitsbedingt (MS) in Pension sei, eine Kopie werde beigelegt. Es sei keine Zahlung möglich.
I.3. Mit Schreiben vom 29.07.2015 teilte die SGKK der BF mit, dass die Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ihrem Wesen nach eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung sei, welche den Geschäftsführer deshalb treffe, weil er seine gegenüber dem Sozialversicherungsträger bestehende gesetzliche Verpflichtung zur rechtzeitigen Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen, schuldhaft, wobei leichte Fahrlässigkeit genüge, verletzt habe. Den zur Haftung herangezogenen Geschäftsführer treffe in diesem Zusammenhang die Verpflichtung, darzulegen, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, dass die Beitragsschulden rechtzeitig, zur Gänze oder zumindest anteilig, entrichtet worden seien und dafür entsprechende Beweisanbote zu erstatten. Ungeachtet der grundsätzlich amtswegigen Ermittlungspflicht der Behörden treffe denjenigen, der eine ihm obliegende Pflicht nicht erfülle, über die ihn stets allgemein treffende Behauptungslast im Verwaltungsverfahren hinaus, die besondere Verpflichtung darzutun, aus welchen Gründen ihm deren Erfüllung unmöglich gewesen sei, widrigenfalls angenommen werden dürfe, dass er seiner Pflicht schuldhafterweise nicht nachgekommen sei.
Der BF werde letztmalig eine Frist bis zum 21.08.2015 zur Beibringung der notwendigen Unterlagen gegeben.
I.4. Mit Schreiben vom 20.08.2015 führte die BF aus, dass sie ab 2011 keinerlei Zahlungen mehr habe leisten können; die XXXX Sbg. habe das Konto gesperrt. Forderungen seien per Drittschuldnerklagen eingetrieben worden. Es sei der Telebankingzugang gesperrt worden. Sie habe niemanden bevorteilen oder benachteiligen können, es sei alles gesperrt worden. Die Fa. XXXX sei am XXXX wegen Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens aufgelöst worden.
Die BF bitte, die Forderungen gegen sie einzustellen, sie werde sich telefonisch melden.
I.5. Mit Schreiben vom 08.09.2015 führte die BF aus, dass sie vom Juli 2010 bis Jänner 2011 Geschäftsführerin der Fa. XXXX gewesen sei.
Es sei ihr das Konto von der XXXX Sbg. gesperrt worden. Aus diesem Grund habe sie keine Überweisungen mehr durchführen und auch keine Gläubiger bevorzugen oder benachteiligen können. Als Beweis müsste sie bei einer gerichtlichen Klage Fr. XXXX von der XXXX Sbg. vorladen lassen. Um die Sache außergerichtlich zu erledigen, würde sie von ihrer Tochter € 2.000,-- bekommen.
Die BF sei durch ihre Krankheit MS in der Pflegestufe II und habe nur € 650,-- Pension. Ihre rechte Körperseite sei stark beeinträchtigt, Fuß und Hand seien kraftlos. Es sei nicht absehbar, ob sie durch die Krankheit noch weiter beeinträchtigt werde. Alle weiteren Schritte würden sozial untragbar sein.
I.6. Mit (Haftungs-)Bescheid vom 11.09.2015, Zahl: XXXX, zugestellt am 15.09.2015, verpflichtete die SGKK die Beschwerdeführerin gemäß § 67 Abs. 10 iVm § 83 ASVG als ehemalige Geschäftsführerin der XXXX zur Zahlung eines Rückstandes - aus Vorschreibungen für die Zeiträume Mai 2010 bis August 2011 - in der Höhe von € 27.599,45 zuzüglich Verzugszinsen ab 01.09.2015 in Höhe von 7,88 % p.a. aus €
20.689,58 innerhalb von 14 Tagen bei sonstiger Exekution.
I.6.1. Die Firma XXXX sei im Firmenbuch des Landesgerichtes Salzburg unter FN XXXX eingetragen. Dem Firmenbuch sei zu entnehmen, dass die BF im Zeitraum XXXX - XXXX, sowie ab dem XXXX Geschäftsführerin der Gesellschaft gewesen sei.
Auf dem Beitragskonto der XXXX scheine per 11.09.2015 ein Gesamtrückstand in Höhe von € 29.449,22 für die Beiträge ab Juni 2010 offen auf. Davon werde hinsichtlich der im beiliegenden Rückstandsausweis dargestellten Beiträge [Summe Beiträge: €
20.689,58; Verzugszinsen gemäß § 59 Abs. 1 ASVG gerechnet bis 31.08.2015: € 6.909,87; gesamt: € 27.599,45] gegen die BF persönlich im Zuge der Ausfallshaftung geltend gemacht.
I.6.2. Begründend wurde weiter ausgeführt, dass mit Beschluss des Landesgerichtes Salzburg der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen worden sei. Nach Abzug der Zahlung des Insolvenzentgeltfonds sei der im Rückstandsausweis ersichtliche Betrag uneinbringlich bei der Gesellschaft.
Als vertretungsbefugtes Organ sei die BF (nach § 58 Abs. 5 ASVG) verantwortlich, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit bezahlt werden und darüber hinaus verpflichtet ihre Gläubiger gleich zu behandeln. Diese Verpflichtungen habe die BF nicht eingehalten. Sie habe die Salzburger Gebietskrankenkasse schlechter als ihre anderen Gläubiger behandelt.
Die Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG sei ihrem Wesen nach eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung, welche das vertretungsbefugte Organ deshalb treffe, weil es seine gegenüber dem Sozialversicherungsträger bestehende gesetzliche Verpflichtung zur rechtzeitigen Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen schuldhaft verletzt habe, wobei leichte Fahrlässigkeit genüge. Das zur Haftung herangezogene vertretungsbefugte Organ treffe in diesem Zusammenhang die Verpflichtung darzulegen, weshalb es nicht dafür habe Sorge tragen können, dass die Beitragsschulden rechtzeitig, zur Gänze oder zumindest anteilig entrichtet worden seien und dafür entsprechende Beweisanbote zu erstatten. Ungeachtet der grundsätzlichen amtswegigen Ermittlungspflicht der Behörde treffe denjenigen, der eine ihm obliegende Pflicht nicht erfülle, über die ihn stets allgemein treffende Behauptungslast im Verwaltungsverfahren hinaus, die besondere Verpflichtung darzutun, aus welchen Gründen ihm deren Erfüllung unmöglich gewesen sei, widrigenfalls angenommen werden dürfe, dass er seiner Pflicht schuldhafterweise nicht nachgekommen sei.
Seit der Novelle BGBl I 2010/62 sei durch den § 58 Abs. 5 ASVG geklärt, dass die VertreterInnen juristischer Personen, die gesetzlichen VertreterInnen natürlicher Personen und die VermögensverwalterInnen (§ 80 BAO) alle Pflichten zu erfüllen haben, die den von ihnen Vertretenen obliegen und befugt seien, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Die BF habe daher insbesondere dafür zu sorgen gehabt, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die verwaltet wurden entrichtet werden.
Bei der Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG handle es sich um eine Ausfallshaftung, welche das zur Vertretung berufene Organ treffe. Grundsätzlich seien die gesetzlichen Vertreter einer juristischen Person an den Grundsatz der Gesamtverantwortung gebunden, wonach jeder einzelne Vertreter alle Pflichten, welche der juristischen Person auferlegt seien, zu erfüllen habe. Dieser Grundsatz verlange zumindest eine gewisse Überwachung der Geschäftsführung im Ganzen, wovon sich eine solidarische Verantwortung aller vertretungsbefugten Organe für die ordnungsgemäße Erfüllung der Verpflichtungen, welche der juristischen Person auferlegt seien, ableiten lasse. Zwar sei eine Aufgabenzuweisung aufgrund interner Geschäftsverteilung anerkannt, jedoch könnten hierdurch die Verantwortlichkeiten des einzelnen Vertreters nicht aufgehoben, sondern nur begrenzt werden.
Eine solche interne Geschäftsverteilung setze eine im Vorhinein schriftlich festgelegte Zuteilung über die Zuständigkeiten der einzelnen vertretungsbefugten Organe voraus, sowie die Gewährleistung, dass das Vertrauen in den für die Erfüllung der zugeteilten Pflichten zuständigen vertretungsbefugten Organe gerechtfertigt sei.
Sobald jedoch die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft Anlass zu einer Überprüfung der Wahrnehmung der zugeteilten Pflichten gebe, trete die selbst vereinbarte Aufgabenzuweisung und die damit verbundene Haftungsbegrenzung hinter den Grundsatz der Gesamtverantwortung zurück.
Ein Anlass, die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung zu bezweifeln sei laut Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. VwGH 2001/08/0211) u.a. auch dann gegeben, wenn der Geschäftsführer sich schon bei der Übernahme seiner Funktion mit einer Einschränkung seiner Befugnisse einverstanden erklären musste und diese Beschränkung dazu führe, dass er beitragsrechtliche Pflichtverletzungen von vornherein nicht erkennen könne.
Als Geschäftsführerin sei die BF auch nach ihrem Ausscheiden aus der Organstellung gem. § 132 BAO sieben Jahre lang verpflichtet, Auskünfte über die Geschäfte und Vermögenswerte der Gesellschaft erteilen zu können.
Mit Schreiben vom 19.06.2015 sei die BF aufgefordert worden, den Rückstand zu bezahlen oder Gründe zu nennen bzw. Unterlagen vorzulegen (Liquiditätsaufstellung), die ihr Verschulden an der Pflichtverletzung und somit eine persönliche Haftung ausschließen.
Auf dieses Schreiben habe die BF zwar reagiert, jedoch weder Gründe vorgebracht oder Unterlagen übermittelt, die gegen ihr Verschulden sprechen noch sei ein Termin vereinbart worden, um über den Sachverhalt zu sprechen.
Die BF habe vorgebracht, dass das Firmenkonto gesperrt worden sei, jedoch habe sie weder ein genaues Datum nennen können, noch habe sie eine Bestätigung der Bank übermittelt. Die von der BF angebotene Ausgleichszahlung iHv. € 2.000,00 könne seitens der Salzburger Gebietskrankenkasse nicht angenommen werden, da es der Kasse nicht gestattet sei, auf Beiträge zu verzichten.
I.7. Mit Schriftsatz vom 09.10.2015 wurde von der BF im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung Beschwerde gegen den Bescheid vom 11.09.2015 erhoben.
Begründend führte die BF aus, dass im gegenständlichen Fall die Verschuldenshaftung der Beschwerdeführerin als vertretungsbefugtes Organ nicht zutreffe. Grundsätzlich müsse festgehalten werden, dass der handelsrechtliche Geschäftsführer einer GmbH - dem Wesen der Gesellschaft mit beschränkter Haftung entsprechend - nicht "automatisch" für Verbindlichkeiten der Gesellschaft hafte. Der Geschäftsführer hafte für Abgabenforderungen gegenüber dem Sozialversicherungsträger insofern, als die Beiträge beim Primärschuldner aufgrund schuldhafter Pflichtverletzung des Geschäftsführers nicht eingebracht werden könnten.
Haftungsgrund sei in erster Linie die Gläubiger-Gleichbehandlung, das heiße, der Gesellschafter hafte also nicht für solche Verbindlichkeiten, die erst zu einem Zeitpunkt entstanden seien, als die Gesellschaft schon über keine liquiden Mittel mehr verfügt habe. Auch stelle bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens die Nichtbezahlung von Beiträgen nur dann eine schuldhafte Pflichtverletzung dar, wenn die Mittel anderweitig durch das Vertretungsorgan verwendet worden wären, was hier nicht der Fall sei.
Zum Zeitpunkt des Beginns der Vertretungsfunktion der Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin der XXXX, nämlich ab dem XXXX, seien bereits sämtliche Konten der Gesellschaft gesperrt gewesen und hätten keine Umsätze mehr getätigt werden können. Aufgabe der Beschwerdeführerin sei einzig und allein gewesen eine Umfinanzierung auf ein anderes Bankinstitut durchzuführen, was jedoch nach langen erfolglosen Versuchen nicht gelungen sei.
Nach dem Zeitpunkt der Bestellung der Beschwerdeführerin zur Geschäftsführerin der Gesellschaft hätten keine Zahlungen an Gläubiger mehr stattgefunden und habe daher auch keine wie immer geartete Gläubigerbegünstigung erfolgen können.
Im Übrigen sei festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin erst per XXXX zur Geschäftsführerin bestellt worden sei und daher schon aus diesem Grund der Haftungszeitraum auf XXXX folgend einzuschränken gewesen wäre.
So seien sämtliche ausstehende Forderungen der Gesellschaft bereits vor dem Jahre 2010 an die XXXX abgetreten worden, die Gesellschaft habe über keine flüssigen Geldmittel verfügt und sei über das Geschäftskonto der XXXX eine Sperre verhängt worden.
Beweis: Kontoauszuge Geschäftskonto Nr. XXXX, XXXX, XXXX, XXXX, je der XXXX;
Die Beschwerdeführerin sei sich ihrer Gesamtverantwortung als Geschäftsführerin bewusst gewesen, insbesondere auch, dass sie Geldmittel zu verwalten habe um daraus die haftungsgegenständlichen Beiträge zu entrichten, jedoch sei es nicht mehr in ihrem Machtbereich gestanden, Zahlungen zu veranlassen und / oder zu leisten, es habe von ihr kein einziger Gläubiger bevorzugt behandelt werden können und sei auch nicht erfolgt und sei somit auch keine Schlechterstellung der SGKK erfolgt.
Aus den genannten Gründen sei es der zur Haftung herangezogenen Geschäftsführerin nicht mehr möglich gewesen, ihrer Verpflichtung zur Entrichtung der Beiträge nachzukommen und sei ihr daher auch keine schuldhafte Verletzungspflicht anzulasten, insbesondere habe keine Gläubigerbevorzugung stattgefunden.
Die Beschwerdeführerin könne deshalb nicht persönlich im Zuge der Ausfallshaftung zur Zahlung der haftungsgegenständlichen Beiträge verpflichtet werden, insbesondere da ihr die schuldhafte Verletzung der Ungleichbehandlung von Sozialversicherungsbeiträgen nicht angelastet werden könne, da der Nachweis fehlender Mittel erbracht worden sei.
Beantragt werde, den angefochtenen Bescheid zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit zu beheben, in eventu diesen entsprechend abzuändern sowie eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchzuführen.
Beantragt werde weiter der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, da die Beschwerdeführerin im Hinblick auf die schwere Erkrankung (Multiple Sklerose) arbeitsunfähig sei und ihre anfallenden Lebenshaltungskosten mit dem Bezug der Berufsunfähigkeitspension iHv € 679,79 bestreiten müsse.
Gemeinsam mit der Beschwerde legte die BF Kontoblätter (10 Blatt; alle mit der Benennung: 2011 - 2012) vor.
I.8. Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 19.11.2015 - einlangend beim BVwG am 23.11.2015 - die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt vor.
Ergänzend wies die SGKK darauf hin, dass die BF mit Schreiben vom 19.06.2015 erstmalig darüber in Kenntnis gesetzt worden sei, dass vermutet werde, dass diese die Salzburger Gebietskrankenkasse gegenüber den anderen Gläubigern im Zeitraum Juni 2010 - Dezember 2011 benachteiligt hätte. Darüber hinaus sei sie in diesem Schreiben aufgefordert worden, Unterlagen beizubringen, welche eine Prüfung der Gleich- bzw. Ungleichbehandlung zulassen, sowie Gründe zu nennen, welche sie als Geschäftsführerin ohne ihr Verschulden daran gehindert hätten, die ihr obliegenden Verpflichtungen, nämlich die Bezahlung der Sozialversicherungsbeiträge, zu erfüllen.
Die BF habe darauf reagiert und mitgeteilt, dass sie krankheitsbedingt in Pension sei und keine Zahlungen möglich seien. Unterlagen zur Prüfung der Ungleichbehandlung seien nicht beigelegt worden.
Auf dieses Schreiben sei der BF mitgeteilt worden, dass sie Unterlagen zur Prüfung der Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG zu übermitteln habe, andernfalls ein Bescheid zu erlassen sei.
Am 18.08.2015 habe die BF persönlich vor der belangten Behörde vorgesprochen und mitgeteilt, dass sie und ihr Mann schwer erkrankt seien und im Jahr 2011 keine Zahlungen geleistet worden seien. Die BF sei aufgefordert worden Unterlagen beizubringen, welche die Behauptungen bestätigen.
In weiterer Folge seien am 20.08.2015 und am 08.09.2015 Schreiben von der BF eingelangt, in welchen sie behauptet habe, im geltend gemachten Zeitraum keinen Zahlungen geleistet zu haben, da die Konten gesperrt gewesen seien. Unterlagen zur Bestätigung ihrer Aussagen habe sie jedoch nicht beigelegt.
Da nach mehrmaliger Aufforderung keine Unterlagen zur Prüfung der Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG übermittelt worden seien, sei mit 11.09.2015 der Bescheid erlassen worden.
Mit Schreiben vom 09.10.2015 habe die BF Beschwerde gegen den genannten Bescheid erhoben.
Bezugnehmend auf den Einwand, dass die BF kein Verschulden treffe, da schon bei der Übernahme der Geschäftsführertätigkeiten die Konten der Firma gesperrt gewesen seien, werde mitgeteilt, dass im Sinne des § 25 GmbHG der Geschäftsführer durch sein Einverständnis zur Bestellung als Geschäftsführer der GmbH bestätige, dass er auch die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, die für den jeweiligen Geschäftszweig aber auch für die Größe des Unternehmens notwendig seien, besitze.
Darüber hinaus verpflichte er sich, so zu handeln, wie es von einem Verwalter fremden Vermögens erwartet werde. Wenn sich der Geschäftsführer in der Erfüllung seiner Pflichten behindert sehe, habe er zurückzutreten.
Die BF hätte unter den in der Beschwerde geschilderten Umständen gar nicht die Geschäftsführertätigkeiten übernehmen dürfen bzw. hätte sie diese nach Erlangung der Kenntnis der tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse der Primärschuldnerin zurücklegen müssen.
Zum Einwand der Einschränkung des Haftungszeitraumes werde mitgeteilt, dass der Beitrag 06/2010, Juni 2010 mit Ende Juni 2010 fällig und mit Mitte Juli 2010 rückständig geworden sei. Erst mit der Rückständigkeit werde die Mahnung ausgelöst.
Da die BF laut eigenen Angaben mit XXXX die Geschäftsführertätigkeiten übernommen habe, habe sie die zeitgerechte Übermittlung des Betrages 06/2010 in ihrem Verantwortungsbereich.
Da auch der Beschwerde keine Unterlagen beigelegt worden seien, welche einer Haftungsprüfung zugänglich seien, beantrage die SGKK die Beschwerde abzuweisen und den angefochtenen Bescheid vollinhaltlich zu bestätigen.
I.9. Vom BVwG wurde Einsicht ins Firmenbuch genommen; ein diesbezüglicher Auszug aus dem Firmenbuch (OZ 5) ist in den Gerichtsakten einliegend. Ebenso erfolgte eine Einsicht ins ZMR.
I.10. Auf Ersuchen des BVwG vom 23.02.2017 an die SGKK um Stellungnahme zu den Beschwerdeangaben und den mit der Beschwerde übermittelten Unterlagen erfolgte mittels e-mail vom 07.03.2017 eine Anfragebeantwortung seitens der SGKK. Darin wurde ausgeführt, dass auf Grund der übermittelten "Unterlagen" eine Berechnung der Haftungsquote iSd Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 29.01.2014, 2012/08/0227 nicht möglich sei. Es mangle an den offenen Verbindlichkeiten zu Beginn des Beurteilungszeitraumes, den neuen Verbindlichkeiten, sowie an den geleisteten Zahlungen.
Laut Auskunft des Beschwerdeführers seien bereits vor 2010 alle ausstehenden Forderungen der Gesellschaft an die Hypo Salzburg abgetreten worden, die Gesellschaft habe über keine flüssigen Geldmittel verfügt und darüber hinaus sei eine Sperre verhängt worden. Laut VwGH vom 29.03.2001, 2000/08/0149, liege im Abschluss eines (globalen) Mantelzessionsvertrages, durch den einerseits die Bank als andrängender Gläubiger begünstigt, andererseits andere andrängende Gläubiger benachteiligt werden, eine dem vertretungsbefugten Organ vorzuwerfende Pflichtverletzung.
Nicht glaubwürdig sei, dass teilweise Zahlungen an die Salzburger Gebietskrankenkasse gezahlt worden seien, an andere Gläubiger jedoch nicht. Beiliegend finde sich der Kontoauszug inkl. der Belege der geleisteten Zahlungen in dem Beurteilungszeitraum.
Darüber hinaus werde als Beweis für die Ungleichbehandlung dargelegt, dass die Dienstnehmer bezahlt worden seien, da ansonsten kein Strafantrag bzw. in weiterer Folge keine Hauptverhandlung vor dem Landesgericht wg. § 153c StGB zu GZ.: XXXX stattgefunden hätte, wären die Dienstnehmer nicht bezahlt worden, da dies eine Strafbarkeitsbedingung sei. Die Beschwerdeführerin sei lediglich auf Grund der Bezahlung der Dienstnehmeranteile freigesprochen worden.
Beigeschlossen findet sich ein Protokollsvermerk und gekürzte Urteilsausfertigung des Landesgerichtes Salzburg zu XXXX sowie Auszüge aus dem Beitragskonto derXXXX (2 Blatt) und Zahlscheine über Zahlungen an die SGKK (3 Zahlscheine).
I.11. Diese Stellungnahme der SGKK wurde der BF im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung zur Kenntnis gebracht. Eine Antwort der BF dazu langte bis dato nicht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Die Firma XXXX wurde am XXXX ins österreichische Firmenbuch eingetragen. Die Beschwerdeführerin vertrat - im hier relevanten zeitlichen Rahmen - ab XXXX als Geschäftsführerin die Firma XXXX selbständig.
II.1.2. Mit Beschluss des LG Salzburg vom XXXX, XXXX, erfolgte die Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens der Firma XXXX Damit stand die Uneinbringlichkeit der verfahrensgegenständlichen offenen Forderungen bei der Primärschuldnerin fest.
II.1.3. Mit Schreiben der SGKK vom 19.06.2015 wurde die Haftung gegenüber der Beschwerdeführerin hinsichtlich der rückständigen Beiträge geltend gemacht. Zwischenzeitliche Maßnahmen der SGKK gegenüber der Beschwerdeführerin auf die Verpflichtung zur Bezahlung der uneinbringlich gewordenen Beiträge sind aus den vorliegenden Verwaltungsakten nicht ersichtlich und wurden von der SGKK auch nicht behauptet.
II.2. Beweiswürdigung
II.2.1. Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt sowie dem Gerichtsakt, aus dem sich auch der dargelegte Verfahrensgang ergibt.
II.2.3. Die getroffenen Feststellungen zur Gründung der XXXX, Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens sowie zu den Vertretungsverhältnissen ergeben sich aus dem Auszug aus dem österreichischen Firmenbuch, an dessen Richtigkeit kein Anlass zu Zweifeln besteht. Diese Daten wurden auch nicht bestritten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgabe der Beschwerde
3.1. Allgemeine rechtliche Grundlagen
Mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51/2012, wurde mit 01.01.2014 (Art. 151 Abs. 51 Z 6 B-VG) das Bundesverwaltungsgericht (Art. 129 B-VG) eingerichtet.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht nur in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 und nur auf Antrag einer Partei durch einen Senat. Die vorliegende Angelegenheit ist nicht von § 414 Abs. 2 ASVG erfasst. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache gem. § 28 Abs. 1 VwGVG durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen, wenn das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufhebt.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 27 VwGVG legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Demzufolge hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid aufgrund der Beschwerde zu überprüfen. Verwiesen wird dabei auf die Bestimmung des § 9 VwGVG, der den Inhalt der Beschwerde beschreibt und hier insbesondere auf Abs. 1 Z 3 und Z 4 leg. cit. Dies betrifft die Angabe der Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie das Begehren.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).
Der angefochtene Bescheid wurde der Aktenlage zufolge der BF am 15.09.2015 zugestellt, die Rechtsmittelfist endete daher am 13.10.2015. Bei Eingang der Beschwerde am 14.10.2015 bei der bB musste diese folglich zumindest am 13.10.2015 zur Post gegeben worden sein (das diesbezügliche Kuvert war bei der SGKK nicht mehr auffindbar) - die Beschwerde erweist sich daher als fristgerecht.
3.2. Rechtliche Grundlagen zur Fälligkeit und Einzahlung der Beiträge, zur Haftung für Beitragsschulden und zur Verjährung:
§ 58 Abs. 5 ASVG zur Fälligkeit und Einzahlung der Beiträge lautet:
(5) Die VertreterInnen juristischer Personen, die gesetzlichen VertreterInnen natürlicher Personen und die VermögensverwalterInnen (§ 80 BAO) haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
§ 67 Abs 10 zur Haftung für Beitragsschuldigkeiten lautet:
(10) Die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haften im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.
§ 68 ASVG lautet auszugsweise:
(1) Das Recht auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen verjährt bei Beitragsschuldnern und Beitragsmithaftenden binnen drei Jahren vom Tag der Fälligkeit der Beiträge. Hat der Dienstgeber Angaben über Versicherte bzw. über deren Entgelt nicht innerhalb der in Betracht kommenden Meldefristen gemacht, so beginnt die Verjährungsfrist erst mit dem Tag der Meldung zu laufen. Diese Verjährungsfrist der Feststellung verlängert sich jedoch auf fünf Jahre, wenn der Dienstgeber oder eine sonst meldepflichtige Person (§ 36) keine oder unrichtige Angaben bzw. Änderungsmeldungen über die bei ihm beschäftigten Personen bzw. über deren jeweiliges Entgelt (auch Sonderzahlungen im Sinne des § 49 Abs. 2) gemacht hat, die er bei gehöriger Sorgfalt als notwendig oder hätte unrichtig erkennen müssen. Die Verjährung des Feststellungsrechtes wird durch jede zum Zwecke der Feststellung getroffene Maßnahme in dem Zeitpunkt unterbrochen, in dem der Zahlungspflichtige hievon in Kenntnis gesetzt wird. Die Verjährung ist gehemmt, solange ein Verfahren in Verwaltungssachen bzw. vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes über das Bestehen der Pflichtversicherung oder die Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen anhängig ist.
3.3. Im konkreten Fall bedeutet dies:
Vom BF wurde zwar Verjährung im Verfahren nicht eingewendet, laut VwGH sind aber die Rechtsmittelinstanzen von Amts wegen dazu verpflichtet, sich mit der Verjährungsfrage gem. § 68 zu befassen [(VwGH 94/08/0107, 2011/08/0089); siehe Sonntag, ASVG, Kommentar, RZ 2 zu § 68].
Auf die Verjährungsbestimmungen ist im Verfahren - anders als im Zivilprozess - grds von Amts wegen Bedacht zu nehmen. [...] Richtigerweise folgt die grds Pflicht zur amtswegigen Wahrnehmung der Verjährung schon aus der im Verwaltungsverfahren - und im Verfahren vor den VwG [...] - generell geltenden Offizialmaxime; die Mitteilung von für den Eintritt der Verjährung maßgeblichen, der Behörde bzw. dem VwG nicht bekannten Umständen obliegt allerdings der Partei im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht (Julcher in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm, [2015], Rz 5 zu § 68 ASVG).
Der VwGH vertritt in ständiger Rechtsprechung betreffend die "Beitragsmithaftenden" Folgendes: Erstens: Über die Haftungsverpflichtung nach § 67 Abs. 10 ASVG ist iVm §§ 409 und 410 (insb. Abs. 1 Z 7) nach § 68 Abs. 1 ASVG ein Feststellungsbescheid zu erlassen. Zweitens: Auch dem Haftungspflichtigen gegenüber verjährt das Recht (auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen) binnen drei bzw. fünf Jahren. Drittens: Dieses Feststellungsrecht wird durch jede Maßnahme, die zum Zweck der Feststellung (seiner Haftungsverpflichtung) getroffen wird, in dem Zeitpunkt unterbrochen, in dem der Haftungspflichtige davon in Kenntnis gesetzt wird. Viertens: Es ergibt sich aus § 68 Abs. 1 ASVG, dass gegenüber dem Haftungspflichtigen von festgestellten Beitragsschulden iSd § 68 Abs. 2 jedenfalls so lange nicht gesprochen werden kann, als noch ein Streit über die Haftungsverpflichtung besteht (Julcher in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm, [2015], Rz 24 zu § 68 ASVG).
Aus dem Tatbestandsmoment der Uneinbringlichkeit der Beitragsforderung beim Primärschuldner (GmbH) folgt nach der Rechtsprechung des VwGH (Zl. 2001/08/0209, vgl. auch Zl. 2008/08/0223, 2010/08/0190), dass die Verjährungsfrist für den haftungspflichtigen Vertreter (zumindest) nicht früher ablaufen kann als die Haftung entstanden ist, dh als feststeht, dass die Uneinbringlichkeit der Beitragsforderung eingetreten ist; dabei kann von Uneinbringlichkeit der Beitragsforderung in dem in § 67 Abs. 10 gemeinten Sinn nur dann gesprochen werden, wenn im Zeitpunkt der Feststellbarkeit der Uneinbringlichkeit (frühestens also mit deren objektivem Eintritt) die Beitragsforderung gegenüber dem Primärschuldner nicht verjährt (und damit schon wegen Fristablaufs "uneinbringlich" geworden) ist (VwGH 26.05.2004, Zl. 2001/08/0209). In späteren Entscheidungen (VwGH 01.04.2009, Zl. 2008/08/0223; VwGH 22.02.2012, Zl. 2010/08/0190) hat der VwGH präzisiert, dass die Feststellungsverjährungsfrist gegenüber dem Beitragsmithaftenden überhaupt erst mit dem Feststehen der objektiven Uneinbringlichkeit der Forderung gegenüber dem Primärschuldner zu laufen beginnen kann (Julcher in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm, [2015], Rz 25 zu § 68 ASVG).
Es entspricht dem Regelungszweck des § 68 Abs. 1, dass immer dann - aber nur dann - eine Verjährung des Rechts auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen eintreten soll, wenn gegenüber dem Beitragsschuldner innerhalb der gesetzlichen Fristen keine auf die Verpflichtung zur Beitragszahlung gerichtete Maßnahme gesetzt wird (vgl. Sonntag, ASVG, Kommentar, RZ 12 zu § 68).
Das Recht, die Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen festzustellen, verjährt gem. § 68 Abs. 1 grds binnen drei Jahren vom Tag der Fälligkeit der Beiträge. Der VTr kann aber bei erst aufgrund der Vorschreibung fällig werdenden Beiträgen - nicht den Beginn der Verjährung beliebig hinausschieben, indem er die Beiträge nicht vorschreibt: die Verjährung beginnt in einem derartigen Zeitpunkt, in welchem dem VTr die Vorschreibung objektiv möglich gewesen wäre (Julcher in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm, [2015], Rz 10 zu § 68 ASVG unter Hinweis auf VwGH 2010/08/0018).
Voraussetzung der Vertreterhaftung ist u. a. die Uneinbringlichkeit der Forderung bei der Primärschuldnerin - hier der XXXX - und zwar zum Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheides (siehe dazu Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm, [2014], Rz 129ff zu § 67 ASVG). Gegenständlich lag die Uneinbringlichkeit der Forderung bei der XXXX als Primärschuldnerin mit der Nichteröffnung des Konkursverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens am XXXX vor und die Vertreterhaftung nach § 67 Abs. 10 ASVG setzte ein (vgl. dazu auch Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm, [2014], Rz 129ff zu § 67 ASVG).
Aus dem vorliegenden Auszug aus dem Firmenbuch ergibt sich, dass mit Beschluss des Landesgerichtes Salzburg vom XXXX ein Insolvenzverfahren mangels kostendeckenden Vermögens der XXXX nicht eröffnet wurde (OZ 5). Die Uneinbringlichkeit der gegenständlichen Forderung bei der Primärschuldnerin (der XXXX) steht damit fest. Die Schuld ist gegenüber der Primärschuldnerin auch nicht verjährt.
Folglich endete die dreijährige Verjährungsfrist die BF betreffend schon im Oktober 2014.
Zwischen Beginn der Uneinbringlichkeit der Forderung (ab XXXX) und der ersten Maßnahme der SGKK zur Geltendmachung der Haftung gegenüber der Beschwerdeführerin (Schreiben vom 19.06.2015) liegen mehr als 3 Jahre und 8 Monate. In dieser Zeit blieb die SGKK im Hinblick auf die Haftung der Beschwerdeführerin untätig; aus dem Verwaltungsakt sind keine verjährungsunterbrechende Maßnahmen und auch keine solchen, die zu einer Hemmung der Verjährung führen, ersichtlich und wurden solche von der SGKK auch nicht behauptet.
Hinsichtlich der von der SGKK mit Bescheid vom 11.09.2015, Zl. XXXX, geforderten Beiträge aus den Vorschreibungen für die Zeiträume Mai 2010 bis August 2011 in Höhe von € 27.599,45 zuzüglich Verzugszinsen war daher nach Ansicht des BVwG - unter Zugrundelegung der dreijährigen Verjährungsfrist des § 68 Abs. 1 ASVG - am 19.06.2015 seit mehr als 8 Monaten Verjährung des Rechts auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen (konkret:
Geschäftsführerhaftung der Beschwerdeführerin für uneinbringliche Beiträge der XXXX) eingetreten.
3.3. Anhaltspunkte dafür, dass der Dienstgeber oder eine sonst meldepflichtige Person (§ 36) keine oder unrichtige Angaben bzw. Änderungsmeldungen über die bei ihm beschäftigten Personen bzw. über deren jeweiliges Entgelt (auch Sonderzahlungen im Sinne des § 49 Abs. 2) gemacht hätten, sind aus den vorliegenden Verwaltungsakten nicht ersichtlich.
Zudem wird nach überzeugender Ansicht in der Literatur (vgl. Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm, [2014], Rz 11 zu § 67 ASVG) die fünfjährige Verjährungsfrist gegenüber dem Haftenden praktisch wohl nicht zur Anwendung kommen, da hinsichtlich der Haftungsvoraussetzungen keine Meldepflichten bestehen, die verletzt werden könnten und eine Meldepflichtverletzung hinsichtlich der Beschäftigung oder des Entgelts von DN nur gegenüber dem DG zur Verlängerung der Verjährungsfrist führt, nicht aber auf die Dauer der Verjährungsfrist gegenüber dem Haftenden durchschlägt.
Die längere - fünfjährige - Verjährungsfrist scheidet daher insoweit aus.
3.4. Folglich war der Beschwerde spruchgemäß stattzugeben.
Absehen von einer Beschwerdeverhandlung:
Eine Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist (§ 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG). Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC] entgegenstehen (§ 24 Abs.4 VwGVG).
Die Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung ist am Maßstab des Art. 6 EMRK zu beurteilen. Dessen Garantien werden zum Teil absolut gewährleistet, zum Teil stehen sie unter einem ausdrücklichen (so etwa zur Öffentlichkeit einer Verhandlung) oder einem ungeschriebenen Vorbehalt verhältnismäßiger Beschränkungen (wie etwa das Recht auf Zugang zu Gericht). Dem entspricht es, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung für gerechtfertigt ansieht, etwa wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Stellungnahmen der Parteien angemessen entschieden werden kann (vgl. EGMR 12.11.2002, Döry / S, RN 37). Der Verfassungsgerichtshof hat im Hinblick auf Art. 6 EMRK für Art. 47 GRC festgestellt, dass eine mündliche Verhandlung vor dem Asylgerichtshof im Hinblick auf die Mitwirkungsmöglichkeiten der Parteien im vorangegangenen Verwaltungsverfahren regelmäßig dann unterbleiben könne, wenn durch das Vorbringen vor der Gerichtsinstanz erkennbar werde, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlagen nicht erwarten lasse. (vgl. VfGH 21.02.2014, B1446/2012; 27.06.2013, B823/2012; 14.03.2012, U466/11; VwGH 24.01.2013, 2012/21/0224; 23.01.2013, 2010/15/0196).
Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der sich aus dem Akteninhalt ergebende Sachverhalt war weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die getroffene Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
ersatzlose Behebung, Geschäftsführer, Haftung, VerjährungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:L510.2117566.1.00Zuletzt aktualisiert am
24.01.2018