TE Vwgh Erkenntnis 2017/12/19 Ra 2017/08/0098

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Veröffentlicht am 19.12.2017
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Index

50/01 Gewerbeordnung
82/03 Ärzte Sonstiges Sanitätspersonal

Norm

GewO 1994 §148a
ZahnärzteG 2006 §24
ZahnärzteG 2006 §24 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Kärntner Gebietskrankenkasse in Klagenfurt, vertreten durch Dr. Bernhard Fink, Dr. Peter Bernhart, Mag. Klaus Haslinglehner, Dr. Bernd Peck und Mag. Kornelia Kaltenhauser, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Bahnhofstraße 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10. Juli 2017, Zl. W178 2125458-1/14E, betreffend Kündigung eines Einzelvertrages nach § 343 Abs. 4 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landesschiedskommission für Kärnten; mitbeteiligte Partei: Dr. A K; weitere Partei: Bundesministerin für Gesundheit und Frauen), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Am 30. April 1996 schloss die revisionswerbende Gebietskrankenkasse mit dem Mitbeteiligten, einem Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde mit dem Berufssitz (Ordinationsstätte) B, H-Straße 82, einen ab 1. Mai 1996 wirksamen Einzelvertrag. Mit Schreiben vom 2. September 2015 kündigte sie gemäß § 343 Abs. 4 ASVG das Einzelvertragsverhältnis zum 31. Dezember 2015

„wegen schwerwiegender Vertragsverletzung in mehreren Fällen (Verrechnung nicht selbst, sondern von einem Zahntechniker ‚erbrachter‘ Leistungen)“.

2        Der Mitbeteiligte habe Leistungen aus dem Gebiet der Prothetik verrechnet, die nicht von ihm als Vertragsarzt, sondern ohne Anleitung und Aufsicht durch den Mitbeteiligten von einem Zahntechniker erbracht worden seien. Derart schwere Vertragsverstöße würden die sofortige Vertragskündigung rechtfertigen.

3        Der Mitbeteiligte hat die Kündigung mit Einspruch angefochten.

4        Mit Bescheid vom 1. April 2016 sprach die belangte Behörde aus, dass die Kündigung mit 31. Dezember 2015 wirksam sei. Sie stellte fest, der Zahntechniker Stefan E. habe (in seinen Zahntechnikerräumen in T) für sechs namentlich genannte Patienten Leistungen erbracht (eine Zahnspange angefertigt, Abdrücke gemacht, Prothesen angefertigt, unterfüttert bzw. repariert). Vier Patienten hätten ihre e-card bei Stefan E. (in T) abgegeben und sie (nach deren „Steckung“ in der Ordination des Mitbeteiligten in B) bei ihm wieder abgeholt. Keiner der sechs Patienten sei je in der Ordination des Mitbeteiligten gewesen. Die Abrechnung der den Patienten erbrachten Leistungen gegenüber der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse sei durch den Mitbeteiligten erfolgt. Sein Verhalten stelle eine so schwerwiegende Berufs- und Vertragspflichtverletzung dar, dass die Kündigung des Einzelvertrages gerechtfertigt sei.

5        Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

6        Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht der Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG Folge gegeben und gemäß § 343 Abs. 4 ASVG festgestellt, dass die Kündigung des Einzelvertrages unwirksam ist. Es stellte fest, dass Stefan E. in T in den in seinem Eigentum stehenden Geschäftsräumlichkeiten ein Zahntechniklabor betreibe. In den Geschäftsräumlichkeiten befinde sich auch eine Zahnarztpraxis, die von Stefan E. eingerichtet worden sei und die der Mitbeteiligte zu bestimmten Terminen nutze. Vor dem Mitbeteiligten habe der Zahnarzt Dr. P. diese genutzt. Die Zahnarztpraxis sei „durch die Gesundheitsbehörden überprüft“ worden. „Bei Anwesenheit des Bf [Mitbeteiligten] in T werden durch den Zeugen [Stefan E.] Termine mit Patienten vereinbart, die eine Leistung aus dem Gebiet der Prothetik brauchen“. Stefan E. übernehme für den Mitbeteiligten die zahntechnischen Arbeiten. Er arbeite regelmäßig an ca. zwei Tagen pro Woche in den Räumen der Zahnarztpraxis des Mitbeteiligten in B.

7        Die von der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse inkriminierte Vorgangsweise beziehe sich auf „abnehmbaren Zahnersatz“. Eine in der Nähe des Zahntechniklabors des Stefan E. lebende Mutter einer minderjährigen Patientin (Frau F.) sei mit Stefan S. in Verbindung getreten. Es habe bereits ein Behandlungsplan existiert, der von einem anderen Zahnarzt erstellt worden sei. Die Abnahme des Abdruckes und die weiteren Behandlungsschritte seien in Anwesenheit des Mitbeteiligten in der Ordination (im Nebenzimmer) durch Stefan E. erledigt worden. Vor Behandlungsbeginn sei eine Absprache des Zahntechnikers mit dem Mitbeteiligten erfolgt.

8        Die Patientin P. habe eine neue Prothese erhalten. In den Zahntechnikerräumen des Stefan S. in T seien ein Prothesenabdruck angefertigt und weitere Schritte gemacht worden. Der Mitbeteiligte sei in den Räumen des Zahntechniklabors im Ordinationsraum anwesend gewesen.

9        Mit der Patientin D., die eine neue Prothese benötigt habe, sei Stefan E. in die Ordination des Mitbeteiligten nach B gefahren, wo Zähne gezogen worden seien. Anschließend seien in den Räumen in T ein Prothesenabdruck und weitere Schritte gemacht worden. Der Mitbeteiligte sei in den Räumen des Zahntechniklabors im Ordinationsraum anwesend gewesen.

10       Bei der Patientin M. habe Stefan E. die Unterfütterung einer bestehenden Prothese durchgeführt.

11       Bei der Patientin B. habe Stefan E. die Prothese repariert. Die Arbeiten seien in Zusammenarbeit mit einem anderen Zahnarzt (Dr. P.) durchgeführt worden. Frau B. sei auch Patientin des Mitbeteiligten gewesen.

12       Beim Patienten D. sei eine Reparatur mehrerer Prothesen durchgeführt worden. Diese Arbeiten habe Stefan E. ohne Rücksprache mit dem Zahnarzt und „ohne Verrechnung über die GKK“ durchgeführt.

13       Bei der Abnahme von Abdrücken (von Gebissen) der genannten Patientinnen und Patienten durch Stefan E. habe sich der Mitbeteiligte, soweit dies Teil der Behandlung gewesen sei, in der Ordination in T befunden, und zwar in einem anderen Raum. Die Vorgangsweise und die nach dem Abdruck angefertigten Modelle seien mit dem Mitbeteiligten besprochen worden.

14       Stefan E. habe die Rechnungen (über den Kostenanteil, der nicht der Kasse verrechnet worden sei) in manchen Fällen an die Patienten übergeben. Sie seien auf den Mitbeteiligten ausgestellt worden. Die Zahlungen seien dem Mitbeteiligten zugutegekommen.

15       Die e-cards der Patienten seien jeweils in die Ordination des Mitbeteiligten nach B mitgenommen worden, weil in der Ordination in T die Infrastruktur für das „Stecken“ der Karte nicht vorhanden gewesen sei. Die e-cards seien von Stefan E. nicht verwendet worden. Er habe diese nur überbracht.

16       Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht aus, es stütze seine Feststellungen auf die Angaben des Zeugen Stefan E. und des Mitbeteiligten sowie auf Urkunden, insbesondere die Niederschriften mit krankenversicherten Personen, die von der Salzburger Gebietskrankenkasse aufgenommen worden seien. Die revisionswerbende Gebietskrankenkasse habe die Einvernahme der Versicherten beantragt. Im Hinblick darauf, dass der Sachverhalt hinreichend geklärt sei und „keine Widersprüche zu den Aussagen“ des Mitbeteiligten und des Stefan E. bestünden, sei diesem Antrag nicht nachzukommen gewesen. Die Aussage der Frau B., dass sie den Mitbeteiligten nicht kenne, habe diese „selbst widerrufen“.

17       In der rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht u.a. aus, die nötige Aufsicht des Zahntechnikers sei durch die Anwesenheit des Mitbeteiligten im Nebenraum (Ordinationsraum) gewährleistet gewesen. Der Zahntechniker sei seiner Verpflichtung, sich mit dem Mitbeteiligten in jedem Fall abzusprechen, nachgekommen. Die Verwendung der e-card sei - wenn auch „disloziert“ - in der Ordination des Mitbeteiligten erfolgt. Es sei zu keinen Pflichtverletzungen durch den Mitbeteiligten gekommen.

18       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision. Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

19       Zur Zulässigkeit der Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG bringt die revisionswerbende Gebietskrankenkasse vor, es liege keine einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Kündigung eines Einzelvertrages vor. Die der mitbeteiligten Partei vorgeworfenen und von dieser gar nicht bestrittenen Handlungen, nämlich die Delegierung von Tätigkeiten, die Ärzten vorbehalten seien, an Nicht-Ärzte, stelle typischerweise eine schwere Vertrags- und Berufspflichtverletzung dar, welche zur unverzüglichen Kündigung des Einzelvertrages berechtige. Die revisionsgegenständlichen Handlungen würden Berufspflichtverletzungen des Arztes darstellen. Nicht-Ärzte dürften die gegenständlichen Tätigkeiten nicht bzw. nur unter sehr strengen Voraussetzungen verrichten.

20       Die Revision ist zulässig und berechtigt.

21       § 343 ASVG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 32/2014 lautet samt Überschrift auszugsweise:

„Aufnahme der Ärzte in den Vertrag und Auflösung des Vertragsverhältnisses

§ 343. (1) Die Auswahl der Vertragsärztinnen/Vertragsärzte und der Vertrags-Gruppenpraxen und der Abschluss der Einzelverträge zwischen dem zuständigen Träger der Krankenversicherung und dem Arzt/der Ärztin oder der Gruppenpraxis erfolgt nach den Bestimmungen des Gesamtvertrages und im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer. Diese Einzelverträge sind sodann für alle Gebiets- und Betriebskrankenkassen sowie für die Sozialversicherungsanstalt der Bauern wirksam.

(...)

(4) Das Vertragsverhältnis kann unbeschadet der Bestimmungen der Abs. 2 und 3 von beiden Teilen unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Der Krankenversicherungsträger kann nur wegen wiederholter nicht unerheblicher oder wegen schwerwiegender Vertrags- oder Berufspflichtverletzungen unter Angabe der Gründe schriftlich kündigen. Der gekündigte Arzt/die gekündigte Ärztin oder die gekündigte Vertrags-Gruppenpraxis kann innerhalb von zwei Wochen die Kündigung bei der Landesschiedskommission mit Einspruch anfechten. Die Landesschiedskommission hat innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen des Einspruches über diesen zu entscheiden. Der Einspruch hat bis zum Tag der Entscheidung der Landesschiedskommission aufschiebende Wirkung. Eine Vertrags-Gruppenpraxis kann die Kündigung des Einzelvertrages abwenden, wenn sie innerhalb von acht Wochen ab Rechtskraft der Kündigung jenen Gesellschafter/jene Gesellschafterin, der/die ausschließlich den jeweiligen Kündigungsgrund gesetzt hat, aus der Vertrags-Gruppenpraxis ausschließt. Eine vom gekündigten Arzt/von der gekündigten Ärztin (von der gekündigten Gruppenpraxis) eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht hat ohne Zustimmung des Krankenversicherungsträgers keine aufschiebende Wirkung.“

22       Die §§ 4, 11, 14, 24, 27 und 36 Zahnärztegesetz lauten samt Überschrift auszugsweise:

„Berufsbild und Tätigkeitsbereich

§ 4. (1) Angehörige des zahnärztlichen Berufs sind zur Ausübung der Zahnmedizin berufen.

(2) Der zahnärztliche Beruf umfasst jede auf zahnmedizinischwissenschaftlichen Erkenntnissen begründete Tätigkeit einschließlich komplementär- und alternativmedizinischer Heilverfahren, die unmittelbar am Menschen oder mittelbar für den Menschen ausgeführt wird.

(3) Der Angehörigen des zahnärztlichen Berufs vorbehaltene Tätigkeitsbereich umfasst insbesondere

1.   die Untersuchung auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Krankheiten und Anomalien der Zähne, des Mundes und der Kiefer einschließlich der dazugehörigen Gewebe,

2.   die Beurteilung von den in Z 1 angeführten Zuständen bei Verwendung zahnmedizinisch-diagnostischer Hilfsmittel,

3.   die Behandlung von den in Z 1 angeführten Zuständen,

4.   die Vornahme operativer Eingriffe im Zusammenhang mit den in Z 1 angeführten Zuständen,

4a.  die Vornahme von kosmetischen und ästhetischen Eingriffen an den Zähnen, sofern diese eine zahnärztliche Untersuchung und Diagnose erfordern,

5.   die Verordnung von Heilmitteln, Heilbehelfen und zahnmedizinisch-diagnostischen Hilfsmitteln im Zusammenhang mit den in Z 1 angeführten Zuständen,

6.   die Vorbeugung von Erkrankungen der Zähne, des Mundes und der Kiefer einschließlich der dazugehörigen Gewebe und

7.   die Ausstellung von zahnärztlichen Bestätigungen und die Erstellung von zahnärztlichen Gutachten.

(4) Darüber hinaus umfasst der Tätigkeitsbereich des zahnärztlichen Berufs

1.   die Herstellung von Zahnersatzstücken für den Gebrauch im Mund,

2.   die Durchführung von technisch-mechanischen Arbeiten zwecks Ausbesserung von Zahnersatzstücken und

3.   die Herstellung von künstlichen Zähnen und sonstigen Bestandteilen von Zahnersatzstücken

für jene Personen, die von dem/der Angehörigen des zahnärztlichen Berufs behandelt werden.“

„Führung der Zahnärzteliste

§ 11. (1) Die Österreichische Zahnärztekammer hat in Zusammenarbeit mit den Landeszahnärztekammern die Anmeldungen für die Ausübung des zahnärztlichen Berufs entgegenzunehmen und eine Liste der zur Berufsausübung berechtigten Angehörigen des zahnärztlichen Berufs (Zahnärzteliste) zu führen.

(2) Die Zahnärzteliste hat folgende Daten zu enthalten:

1.   ...

8.   Berufssitze, Dienstorte oder bei Wohnsitzzahnärzten Wohnsitz einschließlich der beabsichtigten Tätigkeit;

(...).“

„Änderungsmeldungen

§ 14. (1) Angehörige des zahnärztlichen Berufs haben der Österreichischen Zahnärztekammer im Wege der örtlich zuständigen Landeszahnärztekammer folgende schriftliche Meldungen zu erstatten:

1.   ...

4.   jede Eröffnung, Verlegung und Auflassung eines Berufssitzes;

5.   ...

Die Meldungen gemäß Z 1 bis 3 haben binnen einer Woche, die übrigen Meldungen im vorhinein zu erfolgen.

(...)“

„Persönliche und unmittelbare Berufsausübung

§ 24. (1) Angehörige des zahnärztlichen Berufs haben ihren Beruf persönlich und unmittelbar, allenfalls in Zusammenarbeit mit anderen Angehörigen des zahnärztlichen Berufs oder Angehörigen anderer Gesundheitsberufe (...) auszuüben.

(2) Sie dürfen sich im Rahmen ihrer Berufsausübung der Mithilfe von Hilfspersonen bedienen, wenn diese nach ihren genauen Anordnungen und unter ihrer ständigen Aufsicht handeln.

(3) Sie dürfen an Angehörige anderer Gesundheitsberufe oder in Ausbildung zu einem Gesundheitsberuf stehende Personen zahnärztliche Tätigkeiten übertragen, sofern diese vom Tätigkeitsbereich des entsprechenden Gesundheitsberufs umfasst sind. Dabei trägt der/die Angehörige des zahnärztlichen Berufs die Verantwortung für die Anordnung. Die zahnärztliche Aufsicht entfällt, sofern die Regelungen der entsprechenden Gesundheitsberufe bei der Durchführung übertragener zahnärztlicher Tätigkeiten keine zahnärztliche Aufsicht vorsehen.

(4) (...).“

Berufssitz

§ 27. (1) Berufssitz ist der Ort, an dem sich die Ordinationsstätte befindet, in der und von der aus der/die Angehörige des zahnärztlichen Berufs seine/ihre freiberufliche Tätigkeit ausübt, die über eine reine Beratungstätigkeit hinausgeht.

(2) Jeder/Jede freiberuflich tätige Angehörige des zahnärztlichen Berufs hat einen oder höchstens zwei Berufssitze in Österreich zu bestimmen. Tätigkeiten im Rahmen von zahnärztlichen Nacht-, Feiertags- oder Wochenenddiensten oder in Einrichtungen im Interesse der Volksgesundheit werden davon nicht berührt.

(3) Jede Begründung, Änderung und Auflassung eines Berufssitzes ist der Österreichischen Zahnärztekammer im Wege der örtlich zuständigen Landeszahnärztekammer im vorhinein anzuzeigen.

(4) Die freiberufliche Ausübung des zahnärztlichen Berufs ohne Berufssitz (Wanderpraxis) ist - unbeschadet des § 29 - verboten.“

„Ordinationsstätten

§ 36. (1) Angehörige des zahnärztlichen Berufs sind verpflichtet, ihre Ordinationsstätte

1.   in einem Zustand zu halten, der den für die Berufsausübung erforderlichen hygienischen Anforderungen entspricht,

2.   entsprechend den fachspezifischen Qualitätsstandards zu betreiben und

3.   mit einer nach außen zweifelsfrei als zahnärztliche Ordinationsstätte erkennbaren Bezeichnung zu versehen.

(2) (...).“

23       § 148a Gewerbeordnung 1994 in der Fassung BGBl. I Nr. 32/2012 lautet samt Überschrift:

„Zahntechniker

§ 148a. Personen, die zur Ausübung des Handwerks der Zahntechniker (§ 94 Z 81) berechtigt sind und auch die Zahntechnikermeisterprüfung erfolgreich absolviert haben, sind berechtigt, im Einzelfall im Auftrag des Zahnarztes im Rahmen der Herstellung, der Reparatur oder der Eingliederung eines abnehmbaren Zahnersatzes Abformungen und notwendige Bissnahmen im Mund des Menschen vorzunehmen und die notwendigen An- und Einpassungsarbeiten an diesem Zahnersatz durchzuführen. Diese Arbeiten sind in der Ordination des beauftragenden Zahnarztes durchzuführen.“

24       In § 2 des zwischen dem Mitbeteiligten und (insbesondere) der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse abgeschlossenen Einzelvertrags vom 30. April 1996 wird als Berufssitz und Ordinationsstätte des Mitbeteiligten eine Adresse in B festgelegt.

25       Die §§ 8, 10 und 11 des Gesamtvertrages für die Vertragsfachärzte für Zahn-, Mund-, und Kieferheilkunde, abgeschlossen zwischen der Ärztekammer für Kärnten und dem Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger, lauten auszugsweise:

„§ 8 Wechsel der Ordinationsstätte

(1) Ein beabsichtigter Wechsel der Ordinationsstätte ist vom Vertragsarzt der Kammer und dem Versicherungsträger mittels eingeschriebenen Briefes bekannt zu geben. Wird innerhalb von zwei Wochen von den Vertragsparteien kein Einspruch erhoben, gilt dies als Zustimmung zum Fortbestand des Einzelvertrages. Im Falle eines Einspruches entscheidet auf Antrag des Vertragsarztes die paritätische Schiedskommission.

(2) Der Wechsel der Ordinationsstätte bei Fortbestand des Einzelvertragsverhältnisses ist erst zulässig, wenn kein Einspruch gemäß Abs. 1 erhoben wurde oder die paritätische Schiedskommission dem Wechsel der Ordinationsstätte zugestimmt hat.

(...)“

„§ 10 Ärztliche Behandlung

(1) (...) Diese ärztliche Tätigkeit ist grundsätzlich durch den Vertragsarzt selbst auszuüben.

(2) (...).“

„§ 11 Behandlung in der Ordination

(1) Die Behandlungspflicht in der Ordination besteht gegenüber allen Anspruchsberechtigten, die den Vertragsarzt aufsuchen. Getrennte Wartezimmer (und unterschiedliche Ordinationszeiten) für Kassen- und Privatpatienten sowie die Bevorzugung von Privat- vor Kassenpatienten sind unzulässig.

(2) Der Vertragsarzt hat nach Möglichkeit die mit dem Versicherungsträger vereinbarte Ordinationszeit einzuhalten. Als vereinbart gelten die dem Versicherungsträger bekannt gegebenen Ordinationszeiten, sofern dieser dagegen keinen Einspruch erhebt. Kommt über eine vom Vertragsarzt beabsichtigte Änderung einer vereinbarten Ordinationszeit innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe dieser Absicht an den Versicherungsträger ein Einvernehmen zwischen den Parteien des Einzelvertrages nicht zustande, entscheidet auf Antrag die paritätische Schiedskommission.

(3) Nur in medizinisch dringenden Fällen (wie z. B. bei Erster-Hilfe-Leistung) hat der Vertragsarzt auch außerhalb seiner Ordinationszeiten ärztliche Hilfe zu leisten.

(4) Die Ordinationstätigkeit des Vertragsarztes darf grundsätzlich nur in den eigenen Ordinationsräumen ausgeübt werden. Ausnahmen sind nur im Einvernehmen zwischen den Vertragsparteien zulässig.“

26       Nach § 24 Abs. 1 und 3 Zahnärztegesetz dürfen Angehörige des zahnärztlichen Berufs die Ausführung zahnärztlicher Tätigkeiten an Angehörige anderer Gesundheitsberufe im Rahmen des Tätigkeitsbereichs des entsprechenden Gesundheitsberufs übertragen. Dabei trägt der Angehörige des zahnärztlichen Berufs die Verantwortung für die Anordnung. Die zahnärztliche Aufsicht entfällt, sofern die Regelungen der entsprechenden Gesundheitsberufe bei der Durchführung übertragener zahnärztlicher Tätigkeiten keine zahnärztliche Aufsicht vorsehen.

27       § 148a Gewerbeordnung 1994 bestimmt, dass Zahntechniker mit Zahntechnikermeisterprüfung (wie Stefan S. in T) berechtigt sind, im Einzelfall im Auftrag des Zahnarztes im Rahmen der Herstellung, der Reparatur oder der Eingliederung eines abnehmbaren Zahnersatzes Abformungen und notwendige Bissnahmen im Mund des Menschen vorzunehmen und die notwendigen An- und Einpassungsarbeiten an diesem Zahnersatz durchzuführen. Diese Arbeiten durften jedoch nur in der Ordination (Berufssitz) des beauftragenden Zahnarztes durchgeführt werden.

28       Der Oberste Gerichtshof hat mit Urteil vom 18. September 2012, 4 Ob 87/12s, ausgesprochen, dass das Anpassen einer Prothese als Heilbehelf als Behandlung einer Erkrankung oder Anomalie zu qualifizieren sei, die auf medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhe. Das Abdrucknehmen und Anpassen könne nur im Rahmen des § 24 Zahnärztegesetz (unter der ständigen Aufsicht des Zahnarztes) an einen Zahntechniker delegiert werden. Dasselbe Ergebnis sei aus § 148a Gewerbeordnung 1948 abzuleiten, der eine völlig selbständige Vornahme von Abdruck und Anpassung durch den Zahntechniker ohne vorherige Untersuchung und konkrete Anordnung des behandelnden Arztes ausschließe. Dem § 148a Gewerbeordnung 1994 könne nicht entnommen werden, dass der Zahntechniker die nach dem Zahnärztegesetz dem Arzt vorbehaltenen Tätigkeiten völlig eigenständig, ohne jegliche Anleitung und Aufsicht, ja sogar ohne vorhergehende Untersuchung und Verordnung durch den Arzt vornehmen dürfte. Ein Zahntechnikermeister habe nicht das Recht, das Abdrucknehmen und Anpassen von Zahnersatzstücken und Gebissen im menschlichen Mund ohne Anordnung und ständige Aufsicht eines Zahnarztes auszuüben.

29       Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich diesen Ausführungen an. Nach § 24 Abs. 3 letzter Satz Zahnärztegesetz kann die zahnärztliche Aufsicht entfallen, wenn die Regelungen der entsprechenden Gesundheitsberufe bei der Durchführung übertragener zahnärztlicher Tätigkeiten keine zahnärztliche Aufsicht vorsehen. § 148a Gewerbeordnung 1994 sieht bei den für zulässig erklärten „Abformungen und notwendigen Bissnahmen im Mund des Menschen“ und den „notwendigen An- und Einpassungsarbeiten an diesem Zahnersatz“ durch den Zahntechniker einen Entfall der zahnärztlichen Aufsicht nicht vor. Die bloße Anwesenheit des Mitbeteiligten „in einem anderen Raum“ der Geschäftsräumlichkeiten des Zahntechnikers ist - jedenfalls ohne unmittelbar vorangehende Untersuchung des betreffenden Patienten durch den Zahnarzt, ohne im Einzelfall erfolgte zahnärztliche Anordnung der zu delegierenden Tätigkeiten oder bei Durchführung der delegierten Tätigkeiten am Patienten außerhalb der Sicht- oder Hörweite des Zahnarztes - keine zahnärztliche Aufsicht iSd § 24 Abs. 3 Zahnärztegesetz. Daran ändert das vom Mitbeteiligten ins Treffen geführte Schreiben der revisionswerbenden Gebietskrankenkasse an ihn vom 16. Juli 2015 nichts, in dem diese bestätigte, dass in Ausnahmefällen die Möglichkeit bestehe, eine Prothesenreparatur auch in Abwesenheit des Patienten durchzuführen.

30       Ob eine Delegierung der grundsätzlich nur vom Mitbeteiligten selbst in seiner Ordinationsstätte auszuübenden zahnärztlichen Tätigkeiten an einen Zahntechniker in dessen Geschäftsräumlichkeiten ohne die nach dem Gesagten erforderliche zahnärztliche Aufsicht des Mitbeteiligten vorgelegen und somit eine schwerwiegende Vertragsverletzung iSd § 343 Abs. 4 zweiter Satz ASVG erfolgt ist, kann vom Verwaltungsgerichtshof mangels ausreichender Feststellungen des Verwaltungsgerichtes nicht abschließend beurteilt werden.

31       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

32       Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.

Wien, am 19. Dezember 2017

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017080098.L00

Im RIS seit

11.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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