RS Vfgh 2017/3/14 V23/2016 (V23/2016-13)

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Veröffentlicht am 14.03.2017
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Index

L4000 Anstandsverletzung, Bettelei, Ehrenkränkung, Lärmerregung

Norm

B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 Z6
B-VG Art148i Abs2
Vlbg Landesverfassung Art60 Abs2
Vlbg Landes-SicherheitsG §7, §8, §9, §15
Bregenzer BettelverbotsV vom 01.12.2015

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit einer über das landesgesetzliche Bettelverbot hinausgehenden Bestimmung in der Verordnung der Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz betreffend ein zeitlich undifferenziertes Verbot des stillen Bettelns an Tagen bestimmter öffentlicher Veranstaltungen; Abweisung des Antrags des Landesvolksanwaltes hinsichtlich des Bettelverbotes während der Zeit der Abhaltung bestimmter Märkte wegen Vorliegens eines die Benützung eines öffentlichen Ortes durch andere Personen erschwerenden, spezifischen Missstandes

Rechtssatz

Zulässigkeit des Antrags des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg auf Aufhebung der Verordnung der Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz vom 01.12.2015 (in der Folge: Bregenzer BettelverbotsV).

§1 Bregenzer BettelverbotsV verbietet auf bestimmten Märkten (lita) und auf bestimmten Veranstaltungen (litb) jenes Betteln, das nicht bereits durch §7 Abs1 Vlbg Landes-SicherheitsG verboten ist, somit jegliches Betteln außer aufdringliches oder aggressives Betteln, Betteln unter Mitführen einer unmündigen Person und Betteln als Beteiligter einer organisierten Gruppe. Mit ihr wird somit auch "stilles Betteln" verboten.

Stilles Betteln, also das Bitten um finanzielle Hilfe in unaufdringlicher und nicht aggressiver Weise oder nur durch schriftlichen oder symbolischen Hinweis, darf aber an öffentlichen Orten nicht verboten werden, es sei denn, etwa die Anzahl der Bettler erschwert die Benützung des öffentlichen Ortes derart, dass ein Missstand vorliegt. Ein solcher Missstand muss von der verordnungserlassenden Gemeindevertretung jeweils ermittelt und nachgewiesen werden (vgl E v 14.10.2016, E552/2016 ua).

Aufhebung des §1 litb der Bregenzer BettelverbotsV wegen Verstoßes gegen §7 Abs3 Vlbg Landes-SicherheitsG.

Die Stadtvertretung der Landeshauptstadt Bregenz vermag nicht nachzuweisen, dass ein spezifischer Missstand iSd §7 Abs3 Vlbg Landes-SicherheitsG auf den von der Bregenzer BettelverbotsV erfassten Veranstaltungen besteht. Die dem VfGH vorliegenden Verordnungsakten können nicht belegen, dass eine bestimmungsgemäße Abhaltung der Veranstaltungen wegen still bettelnder Personen nicht möglich wäre, da lediglich die zu den "Märkten" bestehenden Erfahrungen auf die "Veranstaltungen" undifferenziert übertragen wurden. Ein gleichsam "auf Vorrat" erlassenes Verbot auch des stillen Bettelns auf Veranstaltungen vermag den Nachweis, dass es zur Abwehr eines zumindest unmittelbar zu erwartenden Missstandes iSd §7 Abs3 Vlbg Landes-SicherheitsG erforderlich ist, nicht zu erbringen.

Dazu kommt, dass das in §1 litb Bregenzer BettelverbotsV normierte Verbot auch zeitlich undifferenziert von "0 bis 24 Uhr" für alle aufgezählten Veranstaltungen gilt. Ein Verbot auch des stillen Bettelns an öffentlichen Orten, das über die Erschwernis ihrer spezifischen Nutzung (im Sinne eines Missstandes) hinausgeht, ist aber nicht erlaubt.

Im Übrigen Abweisung des Antrags.

Die Ermächtigung durch den Landesgesetzgeber, zusätzlich zu den von ihm geregelten Tatbeständen auch stilles Betteln zu verbieten, ist als Ausnahme vom Grundsatz, dass dieses Verhalten im öffentlichen Raum erlaubt ist, eng auszulegen. Die Bregenzer BettelverbotsV ist daher so zu interpretieren, dass das in der Verordnung färbig ausgewiesene Gebiet, in dem Betteln verboten ist, den äußeren Rahmen des örtlichen Geltungsbereiches des Verbotes absteckt. Innerhalb dieses Gebiets ist Betteln stets nur auf dem jeweils stattfindenden Markt verboten; im übrigen färbig ausgewiesenen Gebiet, in dem kein Markt stattfindet, ist Betteln dagegen weiterhin erlaubt.

Der Amtsbericht der Stadt Bregenz zur Bregenzer BettelverbotsV dokumentiert die Situation auf Marktplätzen während der Marktzeiten durch bettelnde Personen, der deshalb durch das Vlbg Landes-SicherheitsG nicht hinreichend begegnet werden kann, weil eine hohe Anzahl an still bettelnden Personen unmittelbar zu erwarten ist. Da das Verbot des Bettelns zur spezifischen Nutzung dieser öffentlichen Orte als Marktplätze örtlich und zeitlich begrenzt ist, indem es sich nur auf den Marktort und den Marktbetrieb selbst bezieht, erweist sich das Verbot auch als verhältnismäßig.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Bettelverbot, Sicherheitspolizei örtliche, Gemeinderecht, Wirkungsbereich eigener

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2017:V23.2016

Zuletzt aktualisiert am

05.09.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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