TE Vwgh Erkenntnis 2000/9/21 98/20/0401

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Veröffentlicht am 21.09.2000
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §27 Abs1;
AsylG 1997 §38;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a idF 1998/I/028;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Baur und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des FN in E, geboren am 5. Mai 1977, vertreten durch Dr. Gerhard O. Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. August 1998, Zl. 201.263/0-V/15/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, reiste am 16. Dezember 1996 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet ein. Am 17. Dezember 1996 stellte er einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

Am 27. Dezember 1996 gab er in einer niederschriftlichen Befragung im Beisein einer Dolmetscherin für die englische Sprache vor dem Bundesasylamt im Wesentlichen zu seinen Fluchtgründen an, er sei aus seiner Heimat geflüchtet, da sein Vater, ein Bruder und eine Schwester im November 1995 getötet worden seien. Sein Vater sei Mitglied der MOSOP und für diese aktiv gewesen. So sei dieser oft bei Treffen der MOSOP gewesen und habe auch ein "Papier" unterschrieben, welches der Beschwerdeführer allerdings nicht lesen habe können. Eines Tages seien Soldaten in sein Elternhaus gekommen und hätten dieses Papier verlangt. Der Vater habe die Herausgabe verweigert, woraufhin ihn die Soldaten hätten mitnehmen wollen. Die Geschwister des Beschwerdeführers hätten versucht dem Vater zu helfen. Im Handgemenge seien zwei seiner Geschwister und sein Vater durch Schüsse ums Leben gekommen. Der Beschwerdeführer sei von den Soldaten mitgenommen worden, weil er der älteste Sohn gewesen sei. Seiner Mutter und den beiden anderen Geschwistern sei nichts passiert, weil die Soldaten lediglich Interesse an dem Papier gehabt hätten. Die Soldaten seien an dem Vater als Mitglied der MOSOP interessiert gewesen und der Beschwerdeführer sei nur deswegen mitgenommen worden, weil er nach Ansicht der Soldaten als Erstgeborener über dieselben Informationen wie sein Vater verfügt habe; er selbst sei nie politisch aktiv gewesen. Der Beschwerdeführer sei von den Soldaten ins Gefängnis gebracht und dort ein Jahr lang festgehalten worden. Zweimal habe man ihn nach dem Papier gefragt. Am 10. November 1996 sei es zu einer Gefängnisrevolte gekommen, wobei es gelungen sei, die Gefängnistore zu öffnen. Der Beschwerdeführer sei mit anderen Gefangenen entflohen. Im Gefängnis habe es schlechte Versorgung und unzureichende sanitäre Einrichtungen gegeben. Ansonsten sei dem Beschwerdeführer aber nichts passiert. Am 28. November 1996 habe er seine Heimat mit einem Schiff verlassen.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 10. März 1997 den Antrag auf Gewährung von Asyl gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992 idF BGBl. Nr. 838/1992, ab. Das Bundesasylamt stellte fest, die Fluchtgründe des Beschwerdeführers seien nicht glaubwürdig, da er sich bei deren Darstellung mehrfach in näher dargestellte Widersprüche verwickelt habe. Es sei daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatstaat keine asylrelevante Verfolgung fürchten müsse. Aufgrund seiner Angaben sei schließlich auch anzunehmen, dass er in Slowenien, Kroatien oder Italien von Bord gegangen sei. Er hätte auch dort einen Asylantrag stellen können, da alle diese Staaten die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert hätten. Weil er bereits vor seiner Einreise vor Verfolgung sicher gewesen sei, werde sein Antrag auch aus diesem Grund abgewiesen.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung und machte geltend, es sei nicht einmal festgestellt worden, über welches Land er eingereist sei, weshalb die Annahme einer Drittstaatsklausel unzulässig und die erstinstanzliche Behörde nicht in der Lage gewesen sei, festzustellen, warum der Beschwerdeführer in dem betreffenden Land sicher gewesen sein sollte. Darüber hinaus sei die Einvernahme, die letztendlich zum abweisenden Bescheid geführt habe, nicht mit der notwendigen Sorgfalt vorgenommen worden. Es sei unterlassen worden, entscheidende Fragestellungen an den Beschwerdeführer zu richten. Bei der Einvernahme sei kein geeigneter Dolmetscher anwesend gewesen und es sei auch nicht die gesamte Niederschrift rückübersetzt worden. Ansonsten hätte der Beschwerdeführer moniert, dass nicht sämtliche Gründe, welche er angeben hätte wollen, in diesem Einvernahmeprotokoll ihren Niederschlag gefunden hätten.

Schließlich versuchte der Beschwerdeführer in der Berufung die ihm im Rahmen der Beweiswürdigung vorgeworfenen Widersprüche in seinen Fluchtgründen aufzuklären und vertrat die Ansicht, seine diesbezüglichen Angaben seien schlüssig und nachvollziehbar.

In einer am 7. August 1998 eingebrachten Berufungsergänzung wiederholte der Beschwerdeführer durch seinen nunmehrigen Rechtsvertreter, dass bei der Erstellung der Niederschrift Verständigungs- oder Übersetzungsfehler aufgetreten seien. Der Beschwerdeführer ging auf die von der Behörde erster Instanz genannten Widersprüche in seiner Einvernahme ausführlich ein und legte dar, wieso die Annahme seiner Unglaubwürdigkeit nicht schlüssig gewesen sei. Es lägen in Wahrheit Protokollierungsfehler und konstruierte Widersprüche vor; die Angaben des Beschwerdeführers seien glaubwürdig.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 12. August 1998 wurde die Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. März 1997 gemäß § 7 AsylG abgewiesen. Die belangte Behörde stellte fest, dass das Vorliegen asylrelevanter Verfolgungsgefahr nicht glaubhaft sei. Dem Beschwerdeführer sei im Rahmen seiner Befragung, der eine Dolmetscherin beigezogen worden sei, ausreichend Gelegenheit geboten worden, seine Fluchtgründe darzulegen. Durch die Frage, ob der Beschwerdeführer der Niederschrift etwas hinzuzufügen habe, sei in geeigneter Weise auf die Vollständigkeit seiner Angaben hingewirkt worden, sodass eine mangelnde Sorgfalt bei der Erfassung seines Vorbringens nicht festgestellt werden könne. Die nach der neuen Rechtslage in § 28 AsylG normierte behördliche Ermittlungspflicht sei nicht dahingehend zu verstehen, dass die Behörde verpflichtet gewesen sei, den Asylwerber anzuleiten, welches Vorbringen er erstatten müsse, um seinem Antrag zum Erfolg zu verhelfen.

Dass die im erstinstanzlichen Verfahren getätigten Aussagen nicht zur Asylerlangung führten, liege nicht an einem mangelhaft durchgeführten Ermittlungsverfahren, sondern an dem Umstand, dass der Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgungsgefahr nicht glaubhaft dargetan habe. Die erstinstanzliche Behörde habe ausgeführt, auf Grund welcher aufgetretenen Widersprüche sie den Angaben des Beschwerdeführers keine Glaubwürdigkeit beigemessen habe. Der Beschwerdeführer habe die dargelegten Widersprüche auch im Zuge des Berufungsverfahrens nicht glaubwürdig entkräften können. Insbesondere das - nicht glaubwürdige - Vorbringen hinsichtlich seiner "Erstgeburt" sei insofern von Bedeutung, als der Beschwerdeführer seine angebliche Verfolgung größtenteils darauf zurückgeführt habe. Der Asylantrag des Beschwerdeführers sei daher gemäß § 7 AsylG abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:

Auf das Verfahren nach dem Asylgesetz 1997 findet das AVG Anwendung. Als besondere Bestimmung für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten sieht § 67d AVG grundsätzlich die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor, zu welcher die Parteien und die anderen zu hörenden Personen zu laden sind. Nach dem Art. II Abs. 2 lit. d Z 43a EGVG ist auch auf das behördliche Verfahren des unabhängigen Bundesasylsenates das AVG anzuwenden, § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Dies ist dann der Fall, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und nach schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehen eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308).

Wird aber im Berufungsverfahren ein konkreter neuer Sachverhalt behauptet, so ist es dem unabhängigen Bundesasylsenat verwehrt, durch Würdigung der Berufungsangaben als unglaubwürdig den Sachverhalt ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und insbesondere ohne den Asylwerber selbst persönlich einzuvernehmen als geklärt anzusehen. Der Verwaltungsgerichtshof fügte hinzu, dies ergebe sich nicht zuletzt aus der Wichtigkeit des persönlichen Eindruckes für die Bewertung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0339, und vom 18. Februar 1999, Zl. 98/20/0423).

In seiner Berufung, vor allem aber in der Berufungsergänzung, hat der Beschwerdeführer ausführlich dargelegt, aus welchen Gründen die von der Behörde erster Instanz genannten Widersprüche in seiner Einvernahme nicht vorlägen. Dadurch hat er aufgezeigt, dass er im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in der Lage sei, jene Bedenken, die gegen seine Glaubwürdigkeit sprechen, auszuräumen. Die belangte Behörde hätte sich in Anbetracht dieses Vorbringens nicht auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung anhand der Aktenlage beschränken dürfen, sondern hätte mit dem Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung durchführen müssen. Durch die Unterlassung der Berufungsverhandlung ist der belangten Behörde ein Verfahrensmangel unterlaufen.

Allerdings führt nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Aufhebung eines Bescheides, sondern nur dann, wenn die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Wäre die belangte Behörde bei Durchführung der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung gelangt, das Vorbringen des Beschwerdeführers über seine Fluchtgründe sei glaubwürdig, wäre sie gegebenenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass der Beschwerdeführer einer Verfolgungsgefahr im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt sei. Wäre der Vater des Beschwerdeführers politisch gegen die Regierung tätig und im Besitz diesbezüglich wichtiger Urkunden gewesen und wäre er wegen seiner Weigerung, diese herauszugeben, ermordet worden, und wäre weiters davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer wegen der irrigen Annahme der Behörden, er als ältester Sohn verfüge über dieselben Informationen über die politische Tätigkeit wie sein ermordeter Vater bzw. besitze nunmehr die Urkunden ("Papiere") seines Vaters, verhaftet worden und ein Jahr lang ohne Anklage und unter Todesdrohungen inhaftiert gewesen wäre, ist nicht auszuschließen, dass asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers wegen (unterstellter) politischer Gesinnung vorläge.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Einhaltung der genannten Verfahrensvorschriften zu einem anderen Bescheid gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 21. September 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998200401.X00

Im RIS seit

21.12.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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