RS Vfgh 2014/3/11 U37/2013 ua

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 11.03.2014
beobachten
merken

Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
EMRK Art8
AsylG 1997 §7, §8
AsylG 2005 §3, §8, §10

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Ausweisung einer türkischen Staatsangehörigen und ihrer Kinder infolge Verneinung des Vorliegens eines Familienlebens zwischen den Beschwerdeführerinnen und dem - in Deutschland als anerkannter Flüchtling lebenden - Kindesvater sowie mangels Feststellungen hinsichtlich der Möglichkeit eines Familienlebens in der Türkei; im Übrigen Abweisung der Beschwerden; Verneinung einer wohlbegründeten Furcht der Erstbeschwerdeführerin vor Verfolgung im Ergebnis nicht unschlüssig

Rechtssatz

Abweisung der Beschwerden gegen die Abweisung der Anträge auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten bzw eines subsidiär Schutzberechtigten.

Die Beantwortung der Frage, ob die Erstbeschwerdeführerin einer wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung wegen des Naheverhältnisses zu einer politisch verfolgten Person ausgesetzt war, ist je nach den näheren Umständen und Ursachen der Verfolgung jenes Opfers sowie nach den Beziehungen zu diesem Opfer zu beurteilen, von dem die Furcht vor der eigenen Verfolgung abgeleitet wird. Keineswegs kann diese Frage allein deshalb verneint werden, weil "Sippenhaft[ung]" im (türkischen) Strafgesetz nicht angeordnet ist.

Im vorliegenden Fall fehlen Anhaltspunkte dafür, dass der Vater der Erstbeschwerdeführerin (ein im Jahr 2000 von staatlicher Seite getöteter Führer des Ilim-Flügels der Hizbullah), von dessen Verfolgung und Tötung sie die Begründung der Furcht vor eigener Verfolgung herleiten will, unter solchen Umständen und aus Gründen zu Tode gekommen ist, aus denen zumindest nach der Lebenserfahrung eine begründete Gefahr auch für enge Familienangehörige abgeleitet werden könnte. Es gibt daher keinen objektiven Hinweis dafür, dass auch im Falle enger Familienangehöriger schon dieses Naheverhältnis zu tendenziell lebensbedrohlichen Verfolgungsmaßnahmen führen könnte.

Es ist daher im Ergebnis nicht unschlüssig, wenn der AsylGH eine wohlbegründete Furcht der Erstbeschwerdeführerin verneint hat.

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Ausweisung der Beschwerdeführerinnen.

Zutreffend geht der AsylGH davon aus, dass zwischen der Erstbeschwerdeführerin und dem Vater ihrer Kinder (einem in Deutschland lebenden anerkannten Flüchtling) keine rechtsgültig geschlossene Ehe besteht, weil - abgesehen davon, dass nicht behauptet wird, dass die Ehe in der Türkei geschlossen worden wäre (vgl dazu §16 Abs2 IPRG) - eine ausschließlich nach islamischem Ritus geschlossene Ehe selbst nach türkischem Zivilrecht keine rechtsgültige Ehe zu bewirken vermöchte.

Die Annahme des Bestehens von Familienleben im Verständnis des Art8 EMRK zwischen der Erstbeschwerdeführerin und dem Vater ihrer Kinder einerseits bzw zwischen Eltern und Kindern andererseits bedarf allerdings keiner Formalisierung durch eine rechtsgültige Eheschließung.

Insbesondere lässt es im vorliegenden Fall das Vorhandensein zweier gemeinsamer Kinder in Verbindung mit dem Umstand, dass der Kindesvater die beschwerdeführenden Parteien (als seine Familie im sozialen Sinne) nach den Feststellungen des AsylGH jedes Wochenende besucht, nicht zu, die Annahme eines Familienlebens zu verneinen.

Der AsylGH hat es in Verkennung dieser Rechtslage unterlassen, zu prüfen, ob die Zweit- und die Drittbeschwerdeführerinnen im Falle ihrer Ausweisung in die Türkei dort das Familienleben mit ihrem Vater fortsetzen könnten. Diese Frage ist im vorliegenden Fall schon deshalb von Bedeutung, weil der Vater der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen nach den Feststellungen in Deutschland Asyl genießt; sollte er aus der Türkei stammen, stünde fest, dass das Familienleben in der Türkei wegen der drohenden Verfolgung des Kindesvaters nicht fortgesetzt werden kann, weshalb die Ausweisung der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen insoweit einen besonders intensiven Eingriff in deren Recht auf Familienleben darstellen würde (vgl VfSlg 19220/2010 und VfGH 25.02.2013, U2241/12).

Entscheidungstexte

  • U37/2013 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 11.03.2014 U37/2013 ua

Schlagworte

Asylrecht, Ausweisung, Privat- und Familienleben, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2014:U37.2013

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2015
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten