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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrPolG 2005 §53 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Robl, Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde
1. der L, und 2. des K, beide in W und vertreten durch Dr. Waltraud Künstl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Straße 21, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 30. November 2010, Zlen. E1/399223/2010 (zu 1.) und E1/399327/2010 (zu 2.), betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführenden Parteien haben dem Bund zu gleichen Teilen Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die beschwerdeführenden Parteien, ukrainische Staatsangehörige, reisten am 15. November 2002 nach Österreich ein. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des Zweitbeschwerdeführers. Die von ihnen am 18. November 2002 gestellten Asylanträge wurden mit den erstinstanzlichen Bescheiden des Bundesasylamtes vom 18. November 2003 (Erstbeschwerdeführerin) und vom 14. November 2003 (Zweitbeschwerdeführer) gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen. Unter einem wurde gemäß § 8 Asylgesetz 1997 ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine für zulässig erklärt. Die dagegen erhobenen Berufungen wurden mit den am 20. April 2010 in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnissen des Asylgerichtshofes abgewiesen.
Am 6. Mai 2010 beantragten die beschwerdeführenden Parteien jeweils die Ausstellung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (belangte Behörde) vom 30. November 2010 wurden die beschwerdeführenden Parteien gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, dass der Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien für die Dauer der Asylverfahren vorläufig gestattet gewesen, seit 20. April 2010 jedoch unrechtmäßig sei. Der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei daher erfüllt.
Im Rahmen der gemäß § 66 FPG vorgenommenen Interessenabwägung berücksichtigte die belangte Behörde den achtjährigen Aufenthalt der beschwerdeführenden Parteien im Bundesgebiet, nachgewiesene Kenntnisse der deutschen Sprache "auf relativ niedrigem Niveau" (österreichisches Sprachdiplom "A 2" und ihre strafgerichtliche und verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit. Legale Berufstätigkeit liege nicht vor. Das in Österreich (lediglich zwischen der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer) bestehende Familienleben sei zu relativieren, weil beide beschwerdeführenden Parteien ausgewiesen würden und das gemeinsame Familienleben im Ausland weiterführen könnten. Bindungen zum Heimatstaat bestünden insoweit, als dort (zwei) Schwestern der Erstbeschwerdeführerin und der Vater des Zweitbeschwerdeführers lebten.
Bei den beschwerdeführenden Parteien - so die belangte Behörde - handle es sich um "reine Wirtschaftsflüchtlinge", die von Anfang ihres Daseins in Österreich an damit rechnen hätten müssen, allenfalls wieder ausreisen zu müssen. Auf Grund der Verfahrensergebnisse sei davon auszugehen, dass sie im Falle ihrer Rückkehr in den Heimatstaat in der Lage seien, ihre dringendsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen, und nicht über anfängliche Schwierigkeiten hinaus in eine dauerhaft aussichtslose Lage geraten würden. Angesichts des hohen Stellenwertes, der der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens (Art. 8 Abs. 2 EMRK) zukomme, erachtete die belangte Behörde die Ausweisung somit als nach § 66 Abs. 1 FPG zulässig.
Die von den beschwerdeführenden Parteien gemäß § 44 Abs. 4 NAG gestellten Anträge auf Ausstellung einer Niederlassungsbewilligung stünden ihrer Ausweisung nicht entgegen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG und des NAG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die im November 2010 geltende Fassung.
Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Die beschwerdeführenden Partei bestreiten nicht, dass ihre Asylverfahren rechtskräftig negativ beendet sind, und behaupten auch nicht, dass ihnen ein Aufenthaltstitel erteilt worden wäre. Die belangte Behörde ging daher zu Recht davon aus, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.
Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2013, Zl. 2011/23/0476, mwN).
Die beschwerdeführenden Parteien verweisen in diesem Zusammenhang auf ihren achtjährigen, überwiegend rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich, die lange Dauer des Asylverfahrens, ihre Unbescholtenheit, die erworbenen Deutschkenntnisse und auf "fehlende Verwandtschaftskontakte" in ihrem Heimatstaat.
Die in der Beschwerde genannten Umstände wurden im angefochtenen Bescheid im Ergebnis ausreichend berücksichtigt. Es ist der Beschwerde zwar zuzugestehen, dass die belangte Behörde offenbar unter Heranziehung der Angaben der beschwerdeführenden Parteien in ihren Asylverfahren vom Bestehen familiärer Bindungen im Heimatstaat ausgegangen ist, ohne auf das von ihnen im Ausweisungsverfahren erstattete Vorbringen, wonach keine Bindungen zum Heimatstaat mehr bestünden, einzugehen. Aber auch die Beschwerde selbst behauptet lediglich das Ableben einer von zwei im angefochtenen Bescheid als im Heimatstaat lebend festgestellten Schwestern der Erstbeschwerdeführerin. Überdies wird mit dem Vorbringen, der Zweitbeschwerdeführer habe "keine Kontakte mehr" zu seinem in der Ukraine lebenden Vater, die behördliche Feststellung, dass der Genannte im Heimatstaat lebe, nicht in Abrede gestellt und auch nicht dargetan, dass ein Kontakt nicht wieder hergestellt werden könnte.
Vor allem aber hat die belangte Behörde im Ergebnis zu Recht darauf verwiesen, dass der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt. Gegen diese Normen verstoßen Fremde, die - wie die beschwerdeführenden Parteien - nach dem negativen Abschluss ihres Asylverfahrens unrechtmäßig in Österreich verbleiben, was eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen darstellt. Entgegen der von den beschwerdeführenden Parteien vertretenen Ansicht hätte die belangte Behörde auch aus den von ihnen ins Treffen geführten Umständen nicht ableiten müssen, ihre Ausweisung aus Österreich sei unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK am Maßstab der im § 66 Abs. 2 FPG angeführten Kriterien unzulässig. Die geltend gemachten Umstände stellen sich - auch unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer von etwa acht Jahren, der vorgebrachten Deutschkenntnisse und der strafgerichtlichen Unbescholtenheit - nämlich insgesamt nicht als so außergewöhnlich dar, dass unter dem genannten Gesichtspunkt von einer Ausweisung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass die beschwerdeführenden Parteien mit ihrem Verhalten letztlich versucht haben, in Bezug auf ihren Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen. Bei ihrer Beurteilung durfte die belangte Behörde auch berücksichtigen, dass die beschwerdeführenden Parteien schon auf Grund der bereits im November 2003 erfolgten erstinstanzlichen Abweisung ihrer Asylanträge nicht darauf vertrauen durften, dauernd in Österreich verbleiben zu können.
An der Unbedenklichkeit des Ergebnisses der von der belangten Behörde durchgeführten Interessenabwägung vermögen auch das Vorbringen, der (bei Erlassung des angefochtenen Bescheides 61- jährigen) Erstbeschwerdeführerin sei auf Grund ihres fortgeschrittenen Alters eine "Ausweisung in die Ukraine" nicht zumutbar, sowie die Verweise auf bestehende Patenschaftserklärungen und eine bis 1. Februar 2012 gesicherte kostenlose Wohnmöglichkeit nichts zu ändern. Dies gilt auch für das - überdies als im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung (§ 41 Abs. 1 VwGG) zu qualifizierende - Vorbringen, ein mehr als zeitweiliger Aufenthalt am früheren, nur 70 km von Tschernobyl entfernten Wohnort der beschwerdeführenden Parteien würde zu schweren gesundheitlichen Schäden führen, zumal mit dem angefochtenen Bescheid nicht über den zukünftigen Wohnort der Erstbeschwerdeführerin und des bereits 38-jährigen Zweitbeschwerdeführers abgesprochen wurde.
Zutreffend hat die belangte Behörde ferner erkannt, dass die Anhängigkeit eines Verfahrens auf Erteilung eines sogenannten humanitären Aufenthaltstitels nach § 44 Abs. 4 NAG der Erlassung einer Ausweisung nicht entgegensteht (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 12. September 2012, Zl. 2011/23/0204, mwN).
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren der belangten Behörde war abzuweisen, weil im vorliegenden Fall von der belangten Behörde nur ein Verwaltungsverfahren geführt und auch nur ein Bescheid erlassen wurde.
Wien, am 21. März 2013
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2013:2011230209.X00Im RIS seit
16.04.2013Zuletzt aktualisiert am
03.06.2013