TE Vwgh Erkenntnis 2000/11/28 96/14/0067

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Veröffentlicht am 28.11.2000
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag;

Norm

BAO §167 Abs2;
EStG 1972 §4 Abs1;
EStG 1972 §4 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Urtz, über die Beschwerde 1) des BZ und 2) der B S, beide in I, vertreten durch Dr. Arne Markl, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Adolf-Pichlerplatz 10, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol (Berufungssenat I) vom 19. März 1996, Zl. 70.731-7/95, betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften für die Jahre 1985, 1986 und 1987, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführer betrieben bis zum Jahr 1990 ein Elektrounternehmen in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts und ermittelten den Gewinn daraus gemäß § 4 Abs 1 EStG.

In den Jahren 1980 bis 1983 haben die Beschwerdeführer in verschiedenen Bauvorhaben so genannte "YM Mantelleitungen" verlegt. Auf Grund von Beanstandungen an einem dieser Bauvorhaben, und zwar dem Hallenbad H, wurde festgestellt, dass aus den seinerzeit verlegten Kabeln eine ölartige Flüssigkeit ausgetreten und im Verteiler auf die elektronischen Steuergeräte getropft war. Eine an Ort und Stelle am 10. Mai 1983 (in Anwesenheit von Ing. N) durchgeführte Untersuchung des Schadensereignisses durch Prof. W hat ergeben, dass in der Zusammensetzung der Kabelmasse Bestandteile enthalten waren, die bei Erreichen einer gewissen Temperatur den so genannten Weichmacher austreten ließen.

Sowohl Ing. N als auch Prof. W erstatteten zu diesem Schadensfall Gutachten.

Das Gutachten des Ing. N, datiert mit 5. April 1983, hat folgenden Wortlaut:

"Die bisher eindeutig festgestellten Kosten für die Behebung der durch die Verwendung fehlerhafter Kabel aufgetretenen Schäden betragen:

Bau Hallenbad H

ca.

250.000,--

Bau F Wiese

ca.

100.000,--

Neubau T, geschätzt

 

30.000,--

Neubau S Lift, geschätzt

 

50.000,--

Darüber hinaus können Schäden noch dadurch auftreten, dass die Mängel erst nach längerer Zeit und nicht erst nach einer gewissen Erwärmung aufscheinen.

Die Schäden, die jetzt noch nicht genau feststellbar sind, können unter Umständen noch folgende Beträge ausmachen:

Im Hallenbad mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit

 

 

150.000,--

Im Neubau N: Da die Wohnungen demnächst bezogen werden und die Behebung der Schäden durch Neuausmalen oder Tapezieren, Stemmarbeiten (die Kabel liegen teilweise direkt in der Mauer eingegipst) Reinigen von Teppichböden

erschwert werden

 

1,500.000,--

Dazu müssen alle Baustellen, bei denen heute noch keine Mängel aufgetreten sind, aber solche Kabel verwendet wurden, als kostenverursachend angenommen werden. Hier kann nur geschätzt werden, aber ein genauer Betrag kann nach den bisher festgestellten Fällen angenommen werden.

Ich würde den Betrag von

 

500.000,--

für angemessen halten.

 

___________

Summe:

 

 

 

 

2,580.000,-- "

In dem mit 11. Mai 1983 datierten Gutachten von Prof. W wurde insbesondere ausgeführt, dass die "Weichmacherwanderung" auf eine chemische Unverträglichkeit des Weichmachers mit anderen der in den Kabeln verwendeten Materialien zurückzuführen sei. Bei fortgesetztem Weichmacheraustritt könne die so genannte "kritische Weichmacherkonzentration" erreicht werden, was zu einer starken "Versprödung" des Isoliermaterials und zu "entsprechenden Folgeschäden" führen würde. Die Kabel wiesen daher einen Produktmangel auf, der sie für den vorgesehenen Einbau ungeeignet mache. Im Zeitpunkt des Einbaus (der Installationsarbeiten) sei dies nicht erkennbar gewesen. Ergänzend wurde festgestellt, dass die Installationen im Hallenbad H mit einem knetbaren Dichtungsmittel abgedichtet worden seien und seither das Austreten der öligen Flüssigkeit nicht mehr beobachtet worden sei. Auch bei den Installationen in einem anderen Bauvorhaben (B) seien die Kabel damit abgedichtet worden. Wieweit diese Dichtmasse gegenüber der öligen Weichmacherflüssigkeit auf Dauer beständig sei, "müsse allerdings noch geklärt werden".

In der Bilanz für das Jahr 1981 (beim Finanzamt eingereicht am 27. April 1983) wurde in Anlehnung an das Gutachten von Ing. N eine Gewährleistungsrückstellung in Höhe von S 2,000.000,-- gebildet. In den Folgejahren nahmen die Beschwerdeführer so genannte "Valorisierungen" dieses Betrages nach dem Baukostenindex vor. Darüber hinaus wurde in allen Jahren ein pauschale Rückstellung für "allgemeine Garantien" gebildet.

Daraus ergaben sich zu den Bilanzstichtagen der Streitjahre

1985 bis 1987 folgende Rückstellungsbeträge:

 

1985:

1986:

1987:

Gewährleistung:

2,000.000,--

2,000.000,--

2,000,000,--

Valorisierung:

97.600,--

170.900,--

199.800,--

Garantie:

976.833,--

1,044.935,--

1,076.895,--

Im Zuge einer den Streitzeitraum umfassenden abgabenbehördlichen Prüfung legten die Beschwerdeführer ein weiteres, von Prof. W erstelltes und mit 17. Mai 1990 datiertes Gutachten vor. In diesem Gutachten wird - ausgehend von Kabelproben, die dem Objekt B entnommen und 8 Tage lang bei einer Temperatur von 60 Grad gelagert wurden - der Schluss gezogen, dass die "Weichmacherwanderung zwar stark reduziert, jedoch noch immer nicht vollständig zum Stillstand gekommen" sei. Die Konzentration an Weichmacher scheine zwar noch hoch genug, um die Funktionstüchtigkeit der Kabel zu gewährleisten; es würden jedoch nach wie vor Weichmacher abgegeben, sodass die Gefahr einer Unterschreitung der so genannten kritischen Weichmacherkonzentration noch immer gegeben sei. Schließlich wird im Gutachten empfohlen, nach zwei Jahren erneut ähnliche Versuche durchzuführen.

Im Prüfungsbericht vom 30. Juli 1990 stellte der Prüfer fest, dass die Rückstellung für Gewährleistung mit einem Betrag von insgesamt S 1,500.000,-- gewinnerhöhend aufzulösen sei, wovon jeweils ein Betrag von S 500.000,-- auf die Jahre 1985 bis 1987 entfalle. Begründend wird in Tz. 13 des Berichts dazu ausgeführt:

Zum Zeitpunkt der erstmaligen Bildung der Rückstellung sei weder das Gutachten des Prof. W vorgelegen, noch hätten Aussagen über die Wirkungen des verwendeten Dichtungsmittels getroffen werden können. Die Schätzwerte des Gutachtens von Ing. N seien "äußerst vage beziffert" gewesen. Dabei sei bei Ausmessung der Höhe dieser Rückstellung von einer sehr pessimistischen Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes unter Miteinbeziehung von entferntest möglichen Folgeschäden (Herausreißen der verlegten Kabel - Stemmarbeiten, Neuausmalen oder Tapezieren insbesondere im Neubau N) ausgegangen worden. Die gesetzliche Gewährleistungsfrist sei bereits abgelaufen, so dass eine Inanspruchnahme der Beschwerdeführer für zukünftige Schäden nur mehr aus dem Titel Schadenersatz (wegen Verletzung der Schutz- und Sorgfaltspflichten) oder als Kulanzleistungen in Frage komme. Nach dem Aufbringen der Dichtungsmittel habe bis zum Prüfungsabschluss 1990 ein Austreten des Weichmachers nicht mehr beobachtet werden können. Gerade für den auf den Neubau N entfallenden (bedeutsamsten) Schadensbetrag von S 1,500.000,-- sei kein glaubhafter Nachweis erbracht worden. Dem Gutachten aus dem Jahr 1990 würden nämlich Kabelproben aus dem Bauobjekt B zugrunde liegen, sodass über den Neubau N wiederum nur Vermutungen angestellt werden könnten. Aber selbst wenn man das Gutachten als repräsentativ für alle Bauobjekte halte, könne nicht von einem ernstlich drohenden Schadenseintritt gesprochen werden, da das Gutachten nur von einem verbleibenden (geringen) Restrisiko ausgehe, das durch die im Prüfungszeitraum gebildete pauschale Garantierückstellung ohnehin abgegolten sei. Die Gewährleistungsrückstellung werde daher um den für den Neubau N geschätzten Betrag in Höhe von S 1,500.000,-- vermindert.

Das Finanzamt folgte den Feststellungen der Betriebsprüfung und erließ entsprechende Feststellungsbescheide gemäß § 188 BAO (datiert vom 31. August 1990).

In der dagegen erhobenen Berufung führten die Beschwerdeführer aus, sie hätten auf Grund des aufgetretenen Schadensfalles alle übrigen im fraglichen Zeitraum durchgeführten Arbeiten untersucht und dabei festgestellt, dass die fehlerhaften Kabel bei insgesamt dreizehn Großaufträgen (mit einem Leistungsumsatz von netto ca. S 13,5 Mio.) verwendet worden seien. Der Erstbeschwerdeführer habe daraufhin alle Auftraggeber über diesen Sachverhalt informiert. Weiters sei der Sachverständige Ing. N mit einem Gutachten beauftragt worden, welches als Grundlage der Rückstellungsbildung zum 31. Dezember 1981 gedient habe. Unabhängig davon habe das Unternehmen die theoretischen Kosten der Schadensgutmachung unter Einbeziehung der Folgeschäden und unter Ansatz eines Wahrscheinlichkeitsgrades von ca. 10 % bis 15 % ermittelt.

Weiters widersprachen die Beschwerdeführer der Ansicht der Betriebsprüfung, wonach es sich um eine "sehr pessimistische Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes" gehandelt habe. Aus den Gutachten des Prof. W ergebe sich gerade das Gegenteil. Die Rückstellung sei "vorsichtig" bzw. "viel zu gering" berechnet worden. Auch die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes habe sich nicht minimiert. Der Sachverständige komme nämlich zum Ergebnis, dass die Gefahr einer Unterschreitung der so genannten kritischen Weichmacherkonzentration noch gegeben sei. Alleine die Tatsache, dass in der Zwischenzeit kein weiterer Schaden entstanden sei, biete keine Gewähr, dass nicht in Zukunft das befürchtete Schadensereignis eintrete. In anderen - allerdings nicht von den Beschwerdeführern durchgeführten - beispielhaft genannten Bauprojekten sei der Mangel auch erst nach vielen Jahren eingetreten. Gleichgültig sei, dass das untersuchte Kabel nicht vom Neubau N, sondern vom Objekt B stamme, da es sich um die gleichen Kabel handle und eine Veränderung der Kabel in jedem Bauvorhaben eintrete. Das im Neubau N verlegte Kabel sei in den einzelnen Wohnungen sogar höheren Temperaturen ausgesetzt als das im Objekt B verlegte Kabel. Selbst wenn das jüngste Gutachten vom 17. Mai 1990 eine Verringerung des Schadensrisikos belegt hätte, würde sich dieser Umstand jedenfalls nicht auf einen bereits vergangenen Bilanzstichtag zurück transferieren lassen.

Zur Frage des Ablaufs der Gewährleistungsfrist räumten die Beschwerdeführer ein, dass zwar die gesetzliche Gewährleistungsfrist, nicht jedoch die vertraglich vereinbarte Gewährleistungsfrist nach der Ö-Norm B 2110 abgelaufen sei. Aufgrund dieser Ö-Norm laufe die Gewährleistungsfrist, sofern die Schlussfeststellung aus Gründen, die der Auftragnehmer zu vertreten habe, nicht vorgenommen werden konnte, "auf die Dauer der Behinderung" weiter. Mangels einer Schlussfeststellung im Neubau N sei wie bei allen anderen Bauvorhaben die Frist daher noch offen. Überdies sei mit den "Bauherren vereinbart" worden, dass "für den Fall des Schadenseintrittes" die Beschwerdeführer "zu haften" hätten. Eine entsprechende Erklärung sei abgegeben worden, um zu verhindern, dass die Bauherren einen unverzüglichen Austausch der Kabel forderten. Im Übrigen hätte eine Haftung auch ohne entsprechende Erklärung bestanden, da die Beschwerdeführer wegen Unterlassung der Warnpflicht nach den Vorschriften des ABGB für den daraus entstandenen Schaden hätten haften müssen.

Über Vorhalt der belangten Behörde machten die Beschwerdeführer in einem Schreiben vom 18. August 1995 u.a. noch folgende Angaben: Die (schadhaften) Kabel seien bei allen Bauprojekten ausgetauscht worden, bei denen sie zugänglich gewesen wären; sonst seien zumindest die Kabelenden abgedichtet worden. Bisher sei ein Gewährleistungsaufwand nicht angefallen und dementsprechend die Rückstellung nicht aufgelöst worden. Die Rückstellung sei entsprechend dem Gutachten des Ing. N berechnet worden, wobei der "Pauschalbetrag" in Höhe von S 500.000,-- nicht berücksichtigt worden sei. Die Information über den Eintritt von Schadensfällen bei gleichen Kabeln in anderen Bauprojekten gehe auf Gespräche mit Branchenkollegen bzw. auf die Lektüre von Medienberichten zurück; diesbezügliche Unterlagen könnten nicht vorgelegt werden. Beim Neubau N sei - mündlich - im Jahr 1983 mit einer namentlich genannten Person als Vertreter ein Übereinkommen geschlossen worden, wonach auf den sofortigen Austausch der Kabel verzichtet und vom Erstbeschwerdeführer im Gegenzug dafür generell auf die Einrede wegen Verjährung der Gewährleistungsansprüche verzichtet worden sei. Zum geforderten Nachweis, dass eine Schlussfeststellung bei allen Bauprojekten unterblieben sei, führten die Beschwerdeführer aus, dass es fünf Jahre nach Einbringung der Berufung nicht zumutbar sei, bei allen Auftraggebern nach Unterlagen für nicht erfolgte Schlussbesprechungen zu suchen. Weiters seien bei einigen Unternehmungen die zuständigen Mitarbeiter nicht mehr verfügbar.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. Weiters änderte die belangte Behörde die Bescheide des Finanzamtes insoweit ab, als nunmehr die gesamte Gewährleistungsrückstellung in Höhe von S 2,000.000,-- und die unter dem Titel "Valorisierung" erfolgten Zuführungen, gleichmäßig auf die Streitjahre verteilt, gewinnerhöhend aufgelöst wurden.

Begründend wird im angefochtenen Bescheid dazu ausgeführt:

Dem Gutachten aus dem Jahr 1990 sei zwar zu entnehmen, dass die Gefahr der Unterschreitung der kritischen Weichmacherwanderung (gemeint wohl: Weichmacherkonzentration) noch immer gegeben sei; dieses (geringe) Risiko werde aber durch die "pauschale Garantierückstellung" bereits ausreichend berücksichtigt.

Liege die tatsächliche Inanspruchnahme ungewöhnlich tief unter der Rückstellung, so könne dies dafür sprechen, dass der Steuerpflichtige die künftige Inanspruchnahme bei der Bilanzerstellung zu pessimistisch geschätzt habe. Der tatsächliche Ablauf habe die Bedeutung einer Beweisvermutung; wenn die Rückstellung später nur zu einem verhältnismäßig kleineren Teil oder gar nicht in Anspruch genommen werde, sei es Sache des Steuerpflichtigen darzulegen, warum nach den Verhältnissen und Kenntnissen am Bilanzstichtag dennoch mit einer Inanspruchnahme habe gerechnet werden müssen. Nach der Behandlung mit dem Dichtungsmittel sei kein Weichmacher mehr ausgetreten. Alleine der Umstand, dass die Beständigkeit des Dichtungsmittels gegenüber dem Weichmacher zweifelhaft sei, reiche nicht aus, um von einem unveränderten Risiko einer Inanspruchnahme auszugehen.

Schäden seien bisher nicht einmal bei jenem Objekt aufgetreten, für das der Gutachter Ing. N angenommen habe, dass ein Schadenseintritt mit "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" erfolgen werde. Für den Neubau N habe nach seinem Gutachten aus dem Jahr 1983 von vornherein eine geringere Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes bestanden. Das Gutachten aus dem Jahr 1990 sei in dieser Frage nicht aussagekräftig, da die Kabelteile nicht aus diesem Neubau, sondern aus dem Objekt B stammten. Es sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Teilen des Firmengebäudes B die Kabel entnommen worden seien. Beim Vorbringen der Beschwerdeführer, dass im Neubau N in einzelnen Wohnungen höhere Temperaturen als im Objekt B herrschen würden, handle es sich um eine unbewiesene Behauptung. Auch sei nicht erkennbar, wie ein thermischer Langzeitversuch eine Aussage darüber erlaube, ob eine Weichmacherwanderung bei wesentlich niedrigeren Wohnungstemperaturen erfolge.

Die Beschwerdeführer hätten es unterlassen, die einmal gebildete Gewährleistungsrückstellung zu den folgenden Bilanzstichtagen auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen und bei der vorzunehmenden Neubewertung auf das ernsthafte Ausmaß der künftigen Belastungen Bedacht zu nehmen.

Zur Frage des möglichen Ablaufs der Gewährleistungspflicht führte die belangte Behörde aus, dass es fraglich sei, wie die verschiedenen Ausführungen der Beschwerdeführer zu diesem Punkt miteinander in Einklang zu bringen seien: So sei zunächst von einer reinen Gewährleistungsverpflichtung ausgegangen worden. Im Schreiben des Rechtsanwaltes M sei erstmals auf die Verpflichtungsgrundlage Schadenersatz infolge schuldhafter Verletzung der Warnpflicht verwiesen worden. Erstmals im Berufungsverfahren sei schließlich vorgebracht worden, dass Schlussfeststellungen nicht durchgeführt worden seien und die Gewährleistungsfrist daher noch offen sei. Das Vorbringen, es sei mit den Bauherren vereinbart worden, auf die Verjährungseinrede zu verzichten, stehe in einem Spannungsverhältnis zum Schreiben vom 1. Juni 1989, wonach im Falle einer Information der Bauherren über die Mangelhaftigkeit der Kabel mit Sicherheit auf deren Erneuerung bestanden worden wäre. Auch wenn man den zuletzt gemachten Vorbringen folge, reiche in rechtlicher Hinsicht die bloße Möglichkeit der Inanspruchnahme nicht, die einmal gebildeten Rückstellungen in unveränderter Höhe aufrecht zu erhalten. Die Beschwerdeführer hätten nicht dargelegt, welche Tatsachen an den jeweiligen Bilanzstichtagen für eine Beibehaltung der Ansätze gesprochen hätten. Die Möglichkeit eines Schadenseintrittes habe sich im Laufe der Jahre stark reduziert. Lasse sich schon die Beibehaltung der Rückstellung von S 2 Mio. nicht ausreichend begründen, bestehe auch kein Anlass (nicht nachvollziehbar ermittelte) "Valorisierungsbeträge" neu zu bilden. Den Gewinnen der Jahre 1985 bis 1987 sei somit jeweils ein Drittel des Betrages von S 2,097.600 (S 2 Mio plus Valorisierung), den Gewinnen der Jahre 1986 und 1987 zusätzlich die in diesen Jahren zugeführten "Valorisierungsbeträge" hinzuzurechen.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Bei der Bildung einer Rückstellung handelt es sich um ein Gewinnkorrektivum, das steuerlich nur in der Höhe anzuerkennen ist, in der der Erfolg des betreffenden Wirtschaftsjahres voraussichtlich mit künftigen Ausgaben belastet wird. Voraussetzung für die Bildung einer steuerlich anzuerkennenden Rückstellung in der Bilanz ist stets, dass ein wirtschaftlich die Vergangenheit betreffender Aufwand bestimmter Art ernsthaft droht, also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit voraussehbar ist, oder dass der Aufwand schon sicher und nur der Höhe nach unbestimmt ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 16. Dezember 1997, 93/14/0177 und vom 15. Juli 1998, 97/13/0190).

Eine einmal gebildete Rückstellung ist - wovon die belangte Behörde zutreffend ausgegangen ist - in jedem der Bildung folgendem Wirtschaftsjahr daraufhin zu untersuchen, ob ihre Fortführung dem Grunde und der Höhe nach berechtigt ist.

Fällt in einem Wirtschaftsjahr die Grundlage der Rückstellungsbildung weg, ist die Rückstellung in diesem Wirtschaftsjahr gewinnerhöhend aufzulösen. Ändern sich einzelne der Rückstellungsdotierung zu Grunde liegende Komponenten (z.B. die wahrscheinliche Schadenshöhe), hat dies gleichfalls in jenem Wirtschaftsjahr seinen Niederschlag zu finden, in dem die maßgebliche Änderung eingetreten ist.

Inwieweit eine Inanspruchnahme aus einer fehlerhaften betrieblichen Leistung mit der für eine Rückstellungsbildung maßgeblichen Wahrscheinlichkeit (noch) droht, ist eine Tatfrage, die von der Abgabenbehörde in freier Beweiswürdigung zu lösen ist.

Die belangte Behörde vertritt zusammengefasst die Ansicht, dass sich die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes seit dem Jahr der Bildung der Rückstellung entscheidend vermindert habe. Sie stützt sich dabei insbesondere auf den Umstand, dass es seit der Verwendung der Dichtungsmasse im Jahr 1983 bis zum Zeitpunkt der Betriebsprüfung (bzw. der Beantwortung des Fragenvorhalts im Jahr 1995) zu keiner Inanspruchnahme gekommen sei. Da zu den Bilanzstichtagen der Streitjahre nicht einmal jene Schäden eingetreten seien, die nach dem Gutachten des Ing. N mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wären, bestehe kein einsichtiger Grund, eine Rückstellung für jene Objekte beizubehalten, für die laut Gutachten von Ing. N schon im Jahr 1983 eine geringere Eintrittswahrscheinlichkeit bestanden habe.

Der belangten Behörde ist zuzustimmen, dass die von ihr aufgezeigten Gründe geeignet erscheinen, von einem gegenüber dem Jahr der erstmaligen Bildung verminderten Risiko der Inanspruchnahme auszugehen. Wenn in dem aus dem Jahr 1990 stammenden Gutachten die Gefahr eines Schadenseintritts als noch gegeben bezeichnet wird, wird damit - anders als die Beschwerdeführer meinen - die für die Bildung (bzw. Beibehaltung) einer Rückstellung erforderliche Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes nicht bescheinigt. Die Beschwerdeführer wurden darüber hinaus bereits durch den Prüfer darauf hingewiesen, dass das von ihnen vorgelegte Gutachten nicht schlüssig sei, da der Austritt des Weichmachers nur bei "entsprechender Wärmewirkung" auftrete und das Gutachten keine Aussage zu den thermischen Verhältnissen im Neubau N enthalte. Dass der Stelle, der die zur Untersuchung gegebenen Kabel entstammen, Bedeutung zukommt, ergibt sich im Übrigen auch aus dem Gutachten des Jahres 1990, in dem ausdrücklich empfohlen wird, für spätere Vergleichsversuche Kabel "möglichst aus der unmittelbaren Nähe der jetzigen Probenahmestellen" zu entnehmen. Die belangte Behörde hat in diesem Zusammenhang weiters zutreffend ausgeführt, dass selbst bei Annahme identer Wärmeverhältnisse in allen betroffenen Objekten das Gutachten nicht aufzeige, welche Aussagekraft einem thermischen Langzeitversuch zukomme, wenn es darum gehe, die Schadensgeneigtheit der Kabel unter in Wohngebäuden üblichen Wärmeverhältnissen zu beurteilen.

Die belangte Behörde durfte für ihren Standpunkt auch ins Treffen führen, dass die Beschwerdeführer - hätten sie ernsthaft einen Schadenseintritt befürchtet - die Kabel regelmäßigen Untersuchungen unterzogen hätten; böten solche Kontrolluntersuchungen doch die Möglichkeit, allenfalls vorbeugende Maßnahmen (z.B. durch Erneuerung der Dichtungsmasse) zu ergreifen.

Die Beschwerdeführer halten dem lediglich entgegen, es entspreche der Lebenserfahrung, dass fehlerhafte Kabel eine kürzere Lebensdauer aufwiesen als solche, die mit keinem Fehler behaftet seien. Dieses Vorbringen ist schon deshalb nicht geeignet, die Gewährleistungsrückstellung zu begründen, weil sich in keinem der von den Beschwerdeführern vorgelegten Gutachten Hinweise dafür finden, dass die Kabel jedenfalls eine kürzere Lebensdauer aufweisen würden.

Die aufgezeigten Umstände konnten die belangte Behörde jedoch nicht von jedweder Begründung dafür entheben, warum die Rückstellung erstmalig im Jahr 1985 teilweise und über den Prüfungszeitraum verteilt zur Gänze aufzulösen sei. Wenn die belangte Behörde dem diesbezüglichen Beschwerdeeinwand entgegenhält, die Beschwerdeführer hätten ihrerseits keinen geeigneteren Auflösungszeitpunkt (Auflösungszeitraum) aufgezeigt, übersieht sie dabei, dass der angefochtene Bescheid zu diesem Punkt eine Begründung überhaupt vermissen lässt und sich der angefochtene Bescheid daher insoweit von vornherein der gebotenen Schlüssigkeitsprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof entzieht.

Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Kostenmehrbegehren betreffend Stempelgebühren war abzuweisen, da zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung die Vorlage einer Ausfertigung des angefochtenen Bescheides ausreichend war. Der Pauschalsatz für den Schriftsatzaufwand beinhaltet bereits die Umsatzsteuer.

Wien, am 28. November 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1996140067.X00

Im RIS seit

11.01.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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