TE Vfgh Erkenntnis 2011/9/27 V37/10

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Veröffentlicht am 27.09.2011
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Index

92 Luftverkehr
92/01 Luftverkehr

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
Luftverkehrsbetreiberzeugnis-V 2008 (AOCV), BGBl II 254/2008 §3 Abs2
Normen-Info-RL des Rates 98/34/EG idF RL 98/48/EG Art8
NotifikationsG 1999 §1, §2 Abs1, Abs2, Abs9
VfGG §57 Abs1

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit einer Bestimmung derLuftverkehrsbetreiberzeugnis-Verordnung 2008 betreffend eineVerwendungsbeschränkung für bestimmte Hubschrauber für Ambulanz- undRettungsflüge wegen Nichteinhaltung von Verfahrensvorschriften desNotifikationsgesetzes 1999; Regelung als eine die Verpflichtung zurNotifikation an die Europäische Kommission auslösende technischeVorschrift zu qualifizieren

Spruch

I. §3 Abs2 zweiter Satz der Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend die Voraussetzungen für die Erteilung und Aufrechterhaltung des Luftverkehrsbetreiberzeugnisses (AOC) 2008, BGBl. II 254, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. März 2012 in Kraft.

III. Die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Antrag

1.1. Mit Schriftsatz vom 8. März 2010 brachte die antragstellende Gesellschaft einen auf Art139 Abs1 B-VG gestützten Antrag ein, mit welchem sie die Aufhebung des "§3 Abs2 Satz 2 AOCV 2008, BGBl II 254/2008" als gesetzwidrig begehrt.

Die antragstellende Gesellschaft, ein luftfahrtbehördlich zugelassenes Luftfahrtunternehmen, sei mit ihren beiden Hubschraubern der Type "Augusta A 109 E" bis zum Ablauf des 31. Dezember 2009 zur Durchführung von Ambulanz- und Rettungsflügen berechtigt gewesen. Mit 1. Jänner 2010 sei jedoch die angefochtene Bestimmung der Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie betreffend die Voraussetzungen für die Erteilung und Aufrechterhaltung des Luftverkehrsbetreiberzeugnisses (AOC) 2008 (Luftverkehrsbetreiberzeugnis-Verordnung 2008 - im Folgenden: AOCV 2008) wirksam geworden, welche bezüglich der Zulassung von Hubschraubern für Ambulanz- und Rettungsflüge auf bestimmte namentlich angeführte Bauvorschriften abstelle. Die verordnungserlassende Behörde habe somit eine Selektion vorgenommen, wonach einige Luftfahrzeuge Ambulanz- und Rettungsflüge erbringen dürften, andere, in gleicher Weise lufttüchtige Luftfahrzeuge - wie jene beiden Hubschrauber der antragstellenden Gesellschaft - jedoch nicht mehr.

Die antragstellende Gesellschaft werde daher durch §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt, weshalb die Bestimmung ohne Fristsetzung als gesetzwidrig aufzuheben sei.

1.2. Bezüglich ihrer Antragslegitimation brachte die antragstellende Gesellschaft Folgendes vor:

"Die angefochtene Bestimmung des §3 Abs2 Satz 2 AOCV 2008 bewirkt für die Antragstellerin ein Totalverbot einer bis zum Ablauf des 31. 12. 2009 rechtmäßigen Erwerbsausübung.

Gemäß §169 Abs1 Z2 LFG 1957 ist zu bestrafen, wer den auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen zuwiderhandelt. Ein HEMS-Betrieb durch die Antragstellerin ist daher seit dem 1. 1. 2010 bei Strafe verboten.

Eine gerichtliche Entscheidung oder ein Bescheid ist gegenüber der Antragstellerin in dieser Angelegenheit nicht ergangen.

Ein Bescheid ist aber auch nicht vorgesehen oder erforderlich, da die in Anfechtung gezogene Bestimmung nach ihrem rechtlichen Gehalt unzweideutig auf eine unmittelbare Anwendbarkeit ausgerichtet ist. Sie soll, was wohl unstrittig ist, mit Wirkung vom 1. 1. 2010 die Rechtslage gestalten, und zwar in einer für die Antragstellerin nachteiligen Weise.

Ein zumutbarer Umweg, der es der Antragstellerin ermöglichen würde, die Rechtsfrage auf einem anderen Weg an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, ist nicht ersichtlich. Eine 'Ausnahmebewilligung' in dieser Angelegenheit ist im LFG 1957 nicht vorgesehen. §18 AOCV ist nicht mit einem Antragsrecht von Betroffenen verbunden und ermächtigt die Austro Control GmbH ersichtlich nicht zu einer Einschränkung oder Aufhebung eines in der AOCV statuierten Verbotes.

Würde die Antragstellerin einen HEMS-Auftrag übernehmen, würde sie sich strafbar machen. Zudem würde auf Grund der Bestrafung die Entziehung von Berechtigung wegen mangelnder Zuverlässigkeit drohen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs gilt es als unzumutbar, vorerst eine verbotene Handlung setzen zu müssen (vgl Holzinger/Hiesel, Verfahren vor de[n] Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, 3. Aufl, 2009, E 249 - 251 zu Art139 B-VG).

Die Beantragung eines Feststellungsbescheides könnte nur zu einer verbindlichen Wiedergabe des in Anfechtung gezogenen Verordnungstextes führen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs gilt die Möglichkeit, einen Feststellungsbescheid zu beantragen, nur dann als ein zumutbarer Umweg, wenn der Feststellungsbescheid gesetzlich vorgesehen oder sonst 'vollzugstypisch' ist (vgl Holzinger/Hiesel aaO E 283 ff zu Art140 B-VG). Die in der Judikatur bisher in dieser Hinsicht angesprochenen Fälle treffen im gegenständlichen Fall nicht zu."

(Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

1.3. Zur behaupteten Gesetzwidrigkeit des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 führte die antragstellende Gesellschaft Folgendes aus:

"III. Unvereinbarkeit mit dem Notifikationsgesetz 1999

Gemäß §2 des Notifikationsgesetzes 1999 haben die zuständigen Stellen jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, der von ihnen im Bereich der Verwaltung des Bundes ausgearbeitet wird, vor der Erlassung dem Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten zur Notifikation an die Europäische Kommission zu übermitteln.

Bei der in Anfechtung gezogenen Bestimmung handelt es sich unzweideutig um eine Vorschrift, deren Beachtung bei der Verwendung von Produkten verbindlich vorgeschrieben ist. Sie war daher notifikationspflichtig.

Die AOCV 2008 enthält keinen einschlägigen Notifikationshinweis. Auch sonst vermochte die Antragstellerin nicht die Durchführung eines Notifikationsverfahrens bezüglich der in Anfechtung gezogenen Bestimmung in Erfahrung zu bringen. Die Bestimmung wurde daher in gesetzwidriger Weise erlassen (vgl VfSlg 17.560/2005).

IV. Unvereinbarkeit mit der gesetzlichen Grundlage

Die AOCV 2008 stützt sich ausdrücklich - andere Ermächtigungsgrundlagen sind in der Tat nicht ersichtlich - auf die §§21, 131 und 134 LFG 1957. Die angefochtene Bestimmung findet in diesen Bestimmungen keine Rechtsgrundlage; dabei kann es an dieser Stelle dahingestellt bleiben, inwieweit einzelne Bestimmungen mittlerweile durch Bestimmungen des Unionsrechts verdrängt worden sind (vgl zB §131 Abs4 LFG 1957).

...

Zusammenfassend ist zu allen diesen Gesetzesbestimmungen festzuhalten, dass sie in bestimmter Hinsicht zu Regelungen bezüglich der Lufttüchtigkeit und des sicheren Betriebes ermächtigen. Aus keiner der gesetzlichen Rechtsgrundlagen ergibt sich jedoch eine Ermächtigung zur 'Selektion':

Wenn ein Hubschrauber nach europäischem Standard eine europäische Zertifizierung im Rahmen der Kategorie A oder äquivalent erlangt hat, ist damit klargestellt, dass er auch in 'schwierigen Umgebungsbedingungen' (§3 Abs2 Satz 1 AOCV 2008) zum gewerblichen Personentransport geeignet ist. Es ist damit im Sinn von §17 LFG 1957 dargetan, dass er 'lufttüchtig' ist, dh dass 'nach dem jeweiligen Stand der Technik auf Grund seiner Bauart und technischen Ausrüstung die Betriebssicherheit gewährleistet ist'. Jede andere Sicht würde einen Zustand der Gesetzwidrigkeit unterstellen, da man annehmen müsste, dass nicht alle im Rahmen der Kategorie A oder äquivalent zertifizierten Hubschrauber zu Start und Landung in unwegsamem Gelände oder bei Krankenhäusern für gewerbliche Personenbeförderung geeignet wären.

Wollte man zwischen gewerblichen Personentransporten und 'besonderen' gewerblichen Personentransporten unterscheiden, bedürfte es einer gesetzlichen Grundlage. Auf die Beförderung von kranken und gebrechlichen Personen stellt §134 Abs2 LFG 1957 ab. Aber abgesehen davon, dass offenbar nicht das Einvernehmen mit dem Gesundheitsminister hergestellt wurde, handelt es [sich] um eine Bestimmung, die nur auf besondere Beförderungsvorschriften Bezug nimmt. Eine Selektion von gleichwertigen Bauarten kann darauf nicht gestützt werden.

V. Unvereinbarkeit mit Gleichheitssatz und Erwerbsfreiheit

Der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz umfasst nicht nur das Gebot, Gleiches gleich zu behandeln, sondern auch ein allgemeines Sachlichkeitsgebot (vgl B Raschauer, Österreichisches Wirtschaftschaftsrecht, 2. Aufl, 2003, Rz 166 mit weiteren Judikaturnachweisen). Daraus ergibt sich, dass Regelungen auch adäquat und zur Zielerreichung geeignet sein müssen.

Ausweislich der Erläuternden Bemerkungen zur AOCV 2008 war es die Intention der verordnungserlassenden Behörde, die Sicherheit des Rettungsflugwesens zu erhöhen. So sympathisch dieses Anliegen auf den ersten Blick auch erscheinen mag, stellt sich auf den zweiten Blick doch die Frage, ob damit ohne gesetzliche Grundlage 'zwei Klassen' von gewerblicher Personenbeförderung das Wort geredet wird. Es ist selbstverständlich, dass ein Rettungsfahrzeug über eine andere Ausstattung verfügen muss als ein Fahrzeug für die normale Personenbeförderung. Kann man aber ernstlich sagen, dass Fahrzeuge bestimmter Marken von vornherein vom Einsatz als Rettungsfahrzeuge ausgeschlossen sind, obwohl sie über eine gleichartige und gleichwertige 'Typenbewilligung' für eine entsprechende Personenbeförderung verfügen?

Vor diesem Hintergrund wird sogleich ein wesentliches prozedurales Element der Unsachlichkeit der angefochtenen Bestimmung deutlich, nämlich das Defizit an Grundlagenforschung (vgl nur VfSlg 17.161/2004). Nach dem Kenntnisstand der Antragstellerin und ausweislich der EB zur AOCV 2008 liegt der Einfügung des §3 Abs2 Satz 2 kein Gutachten eines Sachverständigen zugrunde. Daher ergibt sich kein schlüssiger und nachvollziehbarer sachlicher Zusammenhang zwischen der Anführung bestimmter Zulassungen und der Eignung für den HEMS-Einsatz (im vorliegenden Zusammenhang wird nicht neuerlich hervorgehoben, dass das LFG 1957 auch keine Rechtsgrundlage für eine solche Differenzierung abgeben würde).

Würde es eine entsprechende fachliche Fundierung geben, würde die Unsachlichkeit der angefochtenen Bestimmung sogleich deutlich werden: Was die Flugleistungsklasse I betrifft, lässt sich §3 Abs2 Satz 1 A[O]CV 2008 dahin interpretieren, dass 'Hubschrauber der Flugleistungsklasse I' gemeint sind. In Situationen, in denen ein Hubschrauber, der überhaupt für diese Flugleistungsklasse zugelassen ist, diese Leistung nicht zu erbringen vermag, wird er auch nicht zum Einsatz gebracht werden dürfen. Der hier angefochtene Satz 2 ist jedoch anders textiert, nämlich als Betriebsvorschrift. Dann allerdings könnte nur eine Regelung sachlich sein, die nicht pauschal auf Ambulanz- und Rettungsflüge abstellt, sondern darauf, dass Flüge zur gewerblichen Personenbeförderung nicht betriebenen werden dürfen, wenn etwa Starts und Landungen in Höhen vorgesehen sind, in denen ein Betrieb in Flugleistungsklasse I nicht mehr möglich ist. Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass es keinen nachvollziehbaren Relevanzzusammenhang zwischen dem Betreiben in Flugleistungsklasse I und der Durchführung von Ambulanz- und Rettungsflügen gibt; es gilt nämlich im Auge zu behalten, dass es auch Rettungsflüge in unproblematischen Gebieten gibt.

Noch drastischer ist die Selektion von Bauvorschriften zu sehen. Es ist weder aus den EB zu erkennen noch - wie das beigeschlossene Gutachten des Sachverständigen HS[] belegt - fachlich nachvollziehbar, dass bestimmte Hubschrauber, die den für die gewerbliche Personenbeförderung maßgeblichen Stand der Luftfahrtechnik erfüllen, 'auserwählt' werden und andere nicht. Es darf nämlich nicht unbeachtet bleiben, dass auch Ambulanz- und Rettungsflüge Flüge zur gewerblichen Personenbeförderung sind; mit der selektierenden Aufzählung von Bauvorschriften impliziert die Behörde rechtswidriger Weise, dass andere Luftfahrzeuge nicht dem Stand der Luftfahrtechnik entsprechen.

Es ist anzunehmen, dass es bestimmte von der verordnungserlassenden Behörde erwünschte technische Ausstattungen sind, die zu der hier vorliegenden Selektion geführt haben. Das Problem der angefochtenen Regelung besteht ja gerade darin, dass in Ermangelung einer geeigneten Grundlagenforschung nicht erkennbar ist, worin der sachliche Zusammenhang von bestimmten Bauvorschriften mit Rettungs- und Ambulanzflügen im Allgemeinen zu sehen sein soll. Wenn es also bestimmte technische Ausstattungen sind, die bei Rettungs- und Ambulanzflügen aller Art als unabdingbar angesehen werden, dann wäre es unter dem verfassungsrechtlichen Sachlichkeitsgebot erforderlich, auf diese Ausstattungsmerkmale konkret abzustellen, und nicht Zulassungen nach bestimmten Bauvorschriften von vornherein zu diskriminieren, da Bauvorschriften als solche nichts mit der Eignung zur gewerblichen Personenbeförderung in der Erscheinungsform von Ambulanz- und Rettungsflügen zu tun haben.

Schließlich darf nicht unbeachtet bleiben, dass Rettungsflug nicht gleich Rettungsflug ist. So wie Satz 1 nach Konstellationen differenziert, gibt es auch bei Rettungsflügen Einsatzfälle, die völlig unproblematisch sind und keine besonderen Anforderungen stellen. Beim pauschalen Abstellen auf 'Ambulanz- und Rettungsflüge' aller Art hat der Verordnungsgeber die sachlich gebotene Differenzierung unterlassen.

Die vorstehend entwickelten Überlegungen sind auch im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Erwerbsfreiheit relevant. Unzweifelhaft besteht ein öffentliches Interesse an der Wahrung von Sicherheitsstandards in der gewerblichen Personenbeförderung. Ein davon zu unterscheidendes öffentliches Interesse an der Sicherheit von gewerblicher Personenbeförderung in der Erscheinungsform von Ambulanz- und Rettungsflügen ist nicht ersichtlich. Die in §3 Abs2 Satz 2 AOCV 2008 getroffene Selektion ist daher nicht durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt. Die Bestimmung genügt aber auch in ihrer Ausgestaltung nicht den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit. Zum einen sind alle Hubschrauber, die für die gewerbliche Personenbeförderung zertifiziert sind, vom Grundsätzlichen her betrachtet auch geeignet, Ambulanz- und Rettungsflüge durchzuführen. Soweit zum anderen bei Ambulanz- und Rettungsflügen bestimmte Ausstattungen erforderlich sind, ist eine Regelung, die auf Bauvorschriften und nicht auf Ausstattungen abstellt, zur Zielerreichung nicht geeignet.

Insgesamt ist daher festzuhalten, dass die in §3 Abs2 Satz 2 AOCV 2008 getroffene Selektion sachlich nicht gerechtfertigt ist, da eine zur Zielerreichung nicht geeignete und auch sonst nicht adäquate Regelung getroffen worden ist.

VI. Antrag

Zusammenfassend stellt die Antragstellerin den Antrag, §3 Abs2 AOCV 2008 in der geltenden Fassung als gesetzwidrig aufzuheben.

In Anbetracht der rechtlich nicht gedeckten massiven Auswirkungen auf die Marktverhältnisse in der gewerblichen Personenbeförderung wird in diesem Zusammenhang beantragt, die angefochtene Bestimmung ohne Fristsetzung aufzuheben.

..." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

2. Äußerungen

2.1. Die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie (im Folgenden: BMVIT) erstattete eine Äußerung, in der sie beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge den Antrag als unzulässig zurückweisen, in eventu die angefochtene Bestimmung nicht als gesetz- oder verfassungswidrig aufheben. Für den Fall der Aufhebung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 stellt die BMVIT den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle für das Außerkrafttreten eine Frist von sechs Monaten bestimmen. Diese Frist erscheine erforderlich, um eine neue Regelung zu treffen, welche die Sicherheit von Ambulanz- und Rettungsflügen weiterhin gewährleistet.

2.2. Zur Zulässigkeit des Individualantrages nahm die BMVIT - unter anderem - wie folgt Stellung:

"Zur Zulässigkeit

Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 08.03.2010 beim Verfassungsgerichtshof einen auf Art139 B-VG gestützten Antrag auf Aufhebung des '§3 Abs2 AOCV 2008 in der geltenden Fassung als gesetzwidrig' eingebracht.

An anderer Stelle des genannten Schriftsatzes - nämlich eingangs des genannten Schriftsatzes - begehrt die Antragstellerin 'den §3 Abs2 Satz 2 AOCV 2008, BGBl II 254/2008, als gesetzwidrig aufzuheben'.

...

Die Antragstellerin des gegenständlichen Antrages hat nun - unzweifelhaft - einander widersprechende Anträge an den Verfassungsgerichtshof gestellt: einerseits begehrt sie die Aufhebung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 in der Fassung BGBl. II Nr. 254/2008, andererseits begehrt sie die Aufhebung des §3 Abs2 AOCV 2008 'in der geltenden Fassung' [gemeint offensichtlich: in der Fassung BGBl. II Nr. 254/2008].

Es ist - zugegebenermaßen - nicht auszuschließen, dass die Antragstellerin - eigentlich - die Aufhebung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 in der Fassung BGBl. II Nr. 254/2008 beantragen wollte.

Dafür spräche, dass sie sich in ihrem Schriftsatz weitgehend auf diese Bestimmung bezieht.

Dagegen spricht jedoch - andererseits - wieder der ausdrücklich am Ende des Schriftsatzes gestellte 'Antrag'. Hätte die Antragstellerin die Bestimmung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 in der Fassung BGBl. II Nr. 254/2008 anfechten wollen, wäre ihr ein solcher Antrag - ausweislich des übrigen Inhaltes ihres Schriftsatzes - unzweifelhaft möglich gewesen.

Wollte nun die Antragstellerin - wofür der am Ende des Schriftsatzes gestellte 'Antrag' spricht - einen Antrag auf Aufhebung des §3 Abs2 AOCV 2008 'in der geltenden Fassung' [gemeint offensichtlich: in der Fassung BGBl. II Nr. 254/2008] stellen, wäre ein solcher Antrag vom Verfassungsgerichtshof schon deshalb zurückzuweisen, da er - ausweislich der Ausführungen im Schriftsatz der Antragstellerin - zu weit gefasst wäre.

Sollte die Antragstellerin jedoch - eigentlich - eine Anfechtung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 in der Fassung BGBl. II Nr. 254/2008 gewollt haben, ist ihr allerdings entgegenzuhalten, dass sie ihren Antrag - in diese Richtung - nicht bzw. jedenfalls nicht mit ausreichender Deutlichkeit gestellt hat.

Eine genaue und eindeutige Bezeichnung der bekämpften Verordnung bzw. der bekämpften Verordnungsregelung, die diese mit Sicherheit erkennen lässt, ist jedoch eine unabdingbare Voraussetzung eines zulässigen Verordnungsprüfungsantrages.

Eine Prüfung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 in der Fassung BGBl. II Nr. 254/2008 durch den Verfassungsgerichtshof allein auf Grund der bloßen Vermutung, dass die Antragstellerin möglicherweise eine Prüfung ausschließlich in diese Richtung beabsichtigt haben könnte, ist jedenfalls ausgeschlossen.

Der Antrag der Antragstellerin ist daher schon auf Grund mangelnder Eindeutigkeit des Anfechtungsgegenstandes, die allerdings Voraussetzung der Zulässigkeit eines Verordnungsprüfungsantrages ist, zurückzuweisen." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

2.3. Zur - von der antragstellenden Gesellschaft - behaupteten Gesetzwidrigkeit des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 führte die BMVIT im Wesentlichen Folgendes aus:

"III.

Zum Hintergrund der Regelung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008

Folgende Überlegungen haben im BMVIT zur Erlassung der Bestimmung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 geführt:

Bei Rettungsflügen handelt es sich um eine gewerbliche Beförderung von Personen, es sind daher - wie bei allen Beförderungen gegen Entgelt - höhere Anforderungen an die Sicherheit zu stellen, als dies bei unentgeltlichen Beförderungen der Fall ist.

Bei Rettungsflügen tritt zudem noch die Besonderheit auf, dass die verunglückte Person das Transportmittel nicht nach bestimmten Sicherheitskriterien auswählen kann, sondern diese Auswahl als öffentliche Aufgabe von Seiten des Staates nach den höchstmöglichen Sicherheitsstandards zu erfolgen hat. Weiters ist - weder für die Rettungszentrale noch für das Luftfahrtunternehmen - vorhersehbar, in welchem Gelände sich die verunglückte Person befindet und unter welchen Wetterbedingungen die Bergung zu erfolgen hat. Wesentlich ist auch, dass in Österreich in sehr vielen Rettungsfällen alpines Gelände und Umfeld vorherrscht. Die Betriebsbedingungen im alpinen Umfeld sind aufgrund der topographischen und meteorologischen Gegebenheiten weitaus fordernder, als im Flachland. Schließlich ist zu beachten, dass sowohl die Start- als auch Landephase eines Rettungsfluges meist im dicht verbauten Gebiet (bei Krankenhäusern) oder eben im unwegsamen Gelände stattfindet. Es muss daher bei der Festlegung der technischen Erfordernisse für Rettungshubschrauber auf alle diese[] besonderen Umstände eines Rettungseinsatzes vorausschauend Bedacht genommen werden, um eine dem öffentlichen Interesse der Sicherheit der Luftfahrt genügende Regelung zu schaffen. Die im §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 genannten Zulassungsnormen entsprechen dem derzeit modernsten Stand der Technik und gewährleisten sowohl leistungsstärkere Triebwerke, welche für den Fall eines Triebwerkausfalles dennoch einen kontrollierten Weiterflug ermöglichen, als auch die Implementierung des derzeit im Rettungswesen geltenden technischen Standards (insbesondere ÖN EN 13718-2).

IV.

Zum von der Antragstellerin betriebenen Muster Augusta A109E

Die in §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 angeführten Zulassungsspezifikationen (Bauvorschriften) fordern eine komplette Erfüllung der Anforderungen der Bauvorschrift FAR 27 - Annex C, Kategorie A.

Das von der Antragstellerin betriebene Luftfahrzeugmuster Augusta A109E wurde nun zwar auf Basis der FAR 27, Stand 1996, zugelassen, jedoch gerade nicht gemäß Annex C, Kategorie A, sondern lediglich 'Kategorie A äquivalent' gemäß AC27-1.

AC27-1 (Advisory Circular) ist eine unverbindliche Erläuterung/Empfehlung und fordert keine komplette Umsetzung der in AC27-1, MG 3 angeführten Bauvorschriften der FAR 29.

Dementsprechend sind bei dem Luftfahrzeugmuster Augusta A109E folgende in FAR 27 - Annex C aufgestellten Anforderungen nicht nachgewiesen:

-

29.547(a) und (b): Auslegungskriterien und Assessment/Fehleranalyse für den Heckrotorträger um das Auftreten von Störungen/Fehlern, die eine sichere Flugfortführung und Landung verhindern, zu vermeiden;

-

29.917(b) und (c)(1): Auslegungskriterien und Assessment/Fehleranalyse für das Rotorantriebssystem um das Auftreten von Störungen/Fehlern, die eine sichere Flugfortführung und Landung verhindern, zu vermeiden;

-

29.927(c)(1): Erfüllung der 30 min Notlaufeigenschaften des Rotorantriebsystems.

V.

Zur Darstellung des Sachverhaltes durch die Antragstellerin

Die Antragstellerin behauptet, dass die Bestimmung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 ein Totalverbot einer bis zum Ablauf des 31.12.2009 rechtmäßigen Erwerbsausübung (gemeint wohl: hinsichtlich HEMS) bewirke, da kein Hubschrauber stets und unter allen Umständen in Flugleistungsklasse I betrieben werden könne.

Dieser Behauptung ist entgegenzuhalten, dass der Wortlaut des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 auf die technischen Anforderungen für Hubschrauber selbst abstellt und nicht - wie die Antragstellerin vermeint - auf die Durchführung der Rettungsflüge. Demgemäß ist die in dieser Bestimmung enthaltene Anforderung der Flugleistungsklasse I denkmöglich nur dahingehend zu verstehen, dass die für HEMS eingesetzten Hubschrauber aufgrund ihrer technischen Bauart in Flugleistungsklasse I betrieben werden können. Diese Anforderung ist ohne Zweifel technisch erfüllbar.

Die Bestimmung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 stellt auf den derzeit modernsten Stand der Technik ab. Die Frage der konkreten Flugdurchführung wird von §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 nicht berührt. Diese wird vielmehr durch die Vorgaben der JAR-OPS 3 (vgl. insbesondere die Anlage 1 zu JAR-OPS 3.005 (d)) festgelegt.

Das Gutachten des privaten Sachverständigen HS[] behandelt grundsätzlich keine technischen Aspekte, sondern lediglich flugbetriebliche Fragen. Dieses Privatgutachten kann daher - schon vom Ansatz her - keinen 'Nachweis' für einen nicht sachgerechten Inhalt des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 bilden.

So könnte - beispielsweise - ein bloßer Vergleich der Flugleistungen der einzelnen Luftfahrzeugmuster aus flugbetrieblicher Sicht auch dazu führen, dass sogar einzelne einmotorige Hubschrauber unter bestimmten Umständen und in Einzelfällen im Hinblick auf die Flugleistung den derzeit für HEMS-Flüge zugelassenen Hubschraubern überlegen sein können. Dies ändert aber nichts daran, dass einmotorige Hubschrauber auch gemäß den von der Antragstellerin zitierten Bestimmungen der JAR-OPS 3 - aus gutem Grund - nicht eingesetzt werden dürfen.

...

VII.

Zu den von der Antragstellerin dargelegten Bedenken

Sollte der Verfassungsgerichtshof den obigen Darlegungen nicht folgen und den Antrag der Antragstellerin dahingehend umdeuten, dass Anfechtungsgegenstand die Regelung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 in der Fassung BGBI. II Nr. 254/2008 ist, hält die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie insoweit den Behauptungen der Antragstellerin die nachfolgenden Ausführungen entgegen.

A. Zur behaupteten Unvereinbarkeit mit dem Notifikationsgesetz 1999

Die Antragstellerin vermeint zunächst eine Gesetzwidrigkeit des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 darin zu erkennen, dass diese Regelung nicht nach dem im Notifikationsgesetz 1999 vorgesehenen Verfahren erzeugt wurde. Dabei übersieht die Antragstellerin allerdings Folgendes:

Dem in §2 Notifikationsgesetz 1999 vorgesehenen Verfahren ist - im Bereich der Verwaltung des Bundes - jeder Entwurf einer technischen Vorschrift - im Sinne des Notifikationsgesetzes 1999 - zu unterziehen.

Eine technische Vorschrift im Sinne des Notifikationsgesetzes 1999 liegt nach [] §1 Abs1 Z9 Notifikationsgesetz 1999 dann vor, wenn es sich um eine in dieser Begriffsbestimmung genannte Vorschrift handelt. Die Regelung des §1 Abs1 Z9 Notifikationsgesetz 1999 verweist insoweit auf die Definitionen für technische Spezifikationen, sonstige Vorschriften und Vorschriften betreffend Dienste [der Informationsgesellschaft] in §1 Abs1 Z3, 4 und 5 Notifikationsgesetz 1999, die ihrerseits wieder auf weitere Definitionen in §1 Abs1 Notifikationsgesetz 1999 weiter verweisen.

Dass es sich bei der Regelung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 nicht um eine Vorschrift betreffend Dienste [der Informationsgesellschaft] im Sinne des §1 Abs1 Z9 iVm §1 Abs1 Z5 Notifikationsgesetz 1999 handelt, bedarf keiner weiteren Erörterung.

Es handelt sich bei der Regelung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 allerdings auch weder um eine technische Spezifikation im Sinne des §1 Abs1 Z3 Notifikationsgesetz 1999 noch um eine sonstige Vorschrift im Sinne des §1 Abs1 Z4 Notifikationsgesetz 1999, da sie kein Merkmal für ein Erzeugnis vorschreibt bzw. keine Vorschrift für ein Erzeugnis - im Sinne der genannten Regelungen - darstellt.

Das Notifikationsgesetz 1999 und das in diesem vorgesehene Verfahren sind daher - schon nach dem Wortlaut dieses Gesetzes - auf eine Regelung wie die in §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 enthaltene nicht anzuwenden.

Ganz grundsätzlich ist in diesem Zusammenhang auch daran zu erinnern, dass die Zielrichtung der Regelungen des Notifikationsgesetzes 1999 - wie schon der Vorgängerregelungen des Notifikationsgesetzes [1996] - der Abbau technischer Handelshemmnisse als einem der Haupthindernisse für den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft war (vgl. insoweit die Erläuterungen zu den Regierungsvorlagen des Notifikationsgesetzes [1996] und des Notifikationsgesetzes 1999, XX.GP RV 38 und XX.GP RV 1898 sowie die Begründungserwägungen der Richtlinien 83/189/EWG in der Fassung der Richtlinien 88/182/EWG und 94/10/EG sowie der Richtlinien 98/34/EG und 98/48/EG). Bei der hier in Frage stehenden Regelung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 handelt es sich jedoch unzweifelhaft nicht um eine Regelung, die ein technisches Handelshemmnis bewirken und damit den freien Warenverkehr betreffen könnte.

Die Antragstellerin übersieht im Übrigen, dass für Regelungen wie die vorliegend in Frage stehende, eine Sondernotifikationsvorschrift besteht. Solche Regelungen sind unter Bezugnahme auf die Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 [in der geltenden Fassung] an die Europäische Kommission zu notifizieren.

In Entsprechung dieser gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung ist eine Notifkation der AOCV 2008 an die Europäische Kommission erfolgt. Bedenken der Kommission gegen diese Verordnung wurden nicht geltend gemacht.

Der vorliegende Fall ist daher in keiner Hinsicht mit jenem Fall, der dem Erkenntnis VfSlg. 17.560/2005 zugrunde lag, vergleichbar.

B. Zur behaupteten Unvereinbarkeit mit der gesetzlichen Grundlage

Entgegen den Behauptungen der Antragstellerin ist die Bestimmung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 von den in der Promulgationsklausel der AOCV 2008 genannten Bestimmungen gedeckt.

Gemäß §21 LFG hat der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit der Luftfahrt und unter Bedachtnahme auf die Art, die Konstruktionsmerkmale und den Verwendungszweck der Zivilluftfahrzeuge durch Verordnung insbesondere die Erfordernisse der Lufttüchtigkeit festzulegen.

Gemäß §17 LFG ist ein Luftfahrzeug lufttüchtig, wenn nach dem jeweiligen Stand der Technik aufgrund seiner Bauart und technischen Ausrüstung die Betriebssicherheit gewährleistet ist.

Wie bereits unter Punkt III. zu den Beweggründen des BMVIT dargelegt, basiert die Regelung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 auf dem derzeitigen Stand der Technik für die gegenständliche Verwendungsart 'Rettungsflüge'.

Aus dem im §21 LFG enthaltenen Hinweis auf das 'Erfordernis der Sicherheit der Luftfahrt und unter Bedachtnahme auf die Art, die Konstruktionsmerkmale und den Verwendungszweck der Zivilluftfahrzeuge' ergibt sich, dass der BMVIT bei Erlassung der ausführenden Bestimmungen bestimmte 'Selektionen' vorzunehmen hat und zwar insbesondere im Hinblick auf die Art und den Verwendungszweck der Zivilluftfahrzeuge. Es ist daher auch eine Unterscheidung zwischen einem 'normalen' gewerblichen Personentransport und einem Ambulanz- und Rettungsflug im Sinne der Sicherheit der Luftfahrt möglich und sogar geboten (zu den Besonderheiten von Ambulanz- und Rettungsflügen siehe unter Pkt. III).

C. Zur behaupteten Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz und der Erwerbsfreiheit

Der von der Antragstellerin vorgebrachten Behauptung der Unsachlichkeit des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 ist Folgendes zu entgegenzuhalten.

Bei Ambulanz- und Rettungsflügen handelt es sich - wie bereits unter Pkt. III dargelegt - um eine Einsatzart, die gerade nicht mit 'normalen' gewerblichen Beförderungsflügen vergleichbar ist. So sind diese Flüge weder für die Rettungszentrale noch für das Luftfahrtunternehmen im Vorhinein planbar. Diese Flüge müssen vielmehr ohne Verzögerungen auch bei schlechten Wetter- und Sichtverhältnissen, im unwegsamen Gelände und oft in großer Höhe durchgeführt werden. Da keine Zeit bleibt, den für den jeweiligen Einsatz auf Grund der meteorologischen und topographischen Gegebenheiten am besten geeigneten Hubschrauber auszuwählen, muss bereits im Vorfeld darauf geachtet werden, dass nur jene Hubschrauber zum Einsatz kommen können, die möglichst alle Eventualitäten abdecken können. Es soll somit so weit wie möglich vermieden werden, dass Rettungshubschrauber wegen 'Notstandes' auf Grund von Gefahr in Verzug bei der Rettung einer verunglückten Person in einer Flugleistungsklasse betrieben werden, die den Vorgaben der JAR-OPS 3 nicht entspricht.

Dem Argument der Antragstellerin, dass es auch Rettungsflüge in 'unproblematischen Gebieten gibt', muss daher entgegengehalten werden, dass zur Wahrung des öffentlichen Interesses der Sicherheit der Luftfahrt gerade auf jene - auch für das Luftfahrtunternehmen nicht vorhersehbaren - Rettungsflüge Bedacht genommen werden muss, die in schwieriger Umgebung stattfinden. Auf Grund der topographischen Verhältnisse in Österreich sind Rettungsflüge in 'schwierigen Gebieten' im Übrigen weitaus wahrscheinlicher als 'unproblematische Flüge'.

Um dem oben genannten Ziel der größtmöglichen Abdeckung aller Eventualitäten gerecht zu werden, muss eine allgemeine 'Grenze' eingezogen werden und dabei als Maßstab die im Sinne der Sicherheit der Luftfahrt ungünstigste Variante - nämlich HEMS in 'schwierigen Gebieten' - angenommen werden. Es ist nämlich für die Vollzugsbehörde aus Gründen der technischen Machbarkeit nicht möglich, einzelne Hubschraubermuster und deren jeweilige Wandlungsformen und (zum Teil häufigen) Änderungen hinsichtlich der Erfüllung der einzelnen Zertifizierungserfordernisse der Kategorie A - Vorschriften im Einzelfall zu prüfen und zu bewerten. Diese Zertifizierungsdaten liegen bei der Vollzugsbehörde nicht auf und sind aufgrund des Zulassungsdatums mitunter gar nicht mehr oder nur mit großer Verzögerung erhältlich.

Es musste daher, um das Interesse der Sicherheit der Luftfahrt effektiv wahren zu können, ein allgemeiner Standard eingezogen werden. Dies geschah durch die im §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 normierte Forderung jener Zertifizierungsgrundlagen, die einen modernen Stand der Technik garantieren.

Modernere Hubschrauber verfügen über grundsätzlich mehr Leistungsstärke, damit ist eine größtmögliche Einhaltung der Flugleistungsklassen-Anforderungen gemäß der JAR-OPS 3 gegeben.

Im Bereich der 'small rotorcraft' hat §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 zu einer signifikanten Erhöhung des 'Flugleistungsklasse 1- Fensters' geführt. Dies bedeutet, dass diese Hubschrauber länger in der (sichersten) Stufe der Performance Class 1 bleiben. Dies bedingt unbestreitbar einen höheren Sicherheitsstandard, da sichergestellt ist, dass der Großteil der Einsätze in der Flugleistungsklasse 1 durchgeführt werden kann und ein 'Rückfall' in Flugleistungsklasse 2 oder sogar in Flugleistungsklasse 3 auf ein absolut unumgängliches Maß reduziert wird.

Eine Festlegung von allgemeinen Standards ist auch in anderen Rechtsbereichen erfolgt. So gibt es ein Mindestalter für den Erwerb einer Lenkerberechtigung oder eine luftfahrtrechtliche Bestimmung, wonach ein Berufspilot nach Vollendung des 65. Lebensjahres keine gewerblichen Beförderungen von Personen und Sachen durchführen darf. Auch in diesem Fall kann es durchaus sein, dass bestimmte Piloten möglicherweise auch nach dem 65. Lebensjahr für die Durchführung derartiger Beförderungen geeignet sind. Aber dennoch rechtfertigt die Wahrscheinlichkeit von gesundheitlichen Einschränkungen bei Piloten über 65 die Normierung einer generellen Altersgrenze.

In diesem Zusammenhang wird von Seiten der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie darauf hingewiesen, dass der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz nur unsachliche, also durch tatsächliche Unterschiede nicht begründbare Differenzierungen verbietet. Innerhalb dieser Schranken ist es nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes auch der verordnungserlassenden Behörde jedoch von Verfassungs wegen nicht verwehrt, von einer Durchschnittsbetrachtung auszugehen und auf den Regelfall abzustellen (vgl. VfSlg. 14.841, 16.124, 16.771). Ob eine Regelung in jeder Hinsicht zweckmäßig ist und das von der Regelung bewirkte Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann hingegen nicht am Maß des Gleichheitsgrundsatzes gemessen werden (vgl. VfSlg. 14.301, 15.980, 16.814). Auch der verordnungserlassenden Behörde muss es gestattet sein, eine einfache und handhabbare Regelung zu treffen (vgl. VfSlg. 11.616, 14.694, 16.361, 16.641).

Eine nicht begründbare Differenzierung enthält die Regelung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 - wie oben im Detail dargelegt - nicht. Vielmehr liegen der getroffenen Regelung und der durch sie eingezogenen Schranken fundierte Überlegungen und Unterschiede im Tatsächlichen zu Grunde. Dass aus nachvollziehbaren Gründen eine gewisse Durchschnittsbetrachtung zu Grunde gelegt wurde, die fallweise zu Härten im Einzelfall führen kann, macht die Regelung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 noch nicht verfassungswidrig. Vielmehr liegen solche an einer Durchschnittsbetrachtung und an leichter Handhabbarkeit orientierte Regelungen innerhalb der verfassungsrechtlich zulässigen Schranken.

Die von der Antragstellerin behauptete Gleichheitswidrigkeit der Regelung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 liegt mithin nicht vor.

Der von der Antragstellerin vorgebrachten Behauptung, dass die Regelung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung verstoße, ist Folgendes zu entgegenzuhalten.

Zunächst ist daran zu erinnern, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. etwa VfSlg. 19.179, 12.921, 15.038, 15.700, 16.120, 16.734) Beschränkungen der Erwerbsausübungsfreiheit zunächst einer Rechtfertigung durch das öffentliche Interesse bedürfen. Darüber hinaus bedürfen sie der Eignung zur Zielerreichung, müssen adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen sein.

Die Regelung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 erfüllt - wie oben dargelegt - ein essentielles öffentliches Interesse: durch die genannte Regelung wird sichergestellt, dass nur den höchsten Sicherheitsanforderungen entsprechende Luftfahrzeuge für Ambulanz- und Rettungsflüge eingesetzt werden dürfen.

Die genannte Regelung ist zur Erreichung dieses Zieles auch geeignet: nur durch die Beschränkung der für Ambulanz- und Rettungsflüge zulässigen Luftfahrzeuge auf Hubschraubertypen, die den höchsten Sicherheitsanforderungen Rechnung tragen, kann dieses Ziel in sachlicher Weise erreicht werden.

Die Regelung ist auch weder inadäquat, noch sachlich ungerechtfertigt: Bauvorschriften bestimmen die Gesamtkonfiguration eines Hubschraubers. Es ist daher ohne Zweifel adäquat, die erforderlichen Voraussetzungen für die Zulassung von Luftfahrzeugen zu Ambulanz- und Rettungsflügen ausgehend von der Umschreibung der Gesamtkonfiguration in einer bestimmten Bauvorschrift festzulegen. Eine sachliche Rechtfertigung für die im §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 angeführten Bauvorschriften liegt vor, da damit der Einsatz von Hubschraubern, die dem modernsten Stand der Technik entsprechen, sichergestellt wird.

Die von der Antragstellerin behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Erwerbsbetätigung durch die Regelung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 liegt daher ebenfalls nicht vor.

D. Zusammenfassung

Der Antrag der Antragstellerin ist - auf Grund mangelnder Eindeutigkeit des Anfechtungsgegenstandes - unzulässig.

Die behauptete Verletzung der Regelungen des Notifikationsgesetzes 1999 liegt darüber hinaus nicht vor, da dieses auf Regelungen wie §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 nicht anwendbar ist und eine gemeinschaftsrechtskonforme Notifikation nach den Sondernotifikationsregelungen der Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 [in der geltenden Fassung] erfolgt ist.

Auch die von der Antragstellerin vorgetragenen Bedenken gegen die Gesetz- und Verfassungskonformität der Regelung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 liegen - wie oben im Detail dargelegt - nicht vor.

Die Regelung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 verstößt weder gegen Regelungen des Luftfahrtgesetzes, noch ist sie verfassungswidrig.

Vielmehr ist die Regelung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 zur Gewährleistung eines höchstmöglichen Sicherheitsniveaus von Ambulanz- und Rettungsflügen, die einen besonders sensiblen Bereich von Flugbewegungen im Bundesgebiet darstellen, erforderlich, geeignet und gerechtfertigt.

Sie dient zudem der Heranführung der für die Durchführung von Ambulanz- und Rettungsflügen zulässigen Luftfahrzeuge an den derzeitigen Stand der Ambulanz- und Rettungsflugtechnik und sichert darüber hinaus das Interesse von Patienten, die sich regelmäßigerweise nicht im physischen oder psychischen Zustand befinden, das aus ihrer Sicht sicherste Luftfahrzeug auswählen zu können, dass die für sie erforderlichen Ambulanz- oder Rettungsflüge mit den bestmöglichen und sichersten Luftfahrzeugen durchgeführt werden.

Schließlich dient die Regelung des §3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008 auch noch dem Zweck, einen sicheren und unfallfreien Flugbetrieb auch unter den schwierigen topographischen Verhältnissen Österreichs zu gewährleisten." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

2.4. In Entgegnung der Ausführungen der BMVIT erstattete die antragstellende Gesellschaft am 6. Mai 2010 eine Äußerung, in welcher sie Folgendes vorbrachte:

"Die Behörde bestätigt ..., dass ein Notifikationsverfahren gemäß dem Notifikationsgesetz 1999 nicht durchgeführt worden ist, was bedeutet, dass die angefochtene Verordnungsbestimmung - die unzweideutig die Verwendung von Erzeugnissen Beschränkungen unterwirft - verfahrensfehlerhaft erlassen worden ist. Wenn sich die Behörde auf die Verordnung 3922/91/EG beruft und vermutlich deren Art10 meint, so ist die dort vorgesehene Mitteilung nicht gleichbedeutend mit dem Notifikationsverfahren im Sinn der Richtlinie 98/34/EG; sie gibt dem Mitgliedstaat, in dem die Zulassung erteilt worden ist, nicht die Möglichkeit, Bedenken gegen die von einem anderen Mitgliedstaat geplante Verwendungsbeschränkung geltend zu machen. Zudem umfasst die genannte Verordnung nicht die im Notifikationsverfahren gebotene Kundmachung der Notifikation. Die genannte Richtlinie kennt in ihrem Art1 einzelne Ausnahmebestimmungen, woraus zu erkennen ist, dass das Verhältnis zu anderen Regimen und Mitteilungspflichten mitbedacht wurde. Die Ausnahmebestimmungen beziehen sich jedoch allesamt nicht auf die Verordnung 3922/91/EG.

Die Behörde geht davon aus ..., dass von den in Betracht kommenden gesetzlichen Grundlagen nur §21 LFG maßgeblich sei, sodass Überlegungen zu den anderen beiden Gesetzesbestimmungen außer Betracht bleiben können. Gemäß §21 LFG hat der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie Bestimmungen über die Lufttüchtigkeit und die Mindestausrüstung der Zivilluftfahrzeuge festzulegen. Dies deckt nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut jedoch nicht das von der verordnungserlassenden Behörde verfolgte Ziel, 'den

höchstmöglichen Sicherheitsstandard' ... und den 'derzeit modernsten

Stand der Technik' ... vorzuschreiben. Es gilt nämlich zu bedenken,

dass die in Anfechtung gezogene Bestimmung im Licht der herangezogenen gesetzlichen Grundlage nichts anderes zum Ausdruck bringt, als dass die von der Antragstellerin betriebenen Luftfahrzeuge 'nicht lufttüchtig' seien.

Die Behörde hält als Hintergrund der angefochtenen Bestimmung tatsächlich fest ..., dass

-

unentgeltliche Flüge weniger sicher,

-

gewerbliche Flüge sicher sein und

-

Rettungsflüge (aller Art) den höchstmöglichen Sicherheitsstandards entsprechen sollen.

Selbstverständlich vermag die Behörde für diese Unterscheidung eine gesetzliche Grundlage nicht anzugeben, denn eine solche existiert nicht. Es überrascht auch nicht, dass die Behörde auf der Grundlage ihrer selbstgewählten Prämissen das Problem der Unsachlichkeit im Sinn des Gleichheitssatzes nicht nachzuvollziehen vermag. Tatsächlich geht es jedoch in allen Fällen um die Beförderung von Menschen. Und im Hinblick darauf haben die Luftfahrzeuge lufttüchtig zu sein, und nicht 'weniger lufttüchtig' oder 'mehr lufttüchtig'.

Die vorliegende Äußerung bestätigt, dass der in Anfechtung gezogenen Verordnungsbestimmung kein fachliches Gutachten zugrunde liegt. Erst jetzt - gewissermaßen als 'Neuerung' - werden in der

Äußerung ... Aspekte angeführt, die bei den von der Antragstellerin

eingesetzten und unstrittig dem Stand der Technik entsprechenden Luftfahrzeugen nicht nachgewiesen seien. Nicht einmal jetzt wird jedoch dargetan, in welchem Relevanzzusammenhang zB bestimmte Fehleranalysesysteme mit Rettungsflügen aller Art stehen sollen. Die Antragstellerin sieht daher den Vorwurf, dass die angefochtene Bestimmung mangels geeigneter Grundlagenforschung verfahrensfehlerhaft erlassen worden ist, als bestätigt.

Gleichzeitig wird damit auch ein prozeduraler Aspekt deutlich: Hätte die Behörde zeitgerecht bekannt gegeben, welche technischen Spezifikationen sie auf entsprechender fachlicher Grundlage als für Rettungsflüge unabdingbar erachtet, hätte die Antragstellerin die Chance gehabt, diese durchführen und bestätigen zu lassen. Das Abstellen auf Bauarten ('Mercedes, nicht BMW') ist zur Erreichung des von der Behörde verfolgten rechtspolitischen Ziels von vornherein ungeeignet.

Abschließend möchte die Antragstellerin ihr Befremden über die von der Behörde unternommene Konstruktion einer vermeintlichen Unklarheit des Anfechtungsgegenstandes zum Ausdruck bringen. Der Antrag bezieht sich unzweideutig auf '§3 Abs2 Satz 2 AOCV 2008', spricht von der 'in Anfechtung gezogenen Bestimmung' und zitiert diese - unter Berücksichtigung des der belangten Behörde bei der

Kundmachung unterlaufenen Schreibfehlers - wörtlich ... Die Behörde

spricht in ihrer Äußerung durchgehend von '§3 Abs2 zweiter Satz AOCV 2008' und meint damit dasselbe.

Insgesamt wird daher der Antrag aufrechterhalten, den §3 Abs2 Satz 2 AOCV 2008 als gesetzwidrig aufzuheben." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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