TE OGH 2010/6/25 12R93/10z

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Veröffentlicht am 25.06.2010
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichtes Mag. Dr. Wanke-Czerwenka als Vorsitzende sowie die Richterin des Oberlandesgerichtes Dr. Reden und den Richter des Oberlandesgerichtes MMag. Matzka in der Rechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Dr. Rudolf Riegler, Rechtsanwalt in Bruck an der Leitha, wider die beklagten Parteien 1. Veronika H*****, 2. W*****, beide vertreten durch Dr. Bernhard Krause, Rechtsanwalt in Wien, wegen (zuletzt) EUR 15.665,71 sA, über den Kostenrekurs der beklagten Parteien gegen die im Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 26.4.2010, 13 Cg 136/08b-44, enthaltene Kostenentscheidung, in nicht öffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 372,86 (darin EUR 45,84 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrte von den Beklagten an Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall zunächst die Zahlung von EUR 57.665,71 sA und die mit EUR 10.000,-- bewertete Feststellung der Haftung für alle unfallskausalen Schäden, hinsichtlich der Zweitbeklagten beschränkt auf die Versicherungssumme des Haftpflichtversicherungsvertrages. Das Zahlungsbegehren schlüsselte der Kläger wie folgt auf:

Schmerzengeld EUR                                           50.000,--,

Verdienstentgang EUR                             4.915,71,

Kleiderschaden EUR                                           250,--,

Fahrzeugschaden EUR                             2.500,--.

Die Beklagten bestritten das Klagebegehren (zuletzt nur noch) der Höhe nach, beantragten dessen Abweisung und bemängelten den Streitwert des Feststellungsbegehrens als überhöht.

Nach Vorliegen eines unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens schränkte der Kläger mit Schriftsatz vom 5.11.2008 (ON 18) das aus dem Titel des Schmerzengeldes gestellte Begehren auf EUR 20.000,-- und somit das Leistungsbegehren auf EUR 27.665,71 unter Aufrechterhaltung des Feststellungsbegehrens ein.

In der Verhandlung vom 18.5.2009 anerkannten die Beklagten einen Betrag von EUR 10.200,-- an Schmerzengeld und einen Betrag von EUR 1.800,-- an Motorrad- und Kleiderschaden sowie das Feststellungsbegehren. Mit ebenfalls in dieser Verhandlung ergangenem Beschluss wurde der Streitwert hinsichtlich des Feststellungsbegehrens aufgrund der Streitwertbemängelung der Beklagten mit EUR 2.000,-- festgesetzt (Seite 2 in ON 27).

Mit Schriftsatz vom 6.7.2009 (ON 32) schränkte der Kläger das Zahlungsbegehren im Hinblick auf die zwischenzeitlich erfolgte Bezahlung des anerkannten Betrages von EUR 12.000,-- ein auf EUR 15.665,71 sA (EUR 9.800,-- restliches Schmerzengeld, EUR 4.915,71 Verdienstentgang und EUR 950,-- restlicher Fahrzeugschaden).

In der Verhandlung vom 15.2.2010 erging über Antrag des Klägers ein Teilanerkenntnisurteil über das Feststellungsbegehren.

Mit dem nur im Kostenpunkt angefochtenen Urteil erkannte das Erstgericht die Beklagten schuldig, dem Kläger EUR 7.165,71 samt 4% Zinsen seit 20.5.2008 zu bezahlen und wies das Mehrbegehren von EUR 8.500,-- samt 4% Zinsen seit 20.5.2008 ab. Weiters verpflichtete es die Beklagten, dem Kläger die mit EUR 4.112,33 sA (darin EUR 1.639,10 Barauslagen und EUR 412,20 USt) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen. Hiezu traf es die auf Seiten 2 und 5 bis 10 der Urteilsausfertigung wiedergegebenen Feststellungen, auf die verwiesen wird.

Rechtlich kam das Erstgericht – ausgehend von dem zuletzt nicht mehr bestrittenen Alleinverschulden der Erstbeklagten am verfahrensgegenständlichen Verkehrsunfall – zum Ergebnis, dass ein Schmerzengeld in Höhe von EUR 12.000,-- angemessen und im Hinblick auf den bereits bezahlten Schmerzengeldbetrag von EUR 10.200,-- daher noch ein weiterer Betrag in Höhe von EUR 1.800,-- zuzusprechen gewesen sei und dem Kläger ein Verdienstentgang in Höhe von EUR 4.915,71 zustehe. Hinsichtlich des Schadens am Motorrad sei gemäß § 273 ZPO von einem Fahrzeugwert in Höhe von EUR 2.750,-- auszugehen gewesen, weshalb sich unter Berücksichtigung des erzielten Verkaufserlöses von EUR 750,-- ein Fahrzeugschaden in Höhe von EUR 2.000,-- ergebe und damit unter Berücksichtigung der geleisteten Teilzahlung in Höhe von EUR 1.550,-- aus diesem Titel diesbezüglich ein Zuspruch von EUR 450,--.

Seine Kostenentscheidung gründete das Erstgericht auf § 43 Abs 1 und 2 ZPO. Es seien drei Verfahrensabschnitte zu bilden gewesen. Bis zur ersten Klagseinschränkung (Schriftsatz vom 5.11.2008) habe der Kläger ausgehend von einem insgesamt ersiegten Betrag von EUR 19.165,71 zuzüglich der Feststellung von EUR 10.000,-- rechnerisch mit EUR 29.16571 obsiegt, was 43% entspreche, weshalb den Beklagten 14% der in diesem Abschnitt entstandenen Vertretungskosten zustünden, sie dem Kläger aber 43% der in diesem Abschnitt entstandenen Barauslagen von EUR 1.970,-- zu ersetzen hätten. Im zweiten Verfahrensabschnitt (bis zur letzten mündlichen Verhandlung) sei dem Kläger eine Überklagung nicht vorzuwerfen, weshalb ihm das Kostenprivileg des § 43 Abs 2 ZPO zugute komme und er volle Kosten auf Basis des ersiegten Betrages von den Beklagten ersetzt bekomme. Dies gelte auch für den dritten Verfahrensabschnitt. Die beklagten Parteien hätten gegen das Kostenverzeichnis des Klägers nur Einwendungen hinsichtlich der Dauer der Verhandlung vom 15.2.2010, die tatsächlich nur 4/2 Stunden gedauert habe, und gegen die verzeichneten Kostenvorschüsse erhoben, nicht jedoch gegen die Ansätze des Verdienstes, weshalb dergestalt vom gelegten Kostenverzeichnis auszugehen gewesen sei.

Im ersten Verfahrensabschnitt stünden daher den Beklagten EUR 682,09 an Verdienst zu (darin enthalten 20% USt), sie hätten aber dem Kläger 43% dessen Barauslagen von insgesamt EUR 1.970,--, sohin EUR 847,10 zu ersetzen. Für den zweiten Verfahrensabschnitt stünden dem Kläger volle Kosten auf Basis des ersiegten Streitwertes (EUR 19.165,71 Leistung und EUR 2.000,-- Feststellung), sohin EUR 2.310,16 netto und für die mündliche Verhandlung vom 15.2.2010, Dauer 4/2 Stunden, ebenfalls volle Kosten auf Basis des ersiegten Streitwertes von dann nur mehr EUR 7.165,71 in Höhe von EUR 319,27 netto an Verdienst zuzüglich der Barauslagen von EUR 792,-- zu. Hinsichtlich der Barauslagen sei von den tatsächlich verbrauchten Kostenvorschüssen auszugehen gewesen.

Gegen die Kostenentscheidung dieses Urteils wendet sich der Rekurs der Beklagten, mit dem Abänderungsantrag, dem Kläger lediglich Kosten von EUR 1.443,74 zuzuerkennen.

Der Kläger beantragt, dem Rekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Hinsichtlich des ersten Verfahrensabschnittes bekämpft der Rekurs, dass das Erstgericht bei der Ermittlung der Obsiegensquote des Klägers von der vom Kläger vorgenommenen Bewertung des Feststellungsbegehrens mit EUR 10.000,-- ausgegangen ist. Die Festsetzung des Streitwertes des Feststellungsbegehrens durch das Gericht habe nicht erst ab dessen Ausspruch, sondern für das ganze Verfahren zu gelten, sodass sich im ersten Verfahrensabschnitt für den Kläger lediglich eine Obsiegensquote von etwa 35,5% ergäbe.

Dem ist nicht zu folgen.

Gemäß § 56 Abs 2 JN ist der Kläger bei der Bewertung eines nicht in Geld bestehenden Streitgegenstandes – soweit keine zwingenden Bewertungsvorschriften bestehen und kein Fall des § 60 JN vorliegt – grundsätzlich frei. Auf diese Bewertung ist auch bei Ermittlung des Prozess-erfolges und der Obsiegensquoten abzustellen. Eine Herabsetzung des Streitwertes durch gerichtlichen Beschluss gemäß § 7 Abs 2 RATG führt nur zu einer Änderung der Bemessungsgrundlage für das Anwaltshonorar. Sie hat daher auch keine Auswirkungen auf den Prozesserfolg und die Obsiegensquoten. Diesbezüglich ist weiterhin von der vom Kläger nach § 56 Abs 2 vorgenommenen Bewertung auszugehen (Obermaier, Kostenhandbuch Rz 514). Dies erhellt schon aus dem Umstand, dass aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung des § 7 Abs 2 RATG die Bemängelung des Streitwertes als zu hoch oder zu niedrig ausdrücklich nur „für die Anwendung dieses Bundesgesetzes“ ermöglicht wird. Umgekehrt hat eine Streitwertherabsetzung nach § 60 JN keine Auswirkungen für die Rechtsanwaltskostenberechnung, da § 4 RATG lediglich auf die §§ 54 bis 59 JN verweist (Gitschthaler in Fasching I² § 60 JN Rz 21). Dass ein Gleichklang der Streitwerte nach JN und RATG von Gesetzes wegen nicht unbedingt vorgesehen ist, ergibt sich auch aus anderen Bestimmungen (vgl. etwa die divergierenden Regelungen über die Bewertung von Rentenbegehren; § 58 JN, § 9 RATG). Aus diesen Erwägungen besteht nach Ansicht des Rekurssenates für die Berücksichtigung des nach § 7 RATG neu bewerteten Streitgegenstandes für die Ermittlung der Obsiegensqoute kein Raum. Die vom Oberlandesgericht Wien zu 16 R 166/09g, RIS-Justiz RW0000464 (ZAK 2010/87, 58), und von Thiele, Anwaltskosten² 159, vertretene abweichende Ansicht wird nicht geteilt. Zur Ermittlung des Prozesserfolges hinsichtlich des Feststellungsbegehrens war somit dessen Bewertung nach § 56 Abs 2 JN zugrundezulegen (vgl auch RIS-Justiz RS0035892, RS0035910 für Rentenansprüche nach § 58 JN). Das Erstgericht ist daher ohne Rechtsirrtum von einer Obsiegensquote des Klägers im ersten Abschnitt von 43% ausgegangen.

Was die Bemessungsgrundlage für die Vertretungskosten betrifft, so trifft es zwar zu, dass ein aufgrund rechtzeitiger Streitwertbemängelung ergangener Beschluss des Gerichtes über die Bewertung des Streitgegenstandes gemäß § 7 Abs 2 RATG für das gesamte Verfahren wirksam ist, das Erstgericht hatte aber mangels Erhebung von Einwendungen der Beklagten gegen die Verdienstansätze des klägerischen Kostenverzeichnisses nach § 54 Abs 1a ZPO diese seiner Entscheidung zugrundezulegen.

Der Rekurs bekämpft weiters die Gewährung des Kostenprivilegs des § 43 Abs 2 ZPO im zweiten und dritten Verfahrensabschnitt und bringt dazu vor, die Beklagten hätten den sich aus dem medizinischen Sachverständigengutachten ergebenden Schmerzengeldbetrag von EUR 10.200,-- anerkannt und bezahlt. Eine Aufrechterhaltung eines Schmerzengeldbegehrens über mehrere Tausend Euro über den dann letztendlich zugesprochenen Teilbetrag sei nicht gerechtfertigt. Entgegen diesen Ausführungen erweist sich die Anwendung des Kostenprivilegs durch das Erstgericht im vorliegenden Fall als richtig. Dieses kommt insbesondere dort zum Tragen, wo die Höhe des Erfolgs für den Kläger deshalb ungewiss und unabsehbar ist, weil die Entscheidung überwiegend oder ganz vom richterlichen Ermessen abhängt und es dem Kläger bei objektiver und vernünftiger ex ante-Betrachtung kaum bis gar nicht möglich ist, die Höhe seiner Ansprüche bei Klagserhebung abzuschätzen, was insbesondere auf Schmer-zengeldbegehren zutrifft (Obermaier aaO Rz 127). Nach Einschränkung des Schmerzengeldbegehrens auf EUR 20.000,-- durch den Kläger lag eine die Anwendbarkeit des § 43 Abs 2 ausschließende Überklagung im Sinne der Rechtsprechung (vgl Fucik in Rechberger3 § 43 ZPO Rz 11) nicht mehr vor. Entgegen der dem Rekurs (offenbar) zugrundeliegenden Rechtsansicht war der Kläger aber auch nach Vorliegen des unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens nicht gehalten, sein Schmerzengeldbegehren weiter einzuschränken, da die Ausmittlung des Schmerzengeldes auch nach Erstattung des Gutachtens (dessen Schmerzperioden nicht Bemessungsgrundlage, sondern nur Bemessungshilfe sind) vom richterlichen Ermessen abhängt und daher nicht verlässlich beurteilt werden kann (Fucik aaO Rz 12). Bei der Festsetzung des Schmerzengeldes hat das Gericht insbesondere zu berücksichtigen, dass dieses Genugtuung für alles Ungemach ist, das der Verletzte infolge seiner Verletzung erduldet und für die Bemessung nicht nur die Dauer und Intensität der Schmerzen, die Schwere der Verletzung und die Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, sondern auch die sonstigen negativen Auswirkungen auf das Leben des Verletzten maßgeblich sind. Das Schmerzengeld dient der Abgeltung sämtlicher Schmerzempfindungen körperlicher und seelischer Art, die auch das Bewusstsein des Dauerschadens und der Gefahr der Verschlechterung dieses Schadens umfassen (Danzl in KBB2 § 1325 ABGB Rz 26). Es ist daher global und nicht tageweise festzusetzen. Demgemäß stellen die seit mehreren Jahren veröffentlichten und nach den OLG- und LG-Sprengeln aufgelisteten „Schmerzengeldsätze in Österreich“ von Hartl auch bloß eine Berechnungshilfe, jedoch keine Berechnungsmethode dar (Danzl aaO Rz 30).

Berücksichtigt man, dass der Kläger den geltend gemachten Schmerzengeldanspruch von (nach Klagseinschränkung) EUR 20.000,-- nicht nur auf die erlittenen körperlichen Schmerzen, sondern auch auf die mit der Notwendigkeit einer vermehrten Anstrengung und der Besorgnis des Verlustes der Exekutivdiensttauglichkeit als Polizeibeamter verbundenen psychischen Beeinträchtigungen stützte (ON 18), so kann – ungeachtet dessen, dass diesen Ängsten nach den Ergebnissen des zuletzt eingeholten neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens kein Krankheitswert zukommt – nicht davon gesprochen werden, das eingeschränkte Schmerzengeldbegehren hätte sich nicht im Rahmen des vernünftigerweise zu erwartenden Entscheidungsspielraums des Gerichts gehalten, weshalb das Erstgericht zutreffend davon ausging, dass dem Kläger sowohl für den zweiten als auch für den letzten Verfahrensabschnitt das Kostenprivileg des § 43 Abs 2 zugute kommen soll. Es war daher auf Grundlage des ersiegten Betrages vom vollen Obsiegen des Klägers in diesen Abschnitten auszugehen und dem unberechtigten Kostenrekurs nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Entgegen den Ausführungen in der Rekursbeantwortung begehrten die Beklagten mit ihrem Kostenrekurs nicht den Zuspruch von EUR 1.443,74 an erstinstanzlichen Verfahrenskosten, sondern dass dem Kläger anstatt EUR 4.112,33 nur EUR 1.443,74 an Verfahrenskosten erster Instanz zugesprochen werden. Das Rekursinteresse beträgt daher gemäß § 11 Abs 2 2. Satz RATG EUR 2.668,59 und nicht EUR 5.556,07. Dem Kläger waren die Kosten seiner Rekursbeantwortung daher nur auf Basis dieser Bemessungsgrundlage zuzusprechen.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses gründet auf § 528 Abs 2 Z 3 ZPO.

Textnummer

EW0000721

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2010:01200R00093.10Z.0625.000

Im RIS seit

07.10.2010

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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