TE Vfgh Erkenntnis 1998/6/15 B3011/96, B3012/96, B3013/96

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Veröffentlicht am 15.06.1998
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art83 Abs2
ASGG §50
ASVG §341 ff

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung von Devolutionsanträgen aus dem Grunde der Unzuständigkeit; Zuständigkeit der Schiedskommission und der Landesberufungskommission zur Entscheidung über Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Einzelvertrages hinsichtlich Honorarkürzungen wegen der Nichtigkeit der entsprechenden Regelung des Gesamtvertrages und über das Bestehen eines konkreten Rückforderungsanspruches aus diesem Grund

Spruch

Die beschwerdeführenden Parteien sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit je S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Die beschwerdeführenden Parteien in den Verfahren B3011/96, B3012/96 und B3013/96 sind Vertragsärzte der Burgenländischen Gebietskrankenkasse (im folgenden: Bgld GKK). Mit Schriftsatz vom 16.10.1995 brachten sie zusammen mit 27 weiteren Vertragsärzten der Bgld GKK einen gegen die Bgld GKK als Antragsgegnerin gerichteten und ausführlich begründeten Feststellungsantrag folgenden Inhaltes bei der Paritätischen Schiedskommission (im folgenden: Schiedskommission) ein:

"1.) Es wird festgestellt, daß die Einzelverträge der Antragsteller mit der Antragsgegnerin bezüglich der Honorarkürzungsregelung gem Pkt III Z2 Zusatzvereinbarung 1993, gültig für den Zeitraum 1.4.1993 bis 30.6.1994, die gem §341 Abs3 ASVG zum Bestandteil der Einzelverträge wurde, teilnichtig waren.

2.) Es wird festgestellt, daß die Einzelverträge der Antragsteller mit der Antragsgegnerin bezüglich der Honorarkürzungsregelung gem Pkt III Z2 Zusatzvereinbarung 1994, gültig für den Zeitraum 1.7.1994 bis 31.12.1996, die gem §341 Abs3 ASVG zum Bestandteil der Einzelverträge wurde, teilnichtig sind."

Begründend wurde u.a. ausgeführt, daß die Bgld GKK auf der Grundlage der für nichtig erachteten Regelung für die Abrechnungsperiode 1993/1994 bereits gegenüber 63 Vertragsärzten Rückforderungsansprüche geltend gemacht habe. Daher sei bei allen Vertragsärzten, unabhängig davon, ob sie bereits mit Rückforderungsansprüchen konfrontiert worden seien oder nicht, ein dringendes Interesse an der alsbaldigen Feststellung der Nichtigkeit der Regelung gemäß Punkt III Z2 der Zusatzvereinbarung 1993 und 1994 gegeben.

1.1.2. Die Bgld GKK erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die Zuständigkeit der Schiedskommission bestritt, die Unzulässigkeit sowohl des Feststellungsbegehrens als auch die mangelnde Aktivlegitimation der Antragsteller behauptete und den Antragstellern in der Sache selbst entgegentrat.

1.1.3. Mit Schriftsatz vom 6.2.1996 nahmen die antragstellenden Ärzte zur Gegenschrift der Bgld GKK Stellung und erweiterten ihr Bescheidbegehren um den folgenden, sich nur auf neun Ärzte, darunter die Beschwerdeführer zu B3011/96 und B3012/96, beziehenden Antrag:

"Es wird festgestellt, daß der von der Antragsgegnerin behauptete Rückforderungsanspruch für den Vertragszeitraum 1.4.1993 bis 30.6.1994 gegenüber Dr. ... mit dem Kürzungsbetrag von S 31.798,88;

...

gegenüber Dr. (Name der Beschwerdeführerin zu B3012/96) mit

dem Kürzungsbetrag von S 93.227,77;

...

gegenüber Dr. (Name des Beschwerdeführers zu B3011/96) mit

dem Kürzungsbetrag von S 124.708,87

nicht begründet ist."

1.2.1. Mit Schriftsatz vom 8.2.1996 stellten sieben weitere Vertragsärzte der Bgld GKK ein - dem oben in Punkt 1.1.1. wiedergegebenen gleichlautendes - weiteres Feststellungsbegehren.

1.2.2. Die Bgld GKK erstattete dazu eine Gegenschrift.

1.3. Mit Schriftsatz vom 3.4.1996 wurde der Schiedsantrag hinsichtlich eines Antragstellers zurückgezogen.

1.4.1. Am 15.4.1996 fand eine Sitzung der Schiedskommission statt, in welcher Einigkeit über deren Zuständigkeit nicht erzielt wurde. Mit - an den Rechtsvertreter der Antragsteller und die Bgld GKK gerichtetem - Schreiben vom 26.4.1996 teilte die Schiedskommission mit, daß es aufgrund der Stimmengleichheit zu keiner Beschlußfassung habe kommen können, weshalb die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Schiedssache gemäß §344 Abs3 ASVG an die Landesberufungskommission (im folgenden: LBK) übergehe.

1.4.2. Nachdem sie mit Schriftsätzen vom 26.4.1996 Berufung gegen einen ihrer Meinung nach in der mündlichen Verhandlung verkündeten Bescheid der Schiedskommission vom 15.4.1996 betreffend das Nichtzustandekommen einer Entscheidung über ihre Zuständigkeit erhoben hatten, richteten die verbliebenen 36 Antragsteller mit Schriftsätzen vom 20.5.1996 gemäß §344 Abs3 ASVG einen Devolutionsantrag an die LBK (für Burgenland) und begehrten, diese möge - unter Berücksichtigung der mit Schriftsatz vom 8.2.1996 erfolgten Ausdehnung des Antrags - dem Bescheidbegehren vollumfänglich stattgeben.

1.4.3. Die Bgld GKK erstattete einen Schriftsatz, in welchem sie begehrte, die LBK möge sich für unzuständig erklären, allenfalls die Anträge inhaltlich abweisen.

1.4.4. Am 25.6.1996 fand vor der LBK eine mündliche Verhandlung statt. In dieser wurde das Feststellungsbegehren eines der verbliebenen Antragsteller zurückgezogen.

1.5. Am selben Tag erließ die LBK 35 - im wesentlichen gleichlautende - Bescheide, in denen sie das Feststellungsbegehren für jeden Antragsteller einzeln erledigte. Sie erklärte sich für jeweils unzuständig und wies den je betreffenden Antrag zurück.

Begründet wurden die Entscheidungen (auf das Wesentliche zusammengefaßt) damit, daß gemäß §22 Abs1 Z1 der Schiedskommissionsverordnung iVm §345a ASVG die Landesschiedskommission zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Parteien des Gesamtvertrages über die Auslegung oder die Anwendung dieses Vertrages zuständig sei. Die Frage, ob die Honorarkürzungsregelungen im ärztlichen Gesamtvertrag diesen Teil nichtig machen, betreffe die Auslegung und Anwendung des Gesamtvertrages, nicht aber die des Einzelvertrages. Die Zuständigkeit der Schiedskommission und in zweiter Instanz der LBK bestehe aber zur Entscheidung von Streitigkeiten aus dem Einzelvertrag.

Ungeachtet des Zusammenhanges zwischen Gesamt- und Einzelvertrag habe der Gesetzgeber zwei verschiedene Kommissionen mit unterschiedlichen Kompetenzen geschaffen. Es gehe nicht an, daß Ärzte versuchten, im Umwege eines Verfahrens vor der LBK ihnen nicht genehme einzelne Bestimmungen des Gesamtvertrages als teilnichtig zu eliminieren. Das Begehren sei daher unzulässig. Werde nämlich ein Devolutionsantrag an eine unzuständige Behörde gerichtet und behaupte die Partei ausdrücklich die Zuständigkeit der angerufenen Behörde, so sei diese zur bescheidmäßigen Zurückweisung des Antrages verpflichtet.

Im übrigen sei selbst bei einer Zuständigkeit der angerufenen LBK für den (jeweiligen) Antragsteller nichts gewonnen, weil den Honorarkürzungsregelungen ersichtlich nichts Sittenwidriges anhafte und die erstrebte Teilnichtigerklärung der Honorarkürzungsregelung wegen des erklärten Vertragswillens des Sozialversicherungsträgers bzw. des Hauptverbandes aus rechtlichen Gründen nicht möglich sei. Darüber hinaus sei auch das Vorliegen eines Feststellungsinteresses zu verneinen.

2.1. Drei der Ärzte haben gegen den sie jeweils betreffenden Bescheid - die Bescheide sind bis auf die Geschäftszahlen und die Namen der Adressaten textgleich - eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde erhoben. In den bis auf die Daten der Beschwerdeführer übereinstimmenden, zu B3011/96, B3012/96 und B3013/96 protokollierten Beschwerden wird jeweils mit näherer Begründung die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.

2.2. Die belangte Behörde hat in allen drei Verfahren eine (gleichlautende) Gegenschrift erstattet, in der sie unter anderem ausführt, keine reine Formalentscheidung gefällt, sondern auch inhaltlich das Begehren als unbegründet verworfen zu haben, weshalb eine Sachentscheidung nicht zu Unrecht verweigert worden sei.

2.3. Die beteiligte Bgld GKK hat jeweils eine (gleichlautende) Äußerung erstattet. In dieser wird insbesondere dargetan, daß es des §345a ASVG und der Landesschiedskommission überhaupt nicht bedürfte, wenn mit dem abstrakten Hinweis darauf, daß der Gesamtvertrag textmäßig mit dem Einzelvertrag identisch sei, die Wirksamkeit des Gesamtvertrages durch jeden einzelnen Arzt bei der Schiedskommission angefochten werden könnte.

Die Zuständigkeit der Schiedskommission wäre allerdings dann gegeben gewesen, wenn die Antragsteller behauptet hätten, daß die Bgld GKK die Kürzungsregelungen des Gesamtvertrages falsch angewendet hätte. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen -, zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:

3.1. Die Beschwerdeführer erachten sich im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Sie sind mit diesem Vorbringen im Recht.

3.2. Das Grundrecht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird unter anderem dann verletzt, wenn die Behörde in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 11405/1987, 11496/1987, 11601/1988, 12221/1989 und 13987/1994).

Mit der Erlassung der angefochtenen Bescheide, mit welchen jeweils ein Devolutionsantrag aus dem Grunde der Unzuständigkeit zurückgewiesen wird, hätte die belangte Behörde das in Rede stehende verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht demnach dann verletzt, wenn ihre Zuständigkeit zur Entscheidung über das Begehren der Antragsteller gegeben wäre. Die Zuständigkeit zur Entscheidung über einen Antrag geht nämlich im Falle der Stellung eines Devolutionsantrages insoweit auf die angerufene Oberbehörde über, als die Entscheidung über den Antrag in deren sachlichen Wirkungsbereich fällt (VfSlg. 3931/1961).

3.3. Nach §341 Abs1 ASVG werden die Beziehungen zwischen den Trägern der Krankenversicherung und den freiberuflich tätigen Ärzten durch Gesamtverträge geregelt, die für die Träger der Krankenversicherung durch den Hauptverband mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließen sind. Bei diesen Gesamtverträgen handelt es sich um sogenannte Normenverträge (vgl. Mosler in: Strasser (Hrsg.), Arzt und gesetzliche Krankenversicherung, 1995, 110 ff. mwN): Sie determinieren den Inhalt von Einzelverträgen. So bestimmt §341 Abs3 ASVG, daß der Inhalt des Gesamtvertrages auch Inhalt des zwischen dem Träger der Krankenversicherung und dem Arzt abzuschließenden Einzelvertrages ist.

Das ASVG sieht des weiteren in seinem §344 Abs1 vor, daß zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag stehen, im Einzelfall in jedem Land eine Paritätische Schiedskommission zu errichten ist. Antragsberechtigt im Verfahren vor dieser Behörde sind der zitierten Gesetzesbestimmung zufolge die Parteien des Einzelvertrages. Die der Schiedskommission im Instanzenzug übergeordnete Behörde ist die gemäß §345 Abs1 ASVG für jedes Land auf Dauer eingerichtete Landesberufungskommission. Diese ist nach §345 Abs2 ASVG einerseits zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide der Schiedskommission und andererseits zur Entscheidung aufgrund von Devolutionsanträgen in den Fällen zuständig, in welchen eine Entscheidung der Schiedskommission aufgrund von Stimmengleichheit nicht zustande kommt und ein entsprechendes Verlangen bei der LBK eingebracht wird (§345 Abs2 Z2 iVm §344 Abs3 ASVG).

Daneben sieht das ASVG in seinem §345a Landesschiedskommissionen vor, die u.a. zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Gesamtvertrages über die Auslegung oder die Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages zuständig sind, wobei gegen die Entscheidungen dieser Behörde Berufung an die Bundesschiedskommission erhoben werden kann.

3.4. Die belangte Behörde vermeint nun in der Begründung der angefochtenen Bescheide, daß die Frage einer allfälligen Teilnichtigkeit der Honorarkürzungsregelungen im Gesamtvertrag die Auslegung und Anwendung des Gesamtvertrages betreffe und daher in die Zuständigkeit der Landesschiedskommission gehöre, nicht aber in die Kompetenz der Schiedskommission und der LBK falle.

Nun trifft es wohl zu, daß das ASVG zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten aus einem Gesamtvertrag andere Behörden als Schiedskommission und LBK vorsieht. Die Zuständigkeit von Landesschiedskommission und Bundesschiedskommission in diesen Angelegenheiten ist aber, wie sich aus dem Zusammenspiel der §§341 ff. ASVG ergibt, nur dann gegeben, wenn es sich um eine Streitigkeit zwischen den Parteien eines Gesamtvertrages handelt, also um eine solche zwischen dem für die Träger der Krankenversicherung einschreitenden Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger und einer örtlich zuständigen Ärztekammer.

Dadurch aber wird, was die belangte Behörde in ihrer Argumentation verkennt, die Anwendung und Beurteilung einzelner gesamtvertraglicher Bestimmungen, die nach §341 Abs3 ASVG Inhalt von Einzelverträgen sind, im Rahmen eines Verfahrens vor der Schiedskommission (und in weiterer Folge allenfalls der LBK) nicht ausgeschlossen:

Für die Zuständigkeit der belangten Behörde ist nicht maßgebend, aus welchen Gründen die Beschwerdeführer meinen, mit ihrem Feststellungsbegehren im Recht zu sein, sondern die Frage, ob das Begehren der Beschwerdeführer als Hauptfrage in die Zuständigkeit der belangten Behörde (bzw. der Schiedskommission in erster Instanz) fällt. Dies ist dann der Fall, wenn es sich um eine Streitigkeit handelt, die in "rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag" (§344 Abs1 erster Satz ASVG) steht. Die Formulierung des §344 Abs1 erster Satz ASVG (idF der 48. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 642/1989) ähnelt jener des §50 Abs1 Z1 ASGG (so auch ein ausdrücklicher Hinweis in den Erläuterungen zur RV der 48. Novelle zum ASVG, 1098 BlgNR XVII. GP, 17), wonach Arbeitsrechtssachen bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern "im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder dessen Anbahnung" sind (dazu vgl. Kuderna, ASGG, 21996, Anm 4 ff. zu §50), und ist daher in gleicher Weise weit auszulegen: In die Zuständigkeit der Schiedskommission fallen demnach sowohl Streitigkeiten unmittelbar aus dem Einzelvertrag, als auch jene über das gültige Bestehen oder Nichtbestehen eines Einzelvertrages einschließlich der Nachwirkungen desselben (vgl. OGH, SoSi 1991, 271). Zu den erstgenannten Streitigkeiten zählen insbesondere jene über Honorareinbehalte, Forderungsaufrechnungen, Schuldeinlösungen nach §1422 ABGB uä. (vgl. auch Souhrada, SoSi 1990, 18 ff. (20)).

Der Verfassungsgerichtshof hegt daher keine Bedenken dagegen, daß die Schiedskommission dafür zuständig ist, über Feststellungsbegehren über Rechte und Rechtsverhältnisse aus dem Einzelvertrag zu entscheiden. Dazu zählt auch die Frage, ob ein bestimmter Teil des Gesamtvertrages Teil des Einzelvertrages geworden oder ob er nichtig ist. In all diesen Fällen ist der Einzelvertrag als Grundlage der Rechtsbeziehungen zwischen dem Sozialversicherungsträger und dem Vertragsarzt rechtlicher Maßstab für die Beurteilung durch die belangte Behörde. Deshalb, weil der Inhalt des Gesamtvertrages auch Inhalt des Einzelvertrages ist, können Streitigkeiten aus dem Einzelvertrag (dh.: sofern der Streit in der Hauptsache in einem rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhang mit dem Einzelvertrag steht) auch die Auslegung und Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages zum Gegenstand haben (vgl. die Entscheidung der Bundesschiedskommission vom 16.3.1993, SSV-NF 7/A 2).

Dadurch wird aber nicht, wie die belangte Behörde meint, ihre Zuständigkeit in Frage gestellt: Soweit sie als notwendiges Element ihrer rechtlichen Beurteilung auch Fragen der Gültigkeit (und damit insoweit auch des "ob" der Einwirkung der betreffenden Bestimmungen des Gesamtvertrages auf den Einzelvertrag) zu prüfen hat, gleicht der Gegenstand ihrer rechtlichen Beurteilung zwar jenem der Landesschiedskommission (bzw. der Bundesschiedskommission) bei der Entscheidung von Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages (in diesem Sinne, wenngleich von Kompetenzüberschneidung sprechend: Mosler in: Strasser (Hrsg.), Arzt und gesetzliche Krankenversicherung, 1995, 403), freilich ohne hinsichtlich der bloß vorfrageweisen Beurteilung der Gültigkeit des Gesamtvertrages für die zur Entscheidung der Gültigkeit des Gesamtvertrages zuständige Landesschiedskommission irgendeine Bindungswirkung zu entfalten.

Sowohl eine - rechtsfeststellende - Entscheidung, daß - gegebenenfalls - zwischen den Parteien des Einzelvertrages eine Honorarkürzungsregelung wegen der Nichtigkeit der entsprechenden Regelung des Gesamtvertrages nicht besteht, als auch die Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen eines konkreten Rückforderungsanspruches der verfahrensgegenständlichen Art fällt demnach in die Zuständigkeit von Schiedskommission und LBK.

Die belangte Behörde hat daher dadurch, daß sie ihre Zuständigkeit zur Entscheidung über die Begehren der Antragsteller verneint und die an sie gerichteten Devolutionsanträge aus dem Grunde der Unzuständigkeit zurückgewiesen hat, die Beschwerdeführer in dem ihnen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Daran ändert nichts, daß die belangte Behörde, worauf sie in ihren Gegenschriften verweist, in den angefochtenen Bescheiden auch die Unbedenklichkeit der Honorarkürzungsregelungen behauptet hat, da sie den insofern eindeutigen Sprüchen und Begründungen der angefochtenen Bescheide zufolge ihre Unzuständigkeit erklärt hat und nichts darauf hindeutet, daß sie in Wahrheit eine Sachentscheidung treffen wollte.

Die Bescheide waren daher aufzuheben, ohne daß vom Verfassungsgerichtshof zu untersuchen war, ob es nicht jenen Beschwerdeführern, die bereits von konkreten Rückforderungsansprüchen betroffen sind, insoweit an einem (allgemeineren) Feststellungsinteresse ermangelt hat.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den jeweils zugesprochenen Kosten ist jeweils USt in Höhe von

S 3.000,-- enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Devolution, Behördenzuständigkeit, Auslegung eines Bescheides, Sozialversicherung, Ärzte, Vorfrage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:B3011.1996

Dokumentnummer

JFT_10019385_96B03011_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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