TE OGH 2011/3/29 5Ob172/10w

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Veröffentlicht am 29.03.2011
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Dr. Roch als weitere Richter in der außerstreitigen Wohnrechtssache der Antragstellerin A***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Heinz Bauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die Antragsgegner 1. Dr. Gerfried G*****, 2. Annaliese G*****, 3. Otto G*****, 4. Emma G***** und 5. Dr. Hans S*****, alle vertreten durch Buchberger Rechtsanwalts KG in Gmunden, und der weiteren Verfahrensparteien 1. Jörg K*****, 2. Maria Anna D*****, 3. Mag. Dr. Petra W*****, 4. Cornelius H*****, 5. Dr. Bernhard F*****, und 6. Martina F*****, wegen §§ 16 Abs 2 iVm 52 Abs 1 Z 2 WEG 2002 über den Revisionsrekurs der Antragsgegner gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 27. Mai 2010, GZ 22 R 81/10h-28, mit dem über Rekurs der Antragsgegner der Beschluss des Bezirksgerichts Gmunden vom 20. Jänner 2010, GZ 2 Msch 1/09s-21, in der Hauptsache bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Den Gegenstand des Verfahrens bildet der Antrag auf Verpflichtung der Antragsgegner, eine Änderung der Widmung zweier Wohnungseigentumsobjekte von Wohnungen in eine Arztpraxis zu dulden, dem beide Vorinstanzen stattgaben. Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zur Klärung der Fragen zu, ob bei schlüssiger Zustimmung zu einer Widmungsänderung von Wohnung auf Arztpraxis dann keine genehmigungsbedürftige weitere Widmungsänderung mehr vorliege, wenn bisher ein Wahlarzt eine Hautarztpraxis betrieb und nunmehr allenfalls auch eine Praxis für Allgemeinmedizin eines Kassenarztes betrieben werden solle; weiters, ob in einem Verfahren wegen Duldung von Widmungsänderungen gemäß § 52 Abs 1 Z 2 iVm § 16 Abs 2 Z 1 und 2 WEG 2002 nicht alle Miteigentümer am Verfahren beteiligt werden müssen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG 2005) - Ausspruch des Rekursgerichts erweist sich der Revisionsrekurs jedoch als nicht zulässig. Es werden darin nämlich keine die Anrufung des Obersten Gerichtshofs rechtfertigenden Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG 2005 aufgezeigt. Dies ist wie folgt kurz zu begründen (§ 71 Abs 3 letzter Satz AußStrG 2005):

1. Eine Neufestsetzung des Nutzwerts (vgl §§ 9, 10 WEG 2002) bildet nicht den Gegenstand des Verfahrens, sodass der darauf gerichtete Wunsch im Revisionsrekurs hier unbeachtet bleiben muss.

2. Das Rekursgericht hat unter Hinweis auf den Sachvortrag der Antragstellerin und belegt durch höchstgerichtliche Judikatur ausführlich und schlüssig begründet dargelegt, worauf der vorliegende Antrag (erkennbar) gerichtet ist (Duldung einer Widmungsänderung). Die Antragsgegner setzen sich im Revisionsrekurs mit den Argumenten des Rekursgerichts nicht substantiell auseinander, sondern unterstellen Anträge „auf Widmungsänderung“ sowie auf Unzulässigerklärung der Verweigerung der Zustimmung der Antragsgegner, die abzuweisen gewesen wären. Schon mangels gesetzmäßiger Ausführung dieser Rechtsrüge braucht darauf nicht weiter eingegangen werden (RIS-Justiz RS0043605; RS0043603 [T9]).

3.1. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass es durch jahrelange widerspruchslose Duldung der Nutzung von zwei ursprünglich als Wohnungen gewidmeten Wohnungseigentumsobjekten der Antragstellerin als eine zusammengelegte, von Montag bis Freitag jeweils drei Stunden und darüber hinaus nach Vereinbarung geöffnete Praxis einer Wahlärztin für Dermatologie zu einer konkludenten Zustimmung aller Wohnungseigentümer zur Änderung der Widmung und der Zusammenlegung gekommen sei, wird von den Antragsgegnern gar nicht beanstandet. Strittig ist nur, ob davon auch der Betrieb einer Kassenarztpraxis für Allgemeinmedizin gedeckt ist. Darin wird von den Antragsgegnern eine Änderung des Gegenstands/der Betriebsform der bisher im Wohnungseigentumsobjekt betriebenen Tätigkeit erblickt, die die Grenzen des Verkehrsüblichen überschreite.

3.2. Die Änderung eines im Geschäftslokal betriebenen Unternehmensgegenstands und seiner Betriebsform, also eine Widmungsänderung, stellt ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer oder eine diese ersetzende Zustimmung des Außerstreitrichters einen Eingriff in die Rechtssphäre der übrigen Miteigentümer dar, wenn damit eine wesentliche Interessensbeeinträchtigung der anderen Miteigentümer verbunden ist (RIS-Justiz RS0083132 [T4]); das ist dann der Fall, wenn die Grenzen des Verkehrsüblichen überschritten werden. Die Beurteilung der Verkehrsüblichkeit ist eine Frage des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0119528). Dafür räumt § 16 Abs 2 WEG 2002 einen weiten Wertungs- und Ermessensspielraum ein (RIS-Justiz RS0083309 [T16]). Solange der dem Rechtsanwender eingeräumte Ermessensspielraum nicht überschritten wird, was hier der Fall ist, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor (RIS-Justiz RS0083309 [T9]).

3.3. Das Rekursgericht ist unter Hinweis auf die täglich mehrstündigen Öffnungszeiten der im Erdgeschoß gelegenen Hautarztpraxis mit deshalb keineswegs bloß geringer Patientenfrequenz von einer konkludenten Zustimmung zum generellen Betrieb einer Arztpraxis im üblichen Rahmen ausgegangen. Wenn es deshalb auch den Betrieb einer Kassenpraxis eines Allgemeinmediziners samt den Folgen einer vermutlich höheren Patientenfrequenz als innerhalb der Grenzen des Verkehrsüblichen erachtet, kann darin kein korrekturbedürftiger Ermessensmissbrauch im vorliegenden Einzelfall erblickt werden.

Eine gravierende Änderung der Situation zum Nachteil der übrigen Wohnungseigentümer ist nämlich nicht zu erwarten: Gegen den ungehinderten Zutritt hausfremder Personen (außer Patienten) werden entsprechende technische Maßnahmen an der Hauseingangstür (wie dies ohnehin schon der Fall war) zu treffen und aufrecht zu erhalten sein, sodass eine relevante Erhöhung der Gefahr für die Sicherheit der Wohnungseigentümer und ihrer Sachen nicht anzunehmen ist. Die denkbar stärkere Verschmutzung des Zugangs zur Arztpraxis wurde nach den Feststellungen schon bisher vom Betreiber der Praxis beseitigt. Müllentsorgungsprobleme konnten nicht einmal für die Vergangenheit festgestellt werden. Schließlich wurde eine erhebliche Lärmbelästigung durch Zu- und Abfahrten von Patienten weder in erster Instanz behauptet noch erscheint dies lebensnah.

4. Die Ausführungen im Revisionsrekurs zur Notwendigkeit der Beteiligung aller Wohnungseigentümer am Verfahren übergehen, dass das Erstgericht - wie schon im Verbesserungsauftrag vom 21. 10. 2010 dargestellt - der Parteistellung aller Wohnungseigentümer insofern Rechnung getragen hat, dass es den von der Antragstellerin nicht einbezogenen Wohnungseigentümern nachträglich iSv § 52 Abs 2 Z 3 WEG 2002 Gelegenheit zu Sachvorbringen gab und seinen Sachbeschluss sowie den Rekurs der Antragsgegner (auch) durch Hausanschlag iSv § 52 Abs 2 Z 4 WEG 2002 zustellte. Die vorerst unterbliebene Zustellung der Rekursentscheidung und des Revisionsrekurses an die Verfahrensparteien 1. bis 6. wurde mittlerweile nachgeholt.

5. Der Revisionsrekurs erweist sich demgemäß als unzulässig.

Die Antragstellerin hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung gemäß § 37 Abs 3 Z 17 MRG (iVm § 52 Abs 2 WEG 2002) selbst zu tragen, weil sie auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses nicht hingewiesen hat (RIS-Justiz RS0122294).

Schlagworte

Außerstreitiges Wohnrecht

Textnummer

E97112

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0050OB00172.10W.0329.000

Im RIS seit

18.05.2011

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2014
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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