Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj N*****, geboren am *****, vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung für den 12., 13. und 23. Bezirk), 1230 Wien, Rößlergasse 15, wegen Unterhaltsvorschuss, infolge Revisionsrekurses des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. Februar 2011, GZ 45 R 77/11y-50, womit infolge Rekurses des Kindes der Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 23. Dezember 2010, GZ 21 Pu 118/10t-40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der am 2. 12. 2008 geborene mj N***** ist österreichischer Staatsbürger und lebt bei seiner Mutter in Wien.
Am 25. 3. 2009 brachte er beim Erstgericht einen Antrag auf Feststellung der Vaterschaft, verbunden mit einem Antrag auf Festsetzung von Unterhalt ein.
Mit Beschluss des Erstgerichts vom 17. 4. 2009 wurde das Verfahren auf Festsetzung des Unterhalts im Hinblick auf das Verfahren über den Antrag auf Feststellung der Vaterschaft gemäß § 25 Abs 2 AußStrG unterbrochen und ausgesprochen, dass das Verfahren auf Antrag fortgesetzt werde, wenn die Gründe für die Unterbrechung weggefallen seien.
Mit Beschluss vom 27. 7. 2010 stellte das Erstgericht zu GZ 21 Fam 7/09g-41 die Vaterschaft des A***** zum mj N***** fest. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.
Mit Beschluss vom 6. 9. 2010, GZ 21 Pu 118/10t-23, wurden dem Minderjährigen monatliche Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 4 UVG in Richtsatzhöhe (180 EUR) von 1. 7. 2010 bis 30. 6. 2015 gewährt.
Am 10. 12. 2010 forderte das Erstgericht den durch den Jugendwohlfahrtsträger vertretenen Minderjährigen auf, das unterbrochene Unterhaltsverfahren fortzusetzen (ON 37).
In seinem Schreiben vom 16. 12. 2010 (ON 39) teilte der Minderjährige bzw dessen Vertreter mit, keinen Fortsetzungsantrag zu stellen. Als Begründung wird ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 4 UVG auch nach rechtskräftiger Beendigung des Vaterschaftsfeststellungsverfahrens bis zur rechtskräftigen Beendigung des damit verbundenen Unterhaltsverfahrens zu gewähren seien.
Mit Beschluss vom 23. 12. 2010 stellte daraufhin das Erstgericht die Unterhaltsvorschüsse mit Ablauf des 30. 9. 2010 ein. Rechtlich ging es davon aus, dass zwar nach der bisherigen Rechtsprechung Vorschüsse nach § 4 Z 4 UVG nicht nur bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens zur Feststellung der Abstammung des Kindes zu gewähren seien, sondern (darüber hinaus) bis zur rechtskräftigen Beendigung des mit dem Vaterschaftsfeststellungsverfahren verbundenen Unterhaltsfestsetzungsverfahrens. Da der Minderjährige einen Fortsetzungsantrag unterlassen habe, könne das Unterhaltsfestsetzungsverfahren zu keinem rechtskräftigen Abschluss kommen. Diese Situation entspreche nicht der vom Gesetzgeber verfolgten Zielrichtung des UVG, weshalb die Unterhaltsvorschüsse gemäß § 20 UVG einzustellen seien.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Minderjährigen nicht Folge. Es erachtete den ordentlichen Revisionsrekurs mit der Begründung für zulässig, dass keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage bestehe, ob im Fall einer gemäß § 25 AußStrG erfolgten Unterbrechung des Unterhaltsfestsetzungsverfahrens bei Verweigerung der Stellung eines Fortsetzungsantrags nach rechtskräftigem Abschluss des Vaterschaftsfeststellungsverfahrens weiterhin die Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 4 2. Satz UVG gegeben seien. Rechtlich ging das Rekursgericht davon aus, dass die amtswegige Fortsetzung des Unterhaltsfestsetzungsverfahrens nicht in Betracht komme, sondern dessen Fortsetzung nur auf Antrag einer Partei möglich sei. Werde - trotz Wegfall des Unterbrechungsgrundes und ausdrücklicher Aufforderung - der Fortsetzungsantrag nicht gestellt, könne dies nicht dazu führen, dass die Voraussetzungen der auf § 4 Z 4 UVG gestützten Unterhaltsvorschussgewährung weiterhin als gegeben anzusehen wären. Wenngleich Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 4 UVG bis zur rechtskräftigen Beendigung des Unterhaltsbemessungsverfahrens zu gewähren seien, müsse dieses Verfahren gehörig fortgesetzt werden. Die Unterlassung der Stellung eines Fortsetzungsantrags trotz Wegfalls des Unterbrechungsgrundes komme einem Stillstand des Unterhaltsverfahrens gleich bzw einer der Beendigung des Unterhaltsverfahrens gleichzusetzenden Situation. Die Einstellung der Vorschüsse sei deshalb gerechtfertigt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Minderjährigen ist aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
Der Revisionsrekurswerber macht im Wesentlichen geltend, eine Fortsetzung des Unterhaltsverfahrens scheine zum jetzigen Zeitpunkt aussichtslos; eine Präzisierung des Unterhaltsantrags sei derzeit nicht möglich, weil weder eine Tätigkeit des in Deutschland wohnenden Vaters, noch dessen Einkommen bekannt sei. Aus dem Abstammungsverfahren ergebe sich, dass er behördliche Schriftstücke nicht entgegennehme. Selbst bei Weiterführung des Unterhaltsverfahrens wäre es deshalb nicht möglich gewesen, einen rechtskräftigen Unterhaltstitel gegen ihn zu erwirken. § 4 Z 4 UVG sei nicht in dem Sinn auszulegen, dass die Weiterführung des Unterhaltsverfahrens in jedem Fall zu beantragen sei. Aus keiner im UVG enthaltenen Regelung ergebe sich, dass eine Fortsetzung des Unterhaltsverfahrens erforderlich sei, um in den Genuss von Vorschüssen nach § 4 Z 4 UVG zu gelangen. Die Voraussetzungen für die Einstellung der Unterhaltsvorschüsse nach § 20 UVG Abs 1 Z 4 lit c UVG lägen nicht vor, weil weder der Unterhaltsantrag zurückgenommen, noch ein Unterhaltsvergleich seine Wirkung verloren habe.
Dazu ist auszuführen:
1. Nach § 4 Z 4 UVG idF des AußStr-BegleitG BGBl I 2003/112 sind Vorschüsse zu gewähren, wenn die Abstammung eines Kindes in erster Instanz festgestellt und ein Antrag auf Unterhaltsfestsetzung bereits eingebracht worden oder für den Fall der Feststellung der Abstammung des Kindes ein gerichtlicher Vergleich abgeschlossen worden ist. Derartige Vorschüsse sind in Richtsatzhöhe zu erbringen (begrenzt durch die im Unterhaltsantrag oder im gerichtlichen Unterhaltsvergleich festgelegte Höhe - § 5 Abs 4 UVG). Sie dürfen nur „bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens zur Feststellung der Abstammung des Kindes gewährt werden“ (§ 8 2. Satz UVG). Diese Wortfolge wurde aber von der Rechtsprechung zur Vermeidung einer Schutzlücke über ihren Wortlaut hinaus dahin verstanden, dass damit das gesamte in § 4 Z 4 UVG umschriebene Verfahren gemeint ist, nämlich das Verfahren über die Klage auf Feststellung der Vaterschaft zu einem unehelichen Kind und das damit verbundene Unterhaltsbegehren (RIS-Justiz RS0102082). Diese Rechtsprechung ist auch nach den Novellierungen durch das AußStr-BegleitG und das FamRÄG 2009 und der sich daraus ergebenden zunehmenden gesetzlichen Verbesserung der Rechtsstellung des Kindes fortzuschreiben (10 ObS 86/10k). Ist also das Verfahren über die Feststellung der Abstammung des Kindes bereits rechtskräftig beendet, nicht aber das (bis dahin unterbrochene) Unterhaltsverfahren, gebühren grundsätzlich weiterhin Richtsatzvorschüsse nach § 4 Z 4 UVG.
2. Das UVG ist ganz allgemein von dem Grundsatz beherrscht, dass die Vorschussleistung aus öffentlichen Mitteln an die Stelle der vom Unterhaltspflichtigen geschuldeten, wenn auch betraglich noch nicht festgesetzten Leistung zu treten hat (RIS-Justiz RS0076258). Nach der Intention des Gesetzgebers soll die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nur ein letztes Mittel zur Sicherung des Unterhalts minderjähriger Kinder sein. Der Unterhaltsberechtigte (sein Vertreter) soll deshalb grundsätzlich zuerst die nach geltendem Recht bestehenden Möglichkeiten zur Durchsetzung seines Unterhaltsanspruchs ausschöpfen (ErläutRV 5 BlgNR 14. GP 10). Dieser Grundsatz gilt auch für sogenannte „Richtsatzvorschüsse“ (1 Ob 531/90). Zwar haben die Bestimmungen des UVG den Zweck, einem Pflegebefohlenen möglichst rasch zu seinem Unterhalt zu verhelfen. Unterhaltsansprüche sollen daher unter Vermeidung unnötigen Verwaltungs- und Prüfaufwands rasch und unbürokratisch befriedigt werden (Neumayr in Schwimann ABGB3 § 4 UVG Rz 10). Das kann aber nicht dazu führen, dass der Versuch einer Unterhaltsfestsetzung überhaupt unterbleiben kann, obwohl keine konkreten Bedenken bestehen, dass in absehbarer und zumutbarer Zeit ein entsprechender Titel geschaffen werden könnte. Wenngleich das UVG aus sozialpolitischen Erwägungen geschaffen worden ist, handelt es sich bei den Vorschüssen um keine Sozialleistung des Staates, sondern um die vorläufige Erfüllung der Unterhaltspflicht durch einen Dritten (1 Ob 531/95 mwN).
2.1. In diesem Sinn wurde zum Unterhaltsvorschussbezug nach § 4 Z 2 UVG (Aussichtslosigkeit der Titelschaffung oder Erhöhung) bereits ausgesprochen, dass ein Fortbezug von Leistungen nach dem UVG trotz Unterbleibens zumutbarer Bemühungen um die Schaffung eines Exekutionstitels gegen den Unterhaltsschuldner Rechtsmissbrauch bedeutet, der auch von Amts wegen aufzugreifen ist und die Weitergewährung hindert (RIS-Justiz RS0076105; Neumayr aaO § 4 UVG Rz 38). Der Unterhaltsberechtigte hat das für eine Unterhaltsfestsetzung oder Unterhaltserhöhung Erforderliche und Zumutbare zu unternehmen (RIS-Justiz RS0076105 [T6]), dies selbst dann, wenn die Lebensverhältnisse des Unterhaltsschuldners ungewiss sind, sein Aufenthalt unbekannt ist und deshalb eine Kuratorbestellung notwendig ist. Bestünde keine Pflicht des Kindes, sich um eine Titelschaffung zu bemühen, könnte es möglicherweise in relativ einfacher Weise Richtsatzvorschüsse erhalten, die potentielle Titelvorschüsse übersteigen (Neumayr aaO).
3. Im Sinne dieser Erwägungen kann sich im vorliegenden Fall der Kläger die Voraussetzungen des § 4 Z 4 UVG für die Gewährung der Richtsatzvorschüsse nicht dadurch erhalten, dass er nach Vorliegen der rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren über die Feststellung der Abstammung einen Fortsetzungsantrag lediglich aus dem Grund unterlässt, um weiterhin in den Genuss des Bezugs von Richtsatzvorschüssen nach § 4 Z 4 UVG zu kommen. Aufgrund der Subsidiarität der Vorschussgewährung gegenüber der Hereinbringung der Geldunterhaltsleistungen sind er und sein Vertreter zur Verhinderung rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme der Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 4 UVG nicht von der Verpflichtung enthoben, die Feststellung der aktuellen Lebensverhältnisse des Unterhaltsschuldners zu versuchen.
4. Dieser Versuch der Unterhaltsfestsetzung könnte nur dann unterbleiben, wenn er bei objektiver Voraussicht von vornherein nach der Aktenlage praktisch aussichtslos ist (RIS-Justiz RS0076105). In erster Instanz hat der Minderjährige die Aussichtslosigkeit der Titelschaffung aber nicht behauptet; diese Behauptung stellte er erstmals im Rekurs auf (und wiederholte sie im Revisionsrekurs). Da die diesem Vorbringen zu Grunde liegenden Tatsachen jedoch schon zur Zeit des Beschlusses erster Instanz vorhanden waren und schon vor der erstinstanzlichen Beschlussfassung vorgebracht hätten werden können, stellt dieses Vorbringen eine unzulässige Neuerung dar, sodass darauf nicht einzugehen ist (§ 49 Abs 2 AußStrG).
5. Die Vorschusseinstellungsgründe sind in § 20 Abs 1 UVG erschöpfend aufgezählt (2 Ob 5/07k, RIS-Justiz RS0077219 [T1] = SZ 2007/111). Ein Versagungs- oder Einstellungsgrund für den Fall, dass sich der Unterhaltsberechtigte nicht intensiv um die Schaffung eines Unterhaltstitels bemüht, ist nicht normiert (Neumayr aaO § 4 UVG Rz 38). Auch ein - in Betracht kommender - Einstellungsgrund nach § 20 Abs 1 Z 4 lit c UVG ist nicht vorgelegen. Nach dem Akteninhalt hat der Kläger seinen Unterhaltsfestsetzungsantrag weder zurückgezogen, noch liegt ein für den Fall der Feststellung der Abstammung abgeschlossener Unterhaltsvergleich vor, der seine Wirksamkeit verloren hat.
5.1. Im Fall einer planwidrigen Gesetzeslücke ist eine Ausdehnung der Einstellungsgründe nach § 20 Abs 1 Z 4 lit c UVG durch Analogie aber nicht ausgeschlossen (RIS-Justiz RS0077219). Gemessen an der Absicht des Gesetzgebers erweisen sich im Hinblick auf den vorliegenden Fall die im UVG enthaltenen Einstellungsgründe als unvollständig:
Wie sich aus § 20 Abs 1 Z 4 lit c UVG ergibt, erachtete der Gesetzgeber die Weitergewährung von Richtsatzvorschüssen nach § 4 Z 4 UVG dann als nicht gerechtfertigt, wenn ein Zusammenhang mit der bestehenden Unterhaltspflicht gelöst ist (Neumayr aaO § 20 UVG, Rz 17), so wenn das Kind den Unterhaltsfestsetzungsantrag zurückgezogen hat oder ein Unterhaltsvergleich unwirksam geworden ist. Eine der Rücknahme des Unterhaltsantrags vergleichbare Situation ist aber auch dann gegeben, wenn das Unterhaltsverfahren nach Vorliegen der rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellung der Abstammung allein deshalb unerledigt bleibt, weil das Kind einen Fortsetzungsantrag unterlässt, um weiterhin in den Genuss der Richtsatzvorschüsse zu kommen. Auch in diesem Fall ist der Zusammenhang mit einer bestehenden Unterhaltspflicht - gleichermaßen wie in den vom Gesetzgeber in § 20 Abs 1 Z 4 lit c explizit genannten Fällen - gelöst. Da der geregelte und der ungeregelte Fall in den maßgeblichen Voraussetzungen übereinstimmen, ist der in § 20 Abs 1 Z 4 lit c UVG geregelte Einstellungsgrund der Rücknahme des Unterhaltsfestsetzungsantrags analog auch auf den Fall anzuwenden, dass das Kind bzw dessen Vertreter nach Vorliegen der rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellung der Abstammung die Stellung eines Fortsetzungsantrags im unterbrochenen Unterhaltsfestsetzungsverfahren zu dem Zweck unterlässt, um weiterhin Richtsatzvorschüsse nach § 4 Z 4 UVG zu beziehen.
5.2. Zum Zeitpunkt der Einstellung mit Ablauf des September 2010 enthält der Revisionsrekurs keine Ausführungen.
Zusammenfassend erweist sich der Revisionsrekurs des Minderjährigen als nicht berechtigt.
Schlagworte
UnterhaltsrechtTextnummer
E97668European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2011:0100OB00043.11P.0531.000Im RIS seit
24.07.2011Zuletzt aktualisiert am
18.09.2013