TE AsylGH Erkenntnis 2008/08/13 S7 312046-2/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.08.2008
beobachten
merken
Spruch

GZ: S7 312046-2/2008/2E ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Lassmann als Einzelrichterin über die Beschwerde des K.I., 00.00.1954 geb., StA. staatenlos alias Serbien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.07.2008, Zahl 08 05.593 EAST-Ost zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 und 10 AsylG idF BGBL. I Nr 100/2005 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.

 

Der Beschwerdeführer K.I., nach eigenen Angaben ein ehemaliger Staatsangehöriger Serbiens und nunmehr staatenlos, stellte in Österreich am 10.04.2007 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Nach der Einleitung von Konsultationen gemäß der Dublin II-VO seitens des Bundesasylamtes, erteilte Ungarn mit Schreiben vom 27.04.2007 die Zustimmung zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers gem. Art. 16 Abs. 1 Dublin II-VO.

 

Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde seitens der Erstinstanz mit Bescheid vom 07.05.2007, Zahl 07 03.456-EAST Ost, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ohne in die Sache einzutreten als unzulässig zurückgewiesen und wurde Ungarn gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) für zuständig erklärt. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ungarn ausgewiesen und wurde seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in letztgenannten Mitgliedstaat gemäß § 10 Abs. 4 AsylG für zulässig erklärt.

 

Gegen diesen erstinstanzlichen Bescheid erhob der Berufungswerber mit Schreiben vom 14.05.2007 fristgerecht Berufung.

 

Mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26.06.2007, Zahl 312.046-1/2E-VI/18/07 wurde die Berufung des K.I. vom 14.05.2007 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.05.2007, Zahl 07 03.456-EAST Ost, gemäß §§ 5 und 10 AsylG abgewiesen.

 

Nach seiner Überstellung nach Ungarn, reiste der Beschwerdeführer am 29.06.2008 erneut mit dem Zug von Debrecen illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 30.06.2008 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz.

 

Als Fluchtgrund nannte der Beschwerdeführer, er sei während des Krieges gegen Kroatien aus der ehemaligen jugoslawischen Armee desertiert. Deshalb sei ihm die serbische Staatsbürgerschaft aberkannt worden und habe er daher mit seiner Familie nicht mehr in Serbien leben können. Aufgrund dessen, hätte er gemeinsam mit seiner Familie vor fünfzehn Jahren Serbien in Richtung Ungarn verlassen. Da über seine Asylanträge in Ungarn immer wieder negativ entschieden worden wäre, habe er sich entschieden, nach Österreich zu kommen. Zudem sei Ungarn ein gesetzloses Land. Jemand der kein Geld besitze, bekomme auch kein Asyl. Zudem hätte Ungarn die Ehe des Beschwerdeführers zerstört. Zwar sei er noch mit seiner Gattin verheiratete, sie habe sich allerdings bereits vor zehn Jahren vom Beschwerdeführer getrennt. Ungarn hätte dem Beschwerdeführer in keinerlei Hinsicht geholfen.

 

Am 02.07.2008 wurde seitens des Bundesasylamtes ein Wiederaufnahmeersuchen betreffend den Beschwerdeführer gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates an Ungarn abgefertigt.

 

Über die Führung von Konsultationen mit Ungarn, wurde der Beschwerdeführer am 04.07.2008 informiert.

 

Mit Erklärungen vom 08.07.2008 übermittelte Ungarn die Zustimmung zur Rückübernahme des Beschwerdeführers gem. Art. 16 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II).

 

Der Antrag auf internationalen Schutz des K.I. wurde seitens der Erstinstanz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ohne in die Sache einzutreten als unzulässig zurückgewiesen und wurde Ungarn gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) für zuständig erklärt. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ungarn ausgewiesen und seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in letztgenannten Mitgliedstaat gemäß § 10 Abs. 4 AsylG für zulässig erklärt.

 

Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht werden konnten, dass der Beschwerdeführer tatsächlich konkret Gefahr liefe, in Ungarn Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihm eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohen könnte.

 

Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer mit Schriftstück vom 29.07.2008 fristgerecht Beschwerde.

 

Darin wird im Wesentlichen vom Beschwerdeführer behauptet, dass er nicht nach Ungarn zurückkehren wolle, da ihm dort sein Leben zerstört worden sei. Weiters solle er aus Ungarn nach Serbien abgeschoben werden. Der Beschwerdeführer führte in seiner Beschwerde weiters ins Treffen, dass er weder eine Bleibe, noch einen eigenen Staat habe. Neue Fakten wurden darüber hinaus vom Beschwerdeführer nicht dargelegt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch die zuständige Richterin über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

Die Identität des Beschwerdeführers steht mangels Vorlage von als unbedenklich zu qualifizierenden Personaldokumenten nicht fest.

 

Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

Nicht festgestellt werden kann, dass ein Familienleben des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 8 EMRK zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich besteht.

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt das Konsultationsverfahren mit Ungarn aufgrund der plausiblen Angaben des Beschwerdeführers zu dessen Reiseweg eingeleitet. Mit der Mitteilung von Ungarn zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführer wurden die Angaben des Beschwerdeführes bestätigt. Es ist somit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer über Ungarn in die Europäische Union einreiste.

 

In den Art. 5ff der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates werden die Kriterien aufgezählt, nach denen der zuständige Mitgliedstaat bestimmt wird.

 

Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates lautet, wie folgt:

 

"Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylwerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts."

 

Der Beschwerdeführer reiste von einem Drittland kommend illegal nach Ungarn und letztlich nach Österreich, sodass gem. Art. 10 Abs. 1 leg. cit. Ungarn zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist.

 

Lediglich der Vollständigkeit halber ist ergänzend auszuführen, dass selbst für den Fall, dass die sich aus Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates ergebende Zuständigkeit Ungarns für die Prüfung des Asylantrags nicht bestünde, letztlich gem. Art 13 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates doch wieder die Zuständigkeit Ungarns zur Prüfung des Asylantrags gegeben wäre, da der Beschwerdeführer zuerst in Ungarn einen Asylantrag stellte und Art. 13 normiert, dass, falls sich anhand der Kriterien der Verordnung nicht bestimmen lässt, welchem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags obliegt, der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig ist.

 

Gemäß Artikel 16 Abs. 1 lit. e der VO (EG) Nr. 343/2003 des Rates ist der Mitgliedstaat, der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, gehalten, einen Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag er abgelehnt hat und der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Artikel 20 wieder aufzunehmen.

 

Dem Bundesasylamt ist nun darin beizupflichten, dass der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückzuweisen ist. Denn einerseits ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt die Zuständigkeit Ungarns gemäß Art. 10 Abs. 1 iVm Art. 16 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates.

 

Aus folgenden Gründen kann nicht angenommen werden, dass Österreich im gegenständlichen Fall verpflichtet wäre, von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Gebrauch zu machen:

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK:

 

Es leben keine Familienangehörigen des Beschwerdeführers in Österreich. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl 1802, 1803/06-11). Dies wurde vom Beschwerdeführer von sich aus zu keinem Zeitpunkt behauptet.

 

Kritik am ungarischen Asylwesen, mögliche Verletzung des Art. 3

EMRK:

 

Relevant wären im vorliegenden Zusammenhang schon bei einer Grobprüfung erkennbare grundsätzliche schwerwiegende Defizite im Asylverfahren des zuständigen Mitgliedstaates (also etwa:

grundsätzliche Ablehnung aller Asylanträge oder solcher bestimmter Staatsangehöriger oder Angehöriger bestimmter Ethnien; kein Schutz vor Verfolgung "Dritter", kein Rechtsmittelverfahren). Solche Mängel (die bei einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht vorausgesetzt werden können, sondern zunächst einmal mit einer aktuellen individualisierten Darlegung des Antragstellers plausibel zu machen sind, dies im Sinne der Regelung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005) sind schon auf Basis der erstinstanzlichen Feststellungen nicht erkennbar und auch in der Beschwerde nicht substantiiert vorgebracht worden.

 

Das Argument des Beschwerdeführers, dass jemand der kein Geld besitze, in Ungarn auch kein Asyl bekäme, ist nicht haltbar. Das Vorbringen des Beschwerdeführers läuft darauf hinaus, dass von vorneherein und ohne jegliche konkrete Belege (die im Lichte des § 5 Abs 3 AsylG und der zum Zeitpunkt des EU-Beitrittes erfolgten normativen Vergewisserung über die "Sicherheit" der neu beitretenden Mitgliedstaaten- wenn sie nicht notorisch sind - aber vom Asylwerber vorzulegen sind und diesfalls nicht eine explorative Erhebungsverpflichtung der Asylbehörden im Sinn eines Erkundungsbeweises besteht) aus der aktuellen Asylpraxis in Ungarn vorweisen zu können, die Annahme gerechtfertigt wäre, dass alle Asylverfahren in Ungarn die europäischen Menschenrechtsstandards qualifiziert unterschreiten. Wäre dies aber der Fall, wären die gemeinschaftsrechtlich zuständigen europäischen Organe verpflichtet, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einzuleiten, da Ungarn so nicht Mitglied der EU, als auch einer dem Menschenrechtsschutz verpflichteten europäischen Wertegemeinschaft, sein dürfte. Für eine derartige Sichtweise bestehen aus Sicht des Asylgerichtshofes aber keine Anhaltspunkte.

 

Der Beschwerdeführer konnte keine besonderen Gründe, die für eine reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK in Ungarn sprechen, glaubhaft machen, weshalb die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005, wonach ein Asylwerber in einem "Dublinstaat" Schutz vor Verfolgung findet, greift.

 

Medizinische Aspekte:

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Ungarn nicht zulässig wäre, wenn dort wegen fehlender Behandlung schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation drohen und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf die jüngste diesbezügliche Rechtsprechung des EGMR zur Frage einer ausreichenden medizinischen Behandlung in Zusammenhang mit Art. 3 EMRK zu verweisen:

 

GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06

 

AYEGH gg. Schweden, 07.11.2006, Rs 4701/05

 

PARAMASOTHY gg. NIEDERLANDE, 10.11.2005, Rs 14492/03

 

RAMADAN & AHJREDINI gg. Niederlande, 10.11.2005, Rs 35989/03

 

HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05

 

OVDIENKO gg. Finnland, 31.05.2005, Rs 1383/04

 

AMEGNIGAN gg. Niederlande, 25.11.2004, Rs 25629/04

 

NDANGOYA gg. Schweden, 22.06.2004, Rs 17868/03

 

Aus dieser Rechtsprechung ergeben sich folgende Judikaturlinien:

 

Der Umstand, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland schlechter sind als im Aufenthaltsland, und allfälligerweise "erhebliche Kosten" verursachen, ist nicht ausschlaggebend. In der Entscheidung HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05 wurde die Abschiebung des am Down-Syndrom leidenden Beschwerdeführers nach Bosnien-Herzegowina für zulässig erklärt und wurde ausgeführt, dass die Möglichkeit der medizinischen Versorgung in Bosnien-Herzegowina gegeben sei. Dass die Behandlung in Bosnien-Herzegowina nicht den gleichen Standard wie in Schweden aufweise und unter Umständen auch kostenintensiver sei, sei nicht relevant. Notwendige Behandlungsmöglichkeiten wären gegeben und dies sei jedenfalls ausreichend. Im Übrigen hielt der Gerichtshof fest, dass ungeachtet der Ernsthaftigkeit eines Down-Syndroms, diese Erkrankung nicht mit den letzten Stadien einer tödlich verlaufenden Krankheit zu vergleichen sei. Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen, bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. In der Beschwerdesache OVDIENKO gg. Finnland vom 31.05.2005, Nr. 1383/04, wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der seit 2002 in psychiatrischer Behandlung war und der selbstmordgefährdet ist, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine ist kein ausreichendes "real risk".

 

Auch Abschiebungen psychisch kranker Personen nach mehreren Jahren des Aufenthalts im Aufenthaltsstaat können in Einzelfällen aus öffentlichen Interessen zulässig sein (vgl. PARAMSOTHY gg. Niederlande, 10.11.2005, Rs 14492/05; mit diesem Judikat des EGMR wurde präzisiert, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach neunjährigem Aufenthalt in den Niederlanden, welcher unter posttraumatischem Stresssyndrom leidet und bereits einen Selbstmordversuch hinter sich hat, zulässig ist, da spezielle Programme für Behandlungen von traumatisierten Personen und verschiedene therapeutische Medizin in Sri Lanka verfügbar sind, auch wenn sie nicht den selben Standard haben sollten wie in den Niederlanden).

 

In besonderem Maße instruktiv für die Frage, ob eine posttraumatische Belastungsstörung oder andere schwere psychische Erkrankungen einer Abschiebung in den Herkunftsstaat entgegenstehen, sind die beiden erst jüngst ergangenen Entscheidungen AYEGH gg. Schweden, 07.11.2006, Rs 4701/05 und GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06.

 

Im ersteren Fall ging es um eine iranische Asylwerberin, bei der von zwei psychiatrischen Gutachtern unabhängig von einander schwere psychische Störungen in Gestalt von schweren Depressionen, akuten Selbstmordgedanken und ein multikausales Trauma infolge diverser Erlebnisse diagnostiziert worden war. Ein Gutachter war zu dem Ergebnis gekommen, dass für die Beschwerdeführerin im Falle einer Abschiebung in den Iran ein reales Risiko eines Selbstmordes bestand. Die gegen die Abschiebung der Beschwerdeführerin in deren Herkunftsstaat Iran erhobenen Beschwerde mit der Begründung eine solche verstoße infolge des schlechten Gesundheitszustandes der BW gegen Art. 3 EMRK, wies der EGMR ab.

 

Der Entscheidung GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06 lag ua. der Fall zugrunde, dass der Zweitbeschwerdeführer - ein russischer Asylwerber, der drei(!) Selbstmordversuche begangen bzw. mehrere Aufenthalte in der Psychiatrie hinter sich hatte und dem von Gutachern einhellig ein schwere psychische Erkrankung ua. in Gestalt einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie eine akute Selbstmordgefährdung bescheinigt worden war - seine Abschiebung nach Russland mit dem Hinweis auf seinen schlechten und infolge aktueller Suizidgefahr lebensbedrohlichen Gesundheitszustand in Beschwerde zog. Auch diese Beschwerde wies der EGMR mit einer über weite Strecken identen Begründung wie in der Entscheidung AYEGH gg. Schweden ab.

 

Die dargestellten Entscheidungen zeigen deutlich, dass bei Vorliegen von Erkrankungen im Allgemeinen nur solche relevant sind, die bekanntermaßen zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen und grundsätzlich keine Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bestehen (siehe dazu nunmehr auch VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9).

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR leitet sich der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab ab. Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

Im vorliegenden Fall konnte vom Beschwerdeführer keine schwere psychische Krankheit belegt werden, respektive die Notwendigkeit weitere Erhebungen seitens des Asylgerichtshofes. Zusätzlich ist auf die Feststellungen der Erstbehörde zur medizinischen Versorgung in Ungarn zu verweisen, aus denen hervorgeht, dass Asylwerber in Ungarn Zugang zu umfangreicher medizinischer Versorgung haben. Sollte ein Asylwerber Anspruch auf Versorgungsmaßnahmen verlieren, steht ihm dennoch weiterhin medizinische Notversorgung zu. Bei nicht behandelbaren Krankheiten in den Krankenstationen der Aufnahmezentren, erfolgt eine Verbringung ins Krankenhaus. Psychisch kranke Asylwerber werden maßgeblich durch die ungarische Nichtregierungsorganisation Cordela unterstützt. In den Flüchtlingslagern arbeiten Vertragspsychiater. In der psychiatrischen Spezialabteilung in Debrecen, steht ein Psychiater permanent ganztätig zur Verfügung.

 

Es besteht somit in Ungarn eine medizinische und psychologische Versorgung, die jedenfalls im Lichte der Judikatur des EGMR zu Krankheiten eine existenzbedrohende Gefährdung von psychisch kranken Personen qualifiziert unwahrscheinlich erscheinen lässt. Der Asylgerichtshof verkennt dabei nicht, dass es in der medizinischen Versorgung in Ungarn (wie in vielen anderen Staaten) Verbesserungsbedarf gibt, dies tangiert jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 3 EMRK.

 

Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art 3 Abs 2 VO 343/2003 infolge drohender Verletzung von Art 3 oder Art 8 EMRK zu verpflichten.

 

Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Ungarn in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

Gemäß § 41 Abs 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Insofern die Erstinstanz innerhalb der Beweiswürdigung ihrer Entscheidung offenbar irrtümlich zweimal Polen und einmal Afghanistan statt Ungarn angibt, ist festzuhalten, dass es sich hierbei um offensichtliche Schreibfehler handelt und ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Entscheidung des Bundesasylamtes eindeutig, dass der Mitgliedstaat Ungarn gemeint ist.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, medizinische Versorgung, real risk
Zuletzt aktualisiert am
17.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten