D4 315.202-1/2008/7E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Scherz als Kammervorsitzende und den Richter Dr. Kuzminski als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Mag. Pfleger über die Beschwerde des K.V., geb. 00.00.1997, StA. Kirgisistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.09.2007, FZ. 07 07.289-BAG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 31.07.2008 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben und K.V. gemäß §§ 3 und 34 AsylG 2005 i.d.g.F. der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Absatz 5 AsylG 2005 i.d.g.F wird festgestellt, dass K.V. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein kirgisischer Staatsbürger und Angehöriger der russichen Volksgruppe ist russisch-orthodoxen Bekenntnisses, war im Heimatstaat zuletzt wohnhaft in Bischkek, reiste am 10.8.2007 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 10.8.2007 durch seine Mutter als gesetzliche Vertreterin einen Asylantrag.
Vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West, am 20.8.2007 sowie vom Bundesasylamt, Außenstelle Graz, am 27.9.2007 im Beisein eines Dolmetschers der russischen Sprache einvernommen, wurde als Fluchtgrund von der Mutter des Beschwerdeführers im Wesentlichen angegeben, dass in Kirgisistan um den 25.4.2007 eine Revolution stattgefunden hätte und die Familie der Beschwerdeführerin deshalb Bischkek verlassen und zu ihrer Schwiegermutter gefahren wäre. In diesem Zeitraum sei die Wohnung ausgeraubt und sämtliche Dokumente gestohlen worden. Eine Anzeige sei von der Polizei zu diesem Zeitpunkt wegen personeller Engpässe nicht entgegengenommen worden. Später hätte ihr Ehemann Anrufe von unbekannten Personen erhalten, die ihm mitgeteilt hätten, dass er ihnen die Wohnung überlassen solle und die versucht hätten ihn einzuschüchtern und zu bedrohen. Sie hätten Anzeige bei der Polizei erstattet und ihr Ehemann sei daraufhin zusammengeschlagen worden, weshalb er die Anzeige wieder zurückgezogen hätte. Von den Anrufern sei ihrem Ehemann eine Frist zur Übergabe der Wohnung gesetzt worden. Aus diesem Grund hätte sie mit ihren zwei minderjährigen Söhnen Anfang Juli Kirgisistan verlassen. Ihr Ehemann und ihr volljähriger Sohn hätten beabsichtigt ihnen zu folgen.
Mit dem nunmehr angefochtenen oben angeführten Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.9.2007 abgewiesen. Von der Mutter des Antragstellers seien keine asylrelevanten Gründe geltend gemacht worden und würde keine gegen den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohung im des § 50 Abs. 1 und 2 FPG 2005 würde vorliegen. Die Ausweisung aus Österreich und Abschiebung sei somit zulässig. Weiters wurde festgehalten, dass zur Kernfamilie der Beschwerdeführer, dessen Mutter K.N. (D 4 315.203-1/2008) und der Bruder K.M. (D 4 315.201-1/2008) zählen würde.
Um Wiederholungen zu vermeiden wird auf die Feststellungen der Erstbehörde zum Herkunftsstaat im angefochtenen Bescheid verwiesen. Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass die Feststellung betreffend der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur Kernfamilie zu erfolgen hätten. In der rechtlichen Beurteilung wurde auf § 34 Asylgesetz verwiesen. Sämtlichen Mitgliedern der Kernfamilie des Beschwerdeführers wurde weder Asyl noch subsidiärer Schutz aufgrund eines Familienverfahrens gewährt.
Dagegen wurde innerhalb offener Frist unter Verweis auf die Beschwerde der Mutter des Beschwerdeführers Beschwerde erhoben.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
Festgehalten wird, dass nunmehr zum Entscheidungszeitpunkt des Asylgerichtshofes zusätzlich zu den gegen die die erstinstanzlichen Bescheide - betreffend K.N. (D 4 315.203-1/2008), K.M. (D 4 315.201-1/2008) und K.V. (D 4 315.202-1/2008) - erhobenen Beschwerden auch die Beschwerde des erst später nach Österreich eingereisten Vaters K.A. (D4 316.818-1/2008) - ebenfalls Mitglied der Kernfamilie - verbunden behandelt wird.
Der Asylgerichtshof gab in seinem Bescheid vom 21.08.2008, D4 316818-1/2008/7E der gegen den erstinstanzlichen Bescheid des Vaters des Beschwerdeführers erhobenen Beschwerde sowie in seinem Bescheid vom 21.08.2008, D4 315203-1/2008/7E der gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Mutter des Beschwerdeführers erhobenen Beschwerde gemäß § 3 AsylG statt und stellte fest, dass dieser die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
Die soeben angeführten Feststellungen ergeben sich aus dem Asylakt und den Angaben der Eltern des Beschwerdeführers.
III. Rechtlich ergibt sich folgendes:
Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG sind beim Unabhängigen Bundesasylsenat am 01.07.2008 anhängige Verfahren in denen bis zu diesem Zeitpunkt keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, vom dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senat des Asylgerichtshof weiterzuführen.
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
§ 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 besagt:
Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Gemäß Abs. 5 leg. cit. ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die
Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Flüchtling ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "begründete Furcht vor Verfolgung."
Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht, (zB VwGH vom 19.12.1995, 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998, 98/01/0262).
Die gesetzliche Vertreterin brachte in dem für den Beschwerdeführer gestellten Antrag keine eigenen Fluchtgründe für diesen vor.
§ 34 Abs. 1 AsylG lautet:
"Stellt ein Familienangehöriger (§ 2 Z 22) von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist; einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes."
Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Artikel 8 EMRK mit dem Familienangehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist.
Gemäß Abs. 4 leg. cit. hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.
Familienangehörige sind gemäß § 2 Z 22 AsylG, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Familiengemeinschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.
Entscheidungsrelevante Tatbestandsmerkmale sind "die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art 8 MRK", der Umstand, dass dieses Familienleben mit dem Angehörigen in einem anderen Staat nicht zumutbar ist und das dem Antragsteller nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
Bei dem Begriff "Familienleben im Sinne des Art 8 MRK" handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention (vgl. EGMR, Urteil v. 13.6.1997, Fall MARCKX, Ser. A, VOL. 31, Seite 14, § 31).
Nach dem oben zitierten EGMR-Urteil sind sowohl die Beziehungen der Eltern untereinander, als auch jeweils jene zu den Kindern durch Art 8 MRK geschützte familiäre Bande. Bei einer diesbezüglichen Familie ergeben sich die von der MRK-Rechtsprechung zusätzlich geforderten engen Bindungen der Familienmitglieder untereinander aus ihrem alltäglichen Zusammenleben, gemeinsamer Sorge und Verantwortung füreinander, sowie finanzieller und anderer Abhängigkeit.
Wie den oben getroffenen Feststellungen zu entnehmen ist, ist der Beschwerdeführer der minderjährige Sohn von N. und K.A.. Beiden wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes (315.203-1/2008; 316.818-1/2008) der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
Da den Eltern des Beschwerdeführers Asyl gewährt wurde und überdies keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass den Eltern des Beschwerdeführers ein Familienleben mit dem Antrag stellenden Angehörigen in einem anderen Staat möglich wäre, war dem Beschwerdeführer gemäß § 34 Abs. 2 AsylG Asyl zu gewähren.