D4 262147-0/2008/20E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Scherz als Vorsitzende und den Richter Dr. Kuzminski als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Mag. Pfleger über die Beschwerde der D.T., geb. 00.00.1968, StA. Russische Föderation (Tschetschenien), gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.06.2005, FZ. 04 02.176-BAI, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.08.2008 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben und D.T. gemäß § 7 AsylG 1997 i. d.F. BGBl I 126/2002 Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG 1997 i.d.F. BGBl I 126/2002 wird festgestellt, dass D.T. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang
Die beschwerdeführende Partei führt nach eigenen Angaben den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, ist muslimischen Bekenntnisses, war im Heimatstaat zuletzt unsteten Aufenthalts, reiste am 08.02.2004 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 09.02.2004 einen Asylantrag.
Vom Bundesasylamt, Außenstelle Innsbruck, am 14.06.2005 im Beisein eines Dolmetschers der russischen Sprache einvernommen, wurde als Fluchtgrund im Wesentlichen Folgendes angegeben:
Die Beschwerdeführerin sei verheiratet gewesen. Auf Grund der Tatsache, dass sie nach einer Operation keine Kinder mehr bekommen hätte können, hätte sich ihr Ehemann im Jahr 1992/1993 von ihr getrennt. Die gemeinsame Tochter hätte bei ihrem Vater sowie den Schwiegereltern der Beschwerdeführerin gelebt - dies deshalb, da nach den Gesetzen in Tschetschenien die Kinder nach einer Trennung bei ihrem Vater zu leben hätten. Die Beschwerdeführerin hätte dies nicht akzeptiert und immer wieder ihre Tochter aus der Familie ihres Mannes weggeholt. Aus diesem Grund hätte es Streit gegeben. Der Kindsvater hätte die Tochter immer wieder zurückgeholt. Der Ehemann der Beschwerdeführerin sei 2002 verstorben, die Tochter hätte weiterhin bei den Schwiegereltern der Beschwerdeführerin gelebt. Die Tochter der Beschwerdeführerin hätte ein Kopftuch tragen und sich verhüllen müssen, weil die Familie streng gläubig wäre. Aus diesem Grund hätte die Beschwerdeführerin im Jahr 2003 ihre Tochter entführt, um gemeinsam mit ihr leben zu können. Vor der Geburt ihrer Tochter und danach von 1994 bis 1996 hätte die Beschwerdeführerin in einem Krankenhaus gearbeitet, im Anschluss daran auf einem Markt Kosmetikartikel vertrieben. Sie wäre aus Angst, dass ihre Schwiegereltern ihre Tochter wieder zu sich holen würden, nach Österreich gekommen. Weiters hätte sie Angst, dass sie im Falle ihrer Rückkehr in einem tschetschenischen Lager arbeiten müsste.
Mit dem nunmehr angefochtenen oben angeführten Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.06.2005 wurde der Asylantrag abgewiesen, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung für zulässig erklärt und die Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. In der Bescheidbegründung wurde ausgeführt, dass sämtliche, von der Beschwerdeführerin für ihre Ausreise geltenden Gründe glaubwürdig seien - d.h. der geschilderte Sachverhalte den Tatsachen entspricht. In rechtlicher Hinsicht wurde jedoch ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin kein Vorbringen über eine Verfolgung aus in der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählten Gründen erstattet hätte, d.h. dass die Beschwerdeführerin keine entsprechenden Verfolgungshandlungen gegen sich glaubhaft machen hätte können.
Um Wiederholungen zu vermeiden wird auf die Feststellungen der Erstbehörde zum Herkunftsstaat im angefochtenen Bescheid verwiesen.
Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist berufen. In der Berufung sowie den nachfolgenden Berufungsergänzungen führte die Beschwerdeführerin zusätzlich zu den schon in der Ersteinvernahme erfolgten Angaben aus, dass bei der Trennung von ihrem Gatten, der am ersten Tschetschenienkrieg teilgenommen hätte, nur das Urteil des "Ältesten Rat" und die Scharia-Gesetze gegolten hätten. Eine Anzeigeerstattung - in Bezug auf den Aufenthalt ihrer Tochter beim Vater - bei der Polizei wäre sinnlos gewesen, da dort aufgrund der Stellung der Frauen in Tschetschenien keine Hilfe zu erwarten gewesen wäre. Eine Mitarbeiterin des zuständigen Familiengerichtes hätte versucht - auf Grund der Vorsprache der Beschwerdeführerin - mit dem Ehemann der Beschwerdeführerin eine Einigung herbei zu führen. Dieser hätte daraufhin gedroht, die Beschwerdeführerin umzubringen. Nach dieser Drohung hätte sie ihre Tochter zu sich genommen und wäre geflohen. Der Aufenthaltsort sei nur ihrem Vater bekannt gewesen - ihr früherer Mann hätte jedoch auf das Haus ihrer Eltern geschossen, weshalb der Vater aus Angst ihren Aufenthalt verraten hätte. Ihr Mann hätte ihr somit die Tochter wieder weggenommen und mitgeteilt, dass sie ihre Tochter nie wieder sehen würde.
Die Beschwerdeführerin hätte in einem Spital gearbeitet, welches in weiterer Folge zu einem "Kriegsspital" umgebaut worden wäre, sodass sie auch Uniformierte hätte versorgen müssen.
Aufgrund des Aufenthaltes bewaffneter Männer im Haus ihres Ehemannes hätte sie nicht zu ihrer Tochter gelangen können. Sie hätte versucht, ihre Tochter in der Schule in Grozny zu treffen. Die Tochter sei verängstigt und verwahrlost gewesen und hätte große Angst vor ihr gehabt. Der Tochter sei untersagt worden mit ihr zu sprechen, ihr früherer Mann sei ständig betrunken und bewaffnet gewesen. Ihre Tochter sei der Situation hilflos ausgeliefert gewesen. Im Jahr 2002 sei ihr Ehemann exekutiert worden. Zu diesem Zeitpunkt seien Säuberungswellen im Gange gewesen und aufgrund ihrer Beschäftigung in einem Krankenhaus, sei sie dadurch gefährdet gewesen. Sie hätte sich aus diesem Grunde ständig an wechselnden Orten versteckt. Ihre Tochter sei immer seltener zur Schule gegangen. Seit dem Verschwinden ihres früheren Mannes hätte sich dessen Bruder mit Wahabiten im Haus aufgehalten. Die Tochter hätte große Angst vor ihrem Onkel gehabt. Der Schwager der Beschwerdeführerin hätte ihr gesagt, dass sie die Tochter unter keinen Umständen wieder zurück erhalten würde. Nach Auskunft der Tochter der Beschwerdeführerin sei der Bruder ihres Gatten drogensüchtig gewesen, er hätte seine Mutter geschlagen, die Tochter der Beschwerdeführerin mitten in der Nacht zum Kochen und Putzen geweckt und hätte ihr auch vor die Füße auf den Boden geschossen. Darüber hinaus hätte er sie sexuell missbraucht. Der Schwager der Beschwerdeführerin hätte den Schulbesuch der Tochter verhindern und aus der Tochter eine typische wahabitische Frau machen wollen, um sie so bald wie möglich zu verheiraten. Er hätte gedroht, sie mit seinem Freund zu verheiraten. Die Beschwerdeführerin selbst hätte er als Schlampe bezeichnet, da sie kein Kopftuch tragen würde.
Darüber hinaus hätte die Beschwerdeführerin große Angst, dass sie wegen ihrer Tätigkeit im Krankenhaus während des ersten Tschetschenienkrieges nunmehr verschleppt werden würde. Nach dem ersten Tschetschenienkrieg sei ein Foto von ihr angefertigt worden, weil sie später einen Preis für ihre Hilfeleistungen erhalten hätte sollen. Mit diesem Foto hätte sie zum Preiskomitee gehen müssen. Es würden somit offensichtlich Aufzeichnungen über ihre Tätigkeit im Spital bestehen.
Als der Bruder ihres früheren Mannes kurz weggefahren sei, hätte sie ihre Tochter gerettet und sei mit ihr geflüchtet. Ihre Tochter und sie seien den Wahabiten und den russischen Soldaten völlig schutz- und hilflos ausgeliefert gewesen. Die Antragstellerin gehöre somit der sozialen Gruppe der allein stehenden Frauen in Tschetschenien an. Überdies hätte sie Angst vor ethnischen Säuberungen und ein weiterer Verbleib sei auf Grund der ständigen drohenden Übergriffe nicht zumutbar. Auch eine innerstaatliche Fluchtalternative würde nicht bestehen.
Anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung am Asylgerichtshof am 20.08.2008, zu der sich ein Vertreter der Erstbehörde entschuldigen ließ, führte die Beschwerdeführerin zu ihrer Flucht im Wesentlichen folgendermaßen aus:
Auf Grund einer Operation sei sie unfruchtbar geworden, weshalb ihr Mann sie ständig verprügelt und verhöhnt hätte. Die gemeinsame Tochter sei zuvor 1991 zur Welt gekommen. Sie hätte mit ihrer Tochter ihren Mann verlassen, er hätte sich jedoch die Tochter mit Gewalt zurückgeholt. Die Tochter sei nunmehr beim Ehemann geblieben. Nach islamischem Recht hätte die Ehefrau im Falle einer Scheidung nicht das Recht ihr Kind zu behalten. Mit Unterstützung des Jugendamtes hätte sie versucht, durch Vorlage diverser medizinischer Befunde, das Kind zurück zu erhalten. Ihr Mann sei nicht zu Hause gewesen, die Schwestern des Mannes hätten jedoch verhindert, dass sie ihr Kind mitgenommen hätte (Herbst 1991). Die Beschwerdeführerin selbst hätte Angst vor ihrem Mann und dessen Familie gehabt. Vor dem ersten Tschetschenienkrieg hätte sie ihre Tochter entführt und sei in das Gebiet Krasnodar umgezogen. Ihr Mann hätte mit Gewalt vom Vater der Beschwerdeführerin ihren Aufenthaltsort sowie den ihrer Tochter herausgefunden und ihr das Kind ca. 1993 wieder weggenommen. Der Ehemann sei im ersten Tschetschenienkrieg Widerstandskämpfer gewesen, die Tochter sei zu diesem Zeitpunkt bei ihm geblieben. Die Beschwerdeführerin hätte versucht in der Öffentlichkeit mit ihrer Tochter Kontakt aufzunehmen und sämtliche Informationen über sie zu erhalten. Ihre Tochter hätte sie nicht erkannt und hätte Angst vor ihr gehabt. Der Ehemann der Beschwerdeführerin und sein Bruder hätten der Tochter schreckliche Dinge über sie erzählt, damit das Kind keinen Kontakt zu ihr suchen würde. Als der Ehemann der Beschwerdeführerin von der Kontaktaufnahme erfahren hätte, hätte er den Schulbesuch der Tochter verhindert. Die Beschwerdeführerin hätte zwischen 1999 und 2002 deshalb keinen Kontakt zu ihrer Tochter gehabt. Im Jahr 2002 hätte sie erfahren, dass ihr Ehemann getötet worden sei und hätte aus diesem Grund ihre Tochter aus dem Haus ihres verstorbenen Gatten holen wollen. In diesem Haus hätten jedoch zu diesem Zeitpunkt auch der Bruder des Ehemannes der Beschwerdeführerin und ihre Schwiegermutter gelebt. Der Bruder des Ehemannes hätte sie beleidigt und ihr gedroht, sie in die Luft zu sprengen, wenn sie sich dem Haus nähern würde. Sie hätte weiterhin versucht, mit der Tochter in Kontakt zu bleiben. Die Tochter sei nur noch Haut und Knochen gewesen, hätte fürchterlich ausgesehen und sei vom Onkel sexuell belästigt worden. Über diese sexuelle Belästigung hätte ihr ihre Tochter erzählt und diese hätte so große Angst gehabt, dass sie sich unter dem Bett versteckt und dort geschlafen hätte. Sie sei jetzt noch psychisch traumatisiert. In Österreich sei sie in psychologischer Behandlung gewesen. Noch heute sei die Tochter in der Nacht panisch, wenn sich etwas rund um sie bewegen würde.
Der Schwager der Beschwerdeführerin hätte die Schulausbildung der Tochter verhindern und sie verheiraten wollen. Er hätte sie auch geschlagen, sie hätte Hausarbeiten verrichten müssen, sich verschleiern müssen. Die Tochter hätte ihr erzählt, dass immer wieder bewaffnete Leute im Haus gewesen seien und um sich geschossen hätten - der Schwager der Beschwerdeführerin hätte ihre Tochter einmal in der Nacht zu einem Friedhof gebracht, sie dort verhöhnt und wahllos herumgeschossen.
Ihr Schwager sei ein bekennender Wahabit, er würde sich auch nach diesem Ritus kleiden. Seiner Ansicht nach würden Frauen keine Bildung benötigen und müssten den Schleier tragen. Er hätte auch bereits eine siebenjährige Haftstrafe wegen Vergewaltigung in Russland verbüßt. Auf die Frage, warum der Schwager trotz seines streng muslimischen Glaubens Alkohol konsumieren würde, führte die Beschwerdeführerin aus, dass er drogensüchtig sei.
Anzeige hätte sie deshalb keine erstattet, weil sie selbst vor den Russen Angst gehabt hätte. Selbst wenn sie mit den Russen kooperiert hätte, wäre sie von Tschetschenen getötet worden. Sie hätte Ende September 2004 von der Nachbarin erfahren, dass ihr Schwager nicht zu Hause sei, hätte das Kind mit dem Taxi abgeholt, sei zu einer Freundin gefahren um sich dort mit dem Kind zu verstecken. Am nächsten Tag sei sie mit ihrer Tochter mit dem Zug über Inguschetien nach Europa gefahren.
Derzeit stünde sie nur mit ihrer Schwester in telefonischem Kontakt. Ihr Schwager hätte sie des Öfteren bei ihrem Vater gesucht, diesen bedroht und auch gedroht, dass er sie überall finden und umbringen würde. Er hätte auch gedroht, ihrer Tochter etwas anzutun. Ihr Schwager würde auch sicherlich von anderen Wahabiten bei einer Verfolgung unterstützt werden, da eine Frau für Wahabiten nichts bedeuten würde.
Als weiteren Grund für ihre Flucht führte sie an, dass sie während des ersten Tschetschenienkrieges als Krankenschwester in einem Krankenhaus auch mit der Versorgung Verwundeter beschäftigt gewesen sei. In dem Krankenhaus seien auch Verwundete versorgt worden. Das Krankenhaus sei bombardiert worden. Sie hätte dafür nach dem Krieg bereits zu einem Zeitpunkt, als die Unabhängigkeit Tschetscheniens ausgerufen war, eine Auszeichnung erhalten (1997). Sie hätte als Mitwirkende im tschetschenischen Widerstandskampf gegolten. Die Dokumente über die Auszeichnung seien - als die Verwaltung an Russland übergegangen sei - wieder an die Russen übergeben worden. Auch in einem tschetschenischen Fernsehsender hätte man sich für ihren Einsatz für die tschetschenische Sache bedankt. Sie hätte auch für diese Auszeichnung ein Foto von ihr in Uniform im Büro der Bezirksverwaltungsbehörde abgeben müssen. Sie sei auch während des ersten Tschetschenienkrieges mit den tschetschenischen Widerstandskämpfern in den Bergen gewesen. Dort hätte sie in einem Keller als Krankenschwester gearbeitet und Verwundete versorgt. Die Russen hätten jeden, der die Rebellen unterstützt hätte, gekannt. Sie würde davon ausgehen, dass es Spione gegeben hätte, die sie namentlich den Russen bekannt gegeben hätten. Die Russen seien immer wieder zum Vater der Beschwerdeführerin gekommen und hätten sie dort gesucht, dieser hätte jedoch vorgetäuscht, dass sie im Krieg verschwunden sei. Dies sei auch der Grund für ihren unsteten Aufenthalt gewesen. In Österreich würde sie derzeit fallweise für die Caritas arbeiten.
Im Rahmen der Verhandlung wurde die Tochter zu den Aussagen ihrer Mutter befragt und bestätigte deren Aussagen. Die Tochter selbst würde im nächsten Schuljahr die Handelsakademie besuchen und derzeit bereits als Dolmetsch arbeiten.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht nachstehender entscheidungswesentliche Sachverhalt als erwiesen fest:
1. Zur Person:
Die beschwerdeführende Partei ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, ist muslimischen Bekenntnisses, war im Heimatstaat zuletzt unsteten Aufenthalts, reiste am 08.02.2004 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 09.02.2004 einen Asylantrag.
Die Beschwerdeführerin wurde in der Stadt Grozny am 00.00.1968 geboren.
Die Beschwerdeführerin war verheiratet und ist Mutter einer im Jahr 1991 geborenen Tochter. Sie ist seit einer Operation unfruchtbar - dies war 1991 für ihren Mann ein Trennungsgrund. Das gemeinsame Kind blieb aufgrund der in Tschetschenien geltenden Rechtslage beim Vater. Die Beschwerdeführerin versuchte erfolglos im Wege des Jugendamtes die Obsorge über ihre Tochter zu erhalten. Aus diesem Grund entführte sie vor dem ersten Tschetschenienkrieg ihre Tochter. Ihr Ehemann bedrohte den Vater der Beschwerdeführerin, erfuhr dadurch den Aufenthaltsort von Ehefrau und Kind und brachte die Tochter wieder in seine Obhut (1993). Der Ehemann der Beschwerdeführerin war Widerstandskämpfer im ersten Tschetschenienkrieg.
Die Beschwerdeführerin nahm in der Öffentlichkeit - z.B. vor der Schule,...- Kontakt mit ihrer Tochter auf, weshalb der Vater des Kindes den Schulbesuch der Tochter verhinderte. Zwischen der Beschwerdeführerin und ihre Tochter bestand zwischen 1999 und 2002 kein Kontakt. Im Jahr 2002 starb der Ehemann der Beschwerdeführerin und diese wollte ihre Tochter - aus dem Haus des verstorbenen Ehemannes weg - zu sich holen. Dort lebte nunmehr der drogensüchtige Bruder des Ehemannes, ein streng gläubiger Wahabit. Dieser misshandelte seine Nichte, wollte sie zu einer streng muslimischen Frau erziehen, mit einem Freund verheiraten und missbrauchte das Mädchen sexuell. Im September 2004 entführte die Beschwerdeführerin ihre Tochter, zu einem Zeitpunkt als der Schwager nicht zu Hause war, und reiste mit ihr nach Europa aus.
Der Schwager der Beschwerdeführerin sucht derzeit sowohl die Beschwerdeführerin als auch deren Tochter und befragte deshalb wiederholt den Vater der Beschwerdeführerin hinsichtlich deren Aufenthaltsortes. Dort drohte er, dass er die Beschwerdeführerin überall finden und sie und ihre Tochter umbringen würde. Der Schwager der Beschwerdeführerin erhält bei seiner Suche Unterstützung von anderen Wahabiten.
Die Beschwerdeführerin war vor und während des ersten Tschetschenienkrieges Krankenschwester in einer Klinik, in welcher Verwundete versorgt wurden und als Sanitäterin bei den Widerstandskämpfern in den Bergen (Krasnodar) tätig. Sie hätte nach der Unabhängigkeit Tschetscheniens eine Auszeichnung für ihre Tätigkeit im Krankenhaus erhalten sollen und musste dafür persönliche Unterlagen inklusive Foto (in Uniform) bei der Bezirksverwaltungsbehörde abgeben. In einer Sendung auf einem tschetschenischen privaten Fernsehsender bedankte man sich bei ihr persönlich für ihren Einsatz. Die Beschwerdeführerin ist aus diesem Grund den russischen Behörden bekannt. Sie wird von den russischen Behörden gesucht - immer wieder auch bei ihrem Vater, der vortäuscht, dass die Beschwerdeführerin im Krieg verschwunden ist. Das war auch der Grund für ihren unsteten Aufenthalt.
Die Beschwerdeführerin hat aus Furcht vor Verfolgung - sowohl durch russische Behörden als auch durch Wahabiten - Tschetschenien verlassen.
2. Zur den Wahabiten und zur Lage in Tschetschenien wird Folgendes festgestellt:
Der Name Wahabiten geht auf einen gewissen Mohamad Alwahab zurück, der im 18. Jahrhundert den Islam von vorislamischen lokalen Traditionen reinigen wollte und den Islam in seiner "reinen" Form, wie er zur Zeit des Prophet Mohameds existierte, propagierte und nachträgliche Einflüsse und Veränderungen nach dem Tod des Propheten ablehnte. Diese islamische Richtung ist in Saudi-Arabien, Afghanistan und dem Sudan Staatsreligion und wird diese Lehre im Laufe der 90er Jahre - mit kräftiger Unterstützung aus Saudi-Arabien - auch in den moslemischen Gebieten der ehemaligen Sowjetunion, propagiert und die Errichtung von Moscheen finanziert. In praktisch jedem im Nordkaukasus von Muslimen bewohnten Dorf wurde die Erbauung von Moscheen schnell vorangetrieben. In Tschetschenien fußt der Islam auch auf lokalen Traditionen, insbesondere werden lokale Scheichs verehrt und wird nicht nur zu Allah, sondern auch zu Mohamed und den jeweiligen Scheichs gebetet. Rein äußerlich zeigt sich der Unterschied vor allem darin, dass die Wahabiten fordern, dass Frauen einen Tschador und Männer einen Bart tragen und ein asketisches Leben, wie die Taliban in Afghanistan, führen sollen. Die Wahabiten lehnen weiters Heiligenverehrungen, Gesänge und Tänze auf Hochzeiten und Beerdigungen, sowie vor allem die Scheichs, die an der Spitze der Suffi-Orden stehen, und insgesamt die traditionelle, geistliche Hierarchie, ab und ähneln in ihren Zielsetzungen und ihrer Struktur anderen fundamentalistischen moslemischen Bewegungen, wie den Moslembrüdern in Ägypten und der islamischen Heilsfront in Algerien. Ende etwa 1997/1998 dürfte der berüchtigte Emir Chattab eine Militärschule in der Nähe von Bujnaksk errichtet haben, wo er "Brüder" für den "Jihad" ausbildete. Die wahabistischen Kämpfer bildeten so eine Art "Staat im Staate". Nichts desto trotz verbreitete sich der Wahabismus über die islamischen russischen Republiken, allen voran jene des Nord Kaukasus.
Der anfangs von ethnischen Hintergründen geprägte erste Tschetschenienkrieg mit dem Ziel, Tschetschenien in die Unabhängigkeit zu führen, entwickelte sich zu einem breiteren islamischen Konflikt unter dem Einfluss der internationalen islamischen Gemeinschaft, die Geld und Soldaten für den Kampf bereit stellte. Die aktuelle Situation Tschetscheniens beginnt sich nunmehr zu normalisieren. Föderale wie lokale Regierungen sind übereingekommen, alle Moslems als potentiell radikal zu betrachten und haben zunehmend begonnen, den Islam als Ganzes zurückzudrängen
Weit verbreitete Korruption und Armut innerhalb der Region haben den Zugang zum radikalen Islam gefördert, die Arbeitslosenrate lag im Juli 2006 in Tschetschenien bei 65 %. Weite Teile der Bevölkerung führen diese Armut auf die Bestechlichkeit lokaler Regierungsbeamten und örtlicher Regierungen zurück. Seitdem Anhänger des radikalen Islam die Linie vertreten, dass Diebstahl und Korruption nicht toleriert werden würden, haben sich ihnen viele junge Männer zugewandt, weil sie darin eine Alternative für eine hoffnungsvolle Existenz sehen.
2. Zu Tschetschenien
2.1. Chronologie der Geschehnisse
Die Tschetschenen sind bei weitem die größte der zahlreichen kleinen Ethnien im Nordkaukasus. Ihre historisch verwurzelten Unabhängigkeitsbestrebungen führten in jüngster Geschichte zu zwei Kriegen mit dem föderalen Zentrum Russlands. Der erste Tschetschenienkrieg (1994 - 1996) endete mit einer de facto Unabhängigkeit der Teilrepublik. In der darauf folgenden Phase war die Situation in Tschetschenien durch heftige innere Machtkämpfe, islamistische Tendenzen, die Einführung einer rückständigen Version der Sharia-Gerichtsbarkeit, hohe und über die Grenzen der Republik ausstrahlende Drogenkriminalität, Entführungen und Übergriffe bewaffneter tschetschenischer Banden auf Nachbarrepubliken gekennzeichnet. Zur instabilen Lage trug indes auch die systematische Isolierung Tschetscheniens, die Nichterfüllung der Wiederaufbau-Verpflichtungen aus dem Friedensvertrag durch Moskau sowie die allumfassende Korruption, an der der Wiederaufbau bis heute scheitert, bei.
Im Oktober 1999 begann der so genannte "Zweite Tschetschenienkrieg", im offiziellen russischen Sprachgebrauch als "Antiterroristische Operation" bezeichnet. Nach Ende der offenen Kämpfe im Frühjahr 2000 und der Einsetzung einer Moskau-freundlichen Übergangsverwaltung wurden die vorherige tschetschenische Regierung unter dem 1997 gewählten Präsidenten MASCHADOW und deren Sicherheitskräfte zu "Rebellen". Diese gingen mit Sprengstoffanschlägen, Feuerüberfällen, Hubschrauberabschüssen und Geiselnahmen aus dem Untergrund gegen die - aus ihrer Sicht - russischen "Besatzer" vor.
Bisher ist es den russischen Sicherheitskräften nicht gelungen, die Rebellen militärisch auszuschalten. Die Rebellen scheinen gegenwärtig zwar nicht imstande, die Verhältnisse zu ihren Gunsten umzustürzen, können den asymmetrischen Kampf aber noch längere Zeit führen. Achillesferse der tschetschenischen Verwaltung ist die mangelnde breite Abstützung als Folge ausbleibender Integration anderer Interessengruppen und fehlender Rechtssicherheit.
Obwohl die Rebellen um Dokku Umarow den Anspruch vertreten, die "Tschetschenische Republik Itschkeria (TschRI)" fortzuführen, bestehen effektiv keine quasi-staatlichen Strukturen. Sie beherrschen keine Region. Vielmehr lancieren sie vor allem vom schwer zugänglichen, bewaldeten Bergland aus nadelstichartige Anschläge und Hinterhalte. Menschenrechtsverletzungen werden auch den Rebellen zur Last gelegt. Grundsätzlich sind alle Gruppierungen unter dem Aspekt der Asylunwürdigkeit als problematisch einzustufen.
"Starker Mann" in der Republik ist der Sohn des ermordeten Präsidenten, Ramsan KADYROW, Vizepremier und Befehlshaber über den Sicherheitsdienst, der am 15. Februar 2007 mittels von Präsident Wladimir Putin unterzeichnetem Dekret als amtierender Präsident der Tschetschenischen Republik bestätigt wurde.
Dessen Mitarbeiter, den so genannten "Kadyrowzy" werden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Entführungen, Morde) zur Last gelegt. KADYROWS Stellung wurde durch die Parlamentswahlen in Tschetschenien vom 27. November 2005 gestärkt, die mit einem deutlichen Sieg der kremlnahen Partei "Einiges Russland" endeten. Menschenrechtler kritisierten, dass es bei diesen Wahlen massive Unregelmäßigkeiten gegeben habe. Seit dem Mord an Ahmed KADYROW nahmen die Auseinandersetzungen zwischen den Rebellen und den russischen/tschetschenischen Sicherheitskräften an Umfang und Schärfe zu. Die Kette der durch die Rebellen verübten Terror- und Selbstmordanschläge in- und außerhalb Tschetscheniens reißt nicht ab
2.2. Verfolgungsgefahr, Humanitäre Lage und Versorgung
Die Sicherheit der Zivilbevölkerung in Tschetschenien ist nicht gewährleistet. In den Gebieten, in denen sich russische Truppen aufhalten, leidet die Bevölkerung einerseits unter den ständigen Razzien, "Säuberungsaktionen", Plünderungen und Übergriffen durch russische Soldaten und Angehörige der Truppe von Ramsan KADYROW, andererseits unter Guerilla-Aktivitäten und Geiselnahmen der Rebellen. Menschenrechtsorganisationen berichten von zahlreichen Fällen von "Verschwindenlassen" von Zivilisten. In der Folge der Geiselnahme im Moskauer Musiktheater "Nord-Ost" (Oktober 2002), hatte der Verteidigungsminister umgehend breit angelegte, harte "Säuberungsoperationen" in ganz Tschetschenien angekündigt. Die Operationen standen unter der Leitung des stellvertretenden Oberbefehlshabers der föderalen Truppen. Es wurde systematisch Ortschaft für Ortschaft von bewaffneten Kräften (Streitkräfte, innere Truppen und Spezialkräfte der Geheimdienste) umstellt und durchsucht. Wenige Tage nach Beginn der Operation wurden Argun, Berkart-Jurt, sowie zahlreiche kleinere Ortschaften in den Bezirken Grosny, Schalinskij und Wedenskij von Sicherheitskräften umstellt, durchsucht und bereits über 5.000 "Verdächtige" zeitweise interniert. Seit Jahresbeginn 2005 verstärken die tschetschenischen und föderalen Sicherheitskräfte ihre Aktivitäten gegen die Rebellen, insbesondere in den tschetschenischen Grenzgebieten zu den nordkaukasischen Nachbarrepubliken, in denen eine Zunahme von Überfällen durch Guerilla-Kämpfer festzustellen war. Dabei sollen nach amtlichen Angaben in den ersten drei Monaten des Jahres 2005 über 40 tschetschenische Kämpfer getötet und etwa 100 gefangen genommen worden sein. Menschenrechter kritisieren, dass die Behörden wahllos Flüchtlinge unter Druck setzen und kriminalisieren. Der Europakommissar für Menschenrechte, Thomas Hammarberg mahnte die Strafverfolgungsbehörden, Anklage in Bezug auf die begangen Verbrechen zu erheben und ein besonderes Augenmerk auf die verschwundenen Personen zu werfen. In Gesprächen mit Personen, welche in tschetschenischen Gefängnissen inhaftiert gewesen seien, sei ihm in vermehrtem Ausmaß bewusst geworden, dass Folter und Misshandlungen durch die "föderalen oder republiktreuen Hüter des Gesetzes" Gang und Gebe seien
Die Menschenrechtslage in Tschetschenien ist nach wie vor katastrophal. Das Verschwinden lassen von Zivilisten, Personen, die verdächtigt werden, auf der tschetschenischen Seite zu kämpfen bzw. von deren Angehörigen ist an der Tagesordnung. Für die Betroffenen wird es immer schwieriger, zwischen den einzelnen Tätergruppen zu unterscheiden, was die Suche nach den Verschwundenen lange und kompliziert macht. Auch Angehörige tschetschenischer Kampfeinheiten liquidieren immer wieder Personen, die in der pro-russischen Verwaltung arbeiten bzw. zur pro-russischen Miliz übergewechselt sind. Vielfach sind diese Milizionäre in abgelegenen Dörfern stationiert, wo sie leicht zur Zielscheibe von tschetschenischen Kämpfern werden können.
"Verschwundene" werden in illegalen Haftanstalten, wie in den Kellern von Polizeistationen, so genannten Filtrationslagern, in ausrangierten Zugwaggons, der russischen Militärbasis in Khankala und regulären Gefängnissen festgehalten.
In einer offiziellen Aussendung des europäischen Komitees zur Prävention von Folter und unmenschlicher oder diskriminierender Behandlung heißt es, dass die Effektivität der Einvernahmen durch Misshandlungen erzwungen werde. Die Misshandlungen erreichten mehrmals eine solche Intensität, dass von einem Grad gesprochen werden kann, welcher der Folter nahe kommt. Aus den Informationen der zwei Ad-Hoc-Besuche im Jahr 2006 kann geschlossen werden, dass bisher keine ausreichenden Maßnahmen gesetzt wurden, um den Menschenrechtsverletzungen der Handlanger des ORB-2-Büros ein Ende zu setzen.
Schwere Verbrechen und Vergehen werden auch von Seiten der Rebellen begangen. Neben den aufsehen erregenden Terroranschlägen gegen die Zivilbevölkerung werden auch bei vielen Aktionen gegen russische Sicherheitskräfte Opfer unter der Zivilbevölkerung bewusst in Kauf genommen. Außerdem verüben die Rebellen gezielt Anschläge gegen Tschetschenen, die mit den russischen Behörden zusammenarbeiten.
Ramzan Kadyrow wurde zum Präsidenten der Teilrepublik ernannt. Er trägt somit persönlich Verantwortung nicht nur für den Wiederaufbau der Infrastruktur und die Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern auch für die weitaus schwierigere gesellschaftliche Erneuerung. Solange die ihm unterstellten Truppen jedoch für massive Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht werden und weiterhin Junge zu den Rebellen in die Wälder treiben, muss bezweifelt werden, dass er dieser Aufgabe gewachsen ist.
Den Machthabern in Russland ist es gelungen, den Konflikt zu "tschetschenisieren", das heißt es kommt nicht mehr primär zu offenen Kämpfen zwischen russischen Truppen und Rebellen, sondern zu Auseinandersetzungen zwischen der Miliz von Ramzan Kadyrov und anderen "pro russischen" Kräften/Milizen (die sich zu einem erheblichen Teil aus früheren Rebellen zusammensetzen) einerseits sowie den verbliebenen (eher in der Defensive befindlichen) Rebellen andererseits. Die Ramsan Kadyrow unterstellten Batailone "Ost" (Jamadajew) und "West" (Kakiew) (umbenannt in "Süd" und "Nord") sind zwar formell den Bundesstrukturen untergeordnet. Sie terrorisieren die Bevölkerung jedoch nicht weniger als die auswärtigen Einheiten. Den pro russischen Kräften ist es, auch durch Erpressung/Entführung von Familienangehörigen etc gelungen, die Sicherheitslage im allgemeinen (jedenfalls in einigen Teilen Tschetscheniens, insbesondere Grosny) zu stabilisieren; auch ein wirtschaftlicher Aufschwung ist eingetreten (finanziert durch zT missbräuchlich verwendete russische Hilfe/Erpressungsgelder), der in der Regel aber nur einigen (insbesondere den pro russischen Kräften) zugute kommt.
Gut sieben Jahre nach Beginn des zweiten Tschetschenien-Krieges ist in der noch immer weitgehend zerstörten Hauptstadt Grosny der Wille, zur Normalität zurückzukehren, allenthalben zu spüren. Der Wiederaufbau hat sichtbar zu- und die Gewalt deutlich abgenommen. Vielen gilt Ramsan Kadyrow als Garant für die fortschreitende Stabilität.
III. Beweiswürdigung:
Der VwGH hat in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde - nunmehr Asylgerichtshofs - im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt, ist (siehe z. B. VwGH vom 24.6.1999, 98/20/0435, VwGH vom 20.5.1999. 98/20/0505, u. v.a.m.)
Die Beschwerdeführerin erweckt in der mündlichen Verhandlung einen persönlich sehr glaubhaften Eindruck. Die zentralen fluchtauslösenden Ereignisse vermochte sie in der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof detailreich, engagiert und anschaulich zu schildern. Sie antwortete auf die ihr gestellten Fragen gewissenhaft, detailreich und überzeugend, sodass in einer Zusammenschau sämtlicher Angaben ein detailreiches nachvollziehbares und geschlossenes Bild der fluchtauslösenden Vorfälle entstand. Ungereimtheiten in den Angaben konnten während der Beschwerdeverhandlung nicht festgestellt werden. Im Rahmen der Verhandlung konnten die im erstinstanzlichen Verfahren getätigten Angaben der Beschwerdeführerin näher konkretisiert und dadurch verifiziert werden.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin ist klar und konkret und zentrales Thema ist die Angst und Sorge um ihre Tochter in Bezug auf den fundamentalistischen wahabitischen Schwager. Auch das weitere Vorbringen von russischen Behörden bzw. pro-russischen Milizen aufgrund ihrer Unterstützung der Widerstandskämpfer im ersten Tschetschenienkrieg gesucht und verfolgt zu werden, wurde substantiiert und glaubwürdig vorgebracht.
Die Ausführungen der Beschwerdeführerin und die ihrer nunmehr siebzehnjährigen Tochter sind mit den politischen historischen Geschehnissen und dem sich im Nordkaukasus verstärkenden Wahabismus in Einklang zu bringen. Sie erscheinen somit mit den allgemeinen Verhältnissen in Tschetschenien vereinbar.
Die Feststellungen zur Lage in Tschetschenien sind zum Teil notorisch bekannt und ergeben sich auch aus den zuvor zitierten Unterlagen.
Da die Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Situationsdarstellungen zu zweifeln. Auch seitens der Parteien wurden hinsichtlich der herangezogenen Quellen keine Einwände erhoben.
IV. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 61 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes, soweit nicht etwas anders in § 61 Abs 3 AsylG vorgesehen ist.
Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG sind beim Unabhängigen Bundesasylsenat am 01.07.2008 anhängige Verfahren in denen bis zu diesem Zeitpunkt keine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, vom dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senat des Asylgerichtshof weiterzuführen.
Gemäß § 75 AsylG 2005 BGBl. I Nr. 100/2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetztes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt.
Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt.
Da gegenständlicher Asylantrag am 09.02.2004 gestellt wurde, war er nach der Rechtslage des AsylG 1997 idF 126/2002 unter Beachtung der Übergangsbestimmungen, woraus sich die gegenständliche Zuständigkeit ergibt, zu beurteilen.
Gemäß § 7 Asylgesetz 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Flüchtling ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "begründete Furcht vor Verfolgung."
Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in
dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen.
Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (zB VwGH vom 19.12.1995, 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998, 98/01/0262).
Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtssprechung ausgeführt, dass als Fluchtgründe unter dem Gesichtspunkt der Schwere des Eingriffes nur solche Maßnahmen in Betracht kommen, die einen weiteren Verbleib im Heimatland aus objektiver Sicht unerträglich erscheinen lassen (VwGH vom 16.09.1992, 92/01/0544, VwGH vom 07.10.2003, 92/01/1015, 93/01/0929, u.a.).
Die vom Asylwerber vorgebrachten Eingriffe in seine vom Staat zu schützende Sphäre müssen in einem erkennbaren zeitlichen Zusammenhang zur Ausreise aus seinem Heimatland liegen. Die fluchtauslösende Verfolgungsgefahr bzw. Verfolgung muss daher aktuell sein (VwGH 26.06.1996, Zl. 96/20/0414). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194).
Trotz der äußerst problematischen Situation von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe, insbesondere in Tschetschenien, kann aus der Sicht des Asylgerichtshofes nicht von einer ganz pauschalen, generellen Verfolgung nur allein wegen der Zugehörigkeit zur tschetschenischen Ethnie ("Gruppenverfolgung") gesprochen werden, sondern ist weiterhin jeder konkrete Einzelfall umfassend an Hand der in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsgründe zu prüfen (z.B. UBAS vom 24.1.2007, Z. 254.119/0-VIII/22/04, UBAS vom 27.1.2007, Zl. 256.753/5E-VIII/22/05 u. a.).
Die Beschwerdeführerin hat einerseits eine Verfolgung durch ihren Schwager - einem strenggläubigen Wahabiten sowie durch dessen ebenfalls den Wahabiten angehörenden Helfer - als auch durch russische Behörden geltend gemacht.
Ein Zusammenhang zu den in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsgründen ergibt sich bei der Beschwerdeführerin aus der Verfolgung durch ihren Schwager, welcher ihre zum Zeitpunkt der Flucht dreizehnjährige Tochter nach den strengen Regeln der Wahabiten erziehen und mit einem Freund ihres Schwagers zwangsverheiratet wollte. Die Antragstellerin entführte bzw. floh mit ihrer Tochter, um dieser ein solches Schicksal zu ersparen, wodurch die Beschwerdeführerin selbst durch diese Entführung bzw. Flucht mit der Tochter Ziel einer Verfolgung aus religiösen Gründen wurde.
Weiters hat die Beschwerdeführerin als zweiten Punkt vorgebracht, dass sie von russischen Organen aufgrund ihrer Tätigkeit als Krankenpflegerin im ersten Tschetschenienkrieg - sie gilt somit als Widerstandkämpferin - verfolgt werde. Auch dieser Sachverhalt lässt eine Subsumption unter einen in der GFK angeführten Fluchtgrund - der Verfolgung wegen einer politischen Gesinnung - zu.
Wenn es sich auch bei einer Verfolgung durch Wahabiten wohl um keine staatliche Verfolgung handelt und grundsätzlich die Russische Föderation gewillt ist, Verfolgung durch Wahabiten hintanzuhalten, so besteht im konkreten Fall (aufgrund der Verfolgung durch die russischen Behörden selbst) für die Beschwerdeführerin - unabhängig davon ob der Staat in der Lage wäre der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter einen ausreichenden Schutz vor den Wahabiten zu gewähren - keine Möglichkeit ihren Heimatstaat Schutz zu finden.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Tschetschenien mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Eingriffe von sehr hoher Intensität in ihre zu schützende persönliche Sphäre (Leben, Gesundheit, Freiheit) drohen und zwar aus zwei in der GFK angeführten Verfolgungsgründen.
Im Hinblick auf eine innerstaatlichen Fluchtalternative im Gebiet der Russischen Föderation ist auszuführen, dass es der Beschwerdeführerin als ethnische Tschetschenin auch nicht zumutbar ist, in anderen Landesteilen der Russischen Föderation den Aufenthalt zu nehmen, zumal infolge oftmaliger Verweigerung der so genannten Registrierung vielfach keine Möglichkeit besteht, in anderen Landesteilen der Russischen Föderation legal bzw. komplikationslos Aufenthalt zu nehmen und den Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Dies auch im Hinblick drauf, dass die Bevölkerung den Nordkaukasiern vielfach eine ablehnende Haltung entgegenbringt (Verdächtigung der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten). Eine "inländische Fluchtalternative" ist demnach mangels Zumutbarkeit zu verneinen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.