TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/22 C8 301891-2/2008

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Veröffentlicht am 22.09.2008
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Spruch

C8 301891-2/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Felseisen als Vorsitzenden und die Richterin Dr.Hat als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. Bernold über die Beschwerde des S.J., geb. 00.00.1986, StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.06.2006, FZ. 06 04.944-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Berufung von S.J. vom 10.07.2006 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.06.2006, Zl. 06 04.944-BAT, wird dieser gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang:

 

Der erstinstanzliche Verfahrensgang ergibt sich aus dem Verwaltungsakt des Bundesasylamtes. Der Beschwerdeführer wurde am 09.05.2006 und am 10.05.2006 niederschriftlich zu seinem Asylantrag vom 09.05.2006 einvernommen (As. 1-7; 13-23)

 

Mit Bescheid vom 17.05.2006, Zahl: 06 04.944-EAST Ost, wies das Bundesasylamt - ohne weitere Verfahrensschritte - den Asylantrag gemäß § 33 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 8 AsylG 2005 ab.

 

Dagegen wurde am 20.05.2006 Berufung eingebracht.

 

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 14.06.2006, GZ: 301.891-C1/E1-XI/33/06, wurde der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 33 Abs. 1 AsylG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

 

Mit Bescheid vom 22.06.2006, Zahl: 06 04.944-BAT, wies das Bundesasylamt - ohne weitere Verfahrensschritte - neuerlich den Asylantrag gemäß § 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab.

 

Dagegen wurde am 10.07.2006 Berufung eingebracht.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG ist das AsylG 2005 am 01.01.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren. Das vorliegende Verfahren war am 31.12.2005 nicht anhängig; es ist daher nach dem AsylG 2005 zu führen.

 

2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß 66 Abs. 3 AVG kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Im Hinblick des Umstandes, dass nach § 23 Asylgerichtshofgesetz-AsylGHG auf die Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991-AVG, BGBl. Nr. 51 anzuwenden sind, gelten die entsprechenden Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes sinngemäß für den Asylgerichtshof.

 

Somit ist der Asylgerichtshof, wie bisher der Unabhängige Bundesasylsenat, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2002/20/0084). Eine kassatorische Entscheidung darf von der Berufungsbehörde nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung iSd § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" iSd § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

Dazu hat der VwGH im Erkenntnis vom 17.10.2006 (Zl 2005/20/0459) betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung/Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

 

Nach § 19 AsylGHG hat das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 19 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens zu wesentlichen Sachverhaltsfragen in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme, weil es das Bundesasylamt unterlässt, auf das Vorbringen des/der Asylwerbers(in) sachgerecht einzugehen, indem der angefochtene Bescheid keine Feststellungen zu entscheidungsrelevanten Sachverhaltselementen enthält. Wie durch den Verwaltungsgerichtshof erst jüngst bestätigt (Erkenntnis vom 30.09.2004, Zl. 2001/20/0315) wurde, kommt diese Aufgabe primär dem Bundesasylamt zu. Die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen würde sonst zur bloßen Formsache degradiert. Es ist nicht im Sinne des Gesetzgebers, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre "umfassende" Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den gesamten entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht. Dies spricht auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für ein Vorgehen nach § 66 Abs. 2 AVG (vgl. VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315).

 

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat somit in zahlreichen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Dies hat die Erstbehörde im vorliegenden Fall jedoch unterlassen.

 

So hat sich die Erstbehörde in ihren Erwägungen mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht hinreichend auseinandergesetzt und ist die erfolgte Beweiswürdigung zur Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nicht schlüssig. Die beweiswürdigenden Ausführungen beschränken sich ausschließlich darauf, anzuführen, dass der Beschwerdeführer das Land gar nicht verlassen wollte und seinem Onkel sogar gedroht habe, sich in diesem Fall selbst zu vergiften. Weiters sei der Beschwerdeführer sogar in sein Heimatdorf zurückgekehrt, obwohl die Polizei ihn gesucht habe. Diese Beweiswürdigung stellt für die Berufungsbehörde keine tragende und ausreichende Argumentation für den Befund der Unglaubwürdigkeit dar, zumal auch keine Widersprüchlichkeiten der Angaben des Beschwerdeführers von der Erstbehörde in ihren Erwägungen dargelegt worden sind.

 

Hinsichtlich der Behauptung der Erstbehörde, wonach die Einvernahme und die Anhaltung des Beschwerdeführers bei der Polizei keinesfalls als Verfolgung gewertet werden können und lediglich der Strafrechtspflege dienen, ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer angegeben hat, auf der Polizeistation geschlagen und misshandelt worden zu sein, weshalb diese Anhaltung auf der Polizeistation jedenfalls mehr als ein gerechtfertigtes Einschreiten der staatlichen Behörden zum Zwecke der Strafrechtspflege angesehen werden kann und somit im Hinblick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers durchaus von Relevanz ist. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass auch bereits im Rahmen des durchgeführten Flughafenverfahrens nach § 33 Abs. 1 AsylG auf die Erforderlichkeit der Eindeutigkeit des Nichtvorliegens von Gründen für die "Asylgewährung" hingewiesen wurde. Die Problematik der im Raum stehenden Verfolgung wurde im Bescheid des UBAS vom 14.6.2006, GZ: 301.891-C1/E1-XI/33 u.a. auf Seite 8 ausgeführt.

 

Wenn die Erstbehörde zudem auf einen mangelnden GFK-Konnex verweist, da die Bedrohung von Privaten - nämlich den Brüdern des Mädchens - ausgeht - übersieht sie dabei, dass ein GFK-Konnex bei Drittverfolgung - wie im vorliegenden Fall - auch dann gegeben wäre, wenn staatlicher Schutz aus einem Konventionsgrund verweigert wurde. Mit dieser Frage der Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der indischen Behörden, in Bezug gesetzt zum konkreten Fall des Beschwerdeführers, hat sich die Erstbehörde jedoch nicht auseinandergesetzt.

 

Darüber hinaus sind die erstinstanzlichen Ausführungen zur innerstaatlichen Fluchtalternative für eine zentrale Argumentation im Sinne einer Eventualbegründung nicht ausreichend. Insbesondere fehlen Erwägungen zur Zumutbarkeit im konkreten Fall, unter Bedachtnahme auf die persönlichen Umstände des Beschwerdeführers wie etwa Ausbildung, berufliche Erfahrung, soziale Anknüpfungspunkte etc.

 

Letztendlich bleibt noch anzuführen, dass sich die Erstbehörde trotz Behebung des ersten Bescheides des Bundesasylamtes durch Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 14.06.2006 nicht mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt hat und lediglich einen dem Erstbescheid fast gleichlautenden Bescheid erlassen hat.

 

Die dargelegten Umstände müssen in ihrer Gesamtheit als maßgeblicher Mangel angesehen werden, welcher nun einer weiteren Einvernahme des Beschwerdeführers bedarf, bei der die aufgezeigten Fragestellungen nachzuholen sind.

 

Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, Zl.: 2003/20/0389). Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens der Erstbehörde - mangelhafte Beweiswürdigung - hat die Erstbehörde jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da das Bundesasylamt dieses offensichtlich nicht anhand der konkret entscheidungsrelevanten aktuellen Situation gewürdigt hat.

 

Aus Sicht der Berufungsbehörde verstößt das Prozedere der Erstbehörde somit gegen die von § 18 Abs 1 AsylG determinierten Ermittlungspflichten. Der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 18 Abs 1 AsylG bestimmt nämlich, dass die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG i.V.m. § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen ist, hat die Erstbehörde in diesem Verfahren missachtet.

 

Es hätte jedenfalls im Sinne des § 45 Abs 3 AVG auch einer Konfrontation der Partei mit dem (wie oben aufgezeigt) amtswegig zu ermittelnden Sachverhalt und den diesbezüglichen Beweismitteln bedurft. Den Parteien ist das Ergebnis der behördlichen Beweisaufnahme in förmlicher Weise zur Kenntnis zu bringen und ausdrücklich unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zu geben, zu diesen Ergebnissen Stellung zu nehmen (VwGH 05.09.1995, Zl. 95/08/0002), was nicht geschehen ist. Gegenstand des Parteiengehörs sind sämtliche Ergebnisse der Beweisaufnahme. Auch soweit die Behörde bestimmte Tatsachen als offenkundig behandelt, ist dies der Partei bekannt zu geben (VwGH 17.10.1995, Zl. 94/08/0269). Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040) ist die Verletzung des Parteiengehörs zwar saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung dagegen Stellung zu nehmen - Voraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der erstinstanzlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten die Berufungsbehörde das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 25.03.2004, Zl. 2003/07/0062). Durch die mangelhafte Beweiswürdigung ist dieses Erfordernis aber mit Sicherheit nicht erfüllt.

 

4. Das erstinstanzliche Verfahren wurde somit in einer Art und Weise mangelhaft geführt, dass sämtliche Erhebungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, von der Berufungsbehörde zu tätigen wären, sohin verbietet sich unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten eine Heranziehung des § 66 Abs 3 AVG. Zusammenfassend ist auszuführen, dass sich der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft darstellt, dass die Berufungsbehörde gezwungen war gemäß § 66 Absatz 2 AVG vorzugehen.

 

Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Erstbehörde wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Verfahrensschritte nachzuholen haben.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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