E12 313.764-1/2008-6E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Vorsitzende und den Richter Dr. Markus STEININGER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. MITTERMAYR über die Beschwerde der A.A., geb. am 00.00.1966, StA. Armenien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.07.2007, FZ. 07 00.711-BAI, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Armenien, brachte am 19.01.2007 beim Bundesasylamt (BAA) einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Dazu wurde sie erstbefragt und zu den im Akt ersichtlichen Daten von einem Organwalter des BAA niederschriftlich einvernommen. Der Verlauf dieser Einvernahmen ist im angefochtenen Bescheid vollständig wieder gegeben, weshalb an dieser Stelle hierauf verwiesen wird.
Als Begründung für das Verlassen des Herkunftsstaates brachte sie im Wesentlichen vor, sie habe Armenien verlassen, weil im Jahre 1996 ihr Ehemann von einem damaligen Freund ermordet worden sei; es sei aber eine natürliche Todesursache bescheinigt worden. Der Mörder ihres Mannes habe sie dann gezwungen, mit ihm in Lebensgemeinschaft zu leben und habe sie wiederholt geschlagen und vergewaltigt. Dieser habe auch versucht, ihre Tochter zu vergewaltigen und diese in die arabischen Emirate zu verkaufen.
Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich mit Bescheid des BAA vom 12.07.2007, Zahl: 07 00.711-BAI, gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status einer Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien verfügt (Spruchpunkt III.).
Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen der BF erkennbarer Weise als nicht glaubwürdig. Ihre Befürchtungen seien nicht nachvollziehbar, weil man sich in Armenien - im Falle gesellschaftlicher Diskriminierung oder bei ethnischen oder religiösen Konflikten oder Auseinandersetzungen - solchen Umständen entziehen könne, indem man sich an einem anderen Ort niederlasse. Ihren Erklärungen könne auch insofern nicht gefolgt werden, zumal seitens der Behörden ausreichender und effektiver Schutz für die von kriminellen Handlungen bedrohten Personengruppen bestehe, sofern eine diesbezügliche Anzeige eingebracht werde. Die Behörden seien willens und in der Lage Schutz für diejenigen zu bieten, die Furcht vor Verfolgung von kriminellen Organisationen hätten. Mit ihren Rückkehrbefürchtungen habe die Antragstellerin deshalb dem vom Gesetz geforderten Glaubhaftigkeitsanspruch nicht gerecht werden können. Ihre diesbezüglichen Befürchtungen stützten sich lediglich auf vage Vermutungen und hätten konkrete Anhaltspunkte oder Hinweise ihrem Vorbringen nicht entnommen werden können.
Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 18.07.2007 innerhalb offener Frist Berufung [jetzt Beschwerde] erhoben. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.
Im Wesentlichen wurde nach Darlegung allgemeiner rechtlicher und sonstiger Ausführungen vorgebracht, dass die im Bescheid getroffenen Länderfeststellungen unvollständig und mangels Aktualität unrichtig seien. Die belangte Behörde habe sich mit ihrem Vorbringen nicht in gehöriger Weise auseinandergesetzt. Es würden daher weitere Ermittlungen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts und die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragt.
Im Falle einer Abschiebung seien sie der Gefahr ausgesetzt, unmenschliche Behandlung zu erleiden. Die BF stelle den Antrag, eine solche Gefährdungssituation durch geeignete Recherchen zu erheben.
Darüber hinaus verweise sie auf die handschriftliche Berufungsergänzung in armenischer Sprache.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
Der Unabhängige Bundesasylsenat durch Einsicht in den vorliegenden
Verwaltungsakt Beweis erhoben und Folgendes festgestellt:
1. Mangelhafte Sachverhaltsermittlung:
1.1. Die BF wurde vom Bundesasylamt am 26.01.2007 (in der Erstaufnahmestelle Ost) und am 29.06.2007 (in der Außenstelle Innsbruck) niederschriftlich einvernommen. Sie gründete ihre Furcht vor Verfolgung u.a. auch auf Eingriffe in ihre sexuelle Selbstbestimmung ("...öfters von ihm vergewaltigt." - vgl. AS 39); in der Erstbefragung hatte diesbezüglich vorgebracht (" ... und zwang mich mit ihm in einer Lebensgemeinschaft zu leben" - vgl. AS 15). Die Einvernahme am 26.01.2007 erfolgte durch einen männlichen Organwalter, diejenige am 29.06.2007 durch ein weibliches Organ. Bei beiden Einvernahmen wurde aber ein männlicher Dolmetscher (am 26.01.2007 Hr. KOORBEKIAN; am 29.06.2007 Hr. TOVMASOV) beigezogen.
Wenn ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung gründet, so ist er nach § 20 Abs. 1 AsylG 2005 von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen. Nach der hier einschlägigen Judikatur des VwGH - zwar zur Vorgängerbestimmung des § 20 Abs. 1 AsylG 2005, diese ist aber wegen der gleichbleibenden Wortwahl noch immer aktuell - ist für den Fall, dass ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung auf einen Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung gründet, die Beiziehung eines Dolmetschers desselben Geschlechtes erforderlich:
"Dass sich darüber hinaus in den von der genannten Bestimmung erfassten Konstellationen in allen Stadien des Asylverfahrens auch die Beiziehung eines Dolmetschers gleichen Geschlechts als geboten erweist, versteht sich bei verständiger Würdigung dieser Vorschrift nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes von selbst, weil nur insoweit dem von § 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG verfolgten Zweck (Abbau von Hemmschwellen) adäquat Rechnung getragen werden kann (siehe zur Problematik umfassender UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Geschlechtsspezifische Verfolgung im Zusammenhang mit Artikel 1 A (2) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Punkt 36, wiedergegeben in NVwZ-Beilage I 2003, 69; vgl. auch Feller/Türk/Nicholson (Hrsg.), Refugee Protection in International Law (2003) 349 f mwN.)." (vgl. VwGH E. v. 03.12.2003, 2001/01/0402).
Eine mangelhafte Sachverhaltsermittlung liegt etwa dann vor, wenn es im erstinstanzlichen Verfahren zu keiner Vernehmung gekommen ist.
Der vorliegende Fall ist ähnlich; es ist nämlich zu keiner relevanten - unter Beiziehung eines Dolmetschers desselben Geschlechts - Vernehmung gekommen. Die Vernehmung der Beschwerdeführerin wurde jeweils unter Beiziehung eines Dolmetschers männlichen Geschlechts vorgenommen. Damit konnte aber dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck (Abbau von Hemmschwellen) nicht adäquat Rechnung getragen werden. Insoferne erfolgte die Sachverhaltsermittlung durch die Erstbehörde - unter Missachtung dieser Verfahrensvorschrift - mangelhaft.
1.2. Im Zuge der Einvernahme am 29.06.2007 wurden von der BF Dokumente in russischer bzw. armenischer Sprache in Kopie vorgelegt (vgl. AS 141 - 153). Übersetzungen dieser Dokumente finden sich im erstinstanzlichen Verwaltungsakt nicht. Auf den Kopien befindet sich jeweils rechts oben ein handschriftlicher Vermerk über die jeweilige Art des Dokuments (Geburtsurkunde der Tochter, Geburtsurkunde, Diplom, Heiratsurkunde, Sterbeurkunde). Von wem diese Vermerke stammen, ob das einvernehmende Organ diesbezüglich sprachkundig ist, ob die Vermerke im Einvernehmen mit dem Dolmetscher getätigt wurden und ob der Inhalt der Dokumente mit den Angaben der BF übereinstimmt, sind dem Verwaltungsakt nicht zu entnehmen. Insbesondere fehlt eine Übersetzung der Sterbeurkunde und für wen diese ausgestellt wurde.
Das Bundesasylamt stellte aber offensichtlich aufgrund der vorgelegten Dokumente (vgl. AS 233, 217) fest, dass die Identität und Nationalität der Antragstellerin feststehe. Der Inhalt der vorgelegten fremdsprachigen Urkunden ist aber nicht ausreichend dokumentiert, damit ist eine darauf basierende Feststellung nicht möglich. Auch die formularmäßigen Ausdrucke (vgl. AS 155 - 161) helfen insoweit nicht weiter.
Auch in dieser Hinsicht wurde der Sachverhalt mangelhaft ermittelt.
1.3. Die BF hatte behauptet, ihr Ehemann sei im Jahre 1996 ermordet worden. Ihr nunmehriger Lebensgefährte - der damalige Mörder ihres Mannes - misshandle sie und habe sie mehrfach vergewaltigt. Anzeigen bei der Polizei und Staatsanwaltschaft hätten nichts gebracht, weil ihr Lebensgefährte großen Einfluss ausübe (in der Erstbefragung hatte sie auch behauptet, er sei Abgeordneter).
Um beurteilen zu können, ob eine solche Verfolgungsbehauptung glaubhaft ist, ist es in der Regel erforderlich, den Wahrheitsgehalt der vom Asylwerber angeführten Umstände und Ereignisse an den verfügbaren Informationen über die Vorgänge in dessen Heimatland in nachvollziehbarer Weise zu messen. Bei Verfolgung durch dritte Personen ist für die Beurteilung maßgeblich, ob die staatlichen Maßnahmen im Ergebnis dazu führen, dass der Eintritt eines asylrechtlich relevante Intensität erreichenden Nachteils aus der von dritter Seite ausgehenden Verfolgung nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH, E v. 01.09.2005, Zl. 2005/20/0357).
Die Feststellungen des BAA dazu (vgl. AS 219 - 225) über die Sicherheitsbehörden bzw. ihre Organe und auch die Sicherheitslage reichen aber - besonders vor dem Hintergrund der dortigen Feststellungen, dass Korruption innerhalb der Polizei ein Problem sei und die Unabhängigkeit der Gerichte durch Nepotismus, finanzielle Abhängigkeiten, inadäquate Verfahrensvorschriften und die weit verbreitete Korruption in der Praxis eingeschränkt werde (bestätigen diese doch die Angaben der BF) - nicht aus, um eine solche Beurteilung vornehmen zu können. Es wären nähere Feststellungen darüber notwendig gewesen, ob es Verbindungen zwischen (organisiert) Kriminellen und den Sicherheitsbehörden bzw. Sicherheitsorganen gibt und ob der Staat gegebenenfalls dagegen Maßnahmen (v.a. welche Maßnahmen) setzt. Die vom BAA getroffenen Feststellungen sind jedenfalls ungeeignet, darzutun, wie die Sicherheitsbehörden und die Justiz in Armenien arbeiten (vgl. AS 247 unten) und dass Anzeigen wegen Akten einer Gewalt zur Strafverfolgung führen (vgl. AS 249). Solche Aussagen sind aus den Feststellungen des BAA nicht erschließbar.
Insbesondere wären im vorliegenden Fall Feststellungen über die Handhabung von "Gewalt in der Familie" durch Sicherheitsbehörden (bzw. Sicherheitsorgane) und Justiz erforderlich gewesen. Der Sachverhalt wurde auch im Hinblick auf das Vorbringen - ihr Lebensgefährte sei Abgeordneter - zu wenig erhellt (eine Verifizierung dürfte auf keine allzu großen Schwierigkeiten stoßen); gegebenenfalls wäre ein solcher Umstand im Zuge der Beweiswürdigung ebenso zu berücksichtigen gewesen.
Darüber hinaus fehlen Feststellungen über die sozialen Lage (beispielsweise ob es Frauenhäuser oder vergleichbare Einrichtungen gibt), um die Rückkehrsituation der BF beurteilen zu können.
Der Sachverhalt wurde also zu unergiebig ermittelt und ist insoweit ergänzungsbedürftig. Eine abschließende schlüssige Beurteilung wird erst nach Vervollständigung der Länderdokumentation möglich sein, da vorher das individuelle Vorbringen zum objektiven Sachverhalt laut Länderdokumentation nicht in Relation gesetzt werden kann.
2. Unschlüssige Beweiswürdigung
Die Beweiswürdigung der belangten Behörde - ihre Befürchtungen seien nicht nachvollziehbar, weil man sich in Armenien gesellschaftlicher Diskriminierung oder bei ethnischen oder religiösen Konflikten oder Auseinandersetzungen diesen Umständen entziehen könne, indem man sich an einem anderen Ort niederlasse und ihren Erklärungen könne auch insofern nicht gefolgt werden, zumal seitens der Behörden ausreichender und effektiver Schutz für die von kriminellen Handlungen bedrohten Personengruppen bestehe, sofern eine diesbezügliche Anzeige eingebracht werde - ist für den Asylgerichtshof nicht nachvollziehbar, reduziert sich diese doch darauf, das Vorbringen sei unglaubwürdig, weil eine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe und der armenische Staat schutzfähig und schutzwillig sei. Dem Vorbringen der BF wird also durch Feststellungen entgegengetreten, ohne sich konkret mit der Glaubwürdigkeit einzelner Vorbringensteile auseinander zu setzen. Eine solche Beweiswürdigung ist nicht geeignet, den Befund der Unglaubwürdigkeit zu tragen.
Unverständlich erscheint auch, warum das BAA in der Beweiswürdigung die Angaben der BF als unglaubwürdig wertet, im Rahmen der rechtlichen Beurteilung aber von der Gegebenheit ihres Vorbringens ausgeht und dann einer rechtlichen Wertung unterzieht.
Anzuführen ist an dieser Stelle, dass sehr wohl Widersprüche in den Aussagen der BF während der verschiedenen Einvernahmen hervortraten. Auf diese Widersprüche ging das Bundesasylamt aber nicht näher ein.
3. Beim gegenständlichen Verfahren handelt es sich um ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG.
Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom heutigen Tage, Zahl: E12 313.765, wurde der erstinstanzliche Bescheid vom 12.07.2007, Zahl:
07 00.712-BAI, - die Tochter der BF betreffend - gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
III. Rechtliche Beurteilung
Artikel 151 Abs. 39 Z. 1 und 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) lauten:
(39) Art. 10 Abs. 1 Z 1, 3, 6 und 14, Art. 78d Abs. 2, Art. 102 Abs. 2, Art. 129, Abschnitt B des (neuen) siebenten Hauptstückes, Art. 132a, Art. 135 Abs. 2 und 3, Art. 138 Abs. 1, Art. 140 Abs. 1 erster Satz und Art. 144a in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. I Nr. 2/2008 treten mit 1. Juli 2008 in Kraft. Für den Übergang zur neuen Rechtslage gilt:
Z 1: Mit 1. Juli 2008 wird der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof.
Z 4: Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof weiterzuführen.
Gemäß § 61 (1) AsylG 2005 BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über
1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und
2. [.....]
(2) [.....]
(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen
1. zurückweisende Bescheide
[......]
2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.
(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.
Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51 zur Anwendung gelangt.
Gemäß § 66 Abs 4 AVG idgF hat der Asylgerichtshof [Berufungsbehörde], sofern die Beschwerde [Berufung] nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er [sie] ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) seine [ihre] Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann der Asylgerichtshof [Berufungsbehörde], wenn der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann der AsylGH [Berufungsbehörde] jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
Auch der AsylGH ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084 zur Anwendbarkeit von § 66 (2) AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat). Eine kassatorische Entscheidung darf vom AsylGH nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Das erkennende Gericht hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihm vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i. S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).
Im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, welches sich auf den Unabhängigen Bundesasylsenat bezog und aufgrund der identischen Interessenslage in Bezug auf den AsylGH ebenfalls seine Gültigkeit hat, führte der VwGH zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessungsübung im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG folgendes aus:
"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.
Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstelle in den Bundesländern erfolgt, während der unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch zu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl.2000/20/0084)."
Auch wenn der AsylGH eine Außenstelle in Linz einrichtete, ist auszuführen, dass aufgrund des organisatorischen Aufbaues des AsylGH und des Bundesasylamtes, sowie aufgrund des Aufenthaltsortes der BF und der Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes eine Weiterführung des Verfahrens durch den AsylGH im Sinne des § 66 (3) AVG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
Im gegenständlichen Fall wurde der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht im erforderlichen Ausmaß ermittelt. Es wird daher Sache des Bundesasylamtes sein, die gebotenen Ermittlungstätigkeiten im bereits erörterten Umfang nachzuholen.
Enthält - wie im gegenständlichen Fall - der Bescheid eine nicht auf den sonstigen Inhalt abgestimmte schlüssige Beweiswürdigung, so führt dies in weiterer Folge dazu, dass auch die hierauf aufbauenden Feststellungen letztlich auf ein mangelhaftes Verfahren fußen und das Ermittlungsverfahren in seiner Gesamtheit als mangelhaft anzusehen ist. Hätte das Bundesasylamt die Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung erkannt, hätte es weitere Erhebungen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes getätigt, wozu auch eine weitere Befragung der BF, bzw. eine Konfrontation der BF mit dem Ergebnis der Erhebungen erforderlich gewesen wäre.
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Ansicht, dass beweiswürdigende Überlegungen zur Stichhaltigkeit einer Fluchtgeschichte sich regelmäßig nicht auf das Vorbringen des Asylwerbers beschränken dürfen. Vielmehr bedarf es idR auch einer Betrachtung der konkreten fallbezogenen Lage im Herkunftsstaat des Betreffenden, weil seine Angaben letztlich nur vor diesem Hintergrund einer Plausibilitätskontrolle zugänglich sind (VwGH 18.4.2002, 2001/01/0002; in diesem Sinne auch VwGH 28.1.2005, 2004/01/0476). Von den Asylbehörden ist eine Einbeziehung des realen Hintergrundes der von einem Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in das Ermittlungsverfahren zu erwarten. Die Behauptungen des Asylwerbers sind auch am Verhältnis zu der Berichtslage in Bezug auf das Ereignis, von dem er betroffen gewesen sein will, zu messen (VwGH 30.9.2004, 2001/20/0135, in diesem Sinne auch VwGH 31.5.2005, 2005/20/0176).
Auch der Verfassungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis 2001/10/02 B 2136/00 davon aus, dass sich die Asylbehörden nicht mit Feststellungen zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat begnügen dürfen, sondern fallbezogen konkrete Ermittlungen (im gegenständlichen Erkenntnis des VfGH geht es um eine Geheimgesellschaft) in Bezug auf das individuelle Vorbringen tätigen müssen, um dieses einer Plausibilitätskontrolle unterziehen zu können. Nach Ansicht des zitierten VfGH Erkenntnisses besteht diese Verpflichtung selbst dann, "wenn die vom Beschwerdeführer gegebene Schilderung von vornherein als kaum glaubwürdig und als irreal erscheint. Dies entbindet die Asylbehörde nicht von ihrer Verpflichtung, die notwendigen Ermittlungen vorzunehmen".
Im Rahmen der nachzuholenden Ermittlungstätigkeiten wird das Bundesasylamt auch die BF ein weiteres Mal (unter Hinzuziehung eines weiblichen Dolmetschers) zu befragen haben. Ebenso wird es der BF das Ermittlungsergebnis zur Kenntnis zu bringen und ihr die Gelegenheit einzuräumen zu haben, sich hierzu zu äußern. In weiterer Folge wird das BAA das Ermittlungsergebnis unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Bescheinigungsmittel einer schlüssigen Beweiswürdigung zu unterziehen und individuelle Feststellungen zu treffen zu haben, welche als Basis für die rechtliche Beurteilung dienen.
Darüber hinaus konnte im Hinblick darauf, dass der erstinstanzlichen Bescheid der Tochter der Beschwerdeführerin durch Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom heutigen Tag, (Zahl: E12 313.765) behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen wurden, im Sinne des § 34 Absatz. 4 AsylG, wonach die Verfahren "unter einem zu führen" sind, auch der den Asylantrag abweisende Bescheid der Beschwerdeführerin keinen Bestand haben (vgl. VwGH v. 18.10.2005, 2005/01/0402 bis 0404).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.