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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
B-VG Art130 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde der F, geboren am 1. November 1983, vertreten durch Dr. Roland Resch, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Morizgasse 9/5, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 17. November 1999, Zl. IV - 914.918/FrB/99, betreffend Aufenthaltserlaubnis, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Antrag vom 8. März 1999 begehrte die durch ihre Eltern vertretene minderjährige Beschwerdeführerin, eine Staatsbürgerin von Mazedonien, die Erteilung einer Erstaufenthaltserlaubnis zum Zwecke und für die Dauer ihrer Schulausbildung. Sie wies darauf hin, dass beide Elternteile über eine unbefristete Niederlassungsbewilligung in Österreich verfügten und eine uneingeschränkte Verpflichtungserklärung für alle mit dem Aufenthalt der Beschwerdeführein entstehenden Kosten abgegeben hätten und belegte dies durch entsprechende Unterlagen. Mit dem Antrag wurde weiters eine Lohnbestätigung des Vaters und eine Kopie seines Befreiungsscheines nach dem AuslBG sowie eine Bestätigung der Polytechnischen Schule in Wien, P. Gasse, vorgelegt, wonach die Beschwerdeführerin in dieser Schule aufgenommen werden könne.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Abs. 4 Z. 1 in Verbindung mit § 10 Abs. 2 Z. 3 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ab und begründete ihre Entscheidung damit, dass die Beschwerdeführerin bereits versucht habe, eine Erstniederlassungsbewilligung mit dem Zweck "Familienzusammenführung" zu erlangen. Dieser Antrag sei mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 24. August 1998 abgewiesen worden. Daraus werde deutlich, dass der eigentliche Aufenthaltszweck der Beschwerdeführerin nicht ausschließlich in der Schulausbildung liegen könne, sondern vielmehr in der Familienzusammenführung, was sich auch dadurch erhärte, dass die Eltern der Beschwerdeführerin langjährig im Bundesgebiet niedergelassen seien und für die Beschwerdeführerin "in ihrem Heimatland keine Zukunft gesehen werden könne". Durch das Beharren der Beschwerdeführerin auf der falschen Angabe, ihr beabsichtigter Aufenthaltszweck wäre ausschließlich der Schulbesuch, und die damit beabsichtigte Erlangung eines Aufenthaltstitels unter Umgehung der "Einwanderungsregulierung" werde die öffentliche Ordnung empfindlich gestört. Trotz "nicht absprechbarer persönlicher Bindungen zum österreichischen Bundesgebiet" müssten die öffentlichen Interessen zwecks Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit höher bewertet werden als die privaten Interessen der Beschwerdeführerin.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Zunächst ist festzuhalten, dass die Beschwerde ausdrücklich darauf hinweist, es handle sich gegenständlich nicht um ein Verfahren zur Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens. Da somit eine Berufung gegen den angefochtenen Bescheid gemäß § 94 Abs. 3 FrG ausgeschlossen ist und ein Instanzenzug nicht offen steht, ist die vorliegende Beschwerde zulässig.
Die Beschwerde wendet ein, die belangte Behörde habe dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Erstaufenthaltserlaubnis zu Unrecht einen Umgehungszweck unterstellt. Der von der belangten Behörde angenommene Aufenthaltszweck der "Familiengemeinschaft mit Fremdem" sei ab der Vollendung des 14. Lebensjahres rechtlich gar nicht mehr möglich und könne daher nicht als tatsächlicher Aufenthaltszweck angenommen werden. Nähme man, wie die belangte Behörde, im Falle niedergelassener Eltern im Bundesgebiet jeweils den Familienzusammenführungszweck als vorherrschenden Aufenthaltszweck an, so führte dies aufgrund des geltenden Typenzwanges von Aufenthaltszwecken zur verfassungsrechtlich unzulässigen Ungleichbehandlung von Fremden untereinander. Diesfalls würden nämlich Fremde, deren Eltern ordnungsgemäß in Österreich niedergelassen seien, eine (quotenpflichtige) Niederlassungsbewilligung benötigen und wären damit gegenüber solchen Fremden, deren Eltern im Bundesgebiet nicht niedergelassen seien und daher eine (quotenfreie) Aufenthaltserlaubnis erlangen könnten, benachteiligt. Die belangte Behörde biete daher keine nachvollziehbare Begründung für ihre Auffassung, der eigentliche Aufenthaltszweck der Beschwerdeführerin sei in der Familienzusammenführung gelegen.
Soweit sich die Beschwerdeführerin mit ihrem Vorbringen, ab der Vollendung ihres 14. Lebensjahres sei der Aufenthaltszweck (gemeint wohl: die Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Aufenthaltszweck) "Familiengemeinschaft mit Fremdem" rechtlich nicht möglich, auf die Bestimmung des § 21 Abs. 3 FrG bezieht (auf dessen Grundlage ihr Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung abgewiesen worden war), ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 19. Juni 2000, G 16/00, diese Altersbeschränkung für den Familiennachzug Drittstaatsangehöriger in der genannten Bestimmung - mit Wirksamkeit ab 1. Jänner 2001 - als verfassungswidrig aufgehoben hat.
Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des FrG
lauten:
"Aufenthaltstitel
§ 7. (1) Die Aufenthaltstitel werden als
1.
Aufenthaltserlaubnis oder
2.
Niederlassungsbewilligung erteilt.
(2) Aufenthaltstitel berechtigen zum Aufenthalt für einen bestimmten Zweck oder zum dauernden Aufenthalt sowie zu den mit diesen Aufenthalten verbundenen Einreisen.
(...)
(4) Drittstaatsangehörige brauchen eine Aufenthaltserlaubnis, wenn
1. ihr Aufenthalt ausschließlich dem Zweck eines Studiums oder einer Schulausbildung dient;
(...)
Erteilung der Einreise- und Aufenthaltstitel
§ 8. (1) Einreise- und Aufenthaltstitel können Fremden auf Antrag erteilt werden, sofern diese ein gültiges Reisedokument besitzen und kein Versagungsgrund wirksam wird (§§ 10 bis 12). Visa können nur befristet, Aufenthaltstitel auch unbefristet erteilt werden....
(...)
(3) Die Behörde hat bei der Ausübung des in Abs. 1 eingeräumten Ermessens jeweils vom Zweck sowie von der Dauer des geplanten Aufenthaltes des Fremden ausgehend
1. auf seine persönlichen Verhältnisse, insbesondere seine familiären Bindungen, seine finanzielle Situation und die Dauer seines bisherigen Aufenthaltes,
2. auf öffentliche Interessen, insbesondere die sicherheitspolizeilichen und wirtschaftlichen Belange, die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes und die Volksgesundheit und
3. auf die besonderen Verhältnisse in dem Land des beabsichtigten Aufenthaltes Bedacht zu nehmen.
...
Versagung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels
§ 10. (...)
(2) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels kann wegen Gefährdung öffentlicher Interessen (§ 8 Abs. 3 Z 2) insbesondere versagt werden, wenn
(...)
3. der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;
(...)"
Nach den Gesetzesmaterialien zum FrG (685 BlgNR 20. GP, 60) sind die materiellen Vorschriften über die Erteilung von Einreise- und Aufenthaltstitel in § 8 FrG zusammengefasst und daher - sofern sie nicht ausdrücklich auf bestimmte Formen abgestellt sind - für die Erteilung jeglichen Einreise- und Aufenthaltstitels maßgeblich. Vor allem gilt dies für die in § 8 Abs. 1 postulierten Bedingungen eines gültigen Reisedokumentes sowie des Fehlens eines Versagungsgrundes und für die in § 8 Abs. 3 formulierte Determinierung des Ermessens. An diesen beiden Bestimmungen ist in jedem Einzelfall die Frage der Erteilung oder der Versagung des beantragten Einreise- oder Aufenthaltstitels zu messen.
Bei der Ausübung des ihr bei der Erteilung eines Einreise- und Aufenthaltstitels eingeräumten Ermessens hat die Behörde gemäß § 8 Abs. 3 FrG "vom Zweck sowie von der Dauer des geplanten Aufenthaltes des Fremden" auszugehen. Der belangten Behörde lag gegenständlich ein ausschließlich auf den Aufenthaltszweck der Schulausbildung gestützter Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Erstaufenthaltserlaubnis "für die Dauer der Schulbildung" vor. Der hier beabsichtigte Besuch einer polytechnischen Schule fällt zweifellos unter den Aufenthaltszweck der Schulausbildung und bildet daher gemäß § 7 Abs. 4 Z 1 FrG einen tauglichen Grund für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Auch die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid nicht davon aus, dass die Beschwerdeführerin eine Schulausbildung in Österreich nicht beabsichtige, sie erachtet jedoch den Aufenthaltszweck der Beschwerdeführerin nicht "ausschließlich" in der Schulausbildung gelegen. Der eigentliche Aufenthaltszweck der Beschwerdeführerin liege vielmehr in der Familienzusammenführung, was sich aus der langjährigen Niederlassung ihrer Eltern in Österreich und ihrem misslungenen Versuch, eine Erstniederlassungsbewilligung zu erlangen, ergebe.
Dem ist zunächst entgegen zu halten, dass weder die langjährige Niederlassung der Eltern der Beschwerdeführerin in Österreich noch die von ihnen für die Beschwerdeführerin abgegebene Verpflichtungserklärung in Bezug auf die mit dem Aufenthalt anfallenden Kosten von vornherein ausschließen, dass der Aufenthaltszweck der Beschwerdeführerin in Österreich "ausschließlich" dem Zweck der Schulausbildung dienen werde (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 10. September 1999, Zl. 98/19/0203, und vom 15.Oktober 1999, Zl. 99/19/0160). Gerade die familiären Bindungen und die im gegenständlichen Fall damit verbundene Sicherung der materiellen Lebensgrundlage der Beschwerdeführerin stellen nämlich - abgesehen von der von der belangten Behörde in zulässiger Weise ins Spiel gebrachten Indizwirkung für den zu prüfenden Aufenthaltszweck - gemäß § 8 Abs. 3 Z 1 FrG ein Ermessenskriterium zugunsten und nicht zum Nachteil der Beschwerdeführerin dar.
Auch aus der Tatsache, dass im Jahre 1998 ein Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Familiennachzug abgewiesen wurde, durfte die belangte Behörde noch nicht schlussfolgern, der beabsichtigte Zweck des mit dem - nunmehrigen - Antrag auf Erteilung einer Erstaufenthaltserlaubnis angestrebten Aufenthaltes liege nicht ausschließlich im Schulbesuch. Eine derartige Schlussfolgerung wäre im gegenständlichen Fall vor dem Hintergrund, dass die Beschwerdeführerin mit der vorgelegten Aufnahmezusage einer polytechnischen Schule konkrete Schulbesuchsabsichten bescheinigt hat, nur dann gerechtfertigt, wenn der Beschwerdeführerin in Mazedonien ohne Weiteres eine gleichartige Ausbildungsmöglichkeit offen stünde oder wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen würden, dass sie nach Abschluss der Schulausbildung einen weiteren Verbleib in Österreich anstrebte. Für die in diesem Zusammenhang von der belangten Behörde ins Treffen geführte Auffassung, es könne für die Beschwerdeführerin "in ihrem Heimatland keine Zukunft gesehen werden", finden sich aber im angefochtenen Bescheid keinerlei Anhaltspunkte.
Da die belangte Behörde nach dem Gesagten Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG Abstand genommen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 24. Juli 2001
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Ermessen VwRallg8 Ermessen besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000210003.X00Im RIS seit
27.11.2001