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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde des W in W, geboren am 10. Dezember 1970, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Februar 1998, Zl. 201.750/0-V/15/98, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich seines Ausspruches gemäß § 8 AsylG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 3. Dezember 1997 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 5. Dezember 1997 Asyl. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab er an, er sei in seinem Heimatort wegen seiner Weigerung, seinem Vater als "Juju-Priester" nachzufolgen, von den Dorfältesten verfolgt worden und deshalb im März 1997 nach Freetown geflüchtet. Dort sei er im Mai 1997 auf der Straße von Soldaten gefangen genommen worden. Er sei etwa sechs Monate lang gefangen gehalten und aufgefordert worden, sich der Rebellenarmee anzuschließen. Im November 1997 habe ihn ein Soldat aus dem Gefängnis geholt, ausgepeitscht und frei gelassen. Ein Priester habe ihm geholfen, das Land zu verlassen.
Das Bundesasylamt erachtete die Ausführungen des Beschwerdeführers als unglaubwürdig, wies den Asylantrag mit Bescheid vom 12. Jänner 1998 gemäß § 7 AsylG ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone für zulässig.
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid wandte sich der Beschwerdeführer im Einzelnen gegen die Gründe, aus denen die Behörde erster Instanz seinen Behauptungen über seine Verfolgung durch die Dorfältesten und über den mehrmonatigen Gefängnisaufenthalt in Freetown nicht gefolgt war. Zur Verfolgung durch die Dorfältesten führte der Beschwerdeführer u.a. aus, sie sei die Antwort auf seine Erklärung gewesen, bei seinem "christlichen Glauben zu bleiben". In Bezug auf die Anhaltung in Freetown machte er - gegenüber der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes - unter Hinweis auf einen näher bezeichneten Länderbericht geltend, willkürliche Verhaftungen und Freilassungen seien für die Situation in Sierra Leone geradezu typisch. Die in der Niederschrift zunächst, nämlich vor der Befragung über Verletzungsspuren, festgehaltene Behauptung, er sei bei der Auspeitschung anlässlich seiner Freilassung so stark geschlagen worden, dass er am ganzen Körper geblutet habe, habe er in dieser Form nie geäußert, was er in der Niederschrift an späterer Stelle auch deutlich angemerkt habe. Die Lage in Sierra Leone sei durch das Fehlen einer staatlichen Zentralgewalt und durch ständige Zwangsrekrutierungen gekennzeichnet. Der Beschwerdeführer beantrage seine neuerliche Einvernahme und eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch die belangte Behörde.
Die belangte Behörde wies die Berufung mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 7 AsylG ab und stellte "gemäß § 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1" FrG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei zulässig. Sie schloss sich nicht der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes an, sondern bezeichnete die nach den Angaben des Beschwerdeführers von den Dorfältesten beabsichtigte Tötung des Beschwerdeführers als "Brauchtum im weiteren Sinne", bei dem es sich nicht um staatliche Verfolgung aus einem Konventionsgrund handle. Der Hinweis auf die allgemeine Lage in Sierra Leone vermöge daran nichts zu ändern, weil der Beschwerdeführer dem Vorhalt, dass er vor den Leuten seines Stammes in Freetown sicher gewesen wäre, nicht entgegen getreten sei. Seinen Schilderungen über seine Anhaltung in Freetown werde "keine Glaubwürdigkeit beigemessen", was die belangte Behörde nur damit begründete, dass der Beschwerdeführer zur Auspeitschung anlässlich seiner Freilassung zunächst angegeben habe, er habe am ganzen Körper geblutet, und dies bei Befragung über Verletzungsfolgen zurückgenommen habe. Eine allfällige Festnahme und spätere Freilassung des Beschwerdeführers wäre aber gleichfalls "keine staatliche Verfolgungshandlung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention". Das Berufungsargument der "asylrechtlichen Relevanz eines Bürgerkrieges" gehe ins Leere, habe doch der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrmals ausgesprochen, dass die in Sierra Leone herrschenden Bürgerkriegsgeschehnisse für sich allein noch keine asylrelevante Verfolgung darstellten. Die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone unter dem Gesichtspunkt einer allenfalls drohenden unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder Todesstrafe ergebe sich aus der schon dargestellten "innerstaatlichen Sicherheit und der Unglaubwürdigkeit des seine Anhaltung betreffenden Vorbringens". Die "allgemein herrschenden kriegerischen Auseinandersetzungen" in Sierra Leone seien kein hinreichender Grund für die Annahme einer Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der (lediglich) auf "§ 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1" FrG gestützte Ausspruch der belangten Behörde über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone war schon aus den in dem hg. Erkenntnis vom 16. Februar 2000, Zl. 99/01/0397, dargestellten Gründen, auf welche gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben (vgl. auch die Erkenntnisse vom 16. Februar 2000, Zl. 99/01/0435, vom 21. Dezember 2000, Zl. 2000/01/0131, und vom 6. März 2001, Zl. 2000/01/0232).
Bei der Entscheidung über den Asylantrag des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde das von ihr offenbar - im Gegensatz zur erstinstanzlichen Entscheidung - als wahr unterstellte Vorbringen über die Verfolgung durch Dorfälteste als Behauptung eines nicht asylrelevanten "Brauchtums" gewertet, ohne aber in irgend einer Weise auf den behaupteten Zusammenhang mit dem Religionsbekenntnis des Beschwerdeführers einzugehen, und den Beschwerdeführer mit diesem Teil seiner Fluchtgeschichte - gemeint offenbar: in Bezug auf das Fehlen staatlichen Schutzes unter den in Sierra Leone herrschenden Verhältnissen - auf die Möglichkeit einer Unterkunftnahme in Freetown, wo ihm von den Leuten seines Stammes keine Gefahr drohe, als inländische Fluchtalternative verwiesen. Dem zuletzt genannten Argument hält die Beschwerde mit Recht entgegen, dass sich die belangte Behörde zumindest in diesem Zusammenhang in einer mündlichen Berufungsverhandlung, von deren Abhaltung die belangte Behörde begründungslos abgesehen hat, mit dem Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers auseinander zu setzen gehabt hätte.
Der angefochtene Bescheid war daher insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 27. September 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998200190.X00Im RIS seit
29.11.2001