Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch den Vorsitzenden Dr. Christoph Purtscher über die Berufung der Frau B. M., geb XY, vertreten durch Mag. L. S., Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 19.09.2006, Zahl Fr 1036784, betreffend die Erlassung eines bis zum 18.09.2008 befristeten Aufenthaltsverbotes für das Bundesgebiet der Republik Österreich, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung wie folgt:
Gemäß § 66 Abs 4 und § 67a Abs 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) iVm § 9 Abs 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) wird der Berufung Folge gegeben und der angefochtene Bescheid wegen örtlicher Unzuständigkeit der Bundespolizeidirektion Innsbruck behoben.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 19.09.2006, Zahl Fr 1036784, wurde gegen Frau B. M. ein bis zum 18.09.2008 befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Gleichzeitig wurde die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung gegen diesen Bescheid gemäß § 64 FPG iVm § 64 Abs 2 AVG ausgeschlossen. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass B. M. einmal wegen Übertretung des Landespolizeigesetzes und einmal wegen Übertretung des Geschlechtskrankheitengesetzes bestraft worden sei. Die Bestrafung nach dem Geschlechtskrankheitengesetz gelte als bestimmte Tatsache im Sinne des § 60 FPG und es könne daher das gegenständliche Aufenthaltsverbot dem Grunde nach erlassen werden. Die Voraussetzungen des § 86 FPG würden vorliegen und bei der begangenen Gesetzesverletzung sei zweifelsfrei davon auszugehen, dass die vom Gesetzgeber angeführte Gefährdungslage bei einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet gegeben wäre. Auch die durchzuführende Interessenabwägung nach § 66 FPG könne nur zu Ungunsten von Frau B. M. ausfallen. Aufgrund der Rücksichtslosigkeit gegenüber der Österreichischen Rechtsordnung habe zudem die aufschiebende Wirkung einer Berufung ausgeschlossen werden müssen und sei schließlich auch kein Durchsetzungsaufschub nach § 67 FPG gewährt worden.
Gegen diese Entscheidung hat die rechtsfreundlich vertretene B. M. fristgerecht Berufung erhoben und vorgebracht, dass die Erstinstanz zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes örtlich unzuständig sei, da sich die Berufungswerberin nicht in Innsbruck aufhalte. Darüber hinaus sei die Berufungswerberin aufgrund Eu-rechtlicher Vorgaben berechtigt, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, weshalb ihr ein Aufenthaltsrecht in Österreich wegen des maßgeblichen Sachverhaltes nicht verwehrt werden könne. Von der Berufungswerberin gehe weder eine tatsächliche, noch eine erhebliche und auch keine gegenwärtige Gefahr aus. Sie habe keine Geschlechtskrankheit und sei eine solche von der Behörde auch nicht festgestellt worden. Keiner der von der Erstinstanz herangezogenen Gründe sei geeignet, ein Aufenthaltsverbot zu begründen und schon gar nicht die aufschiebende Wirkung der Berufung auszuschließen.
Die Berufungsbehörde hat wie folgt erwogen:
Sachverhalt:
Die Berufungswerberin ist ungarische Staatsangehörige und damit EWR-Bürgerin. Sie hat sich in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2005 in unregelmäßigen Abständen in Wien sowie in den Monaten Jänner bis März 2006 zeitweilig in Innsbruck aufgehalten.
Im Strafregister der Republik Österreich scheinen keine
Verurteilungen auf.
Folgende Verwaltungsstrafvormerkungen liegen vor:
1. Verwaltungsübertretung nach § 19 Abs 1 iVm § 14 lit b Tiroler
Landespolizeigesetz, Geldstrafe von Euro 300,00, Tatzeit:
12.01.2006;
2. Verwaltungsübertretung nach § 12 Abs 2 des Geschlechtskrankheitengesetzes iVm §§ 1 und 7 der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit und Unterricht, BGBl Nr 314/1974 idF BGBl Nr 591/1993, Geldstrafe von Euro 50,00, Tatzeit: 12.01.2006. Entsprechend der Mitteilung der Stadt Wien, Magistratsabteilung 15 Gesundheitswesen und Soziales, vom 23.01.2007 wurde die Berufungswerberin am 08.07.2005 bei der Bundespolizeidirektion Wien als Prostituierte registriert und hat in weiterer Folge bis zum 09.11.2005 sich regelmäßig der Untersuchung gemäß der Verordnung BGBl Nr 314/1974, sowie gemäß § 4 des Aidsgesetzes unterzogen. Im Bereich der Stadtgemeinde Innsbruck hat sich die Berufungswerberin zu Jahresbeginn 2006 diesen Untersuchungen nicht unterzogen. Diese Feststellungen beruhen auf dem Inhalt der unbedenklichen im erstinstanzlichen Akt einliegenden Urkunden im Zusammenhalt mit dem Ergebnis des ergänzend durchgeführten Ermittlungsverfahrens.
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl I Nr 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl I Nr 99/2006, entscheiden über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz, sofern nicht anderes bestimmt ist (vorliegend ist nichts anderes bestimmt), im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern.
Die Berufungswerberin ist ungarische Staatsangehörige und damit EWR-Bürgerin.
Nach § 6 FPG richtet sich die örtliche Zuständigkeit im Inland nach dem Hauptwohnsitz im Sinne des § 1 Abs 7 des Bundesgesetzes über das polizeiliche Meldewesen (Meldegesetz 1991 MeldeG), BGBl Nr 9/1992, in Ermangelung eines solchen nach einem sonstigen Wohnsitz des Fremden im Bundesgebiet. Bei Vorliegen mehrerer sonstiger Wohnsitze ist jener maßgeblich, welcher zuletzt begründet wurde (Abs 1). Hat der Fremde keinen Wohnsitz im Bundesgebiet, richtet sich die Zuständigkeit nach seinem Aufenthalt zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens nach diesem Bundesgesetz (Abs 2). Die Berufungswerberin hatte zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung weder einen Wohnsitz noch einen Aufenthalt im Bundesgebiet. Auch derzeit hält sich die Berufungswerberin nicht im Bundesgebiet auf. Das erste behördliche Einschreiten nach dem FPG ist am 22.08.2006 erfolgt; auch zu diesem Zeitpunkt hatte die Berufungswerberin weder Wohnsitz noch Aufenthalt im Bundesgebiet.
Die Bundespolizeidirektion Innsbruck war daher zur Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes (örtlich) nicht zuständig.
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
Wird von der Berufungsbehörde wie vorliegend in der Hauptsache entschieden, so verliert der Ausspruch über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung durch die Erstinstanz seine Wirkung; die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der vorliegenden Berufung, welcher von der Erstzinstanz die aufschiebende Wirkung aberkannt worden ist, kommt daher nicht mehr in Betracht.
Der Vollständigkeit halber sei aber darüber hinaus auch noch auf Folgendes hingewiesen:
Gemäß dem seit 01.01.2006 geltenden § 86 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch gegen einen freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger zulässig. Strafrechtliche Verurteilungen allein können allerdings nicht ohne weiteres eine solche Maßnahme rechtfertigen. Ebenso wenig können generalpräventive Überlegungen zu einem Aufenthaltsverbot gegen einen EWR-Bürger führen. Vielmehr ist darauf abzustellen, dass das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr bei einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet darstellt. Dem gegenständlichen Aufenthaltsverbot liegt eine Bestrafung nach § 19 Abs 1 iVm § 14 Tiroler Landespolizeigesetz wegen der verbotenen Anbahnung der Prostitution außerhalb behördlich bewilligter Bordelle sowie wegen einer Bestrafung nach § 12 Abs 2 Geschlechtskrankheitengesetz wegen der Nichtvorlage des Nachweises über die erforderlichen Untersuchungen nach dem Geschlechtskrankheitengesetz zugrunde. Strafrechtliche Verurteilungen liegen keine vor.
Der Verwaltungsübertretung nach § 19 Abs 1 iVm § 14 Tiroler Landespolizeigesetz liegt ein Sachverhalt zugrunde, der einen Verstoß gegen die Vorschriften begründet, mit denen die Prostitution in Tirol regelt ist. Es handelt sich jedoch dabei nach Ansicht der erkennenden Behörde um keinen schwerwiegenden Verstoß im Sinne des § 60 Abs 2 Z 4 FPG; nicht in allen Bundesländern ist nämlich die zulässige gewerbsmäßige Unzucht auf den Bordellbetrieb beschränkt. Anders zu werten sind Verstöße gegen das Aids- und das Geschlechtskrankheitengesetz. Derartige Verstöße berühren zweifellos ein Grundinteresse der Gesellschaft, nämlich die Bekämpfung ansteckender und zum Tod führender Krankheiten. Dazu liegt eine Bestrafung vor. Allerdings hat sich die Berufungswerberin vor ihrem vorübergehenden Aufenthalt in Innsbruck während ihres Aufenthaltes in Wien dort den erforderlichen Untersuchungen gemäß der Verordnung BGBl Nr 314/1974, sowie gemäß § 4 des Aidsgesetzes unterzogen. Derzeit hält sich die Berufungswerberin nicht im Inland auf. Insgesamt kann daher eine negative Zukunftsprognose bzw eine Gefährlichkeitsprognose im Grunde des § 60 Abs 1 FPG (noch) nicht getroffen werden. Das persönliche Verhalten des EWR-Bürgers muss wie erwähnt eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das bisherige Verhalten im Zusammenhang mit den Vorgaben des Geschlechtskrankheiten- und Aidsgesetzes reicht jedenfalls derzeit nicht zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen die Berufungswerberin aus.
Auch insoweit wäre daher die erstinstanzliche Entscheidung zu beheben gewesen.