TE Vwgh Erkenntnis 2002/4/16 2000/20/0144

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Veröffentlicht am 16.04.2002
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des A B in Linz, geboren am 2. November 1985, vertreten durch Dr. Thomas Zeitler, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 56, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 31. Jänner 2000, Zl. 215.052/0-V/15/00, betreffend §§ 6 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzten. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der 1985 geborene Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, ist im Oktober 1999 in das Bundesgebiet eingereist und beantragte am 31. Oktober 1999 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 14. Dezember 1999 gab der Beschwerdeführer an, dass in seiner Heimat Bürgerkrieg zwischen den Rebellen und der Regierung herrsche. Ende September 1999 sei sein Heimatdorf überfallen worden. Sein Vater sei von den Rebellen getötet worden, sein Bruder sei mit seiner kleinen Schwester geflüchtet. Er sei mit seiner Mutter geflüchtet, die dabei von Rebellen erschossen worden sei. Er sei nicht nur wegen des Überfalles geflüchtet sondern auch deshalb, weil die Rebellen ihn für ihre Armee haben wollten. Es wäre allgemein so, dass die Rebellen Dörfer überfielen, um dort junge Burschen zu rekrutieren. Sein Vater sei getötet worden, weil er habe verhindern wollen, dass der Beschwerdeführer und sein Bruder von den Rebellen zwangsrekrutiert würden. Im Falle der Rückkehr in seine Heimat würde er getötet, da er nicht für die Rebellen kämpfe. Auch nach dem Friedensabkommen von Lome vom 7. Juli 1999 hätten die Rebellen in den kleinen Dörfern die Macht. Sie würden weiter töten, vergewaltigen und brandschatzen.

Mit Bescheid vom 11. Jänner 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 2 AsylG 1997 als offensichtlich unbegründet ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone gemäß § 8 AsylG 1997 für zulässig.

In der Begründung dieses Bescheides wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen nicht auch nur ansatzweise auf einen in der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählten Verfolgungsgrund Bezug genommen habe. Auf Grund der aktuellen Situationsfeststellung in Sierra Leone bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass im Falle der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers Gefahr bestünde, dass dieser einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen werde.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde vom gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers im Wesentlichen vorgebracht, dass der Vater getötet worden sei, weil er sich geweigert habe, seine Söhne den Rebellen zu überlassen. Daraufhin sei der Rest der Familie geflohen, wobei auch die Mutter des Beschwerdeführers von den Rebellen erschossen worden sei. Als Vollwaise werde der Beschwerdeführer vermutlich Verfolgung, Folterung und Rekrutierung unterliegen. Ausserdem wären Beweise über die Verfolgungsgefahr in Sierra Leone aufzunehmen.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wies der unabhängige Bundesasylsenat die Berufung gemäß § 6 Z 2 AsylG 1997 ab und stellte gemäß § 8 AsylG 1997 "in Verbindung mit § 57 Abs 1" des Fremdengesetzes 1997 fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei zulässig.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass eine Bürgerkriegssituation für sich allein die Flüchtlingseigenschaft nicht zu bewirken vermöge. Auch die Tötung von Familienangehörigen im Zuge allgemein herrschender Bürgerkriegsverhältnisse indiziere ohne Hinzutreten weiterer Umstände keine den Berufungswerber bedrohende Verfolgungssituation im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Der Beschwerdeführer habe sich in keinem Stadium des Verfahrens auch nur ansatzweise auf einen in der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählten Verfolgungsgrund bezogen, und er habe hinsichtlich der von ihm konkret als Verfolgungshandlungen geltend gemachten Zwangsrekrutierungsversuche durch die Rebellen nicht nur anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der erstinstanzlichen Behörde sondern auch im Berufungsverfahren ausschließlich an alters- und geschlechtsspezifischen Auswahlkriterien angeknüpft. Dem gesamten Vorbringen des Beschwerdeführers lasse sich zweifelsfrei entnehmen, dass die versuchten Rekrutierungen nicht spezifisch in asylrechtlich relevanten Merkmalen seiner Person begründet gewesen seien sondern ausschließlich aus dem Geschlecht und Alter der davon Betroffenen resultiert hätten. Die Vorgangsweise der Rebellen könne daher schon deshalb keine Verfolgungshandlung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darstellen. Weiters gelangte die Berufungsbehörde zur Ansicht, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr liefe, in Sierra Leone einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Es sei dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht zu entnehmen, inwiefern sich seine persönliche Situation von jener sämtlicher männlicher Jugendlicher in Sierra Leone unterscheide, und auch nach durchgeführtem Ermittlungsverfahren hätten sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass gerade der Beschwerdeführer auf Grund einer besonderen Gefährdungslage einer derartigen Gefahr ausgesetzt wäre.

Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 6 des Asylgesetzes 1997 sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist gemäß § 6 Z 2 AsylG 1997 der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist.

Wie aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (686 BlgNR 20. GP 19) hervorgeht, orientiert sich die Bestimmung des § 6 AsylG 1997 im Wesentlichen an der Entschließung der für Einwanderung zuständigen Minister der Europäischen Gemeinschaften über offensichtlich unbegründete Asylanträge vom 30. November und 1. Dezember 1992. Ein Asylantrag soll demnach "nur dann als offensichtlich unbegründet abgewiesen werden, wenn eine Verfolgungsgefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (eindeutig) ausgeschlossen werden kann".

Der Beschwerdeführer hat vorgebracht, dass sein Vater deshalb getötet worden sei, weil er die Rekrutierung des Beschwerdeführers habe verhindern wollen. Es ist daher keinesfalls auszuschließen, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner Flucht von den Rebellen als "Feind" betrachtet worden wäre und deshalb dasselbe Schicksal wie seine Eltern hätte befürchten müssen. Zu berücksichtigen wäre gewesen, dass in Bezug auf die Person des Beschwerdeführers - seinen insoweit von der belangten Behörde nicht bezweifelten Angaben zufolge - bereits ein Rekrutierungsversuch stattgefunden hat (vgl. den diesbezüglich anders gelagerten Sachverhalt, der dem hg. Erkenntnis vom 26. November 1998, Zl. 98/20/0309, zugrunde gelegen ist) und der Beschwerdeführer den Rebellen somit persönlich bekannt sein konnte. In einem solchen Fall kommt es auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst nicht mehr an (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, mwN).

Die belangte Behörde durfte schon im Hinblick auf diese Ausführungen keinesfalls davon ausgehen, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers "offensichtlich" unbegründet im Sinne des § 6 Z 2 AsylG 1997 ist. Die Beschwerde, die auch die fehlerhafte Anwendung des § 6 AsylG 1997 rügt, führt bereits insoweit zum Erfolg.

In Bezug auf den Ausspruch gemäß § 8 AsylG hat die belangte Behörde ihre Entscheidung aber auch durch dessen Einschränkung auf § 57 Abs. 1 FrG mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet (vgl. zuletzt die Erkenntnisse vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0419, und vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0411, mit weiteren Nachweisen).

Der angefochtene Bescheid war aus den oben genannten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Die Abweisung des Mehrbegehrens gründet sich darauf, dass die Pauschalgebühr für den Schriftsatzaufwand auch hiefür erforderliche Barauslagen mitumfasst.

Wien, am 16. April 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000200144.X00

Im RIS seit

09.07.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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