TE Vwgh Erkenntnis 2002/4/16 99/20/0604

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.04.2002
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des Z A S in Wien, geboren am 16. September 1969, vertreten durch Dr. Andrea Simma, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Schulerstraße 18, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. September 1999, Zl. 201.212/0-VII/19/98, betreffend §§ 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste im August 1996 in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Asyl. Beim Bundesasylamt gab er dazu in seiner Vernehmung vom 2. September 1996 an, er habe den Irak bereits Anfang 1975 mit seiner Familie verlassen, als sein Vater in Kuwait eine Arbeitsstelle erhalten habe. Nach Beendigung seiner Schulausbildung in Kuwait habe er bei der dortigen irakischen Botschaft im Jahr 1987 um Aufschub seiner Einberufung zum Militärdienst angesucht, da er ein Studium habe absolvieren wollen. Dieser Aufschub sei ihm unter der gleichzeitigen Anordnung, dass er den Militärdienst nach Beendigung oder Abbruch seines Studiums sofort abzuleisten habe, gewährt worden. Der Beschwerdeführer sei aber aus finanziellen Gründen und entgegen seinen ursprünglichen Absichten in Kuwait keinem Studium nachgegangen. Auch habe er einem im Jahr 1990 in den Medien verkündeten Einberufungsbefehl für Personen seines Geburtsjahres nicht Folge geleistet und befürchte daher im Fall seiner Rückkehr in den Irak die Hinrichtung oder eine lebenslange Haft. Personen, die den Militärdienst nicht ableisteten, und die, wie der Beschwerdeführer, schiitischen Glaubens seien, würden nämlich im Irak als Hochverräter angesehen werden. Im Oktober 1990 habe der Beschwerdeführer Kuwait verlassen, da er Angst gehabt habe, in Kampfhandlungen zwischen den irakischen und kuwaitischen Truppen involviert zu werden. Er habe seit 1990 im Libanon in Beirut gelebt und dort als Hilfskraft gearbeitet. Da er dort wegen seiner irakischen Herkunft immer wieder beschimpft und mit dem Gefängnis bedroht worden sei und darüber hinaus die von Israel ausgehenden Gefahren im Libanon größer geworden seien, sei er nach Österreich geflüchtet.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. September 1996 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 Asylgesetz 1991 im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die Verweigerung der Militärdienstpflicht sei asylrechtlich unbeachtlich und der Beschwerdeführer wäre überdies bereits vor seiner Einreise in das Bundesgebiet in anderen Staaten vor Verfolgung sicher gewesen.

In seiner dagegen erhobenen Berufung verwies der Beschwerdeführer abermals auf die ihm wegen der Verweigerung des Militärdienstes im Irak drohenden Sanktionen und zitierte auszugsweise den Jahresbericht 1995 von Amnesty International, nach dem die Wehrdienstverweigerung oder Desertion im Irak u.a. mit der Amputation von Extremitäten sanktioniert werde. Die Todesstrafe drohe bei Desertion oder dreimaliger Wehrdienstverweigerung, wobei sich die betroffenen Personen vor eigens eingerichteten Sondergerichten zu verantworten hätten.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde unter gleichzeitiger Abstandnahme von der Durchführung einer Verhandlung die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab. Begründend führte sie zum einen aus, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine individuelle Verfolgung im Irak zu befürchten hätte. Eine Furcht sei nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nur dann wohlbegründet, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Betroffenen unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar sei. Eine Verfolgungsgefahr sei nur dann anzunehmen, wenn die Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohe, wohingegen die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht genüge. Im Lichte dieser Judikatur und vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer "in seinem ganzen Leben noch nie Probleme mit den irakischen Behörden hatte", sei mit einer persönlichen Verfolgung seiner Person nicht zu rechnen.

Zum anderen verwies die belangte Behörde, ausgehend von einer doch "eventuell drohenden" Bestrafung des Beschwerdeführers auf die auf das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, zurückzuführende Judikatur, der zufolge die Wehrdienstverweigerung für sich allein nicht "als Grund im Sinne des Flüchtlingsbegriffes des Asylgesetzes" (1991) gewertet werden könne. Die Flucht wegen Einberufung zum Militärdienst sei nach dieser Rechtsprechung nur dann asylrechtlich relevant, wenn die Einberufung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen eine drohende allfällige Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen gewesen wäre. Ausgehend von diesen Maßstäben ergebe sich nach Ansicht der belangten Behörde "ganz deutlich", dass die Nichtbefolgung der Einberufung zum Militärdienst durch den Beschwerdeführer dessen Flüchtlingseigenschaft im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht zu begründen vermöge. Der Beschwerdeführer habe niemals Probleme mit den irakischen Behörden gehabt und lebe seit 1975 im Ausland. Eine eventuell drohende Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung könne im Fall des Beschwerdeführers weder unter einen der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe subsumiert werden, "noch gibt es in seinem Vorbringen irgendeinen Anhaltspunkt dafür, dass er eine - im Vergleich zu anderen Staatsbürgern - unverhältnismäßig schwere Strafe zu befürchten hätte".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde wendet sich zunächst gegen die Ansicht der belangten Behörde, aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer noch nie Probleme mit den irakischen Behörden gehabt hätte, sei eine individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers nicht zu befürchten. Zutreffend macht die Beschwerde dabei geltend, der Anspruch auf Asylgewährung setze nicht voraus, dass der Asylwerber bereits Opfer von Verfolgung war, sondern es reiche aus, wenn seine Furcht vor - zukünftiger - Verfolgung (aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe) begründet ist (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 10. Juni 1998, Zl. 96/20/0287, und vom 2. Juli 1998, Zl. 96/20/0208). Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer seine Befürchtung erheblicher Sanktionen im Fall der Rückkehr in seine Heimat mit der Verweigerung des Militärdienstes im Irak begründet. Dass die Nichtbefolgung der Einberufung zum Militärdienst im Irak nicht mit den vom Beschwerdeführer genannten Strafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht wäre, wurde seitens der belangten Behörde nicht festgestellt.

Ausgehend von einer "eventuell drohenden" Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung hat die belangte Behörde in ihrer Alternativbegründung die Asylrelevanz einer solchen Sanktion geprüft und ist vor dem Hintergrund des erwähnten hg. Erkenntnisses eines verstärkten Senates zur Auffassung gelangt, es fänden sich im Vorbringen des Beschwerdeführers keine Anhaltspunkte dafür, dass er wegen der Nichtbefolgung seines Einberufungsbefehls eine im Vergleich zu anderen irakischen Staatsbürgern unverhältnismäßig schwere Strafe zu befürchten hätte. Auch diesbezüglich unterließ die belangte Behörde aber, wie die Beschwerde unter Hinweis auf den Lebenslauf des Beschwerdeführers (zu Recht) bemängelt, weitere Ermittlungen.

Schon in seiner Vernehmung vor dem Bundesasylamt hat der Beschwerdeführer nämlich die von ihm befürchteten Sanktionen im Fall seiner Rückkehr in den Irak darauf zurückgeführt, dass Wehrdienstverweigerer, die "zudem schiitischen Glaubens sind, als Hochverräter" im Irak angesehen würden. Zudem hat er unter Hinweis auf seinen langjährigen Aufenthalt in Kuwait ausgeführt, er hätte dort irakische Behörden über das Vorliegen der Voraussetzungen für den Aufschub seines Militärdienstes getäuscht. Geht man aber einerseits von der Richtigkeit dieser (im angefochtenen Bescheid unwidersprochen gebliebenen) Angaben des Beschwerdeführers betreffend die speziell Wehrdienstverweigerern schiitischen Glaubens im Irak drohende Anschuldigung des Hochverrates aus und berücksichtigt man zudem andererseits den langjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in einem Land, das kurz nach der Ausreise des Beschwerdeführers zum Kriegsgegner des Irak wurde, so stellen die unterlassenen Ermittlungen der belangten Behörde darüber, inwieweit dem Beschwerdeführer angesichts dieser Eigenschaften eine schwerere Bestrafung wegen der Wehrdienstverweigerung als anderen irakischen Staatsangehörigen droht, schon nach den oben angesprochenen Kriterien des hg. Erkenntnisses, Zl. 93/01/0377, einen wesentlichen Verfahrensmangel dar.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde aber auch zu beachten haben, dass der Beschwerdeführer mit seinem Berufungsvorbringen über die ihm wegen der Wehrdienstverweigerung drohende Todesstrafe bzw. Amputation von Extremitäten die Unverhältnismäßigkeit der Sanktion für die Wehrdienstverweigerung ins Treffen geführt hat. Der Verwaltungsgerichtshof hat zu diesem Thema im (gleichfalls den Irak betreffenden) Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0401, ausgeführt, dass Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung unter anderem nicht nur dann asylrelevant sein können, wenn sie gegenüber dem Asylwerber - im Verhältnis zu anderen Staatsangehörigen - in schwererem Ausmaß verhängt werden, sondern unter bestimmten weiteren Voraussetzungen auch dann, wenn sie - für sich gesehen - unverhältnismäßig sind. Auf diesen Gesichtspunkt wird im fortgesetzten Verfahren Bedacht zu nehmen sein.

Der angefochtene Bescheid war nach dem Gesagten gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 16. April 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1999200604.X00

Im RIS seit

01.07.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten