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56 Öffentliche WirtschaftNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallLeitsatz
Anlaßfallwirkung der Aufhebung der die umfassende Gebürenbefreiung der ÖBB normierenden Bestimmung des BundesbahnG 1992 in einem Verfahren betreffend Vorschreibung von GerichtsgebührenSpruch
Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Justiz) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 29.500,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Die beschwerdeführende Gesellschaft war beklagte Partei in einem Zivilprozeß, den die Österreichischen Bundesbahnen (in der Folge: ÖBB) gegen sie angestrengt hatten. Die ÖBB hatten auf Zahlung von S 192.132,- und auf Räumung eines Grundstücks geklagt und das Klagebegehren im Laufe des Verfahrens um S 67.500,-
ausgedehnt sowie den Ersatz der Kosten des Rechtsstreits und Zuspruch von Zinsen begehrt. Schließlich kam es zu einem - rechtswirksamen und vollstreckbaren - Vergleich, wonach die beschwerdeführende Partei den ÖBB "den Betrag von S 60.000,-
(darin enthalten eine Prozeßkostenpauschale von S 10.000,-)" zu zahlen habe; bei termingerechter Bezahlung seien damit alle Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Rechtsverhältnis wechselseitig verglichen. Bei Terminverlust verpflichtete sich die beschwerdeführende Partei, der Klägerin den Betrag von S 273.132,- (und Zinsen) sowie ein Prozeßkostenpauschale von S 20.000,- zu zahlen.
1.2. Mit Zahlungsauftrag vom 13. November 1997 schrieb der Kostenbeamte des Bezirksgerichts Gänserndorf der beschwerdeführenden Gesellschaft Gerichtsgebühren vor, und zwar eine Pauschalgebühr von S 3.445,- nach TP1 Gerichtsgebührengesetz, BGBl. 501/1984 (in der Folge: GGG), und eine Einhebungsgebühr von S 100,- gemäß §6 Abs1 des Gerichtlichen Einbringungsgesetzes 1962 BGBl. 288.
Mit Bescheid vom 16. Jänner 1998 wies der Präsident des Landesgerichtes Korneuburg den Berichtigungsantrag der beschwerdeführenden Gesellschaft ab. Gemäß §20 GGG sei bei persönlicher Gebührenfreiheit einer Verfahrenspartei der Gegner zur Zahlung der Gerichtsgebühren, welche die gebührenbefreite Partei zu entrichten gehabt hätte, verpflichtet, soweit ihm die Kosten des Rechtsstreits auferlegt seien oder soweit er sie durch Vergleich übernommen habe. Im Zweifel sei die Hälfte der Gebühr einzuheben. Die klagenden ÖBB hätten die Gebührenfreiheit gemäß §10 GGG iVm §19 BundesbahnG 1992 in Anspruch genommen. Die beschwerdeführende Gesellschaft sei daher "aufgrund des rechtskräftigen Vergleiches" und der in §10 GGG und §19 BundesbahnG 1992 enthaltenen Bestimmungen zum Ersatz der Gerichtsgebühren verpflichtet, welche die ÖBB zu entrichten gehabt hätten.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und die Verletzung in Rechten durch Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Die Beschwerdeführerin hält die Gebührenbefreiung der ÖBB für verfassungswidrig und untermauert dieses Vorbringen durch einen Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 14805/1997 (KommunalsteuerG).
Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Die Beschwerdeführerin hat repliziert.
3. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten in ihrem Zusammenhang:
3.1. §10 GGG steht unter der Überschrift "Persönliche Gebührenfreiheit aus anderen Gründen" und lautet auszugsweise:
"Von der Zahlung der Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren sind befreit:
1. der Bund, die öffentlich-rechtlichen Fonds, deren Abgang der Bund zu decken hat, und die im jeweiligen Bundesfinanzgesetz bezeichneten Monopol- und Bundesbetriebe;
2. - 6. ..."
§20 GGG, der die Zahlungspflicht des Gegners der gebührenbefreiten Partei im Zivilprozeß regelt, hat folgenden Wortlaut:
"In den Fällen des §70 ZPO sowie bei persönlicher Gebührenfreiheit aus anderen Gründen (§10) ist der Gegner zur Zahlung der Gerichtsgebühren, die die gebührenbefreite Partei zu entrichten gehabt hätte, verpflichtet, soweit ihm die Kosten des Rechtsstreites auferlegt sind oder soweit er die Kosten durch Vergleich übernommen hat. Im Zweifel ist die Hälfte der Gebühr einzuheben."
3.2. §19 Abs1 BundesbahnG 1992 BGBl. 825 lautet wie folgt:
"Auf das Unternehmen Österreichische Bundesbahnen finden auch Anwendung:
1. die dem Bund auf Grund bundesgesetzlicher Bestimmungen eingeräumten abgaben- und gebührenrechtlichen Begünstigungen, ausgenommen die Begünstigungen nach dem Gebührengesetz 1957
2. bis 3. ..."
Mit Erkenntnis vom 2. Oktober 1998, G72,247/97, hat der Verfassungsgerichtshof in §19 Abs1 Z1 die Wortfolgen "- und gebühren" sowie "ausgenommen die Begünstigungen nach dem Gebührengesetz 1957" als verfassungswidrig aufgehoben. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Juli 1999 in Kraft.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Die belangte Behörde ist davon ausgegangen, daß die klagenden ÖBB "aus anderen Gründen (§10)" (als der Bewilligung der Verfahrenshilfe) gebührenbefreit waren. Sie hat den angefochtenen Bescheid darauf gestützt, daß die ÖBB nach §19 Abs1 Z1 BundesbahnG 1992 von der Gebührenpflicht nach dem GGG befreit sind, dies deshalb, weil nach dieser Bestimmung die dem Bund eingeräumten abgaben- und gebührenrechtlichen Begünstigungen auf das Unternehmen ÖBB anzuwenden sind und nach §10 Z1 GGG der Bund von der Zahlung der Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren befreit ist.
2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10616/1985, 11711/1988).
Die nichtöffentliche Beratung im genannten Gesetzesprüfungsverfahren fand am 2. Oktober 1998 statt. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 4. März 1998 eingelangt. Nach dem Gesagten ist der Fall daher einem Anlaßfall gleichzuhalten.
3. Die belangte Behörde wandte jedoch bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig erkannten Wortfolgen in §19 Abs1 Z1 BundesbahnG 1992 an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Gesellschaft nachteilig war. Sie wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.
Der Bescheid ist daher aufzuheben.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von S 4.500,- sowie der Ersatz der gemäß §17 a VerfGG zu entrichtenden Gebühr von S 2.500,- enthalten.
Schlagworte
Bundesbahnen, Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren, VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1999:B452.1998Dokumentnummer
JFT_10009389_98B00452_00