TE Vfgh Erkenntnis 1999/9/28 B1821/97

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Veröffentlicht am 28.09.1999
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

StGG Art2
Krnt BauO 1992 §21

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht mangels Eingehen der belangten Behörde auf die vom Beschwerdeführer als Anrainer und Inhaber einer gewerblichen Betriebsanlage erhobenen Einwendungen gegen eine heranrückende Wohnbebauung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Kärnten ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seiner Rechtsvertreter die mit S 18.000,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer des Grundstückes 866/1, GB Villach, auf dem er eine gewerbebehördlich genehmigte KFZ-Werkstätte betreibt. Am 25. Jänner 1996 beantragte die S.-AG beim Magistrat der Stadt Villach die Erteilung der Baubewilligung zur Errichtung einer Wohnanlage mit 8 Häusern und einer Tiefgarage und den Abbruch von bestehenden Objekten auf den Grundstücken Nr. 861/11, 861/13, 863/11, 863/17, .1184, .1273, alle KG Villach.

Der Magistrat der Stadt Villach erteilte am 12. August 1996 die Baubewilligung und führte hinsichtlich des Nachbarn (und jetzigen Beschwerdeführers) aus, daß dieser nicht mit Erfolg einwenden könne, "daß die künftigen Bewohner der Häuser gegen seine Betriebsanlage wegen der davon ausgehenden Emissionen vorgehen können". Die dagegen erhobene Berufung wurde vom Stadtsenat der Stadtgemeinde Villach am 19. Februar 1997 abgewiesen.

Die Kärntner Landesregierung wies in der Folge die Vorstellung des Anrainers ab, da die Möglichkeit, Einwendungen gemäß §21 Abs4 der Kärntner BauO 1992 zu erheben, nur jenen Parteien zustehe, die durch das Bauvorhaben - in jenem Fall durch die gegenständliche Wohnanlage - verletzt werden, nicht aber jenen Parteien, von deren Anlagen und Betrieben Emissionen auf das Bauvorhaben ausgehen.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde des Anrainers, der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) und in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm (Flächenwidmungsplan der Stadt Villach) geltend macht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

3. Die Kärntner Landesregierung legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den angefochtenen Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. 1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) vor, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

2.1. Die belangte Behörde hat - gestützt auf §21 Abs4 der Kärntner Bauordnung 1992 - die Möglichkeit verneint, daß der Inhaber eines Gewerbebetriebes sich gegen eine "heranrückende Wohnbebauung" zur Wehr setzen kann.

Der Verfassungsgerichtshof kommt hingegen - wie die folgenden Überlegungen zeigen - zu dem Ergebnis, daß die Absätze 4 und 5 des §21 der Kärntner Bauordnung 1992 nicht nur Regelungen betreffend Emissionswirkungen des Bauvorhabens zum Gegenstand haben, sondern auch betreffend Immissionen auf das geplante Bauwerk, die von einem in der Nachbarschaft bestehenden Betrieb ausgehen.

2.2. Gemäß §21 Abs4 leg. cit. können die Anrainer gegen die Erteilung der Baubewilligung mit der Begründung Einwendungen erheben, daß sie durch das Bauvorhaben in subjektiven Rechten verletzt werden, die im öffentlichen Recht (öffentlich-rechtliche Einwendungen) begründet sind.

Öffentlich-rechtliche Einwendungen der Parteien sind gemäß §21 Abs5 leg. cit. im Baubewilligungsverfahren nur zu berücksichtigen, wenn sie sich auf die Bestimmungen des Baurechts oder der Bebauungspläne stützen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarschaft dienen. Hiezu gehören insbesondere jene Bestimmungen, die dem Schutz der Nachbarschaft in gesundheitlichen Belangen, im Interesse der Brandsicherheit oder gegen Immissionen dienen.

Gemäß §19 Abs1 des Gemeindeplanungsgesetzes 1995 sind im Landesgesetz vorgesehene Bewilligungen für raumbeeinflussende Maßnahmen nur zulässig, wenn sie dem Flächenwidmungsplan nicht widersprechen.

Die Baubehörde hat bei der Vorprüfung eines Bauvorhabens gemäß §11 Abs2 Kärntner Bauordnung 1992 festzustellen, ob dem Vorhaben ua. der Flächenwidmungsplan entgegensteht. Steht dem Vorhaben einer der Gründe des §11 Abs2 leg. cit. entgegen, hat die Baubehörde den Antrag gemäß §13 Abs1 leg. cit. abzuweisen.

2.3. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem richtungsweisenden Erkenntnis VfSlg. 12468/1990 zu §6 Abs8 der Wiener Bauordnung erkannt hat, ist einer Vorschrift, die die Errichtung von Betrieben in Wohngebieten beschränkt, ein allgemeiner Grundsatz zu entnehmen, der insbesondere die Qualität der Wohnverhältnisse sicherstellen will. Erfaßt man die Regelung nach dem evidenten Zweck, so fehlte es an einer sachlichen Rechtfertigung für die Annahme, daß eine vom Gesetz verpönte schwerwiegende Beeinträchtigung ausschließlich dann zu unterbinden ist, wenn die Quelle der Emissionen geschaffen werden soll, nicht hingegen in dem bloß durch die zeitliche Abfolge verschiedenen Fall, daß sie bereits besteht und erst durch die Errichtung von Wohnhäusern ihre beeinträchtigende Wirkung entfalten kann. Der Verfassungsgerichtshof hat diese Aussagen in den Erkenntnissen VfSlg. 13210/1992 (zu §23 Abs2 OÖ Bauordnung) und 14943/1997 (zu §134 Abs3 und §134a der Wiener Bauordnung) wiederholt.

2.4. Überträgt man die in den genannten Vorerkenntnissen des Verfassungsgerichtshofs vertretene Rechtsansicht auf die Regelung des §21 Abs2 der Kärntner Bauordnung 1992, so kommt man zum Ergebnis, daß der Wortfolge "die dem Schutz der Nachbarschaft ... dienen" auch der Fall des Inhabers einer gewerblichen Betriebsanlage zu unterstellen ist, dessen rechtliche Interessen durch die Bewilligung einer Wohnbebauung auf dem Nachbargrundstück deshalb berührt werden, weil er beispielsweise mit Auflagen der Gewerbebehörde zum Schutz der Nachbarschaft gegen Immissionen rechnen muß (vgl. VfSlg. 15188/1998).

3. Da die belangte Behörde von einem - wie oben dargelegt - sachlich nicht begründbaren und daher auch gleichheitswidrigen Verständnis der zitierten Gesetzesstelle ausgegangen und im angefochtenen Bescheid auf die Einwendungen des Beschwerdeführer gegen die heranrückende Wohnbebauung in der Sache nicht eingegangen ist, hat sie den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben, ohne daß auf das weitere Vorbringen einzugehen war.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Kostenbeitrag sind S 3.000,- an Umsatzsteuer enthalten.

5. Die Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt werden.

Schlagworte

Baurecht, Nachbarrechte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B1821.1997

Dokumentnummer

JFT_10009072_97B01821_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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