TE Vwgh Beschluss 2002/11/12 2002/05/0843

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Veröffentlicht am 12.11.2002
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Kante, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Gemeinde Mischendorf, vertreten durch Dr. Walter Röck, Rechtsanwalt in 7400 Oberwart, Röntgengasse 23, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Februar 2002, Zl. 614960/5- BH/02-pom, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde in einem Reklamationsverfahren nach dem MeldeG (mitbeteiligte Partei: Bürgermeister der Bundeshauptstadt Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

1.

Dem Wiedereinsetzungsantrag wird nicht Folge gegeben.

2.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Der angefochtene Bescheid, mit dem in Stattgebung einer Reklamation des mitbeteiligten Bürgermeisters der Hauptwohnsitz der betroffenen Partei gemäß § 17 MeldeG aufgehoben und der Betroffenen aufgetragen wurde, innerhalb eines Monates bei der für ihren nunmehrigen Hauptwohnsitz zuständigen Meldebehörde die erforderliche Meldung vorzunehmen, wurde dem Beschwerdeführer am 5. März 2002 zugestellt. Die sechswöchige Frist des § 26 Abs. 1 VwGG endete daher am 16. April 2002.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, am 23. April 2002 zur Post gegebene Beschwerde, mit der der Beschwerdeführer einen Wiedereinsetzungsantrag verband. Dazu erstattet er nachstehendes Vorbringen:

"Es war bei Einlangen des Bescheides nicht vorgesehen, Bescheidbeschwerde zu erheben und der Bescheid wurde daher mit dem Vermerk, dass kein Rechtsmittel erhoben würde, vom Herrn Amtsrat, Herrn W D abgelegt. Als der Beschwerdeführer jedoch Kenntnis von einem unrichtigen Zustellvorgang erhielt und überdies weitere seiner Ansicht nach unrichtige Entscheidungen zugestellt erhielt und daher die Notwendigkeit bestand, dagegen rechtliche Schritte zu setzen, erteilte er Amtsrat W D den Auftrag, alle als unrichtig erkannten Bescheide zur Einbringung eines Rechtsmittels dem einschreitenden RA zu übergeben. Bei der großen Zahl passierte es, dass dieser (und ein zweiter) Bescheid in der Ablage verblieben, wohin sie zunächst gegeben worden waren. Erst bei der Überprüfung am 17.04.2002 wurde das Versehen seitens des Herrn Amtsrates W D erkannt.

Herr Amtsrat W D ist seit 30 Jahren im Gemeindedienst tätig und er erledigt alle Gemeindeangelegenheiten mit größter Umsicht und Sorgfalt. Versäumnisse sind ihm im Laufe seiner Amtstätigkeit noch nicht unterlaufen. Er gilt als äußerst zuverlässig. Als Bescheinigung für die Richtigkeit der gemachten Angaben fertigt er diesen Schriftsatz am Ende dieses Absatzes mit."

Der Wiedereinsetzungsantrag ist, auch wenn man vom behaupteten Sachverhalt ausgeht, nicht berechtigt:

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Im vorliegenden Fall kann der ursprüngliche Entschluss, den Bescheid abzulegen, weil man keine Beschwerde erheben wollte, zweifelsohne nicht als "Ereignis" im Sinne der zitierten Gesetzesbestimmung angesehen werden. Ursächlich für die Fristversäumung war, dass bei Ausführung des Auftrages, alle als unrichtig erkannten Bescheide zur Einbringung eines Rechtsmittels dem einschreitenden Rechtsanwalt zu übergeben, der gegenständliche (und ein zweiter) Bescheid in der Ablage verblieben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass eine Gemeinde in gleicher Weise wie etwa eine Rechtsanwaltskanzlei Mindesterfordernisse einer sorgfältigen Büroorganisation erfüllen muss (so schon Beschluss vom 12. April 1984, Zl. 84/16/0073, weiters vom 24. November 1989, Zl. 89/17/0116 und vom 26. Juni 1996, Zl. 95/16/0307). Im Beschluss vom 24. November 1989 wurde betont, dass die Organisation so eingerichtet werden muss, dass auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von - mit Präklusion sanktionierten - Prozesshandlungen, etwa die fristgerechte Einbringung von Beschwerden an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, gesichert erscheint. Bei Bescheiden, gegen die innerhalb einer bestimmten Frist ein (außerordentliches) Rechtsmittel ergriffen werden kann, muss daher Vorsorge dafür getroffen werden, dass dieses fristgebundene Schriftstück während der offenen Frist ohne Weiteres auffindbar ist.

Unabhängig von den persönlichen Eigenschaften des damit befassten Gemeindebediensteten ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine entsprechende Kontrolle erforderlich, mit der dafür vorgesorgt wird, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Liegen nämlich Organisationsmängel vor, wodurch die Erreichung des genannten Zieles nicht gewährleistet ist, ist das Kontrollsystem in diesem Sinne unzureichend; auch wenn der Antragsteller das Bestehen einer solchen Aufsichtspflicht überhaupt nicht erkannt hat, kann nicht mehr von einem bloß minderen Grad des Versehens gesprochen werden.

Schließlich wurde im zitierten Beschluss vom 24. November 1989 auch auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hingewiesen, wonach das, was der Wiedereinsetzungswerber in Erfüllung seiner nach der Sachlage gebotenen Pflicht zur Überwachung seines Kanzleipersonals hinsichtlich der richtigen Vormerkung von Terminen vorgenommen hat, im Wiedereinsetzungsantrag substantiiert zu behaupten hat.

Der antragstellende Bürgermeister hat keinerlei Vorbringen über die Organisation seiner Gemeindekanzlei, insbesondere in Bezug auf fristgebundene Schriftstücke, erstattet. Das offenbare Fehlen jeglicher Kontrollmaßnahmen in der Büroorganisation des Beschwerdeführers kann aber keinesfalls als minderer Grad des Versehens angesehen werden. Aus diesem Grunde konnte dem Wiedereinsetzungsantrag daher nicht Folge gegeben werden.

Mit Rücksicht auf diese Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ist die Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdefrist zurückzuweisen (§ 34 Abs. 1 VwGG).

Wien, am 12. November 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2002050843.X00

Im RIS seit

18.02.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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